Oder: Notwendig ist eine Weltjugendrevolte gegen die drohende Klimakatastrophe
Liebe Schülerinnen, liebe Schüler,
eine Vorbemerkung vorweg: Als ich begann, mich politisch zu engagieren und – so wie ihr heute – für eine andere, für eine solidarische Welt zu kämpfen, da war ich zwei oder drei Jahr älter als ihr hier auf dem Platz. Damals, 1967/68, gab es auch eine weltweite Jugendbewegung, auch „Studentenrevolte“ und „Jugendrevolte“ genannt. Damals engagierten sich Millionen auf der Welt – in den USA, in Japan, in Westuropa, in einigen Ländern von Osteuropa, in Köln, Frankfurt und Westberlin, in Salzburg, Innsbruck und Wien gegen den Krieg in Vietnam. Die damalige Jugendrevolte hat positive Auswirkungen bis heute. Danach gab es viele Bewegungen, für die wir, die „68er“, sich engagierten. Oft war es aber so, dass die, die nun auf die Straßen gingen und Plätze besetzten, immer älter wurden. Doch wir sagten immer: Notwendig ist eine neue Jugendrevolte. Die jungen Menschen müssen für ihre Zukunft und für ihre Interessen selbst eintreten – nur dann gibt es die Chance, dass sich etwas grundsätzlich zum Positiven verändert.
Und das ist jetzt passiert. Ihr seid jetzt da. Und das ist ganz wunderbar.
Zunächst ´mal: Warum sind wir hier? Klar: „Wir sind hier – wir sind laut – weil man uns die Zukunft klaut!“ Und warum greift ihr zu dem besonderen Mittel des Schulstreiks? Deshalb, weil wir es zu tun haben mit einem KlimaNOTSTAND. Im Grunde ist das, was hier und in hunderten anderen Städten stattfindet, ein politischer Streik.
Dass wir einen Klimanotstand haben, wird klar, wenn wir zwei Jahreszahlen miteinander vergleichen: 1992 und 2019. 1992 gab es einen Bericht des damals relativ jungen International Panel on Climate Change (IPCC). Dieser Klimarat der Vereinten Nationen, der UN, stellte zu diesem Zeitpunkt erstmals überzeugend fest: Der Klimawandel ist menschengemacht. Verantwortlich dafür sind vor allem die hohen und ansteigenden CO2-Emmissionen. Diese haben mit dem industriellen Wachstum, mit dem Energieverbrauch und mit der Expansion von Auto- und Flugverkehr zu tun. Es muss, so der IPCC damals, alles getan werden, um die CO2-Emissionen massiv zurückzuführen.
Seither gab es ein knappes Dutzend Klimakonferenzen. So in Kyoto, Kopenhagen, Paris. Die jüngste fand in Katowice in Polen im vergangenen Dezember statt. Dort, in Katowice, wurde festgestellt: Gegenüber 1992 sind auf Weltebene die CO2-Emissionen um 50 Prozent angestiegen. Es fand das Gegenteil von dem statt, was 1992 als notwendig angesehen wurde. Und diese Emissionen steigen weiter an – in jüngerer Zeit sogar wieder in Europa.
Und noch etwas Hoch-Beunruhigendes wurde festgestellt. 1992 entfiel noch die Hälfte aller CO2-Emissionen auf die Regionen Nordamerika, Japan und Europa. Also auf die hochindustrialisierten Länder. Heute sieht die Situation anders aus. Von den inzwischen deutlich höheren Emissionen entfällt „nur“ noch ein knappes Drittel auf die genannten Regionen. Rund zwei Drittel entfallen heute auf den „Rest der Welt“, darunter auf China, Indien, Brasilien, Russland, Südafrika usw. 1992 hätte gewissermaßen noch eine enorme Kraftanstrengung in den genannten Industrieländern zur Reduktion der CO2-Emissionen erhebliche Auswirkungen auf die Weltsituation gehabt. Heute benötigen wir eine Weltbürgerbewegung, eine Weltjugendrevolte, um sich der drohenden Klimakatastrophe entgegenzustemmen.
Nochmals zur Frage: Warum sind wir hier auf dem Platz? Warum diese außerordentliche Maßnahme der wöchentlichen Schulstreiks? Ist es nicht so, dass die Mehrheit der Bevölkerung weiß, um was es geht? Und es ist ja so: Zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland und Österreich – und ähnlich wohl auch Europa-weit – wissen, wie dramatisch die Klima-Lage ist.
Und es ist auch so, dass es längst gute Pläne dafür gibt, wie man die CO2-Emissionen radikal reduzieren könnte. Notwendig dafür wären ein schneller Ausstieg aus der Kohle-Verbrennung, eine umfassende Energiewende, eine radikale Verkehrswende und eine massive Reduktion des Fleischkonsums und damit zusammenhängend eine radikal veränderte Landwirtschaft, eine Agrarwende.
Doch es findet das Gegenteil statt.
Womit ich beim Kern des Themas bin. Um die Klimaerwärmung zu verstehen, muss man die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung verstehen, in der wir leben. Es handelt sich nicht um eine Gesellschaftsordnung, in der die menschlichen Bedürfnisse im Zentrum stehen. Es handelt sich um eine Gesellschaftsordnung, in der der Profit und das fortgesetzte Wachstum – die Maximierung von Profit und die Steigerung von Wirtschaftswachstum – im Zentrum stehen. Ja, Profitexpansion und Wirtschaftswachstum um jeden Preis sind die entscheidenden Triebkräfte dieser Wirtschaftsordnung. Das geht bis zur Gefahr der Selbstzerstörung. Die vielen Plakate mit Bildern von und Verweisen auf die Dinosauriern, die auf den Fridays for Future-Demos gezeigt werden, sind also auch in dieser Hinsicht lehrreich.
In dieser Gesellschaftsordnung bestimmt nicht das Volk, der „demos“. Das ist keine strukturelle Demokratie. Demokratie gibt es nur auf formaler Ebene – bei Wahlen zu Vertretungen auf kommunaler, auf Landes- und Bundesebene. In der Wirtschaft selbst gibt es keine Demokratie. Da herrschen die großen Konzerne und Banken und Versicherungen – und die privaten Eigner und Großaktionäre dieser Wirtschaftseinheiten.
Auf Weltebene sind das weiterhin vor allem Öl- und Autokonzerne, die die Machtstruktur bestimmen.[1] In Österreich gehören zur Gruppe der führenden Unternehmen u.a. der gigantische Ölkonzern OMV, die Voest-Alpine (ein wichtiger Autozulieferer), der Baukonzern Strabag, die Porsche Holding (die wiederum weitgehend VW in Deutschland kontrolliert) und der Autozulieferer Magna. Auch hier spielen Öl- und Autointeressen eine erhebliche Rolle.
Wenn wir sagen, wenn die Klimabewegung fordert: „Wir dürfen keine weiteren Straßen bauen! Wir dürfen keine neue Startbahn in Schwechat in Betrieb nehmen! Wir dürfen nicht noch mehr Autoverkehr zulassen!“ … dann sagen die Strabag-Bosse: Wir brauchen mehr Straßen, weil unser Unternehmen, der Baukonzern, wachsen und profitabel sein muss. Dann sagt das Management der Austrian Airlines: Wir brauchen eine neue Startbahn in Wien (und neue Regionalairports), weil AUA wachsen und Gewinne an die Mutter, die Lufthansa, abführen muss. Dann sagen die Chefs von Porsche und Magna: Wir brauchen mehr Autos, weil wir die Gewinne bei Porsche und Magna maximieren müssen.
Wir leben also in einer Wirtschaftsordnung, die das Gegenteil dessen produziert, was eigentlich stattfinden sollte.
Drei konkrete Beispiele aus jüngerer Zeit, die für ein solches zerstörerisches Wachstum stehen.
Zunächst zum Fleischkonsum.
Ich sprach am Freitag, dem 5. April, in Salzburg auf dem Mozart-Platz bei der Fridays for Future-Demo. Und genau in den Tagen, als ich dort war, wurde ein Skandal publik. Der Skandal um die europaweiten Kälbertransporte. Die Salzburger Nachrichten berichteten: Jedes Jahr werden aus dem Bundesland Salzburg rund 37.000 Kälber nach Bozen gekarrt. Diese Tiere sind gerade mal drei Wochen alt. Bozen ist nur eine Sammelstelle. Dort werden die Tiere auf andere Lkw geladen und nach Vic in Spanien (Katalonien) transportiert – erneut lebend. Die Tiere sind auf ihrem Leidensweg in den Tod insgesamt gut drei Tage und 1700 Kilometer auf Lastkraftwagen – lebend – unterwegs. In Spanien werden sie geschlachtet. Ein Teil von dem Fleisch kommt in Form von leckerem, hellem, zartem Kalbfleisch zurück auf österreichische oder deutsche Teller..
Wenn wir das EU-weit überschlägig berechnen, dann werden Jahr für Jahr viele Hunderttausend, wenn nicht Millionen Tiere lebend durch Europa gekarrt. Und dann irgendwo, wo es besonders billig ist, geschlachtet. Warum passiert sowas? Von der Quälerei profitieren die Bauern, die Landwirtschaft, das Lkw-Gewerbe, die Schlachthöfe, die wiederum Billigarbeitskräfte beschäftigen. Wahrscheinlich spielen auch Subventionen eine Rolle, die damit kassiert werden, was mit zum verlängerten Leiden der Tiere beiträgt. Das Ganze ist ein Beitrag zur Steigerung des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union. Zerstörung, Tierquälerei und Transportinflation – all das gilt in der BIP-Rechnung als Plus.
Wenn man jetzt zu dem gesamten Irrsinn noch den Umstand hinzu nimmt, dass diese Kälber ja oft mit Soja gefüttert werden, dass Soja aus Südamerika importiert und nach Europa transportiert wird … dann wird nochmals deutlicher, welcher zerstörerische und tödlicher Kreislauf das ist.
Zweites Beispiel. Im Dezember 2017 wurde innerhalb der EU die Staatengemeinschaft PESCO gegründet. 23 von 25 EU-Mitgliedsstaaten schlossen sich dem Bündnis an. Malta und Dänemark nicht – diese beiden Länder weigerten sich mitzumachen. Sich zu weigern, war und ist also möglich. Doch Österreich und Deutschland sind dabei. Was ist PESCO? PESCO ist ein Zusammenschluss zur Militarisierung der EU, in dem unter anderem fest vereinbart ist: Jahr für Jahr müssen die PESCO-Staaten mehr für Rüstung ausgeben als jeweils im Vorjahr.
Und warum wird das gemacht? Bedroht uns ein Feind? Das ist unsinnig – es gibt keinen Feind. Ein wesentlicher Grund dafür ist: Es gibt große Rüstungskonzerne in der EU, die Wachstum und Rüstungsexporte fordern. Dazu gehören Airbus, Dassault, Krauss-Maffei und Rheinmetall. In Österreich Glock, Steyr-Mannlicher, Rheinmetall-MAN. In ganz Europa bringt es der Rüstungssektor auf einen Anteil von 2,5 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts. Rechnet man das Militär mit gut 1,7 Millionen Soldaten in den EU-Staaten dazu, dann bringt es der Bereich Militär und Rüstung auf rund 5 Prozent des EU-BIP. Das ist ziemlich exakt das Niveau der Bildungsausgaben (in Deutschland: 4,8; in Österreich: 5,5 Prozent). Das heißt: Unsere Länder geben ähnlich viel für Rüstung und Militär aus wie für Bildung. Ähnlich viel für die Förderung von Zerstörung und Krieg wie für die Förderung von Kindern und Ausbildung. Wobei wir dann oft noch Waffen in Länder liefern, die Krieg führen und die Menschenrechte auf das Gröbste missachten. So nach Saudi Arabien.
Übrigens: Studien besagen, dass das Militär einer der größten Produzenten von CO2, also von Klimaerwärmung, ist.
Drittes Beispiel – Autoverkehr. Offensichtlich stecken die Autokonzerne mit „Dieselgate“ in einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise. Und was hören wir jetzt? Das alles sei kein Problem – man habe ja jetzt die Lösung. Und die Lösung heiße „Elektromobilität“.
Tatsächlich sind auch Elektroautos nicht emissionsfrei. An dieser Stelle möchte ich dies nur auf drei Ebenen verdeutlichen: Erstens. In Oslo – und das ist die Stadt mit der weltweit höchsten Elektroauto-Dichte – wurde ermittelt: knapp zwei Drittel aller Elektroautos sind Zweit- und Drittwagen. Das ist auch nachvollziehbar. Die grundlegenden Parameter von Elektroautos – also lange Ladezeiten, komplexe Ladeinfrastruktur, relativ geringe Reichweiten – führen dazu, dass E-Autos überwiegend im Nahverkehr, im Stadtverkehr, eingesetzt werden. Eine zweite Ebene der E-Autokritik: Jedes Auto – und zwar egal, ob der Antriebsstrang der eines Benziners, eines Diesel, einer Brennstoffzelle oder ein elektrischer ist – benötigt für eine feste Transportleistung viermal mehr Fläche als eine Straßenbahn und siebenmal mehr Fläche als bei Fahrradverkehr. Dieser immense Flächenverbrauch führt dazu, dass die Städte zu Autostädten werden – und dass der entsprechende Raum für Kinder, Ältere, für die Menschen überhaupt, für Grünflächen und Erholungsparks, für Cafés, für Spielplätze fehlt.
Dritte Ebene. Wenn alle Auto in Los Angeles, der Stadt mit der höchsten Autodichte und zugleich mit den meisten Stadtautobahnen – , Elektroautos – also Tesla- oder Nissan Leaf- oder Renault Zoe-Modelle – wären, dann ist doch der Dauerstau derselbe. Dann bleibt es auch dabei, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit so ist, wie sie ist: Sie liegt in dieser Welt-Auto-Stadt bei rund 15 Stundenkilometer. Es gilt die Formel: Je mehr Autos und je mehr Straßen, desto langsamer ist der Autoverkehr.[2]
Das E-Auto ist also keine Lösung. Warum aber wird es dennoch als „DIE Lösung“ propagiert? Vor allem, weil die Autolobby das so will. Weil damit die aktuelle Glaubwürdigkeitskrise überwunden oder vergessen wird. Weil damit die Autokonzerne zusätzlich verdienen. Weil die Staaten massiv unter Druck gesetzt wurden, um die „Elektromobilität“ unter Verweis auf „Man muss was tun gegen die Klimaerwärmung“ kräftig durch Steuersubventionen zu fördern.
Die Bilanz bei den drei Beispielen Fleischkonsum, EU-Aufrüstung und aktuelle Autoindustrie lautet: Es ist das bestehende Wirtschaftssystem, das zerstörerisches Wachstum fördert und das wesentlich für die Klimaerwärmung verantwortlich ist. Die reale Politik läuft exakt konträr zu unseren Zielen. Wir fordern weniger Fleischkonsum – doch Fleisch wird immer billiger, ist Massenware, ist mit enormen CO2-Emissionen verbunden. Wir fordern: Stoppt die Rüstung – steckt das Geld vor allem in Kindergärten, Schulen und Bildung. Das Gegenteil findet statt – EU-weit steigen die Rüstungsausgaben, ja, man hat sich auf einen Mechanismus mit Namen PESCO festgelegt, mit dem diese Rüstungsausgaben steigen müssen. Wir fordern: Reduziert den Autoverkehr! Stattdessen wird mit dem E-Auto gerade dort die Autodichte nochmals gesteigert, wo Autos am wenigstens etwas zu suchen haben: in den Städten. Übrigens auch dort, wo es längst ausreichend Möglichkeiten gibt, sich anders zu bewegen und mobil zu bleiben: zu Fuß, per Fahrrad und mit öffentlichen Verkehrsmitteln wie der Tram.[3]
Jetzt könnte man sagen: Aber es gibt doch „die Politik“ mit freien Wahlen. Kann man da nicht etwas ändern und eine aktive Klimapolitik betreiben? Meine Antwort lautet: Alle bestehenden Parteien werden in dieser Wirtschaftsordnung in erster Linie der Macht der Konzerne folgen. Sie werden nur dann unsere Interessen verfolgen oder im Interesse von Umwelt und Klima handeln, wenn ihnen massiver Druck gemacht wird – z.B. durch diese aktuelle Klimabewegung Fridays for Future.
Das Ibiza-Video ist ja in vieler Hinsicht lehrreich. Hans Christian Strache, der damalige FPÖ-Chef, sagt dort: Ja, es ist gut, wenn ein ausländischer Milliardär die wichtigste Tageszeitung in Österreich aufkauft. Ja, wir als FPÖ werden dann, wenn wir an der Macht sind, die staatlichen Aufträge so lenken, dass Bauaufträge bevorzugt an ein russisches Bauunternehmen gehen. Und Strache sagt dort – lässig im Sofa ausgestreckt, mit der Red Bull-Alu-Dose in der Hand: Alle Journalisten sind Huren. Er sagt: Es wäre gut, wenn man die Medien so knebeln würde, wie das Orban in Ungarn gemacht hat, der das Fernsehen, den Rundfunk und die meisten Medien so modelt, dass sie die Herrschaft seiner FIDEZ-Partei unterstützen.
Und Strache ist nicht irgendwer. Das war der Vizekanzler. Den hat Kanzler Kurz in sein Kabinett geholt. Kurz war es auch, der den FPÖ-Rechtsausleger Kickl zum Innenminister machte.
Und was ist mit den anderen Parteien? Was mit der Linken in Deutschland? Was mit den Grünen? Ich möchte nicht bestreiten, dass es in diesen Parteien verantwortungsbewusste Leute gibt. Dennoch muss ich feststellen: Immer dann, wenn diese Parteien in diesem System mit-regieren dürfen, verfolgen sie in der Regel eine Politik, die dem eigenen Programm und die unseren Interessen widerspricht.
In dem Bundesland, in dem ich lebe, in Brandenburg, ist die LINKE zum Beispiel Regierungspartei. Sie regiert zusammen mit der SPD. Gewählt wurde sie unter anderem, weil sie dafür plädierte, aus dem Braunkohleabbau auszusteigen. Was macht sie jetzt? Braunkohle wird weitergefördert. Vor wenigen Monaten wurde eine Absprache getroffen, dass der Braunkohleabbau in ganz Deutschland bis 2038 fortgesetzt werden soll. Es gibt bekanntlich keinen anderen Brennstoff, der mit derart viel CO2-Emissionen verbunden ist wie die Braunkohle.
Oder nehmen wir Hamburg. In diesem deutschen Stadtstaat regieren SPD und Grüne. Die Grünen wurden u.a. gewählt, weil sie gegen ein neues, geplantes Kohlekraftwerk waren. Doch was macht Hamburgs Stadtregierung? Das neue Kohlekraftwerk Moorburg wird gebaut. Das heißt: Es wird ein aktiver, spezifisch rot-grüner Beitrag für die Klimaerwärmung geleistet.
Nehmen wir Berlin. Die Stadt wird von SPD, Linken und Grünen regiert – also von „Rot-Rot-Grün“. In der deutschen Hauptstadt gibt es seit einigen Jahren eine Explosion der Mieten. Dafür ist mitverantwortlich, dass vor mehr als eineinhalb Jahrzehnten viele Zehntausend Wohnungen, die sich in kommunalem Besitz befanden, privatisiert wurden. Und zwar damals unter einem Senat, der von SPD und PDS (dem Vorläufer der Linken) gebildet wurde.
Die aktuelle Mietenexplosion hat Rot-Rot-Grün lange eher wenig interessiert. Doch dann entwickelte sich ein Massenprotest in der Stadt. Und es wurde ein Bürgerentscheid gestartet zur Enteignung der großen Wohnungskonzerne. 70 Prozent der Berliner Bevölkerung fordern eine Enteignung dieser Spekulationskonzerne. Man „entdeckte“ plötzlich, dass unsere Verfassung, das Grundgesetz, ausdrücklich die Möglichkeit von Enteignungen vorsieht – „zum Wohle der Allgemeinheit“. Und siehe da – aufgrund dieser Massenmobilisierung hat der Senat Mitte Juni beschlossen, dass es einen „Mietendeckel“ gibt: Fünf Jahre lang dürfen die Mieten in Berlin nicht angehoben werden. Das ist ein erstaunlicher Teilerfolg. Wobei die Bewegung zur Enteignung der Immobilienkonzerne weitergehen wird.
Zurück zum Ausgangspunkt meiner Rede. Zur Klimaerwärmung und zur erforderlichen Weltbürgerbewegung oder einer Weltjugendrevolte.
Der Gründer des Potsdam Institut für Klimaforschung, Professor Hans Joachim Schellngruber, sagte jüngst: „Wir steuern in einem Irrsinnstempo auf eine unbeherrschbare globale Situation zu“ – nämlich auf eine Klimakatastrophe. Er habe drei Jahrzehnte lang geglaubt, die „Politik“ würde schon irgendwann eine aktive Klimapolitik betreiben. Doch diesen Glauben habe er verloren. Und er folgerte: Nur eine „Weltbürgerbewegung“ könne die sich abzeichnende Klimakatastrophe – gewissermaßen zwei vor zwölf – noch stoppen.
Wir sagen: Das hier – die Bewegung Fridays for Future und die Aktive von „Extinction Rebellion“ – sind ein Ansatz für eine solche Weltbürgerbewegung. Allerdings werden die jungen Leute das Klima nicht retten. Genau auf diesen Aspekt ging Greta Thunberg in einem Interview mit der „Financial Times“ wie folgt ein: „Die Leute sagen: „Oh, die Kids retten uns“. Das ist Unsinn. Das tun wir nicht. Wir sind viel zu jung, um etwas bewirken zu können. Wir haben nicht mehr die Zeit abzuwarten, bis wir groß und in der Lage sind, Vergleichbares zu bewerkstelligen. Nein – das müssen andere tun. Die Leute, die heute die Macht haben, die müssen das tun.“
Das sagte Greta Thunberg im Januar 2019 in Davos beim World Economic Forum – WEF. Und sie fuhr mit der Eisenbahn von Stockholm nach Davos. Die junge Frau musste dabei fünf Mal umsteigen – dreimal davon in Deutschland. Ich kenne die Deutsche Bahn und ich weiß: Das ging sicher schief. Ich habe auch nachschauen lassen, wie das früher war. 1970 hätte Frau Thunberg noch einen durchgehenden Zug von Landquart – das liegt rund 30 Kilometer von Davos entfernt – bis nach Kopenhagen gehabt. Sie hätte dabei nur ein Mal umsteigen müssen. Und dann noch einen bequemen Schlaf- oder Liegewagen-Zug gehabt.
Was damals, 1970, möglich war, das muss auch heute wieder möglich sein: ein flächendeckendes, gut funktionierendes Eisenbahnsystem. Ergänzt um ein System mit hunderten Nachzügen kreuz und quer durch Europa. Auf dieser Basis müssten dann auch alle innereuropäischen Flüge abgeschafft werden.
Die Fridays for Future-Schülerinnen und Schüler fordern nicht etwas weniger Plastik. Sie wollen nicht ein paar Elektroautos. Diese Bewegung fordert All days for Future. Wir wollen keine kleinen Brötchen. Wir wollen Die Ganze Bäckerei. Wir wollen eine Gesellschaft, in der anstelle von Profitgier, Konzerninteressen und Klimazerstörung das Klima, die Menschen und die Solidarität im Mittelpunkt stehen.
Anmerkungen:
[1] Auf Platz 1 der Liste der größten Unternehmen der Welt („Global 500“) gibt es einen Lebensmittelkonzern, WalMart. Platz 2 ist State Grid, ein chinesischer Energiekonzern. Platz 3 und 4 sind zwei chinesische Ölkonzerne, Sinopec und China National Petroleum. Auf Platz 5 wird der Ölriese Shell gelistet. Platz 6 und 7 die beiden Autoriesen Toyota und VW. Platz 8 und 9 wieder zwei Ölkonzerne, Exxon und Shell. Und Platz 10 ist ein Investmentbanker, Berkshire Hathaway. Ihr seht: Diese Machtstruktur ist extrem von Auto und Öl und vom Energiesektor dominiert; von den 10 mächtigsten Unternehmen der Welt gehören bereits sieben zum Block Öl-Auto.
[2] Andere zentrale Elemente der Kritik am E-Auto sind: (1) Jedes E-Auto hat einen „ökologischen Rucksack“; bei seiner Fertigung wurden mehrere zusätzliche Tonnen CO2 freigesetzt im Vergleich zu einem Pkw mit herkömmlichen Antrieb und vergleichbarer Größe. (2) Eine massenhafte Produktion von E-Autos muss zu einer weltweit höheren Stromnachfrage führen – das Gegenteil dessen, was im Rahmen einer Energiewendepolitik nötig ist. Damit steigt – parallel mit den Erneuerbaren – in der Praxis die Nachfrage nach Kohlestrom und nach Atomstrom. (3) Die Abhängigkeit der Autogesellschaft von Öl (die grundsätzlich erhalten bleibt) wird bei einer größeren Weltflotte mit Elektroautos ergänzt um die Abhängigkeit anderer knapper Rohstoffe, so von Kupfer, Kobalt und Lithium.
[3] Es gibt heute in Europa Städte, in denen mehr als 50 % aller Verkehrswege mit dem Fahrrad zurückgelegt werden (Kopenhagen 66%, Amsterdam, Den Haag, Groningen jeweils deutlich mehr als 50%. Münster rund 40%). Es gibt Städte, in denen mehr als 40% aller Wege mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden (Zürich: 43%). Und in allen Städten gibt es aktuell noch einen Anteil von Fußwegen an allen Wegen, der bei 10-30% liegt (Zürich: 26%). Man kann sich also aus diesen Mosaiksteinen eine „Idealstadt“, was zugleich eine machbare Stadt sein würde – zusammenstellen, in der die grünen Verkehrsarten zu Fuß Gehen, Fahrradfahren und ÖPNV es zusammen auf 80 bis 90 Prozent Anteil an allen Wegen bringen. Der Rest wäre dann Autoverkehr – dann gerne mit Elektro-Pkw. Aktuell liegt dieser in BRD-Städten meist bei 40 bis 50%.