Kalt erwischt

Herausforderungen und ungelöste Probleme der Wärmewende im Gebäudesektor am Beispiel Berlins

»Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz, also wie heizen wir in Zukunft, war ja ehrlicherweise auch ein Test, wie weit die Gesellschaft bereit ist, Klimaschutz – wenn er konkret wird – zu tragen«, sagte Robert Habeck (B90/ Die Grünen) Ende Mai diesen Jahres. Er löste damit eine heftige Debatte aus. Konservative Kreise beschuldigten ihn, die Bevölkerung zum »Versuchskaninchen« grüner Klimaschutzpolitik machen zu wollen. Abgesehen vom konservativen Furor offenbaren die Worte des Vizekanzlers eine Wahrheit, die nur ungern ausgesprochen wird: Die Frage, wie der Gebäudebestand in Deutschland bis 2045 klimaneutral werden und dabei für breite Schichten der Bevölkerung bezahlbar bleiben kann, ist unbeantwortet.

In der Wärmewende steckt enormer sozialer Sprengstoff. Einen Großteil der CO2-Emmissionen im Gebäudebereich entfällt auf die »worst performing buildings« (WPB). Gleichzeitig wohnen hier besonders viele einkommensarme Menschen: Für unsanierte Wohnungen werden vergleichsweise geringe Mieten verlangt. Und nicht jeder Wohnungseigentümer ist reich.

Etwa 30 Prozent der bundesdeutschen CO2-Emmissionen kommen aus dem Gebäudebereich. Ein Großteil der Emissionen entfällt dabei auf die Versorgung mit Wärme und Warmwasser. Um die Klimawende hier voranzubringen, gibt es im Wesentlichen zwei Ansätze: Die Umrüstung der Versorgung auf erneuerbare und emissionsfreie Energieträger und die Modernisierung, um durch zusätzliche Dämmung oder den Einbau neuer Fenster den Energiebedarf zu reduzieren. Der Energieverbrauch des Gebäudesektors muss deutlich sinken, denn erneuerbare Energien bleiben zumindest mittelfristig ein knappes Gut. Umfangreiche Investitionen sind nötig. Ein Blick auf Berlin erläutert die Konfliktlagen.

Zukunft der Fernwärme

In Berlin werden 46 Prozent aller Wohnungen direkt durch die Verbrennung von Erdgas beheizt. Hinzu kommt die Fernwärme, die überwiegend mit Gas und zu einem kleineren Teil mit Steinkohle betrieben wird. Immerhin zu mehr als elf Prozent speist sich die Fernwärme schon aus erneuerbaren Energiequellen – wobei darunter auch die Verbrennung von Holzpellets gezählt wird, die Umweltverbände als wenig nachhaltig kritisieren. Ölheizungen spielen in Berlin nur eine Nebenrolle. Verbunden mit der Frage nach den Energieträgern ist die Heizungstechnik. Die viel diskutierte Wärmepumpe vor dem Haus ist in Berlin bislang eine Rarität. Sie versorgt weniger als ein Prozent der Gebäude mit Wärme und dürfte beim klimagerechten Umbau der Wärmeversorgung der Großstadt auch künftig nur eine marginale Rolle spielen. 41 Prozent der Wohnungen werden über eine Zentralheizung, 12 Prozent mit einer (Gas-)Etagenheizung versorgt. Entscheidend sind die Fernwärmen etze, bereits jetzt die größten ihrer Art in Westeuropa. Sie versorgen etwa 870 Tausend Haushalte, 43 Prozent aller Wohnungen. Das größte zusammenhängende Netz liegt ganz im Westen der Stadt, in Charlottenburg-Wilmersdorf.

Alles zusammengerechnet liegt der Anteil an klimaneutralen Wärmeenergiequellen derzeit in Berlin bei gerade einmal sechs Prozent. Der Energieverbrauch im Gebäudesektor ist leicht rückläufig. Größere Schritte hin zu einer klimaneutralen Heizungstechnik wurden aber nicht zuletzt von der gut organisierten Gaslobby verhindert. Die Aufweichung der GEG-Novelle im letzten Jahr bietet dafür Anschauungsmaterial. Scharfe Vorgaben für den Einbau klimaneutraler Heizungen in Bestandsgebäuden wurden in die Zukunft verschoben. Erst ab 2028 müssen neueingebaute Heizungen in Bestandsgebäuden in allen Kommunen zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Unter dem Slogan der »Technologieoffenheit« und von »H2-ready«, also der Möglichkeit, Erdgasheizungen theoretisch mit Wasserstoff zu betreiben, wurden zudem Schlupflöcher in das GEG eingewebt, um auch künftig weiter mit fossilen Brennstoffen betreibbare Heizungen einbauen zu  können. Die Politik lässt die Verbraucher damit ins offene Messer rennen. Schon die CO2-Bepreisung – 2027 startet »EU-ETS 2«, der Emissionshandel für Gebäude und Verkehr – wird dafür sorgen, dass die Kosten für fossile Energieträger in Zukunft deutlich steigen werden. Grüner Wasserstoff wird kaum in ausreichender Menge und zu bezahlbaren Preisen verfügbar sein. Viele Energieunternehmen und Wohnungsbaugesellschaften planen dennoch mit der Verbrennung eines Anteils von Wasserstoff zur Wärmeversorgung, insbesondere für die Fernwärme, zumindest für die Spitzenlast im Winter.

Bevor ordnungspolitische Vorgaben greifen, müssen die großen Kommunen bis 2026 und kleinere Kommunen mit bis zu 100.000 Einwohnenden bis Mitte 2028 eine Wärmeplanung vorlegen. Eigentümer erhalten damit Informationen, ob ihr Haus künftig an ein Fern- oder Nahwärmenetz angeschlossen werden kann, und wo individuelle Lösungen, wie etwa Wärmepumpen, gefunden werden müssen. Ein Anschlusszwang für Wärmenetze ist nicht vorgesehen. Der Wärmeplan weist zudem Wärmequellen, wie Abwasser, Abwärme oder Möglichkeiten für die Nutzung von Erdwärme aus.

Warmmietenneutral?

Der Ausbau der Wärmenetze ist eine Mammutaufgabe. Deshalb hat der Berliner CDU-SPD-Senat unter Nutzung von Transaktionskrediten, also jenseits der Schuldenbremse, für 1,39 Milliarden Euro die zuvor von Vattenfall betriebene Fernwärmenetze sowie die angeschlossenen Heizkraftwerke rekommunalisiert. Die neue BEW Berliner Energie und Wärme übernimmt für die Fernwärmeversorgung fast eine Monopolstellung. Sie steht gleichzeitig vor immensen Herausforderungen. Bis 2030 ist der Ausstieg aus der Steinkohle geplant. Welche Technologien und Energiequellen Kohle und mittelfristig auch Gas ersetzen sollen, ist noch nicht abschließend entschieden. Trotz Bedenken werden aktuell wichtige Weichen für eine zentrale Stellung des Wasserstoffs zum Betrieb der Berliner Fernwärme gestellt. Im Oktober gaben der Energieversorger Gasag und die Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg (NBB) bekannt, dass mehr als 50 Kilometer des Berliner Gasnetzes Teil des bundesweiten Wasserstoff-Ker nnetzes werden sollen. Auf diese Weise sollen die derzeit mit Gas betrieben Heizkraftwerke der BEW bis 2032 auf Wasserstoff umgestellt und versorgt werden. Damit könnte etwa ein Fünftel der Wohngebäude der Hauptstadt mit Wärme aus grünem Wasserstoff versorgt werden.

Die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) verkündet, die Kommunalisierung der Fernwärme verspreche »Preisstabilität« und die BEW könne ein Unternehmen werden, welches »einen Mehrwert für die Stadt und nicht für den Profit erwirtschaftet«. Doch Beispiele aus anderen Städten zeigen, dass eine kommunal betriebene Fernwärme kein Garant für niedrige Heizkosten ist. Zwar ist es möglich, mit öffentlich-rechtlichen Preiskontrollen die Kostenentwicklung für die Verbraucher:innen zu deckeln. Doch bislang scheuen die Kommunen vor dem Einsatz solcher Instrumente zurück. Die Kommunalisierung kann nur der erste Schritt in Richtung eines sozial-ökologischen Umbaus der Fernwärme sein. Es bedarf eines großen gesellschaftlichen Drucks, damit diese zentrale Infrastruktur schnell ausgebaut und dabei grün und bezahlbar wird.

Entscheidungen über die Heizungstechnik treffen allein die Eigentümer:innen. Berlin ist eine Mieter:innenstadt. 83 Prozent der Haushalt leben zur Miete. Wenn sich Eigentümer:innen für einen teuren Versorger oder eine teure Technik entscheiden, zahlen die Mieter:innen über ihre Betriebskosten die Zeche.

Für das zweite Handlungsfeld, die energetische Gebäudesanierung, sind angesichts der harten Auseinandersetzungen um das Heizungsgesetz mittelfristig kaum neue ordnungspolitische Vorgaben zu erwarten. Doch auf EU-Ebene wurde zu Beginn des Jahres eine Novelle der Gebäuderichtlinie (EPBD) beschlossen, die für den gesamten Gebäudesektor CO2-Reduktionsziele vorsieht und von den Mitgliedstaaten bis 2026 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Die Richtlinie enthält, anders als von vielen Umweltverbänden gefordert, keine harten ordnungspolitischen Vorgaben zur Sanierung von Wohngebäuden mit besonders niedriger Energieeffizienz. Aber sogenannte Reduktionspfade geben vor, dass die CO2-Emmissionen im Wohnsektor bis 2030 um 16 Prozent im Vergleich zum Jahr 2020 und bis 2035 um 20 bis 22 Prozent abgesenkt werden müssen. 55 Prozent der Reduktionen müssen dabei durch Sanierungen der sogenannten »worst-performing-buildings« erreicht werden.

Bis 2019 waren die energetischen Modernisierungen Treiber der Verdrängung. Viele große Wohnungsunternehmen modernisierten große Wohnungsbestände ohne Rücksicht auf die tatsächliche Verbesserung der Energieeffizienz, was zu immensen Mietsteigerungen führte, ohne dass die Mieter zugleich deutlich weniger für die warmen Betriebskosten zahlen. Dann wurden die Modernisierungsumlage von elf auf acht Prozent abgesenkt und Kappungsgrenzen eingeführt. Heute können nach geltendem Bundesrecht maximal zwei bis drei Euro pro Quadratmeter, je nach Ausgangsmiete, beziehungsweise acht Prozent der Modernisierungsaufwendungen dauerhaft auf die Mieter umgelegt werden. Damit verminderten sich die Renditemöglichkeiten der Unternehmen, was zu einem deutlichen Rückgang des Modernisierungsgeschehens geführt hat. Seit 2022 kommen die gestiegenen Zinsen für Baukredite hinzu. Aktuell halten viele Unternehmen die Füße still, sie warten auf die Ergebnisse der kommu nalen Wärmeplanung. Die bundesweite Sanierungsrate liegt seit Jahren unter einem Prozent, obwohl unstrittig ist, dass mindestens drei Prozent notwendig wären, um die Klimaziele zu erreichen.

Klimaskepsis selbst gemacht

Wie groß der Handlungsdruck bei der energetischen Modernisierung ist, lässt sich aufgrund der schlechten Datenlage nicht leicht ermitteln. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa die Hälfte der Wohnfläche bundesweit in die Effizienzklassen H bis E einzuordnen ist und damit wohl in jedem Fall energetisch saniert werden muss. Für die landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) in Berlin konnten die Daten durch schriftliche Anfragen im Abgeordnetenhaus ermittelt werden. Demnach befinden sich etwa 22 Prozent der Wohnungen der insgesamt mehr als 360.000 öffentlichen Wohnungen in den schlechtesten Energieeffizienzklassen H bis E. Die LWU arbeiten derzeit an Klimaschutzstrategien für die energetische Ertüchtigung ihrer Bestände. Der Senat lockerte zu Beginn des Jahres die Vorgaben für sozialverträgliche Modernisierungen im öffentlichen Wohnungsbestand und erlaubte seinen Unternehmen, ihren Mietern künftig tiefer in die Taschen zu greifen, um Investitione n zum Beispiel in die energetische Modernisierung zu finanzieren. Die unter dem rot-rot-grünen Senat eingeführte Kappung der Modernisierungsumlage für die landeseigenen Wohnungsunternehmen von sechs Prozent wurde gestrichen, stattdessen dürfen die Unternehmen künftig wieder bis zwei Euro pro Quadratmeter auf ihre Mieter umlegen. Die zuvor stark regulierten Mieten im Bestand können ab sofort wieder um bis zu elf Prozent pro Jahr angehoben werden, wovon die LWU schon Anfang 2024 in mehr als 130.000 Fällen Gebrauch machten, weitere 90.000 Mieterhöhungen sind zum Jahresanfang 2025 geplant.

Ein solcher Klimaschutz stärkt rechte Kräfte, wie der Höhenflug der AfD nach der Debatte um das Heizungsgesetz im letzten Jahr zeigte. Eine Alternative wäre eine deutliche Ausweitung öffentlicher Investitionen in die energetische Ertüchtigung des Gebäudebestands und die Übernahme öffentlicher Verantwortung für einen klimaneutralen und dabei bezahlbaren Netzausbau und -betrieb. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Sondervermögen aus dem letzten Herbst hat diesen Weg nicht einfacher gemacht. Nicht nur der Bund, sondern auch Berlin und andere Bundesländern hatten eine (Teil-)Finanzierung von Klimamaßnahmen im Gebäudesektor aus Sondervermögen geplant. Die durch Neubau und Ankäufe stark gewachsenen Schuldenstände der LWU lassen die Spielräume für weitere Investitionen immer kleiner werden. Doch gerade deshalb führt an der Suche und dem Aufbau politischen Drucks für neue Finanzierungswege und -quellen kein Weg vorbei . Die Akteure, die privates Kapital bis hin zu Privatisierungen statt mehr öffentlicher Investitionen favorisieren, laufen sich längst warm. So kündigte Berlins Bürgermeister Kai Wegner (CDU) bereits im April mit Blick auf die Finanzierung des Klimaschutzes gegenüber dem Tagesspiegel an: „Öffentlich-Private Partnerschaften sind eine Chance für Berlin, die sollten wir nicht verstreichen lassen.“ Es bleibt zu hoffen, dass die Stadtgesellschaft dieser neuen Charmeoffensive des Kapitals etwas Spürbares entgegenzusetzen hat.

Philipp Möller, Aktivist und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Berliner Linksfraktion, engagiert sich seit Jahren im Bereich der Wohnungspolitik.