„…die Eigentumsfrage stellen.“

quartalsbericht 04/2021 150 jahre pariser kommune

Vor 150 Jahren wehrte sich die Nationalgarde in Paris gegen ihre Entwaffnung, und die Kommune begann die Stadt in einer neuen Form zu verwalten. 72 Tage währte das zukunftsweisende Experiment, vom 18. März bis zu ihrer Niederschlagung am 28. Mai 1871. Die bisherigen Quartalsberichte beschäftigten sich mit der Rolle der Frauen, der des Staates und in Heft 55 mit Fragen der Demokratie in der Pariser Kommune.

Wie produzieren?

Welche Bedeutung hatten die Erfahrungen der Pariser Kommune für die Verständigung der Arbeiterbewegung darüber, was hinsichtlich der Produktion und der Ökonomie erreicht werden soll?

Was tun gegen den Kapitalismus?

Als die kapitalistische Produktionsweise die bisherige Lebensweise infrage zu stellen begann, am Anfang des 19. Jahrhunderts durch die neuen, immer billiger werdenden Maschinenwaren aus England, hatten die Arbeitenden auf eine traditionelle Weise reagiert. Sie verteidigten mit den Meistern die ständische und zünftige Produktion, die längst nicht mehr allen Arbeitenden Arbeit und sicheres Einkommen bot. Die Produktion sollte weiterhin nach zünftigen Handwerksregeln erfolgen, die Zahl der Bewerber um Arbeit in der Zunft begrenzt und Produkte nur auf Bestellung von Kunden nach den in der Zunft vereinbarten Methoden und festgesetzten Preisen hergestellt werden. Um die Zunft gegen Konkurrenz von Mitbewerbern und neue Produktionsmethoden zu verteidigen, gab es ein Mittel, den Maschinensturm. Gemeinsam für und mit ihren Meistern zerstörten die Gesellen die Geräte, die die Zunftprodukte schneller und einfacher herstellten. Was aber, als die überlegenen Produktionsinst rumente den Gilden nicht mehr am Ort gegenübertraten, sondern außer Reichweite im bereits durch die kapitalistische Produktionsweise bestimmten Großbritannien?

Der Bund der Gerechten als eine erste Organisation der Arbeitenden, die keine Produktionsmittel mehr besaßen, wollte die ständische Organisation und handwerkliche Produktion erhalten durch Abschaffung des Geldes. Stattdessen sollten die Arbeitenden die Handwerksprodukte gegen Stundenzettel erhalten, die ihre geleisteten Arbeitsstunden auswiesen. Durch diese neue gesellschaftliche Arbeitsteilung ohne Waren wären aber weder eine Effektivierung der Produktion noch eine Versorgung von Arbeitsunfähigen möglich gewesen, weil ja die Arbeitenden alles gemäß ihren Stundenzetteln aufgezehrt, was sie produziert hätten.

Nationalwerkstätten

Als die Wirkung neuer Maschinen unter anderem im Textilgewerbe sich um 1844 in Form von Arbeitslosigkeit zeigte, forderte die Arbeiterbewegung in Frankreich die Einrichtung von Staatswerkstätten, die Erwerbslose vorübergehend aufnehmen und für ihren Lebensunterhalt sorgen sollten.

In entstellter Form war das 1848 durch die Revolutionsregierung erfüllt worden. Als die Bedingungen in den Nationalwerkstätten verschlechtert werden sollten, machten die Arbeitenden von Paris einen Aufstand. Daraufhin wählte ein großer Teil der übrigen Bevölkerung Frankreichs mit den zu Eigentum gekommenen Bürgern, Kleinbürgern und Bauern den Neffen Napoléon Bonapartes, Louis Bonaparte, zum Präsidenten und bestätigte ihn 1852 als Diktator und Kaiser Napoléon III. von Frankreich. Und es war eben jener Louis Bonaparte, der den deutsch-französischen Krieg 1870 verlor.

Der Bund der Kommunisten, der 1847 aus dem Bund der Gerechten hervorging, entwickelte in seinem Gründungsmanifest vom März 1848 eine andere Perspektive als die Bewahrung des traditionellen Handwerks. Die Kommunisten unterstützten, dass das Bürgertum auf der Suche nach Gewinn bei freier Verfügung über Produktionsmittel und Lohnarbeit die Mittel der Produktion fortdauernd umwälzte und die ganze Gesellschaft vom reaktionären Zauber des Feudalismus befreite. Die an die Macht strebende Klasse des Bürgertums würde die Interessen der Besitzlosen und Lohnarbeiter nicht von selbst erfüllen. Deshalb müssten die von Produktionsmitteln freien Lohnarbeiter organisiert werden, politische Rechte erlangen und ihre Interessen im Staat durchsetzen. Die Arbeitenden sollten nach Eroberung der Macht das Privat-Eigentum aufheben, allerdings nur, wie es im Manifest heißt, die private Verfügung über Produktionsmittel. „Der Kommunismus nimmt keinem die Macht si ch gesellschaftliche Produkte anzueignen, er nimmt nur die Macht sich durch diese Aneignung fremde Arbeit zu unterjochen.“

Wer verfügt über Produktionsmittel?

In der entstehenden Arbeiterbewegung der 1860er Jahre war das Ziel einer Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln und Überführung in gesellschaftliche Verwaltung höchst unklar und umstritten.

Ferdinand Lassalle hatte 1863, ein Jahr vor seinem Tod, die Aufhebung nur des Unternehmergewinns „in der friedlichsten, legalsten und einfachsten Weise“ gefordert „indem sich der Arbeiterstand durch freiwillige Assoziationen als sein eigener Unternehmer organisiert und diese dann auf fabrikmäßiger Grundlage, aber nicht als Kleinbetriebe organisiere.“ Gegen Genossenschaften verschiedenster Richtung verwies er auf das „eherne Lohngesetz“, das im Kapitalismus dafür sorge, dass der durchschnittliche Arbeitslohn „immer auf den notwendigen Lebensunterhalt reduziert“ bleibe und sich „jemals lange weder über denselben erheben, noch unter denselben hinunterfallen“ könne. Ziel der Arbeiterbewegung sei der ganze Arbeitsertrag, und Aufgabe des bestehenden Staates sei es, die freie individuelle Assoziation des Arbeiterstandes auf fabrikmäßiger Grundlage zu fördern und zu entwickeln.

Staatlich organisierte Produktion

Nachdem die Verwaltung und große Teile des Bürgertums geflohen waren, stand die Kommune von Paris im März 1871 vor dem Problem, die Produktion selbst organisieren zu müssen und gleichzeitig die Verteidigung gegen die Truppen aus Versailles als auch die Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten.

Mit den Beamten hatten auch die Industriellen und Meister Paris verlassen. Die Kommune musste deren Funktionen übernehmen und suchte, die Produktion wie eine einzige große Fabrik zu organisieren, eine Aufgabe der dafür zuständigen Räte.

Die Pariser Kommune, als die Ökonomie organisierende Körperschaft, machte sichtbar, dass ein Zukunftsstaat den Arbeitenden nicht nur eigene Betriebe ermöglichen sollte, sondern dafür zu sorgen hatte, dass das Zusammenwirken der Betriebe nicht dem Markt überlassen bliebe, sondern auf politischem Wege geplant und entschieden werden musste.

Die Erfahrungen der Pariser Kommune reflektierend, stimmten die Marxisten mit den Anarchisten überein, dass der gegenwärtige Staat als Unterdrückungsregime zerstört werden musste. Die Marxisten meinten aber, dass eine neue Form der gesellschaftlichen Organisation notwendig sei, ein neuer Staat, der das gewährleisten sollte, was die einzelnen Betriebe und Großfabriken nicht selbst machen und entscheiden konnten.

In der von ihm verfassten Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiter-Assoziation schrieb Karl Marx, dass die sozialistische Gesellschaft nach einem qualitativen Sprung, einer Revolution, entstehen würde. Sie würde auch eine andere Form des Staates hervorbringen, die die gesellschaftliche Arbeitsteilung, die durch Waren vermittelt sei, durch eine freie Assoziation der Produzenten ersetzen werde, die frei und demokratisch über Art und Ausmaß der Produktion bestimmen könne.

Jürgen Bönig sieht im Programm der Ampel-Koalition keinerlei Anzeichen, dass die natur- und menschenzerstörenden Wirkungen der kapitalistischen Warenproduktion überhaupt wahrgenommen werden.