Angesichts leerer Gemeindekassen und „Schuldenbremse“ droht eine neue Welle von Krankenhausprivatisierungen
Manfred Dietenberger. Lunapark21 – Heft 22
Städte und Gemeinden melden „Land unter“. Ihnen fehlt das Geld, das sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben brauchen. Das hat Folgen auch und gerade für die städtischen Krankenhäuser. Werden deren Defizite zu groß, stehen die Kommunalparlamente vor der Wahl: Schließen, privatisieren oder Geld zuschießen.
Überschuldeten Kommunen, die unter Aufsicht übergeordneter Behörden stehen, kann Letzteres allerdings untersagt werden. Zuletzt wurde Offenbach so zur Veräußerung seines Klinikums an den Sana-Konzern gezwungen. Bundesweit droht eine weitere Privatisierungswelle.
Maßgebliche Ursache der kommunalen Finanznot ist der Rückgang der Staatseinnahmen: Was unter CDU-Kanzler Helmut Kohl mit der schrittweisen Absenkung der Gewinn-, Vermögens- und Erbschaftssteuern sowie der Steuern auf hohe Einkommen begann, fand seine Fortsetzung in den massiven Steuersenkungsgesetzen der Bundesregierungen seit 1998. In den städtischen Kassen fehlen allein dadurch jährlich zweistellige Milliardenbeträge. Zudem haben die Landesregierungen von Bayern, Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein den Kommunen auch noch die Zuweisungen gekürzt, um die milliardenschwere Rettung ihrer bankrotten Landesbanken zu finanzieren.
Die missliche Lage verschärft sich zusätzlich durch das seit 2009 geltende Verbot, neue Schulden aufzunehmen. Der Deutsche Bundestag hat mit den Stimmen einer Art Einheitspartei aus CDU/CSU-FDP-SPD und Grünen die so genannte Schuldenbremse für alle öffentlichen Haushalte ins Grundgesetz aufgenommen. Für den Bund gelten zwar Ausnahmen bei „Sonder- und Katastrophenfällen“ – die Verelendung der Kommunen ist damit aber nicht gemeint.
So manchem Kämmerer erscheint die Privatisierung kommunaler Einrichtungen als letzter Ausweg. Dabei wird der Verkauf auch des letzen Silberlöffels die kommunale Handlungsfähigkeit nicht wieder herstellen. Und: (Teil-)Verkäufe von Stadtwerken oder Krankenhäusern schwemmen zwar einmalig Erlöse in die Kassen – wenn überhaupt, da viele Einrichtungen quasi verschenkt werden. Werfen die Unternehmen Gewinne ab, fließen diese dann aber dauerhaft in die Taschen der Investoren. Sind sie defizitär und misslingt die „Sanierung“ in Privathand, steht am Ende doch der Staat für die Verluste ein. So zum Beispiel in Herbolzheim in der Nähe von Freiburg, dessen Klinikum 2002 an Helios verkauft wurde. Vier Jahre später wollte der Konzern das Haus aus betriebswirtschaftlichen Gründen dicht machen – die öffentliche Hand musste einspringen.
Trotz solcher Erfahrungen geht das von den privaten Krankenhausketten Asklepios, Helios, Rhön und Sana betriebene Hospital-Shopping weiter. Für die betroffenen Häuser und Belegschaften bedeutet das vervielfachten Druck: Sie müssen nicht nur schwarze Zahlen schreiben, sondern auch noch den Kaufpreis wieder hereinholen und mittelfristig Gewinne abwerfen. Profiterwartungen von mindestens 15 Prozent sind in der Branche üblich.
Private berufen sich auf EU-Wettbewerbsrecht
Kommunen, die sich dem Ausverkauf ihrer, der öffentlichen Daseinsfürsorge dienenden Einrichtungen widersetzen wollen, werden von den Konzernen hart attackiert. Jüngstes Beispiel: In Baden-Württemberg hat der Landkreis Calw im vergangenen Jahr über fünf Millionen Euro zur Deckung der Verluste der beiden Kliniken in Calw und Nagold zugeschossen. Das moniert nun der Bundesverband der Deutschen Privatkliniken (BDPK) und verlangt, die Einrichtungen müssten selbst für einen ausgeglichenen Haushalt sorgen. Klinikverluste aus der Landkreiskasse zu decken, verzerre den Wettbewerb und verstoße gegen Vorschriften des EU-Beihilferechts. Der BDPK hat eine entsprechende Musterklage eingereicht.
Damit könnte der BDPK allerdings ein Eigentor geschossen haben. Bernhard Ziegler vom Interessenverband kommunaler Krankenhäuser (IVKK) erklärte, er habe ein großes Interesse daran, die Krankenhausfinanzierung höchstrichterlich prüfen zu lassen. Dabei gehe es um die grundsätzliche Frage, ob der Krankenhaussektor weiter wie ein wettbewerbsorientierter Wirtschaftszweig behandelt werden soll oder nicht.
Die Kliniken seien seit Anfang dieses Jahrtausends in einem schleichenden Prozess immer stärker der Ökonomisierung unterworfen worden. Ob das rechtens ist, habe das Bundesverfassungsgericht aber nie geklärt. Die Klage der privaten Klinikträger könnte Anlass sein, das nachzuholen. Einige Verfassungsrechtler vertreten nämlich die Ansicht, der Krankenhausbereich dürfe nicht wettbewerbsrechtlich geregelt werden, weil es sich hier um eine Aufgabe der Daseinsfürsorge handele. So sieht es auch Ziegler und stellt fest: „Ein Krankenhaus muss gut und modern wirtschaften, aber der Wettbewerb darf nicht im Vordergrund stehen. Das ist mit unserer Verfassung nicht vereinbar.“
Eindeutiger Trend
Deregulierung, Schuldenbremsen und kommunale Finanznot werden so zum Motor gigantischer Privatisierungen. Während die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland insgesamt abnimmt, steigt die Zahl der Einrichtungen in privater Trägerschaft. Derzeit werden fast 30 Prozent aller Kliniken mit knapp 16 Prozent der Betten von privaten, profitorientierten Unternehmen betrieben. 1991 existierten in der Bundesrepublik noch mehr als 1.100 öffentliche, aber nur rund 350 private Krankenhäuser. Nach dem Ende der DDR wurden besonders in den neu hinzugekommenen Bundesländern viele Krankenhäuser an private Träger verscherbelt.
Zu einer zweiten Privatisierungswelle kam es in den Jahren 2000 bis 2007. Durch diese veränderte sich das Verhältnis exorbitant: Seit 2009 gibt es mehr private als öffentliche Häuser. 2011 lag das Verhältnis laut Statistischem Bundesamt bei 678 zu 621. Da die oft auf lukrative Behandlungen spezialisierten Privatkliniken zumeist deutlich kleiner sind als die staatlichen, ist die Bettenkapazität der öffentlichen Einrichtungen allerdings noch deutlich höher. Der Trend ist aber eindeutig: Mehr privat, weniger Staat. Angesichts der aktuellen Krise dürfte sich diese Entwicklung noch beschleunigen.