Grüne Lügen – entlarvt


Besprechung des neuen Buchs von Kathrin Hartmann

Dass „grüne Fake News umso bereitwilliger geglaubt werden, je offensichtlicher sie sind“, wie Kathrin Hartmann schreibt, hat das Berliner ‚Peng Kollektiv‘ 2013 eindrucksvoll unter Beweis gestellt, als der Ölkonzern Shell mit dem Shell Science Slam sein Image aufbessern und in lockerer Atmosphäre grüne Forschung präsentieren wollte. Zu dieser Veranstaltung passte der Wissenschaftler Paul von Ribbeck einfach perfekt. Er behauptete, eine Technologie entwickelt zu haben, mit der die Luft hinten aus einem Auto sauberer herauskommt als sie vorne hineingeht. Das passte sogar so perfekt zu dem „Science Slam“, dass die Veranstalter, die umstrittene PR-Agentur Burson-Marsteller, keine weiteren Nachforschungen anstellten und ihn als Stargast einluden. Pech für sie, dass Paul von Ribbeck eine Phantasiefigur ist und dass die versprochene Maschine einen eindrucksvollen Ölunfall im Veranstaltungsraum erzeugte – als medienwirksamen Protest der Aktivisten gegen die Ölbohrungen in der Arktis, die so gar nicht zu dem angeblich grünen Image des Konzerns passen. Der Shell Science Slam war ab dem Moment Geschichte.

Aber nicht alle grünen Lügen sind so leicht und medienwirksam zu entlarven. „Auf verstörende Art und Weise haben sich Großkonzerne der Bilder und Begriffe der Umweltbewegung bemächtigt. Sie benutzen die Zerstörung, die sie selbst anrichten, dazu, sich als Retter zu inszenieren. Es ist ihnen sogar gelungen, NGOs vor ihren Karren zu spannen und Politiker im Namen der Nachhaltigkeit zu Verwaltern von Konzerninteressen zu machen. Der Bürger indes scheint sich mit seiner ökonomischen Rolle als Verbraucher abgefunden zu haben, hat politisches Engagement durch ‚ethischen Konsum‘ ersetzt und verbraucht munter weiter.“ So Kathrin Hartmann in dem Buch Die Grüne Lüge, das kürzlich zeitgleich mit dem gleichnamigen Kinofilm von Werner Boote in die Läden kam. Der im Untertitel erklärte Anspruch ist es, die „Weltrettung als profitables Geschäftsmodell“ zu entlarven, was Kathrin Hartman mit mehreren umfangreich recherchierten Beispielen tut. Nicht alles davon ist wirklich neu – zumindest für Menschen, die mit wachen Augen das politische und wirtschaftliche Geschehen verfolgen. Wer einigermaßen kritisch gegenüber Werbeversprechungen ist, wird kaum überrascht sein, dass die Unternehmen gerne möglichst grün und sozial aussehen wollen, ohne dafür wirklich etwas zu zahlen oder ihre Profite zu gefährden. Dass im Golf von Mexiko nach der „Deepwater-Horizon“-Katastrophe trotz gegenteiliger Beteuerungen von BP nicht alles plötzlich wieder sauber ist (siehe Lunapark 21, Heft 11), dass angeblich ökologische Kleidung aus Ozean-Plastik ein reiner Werbegag ist und auch nach der „Rana Plaza“-Katastrophe in Bangladesch die Textilarbeiterinnen und -arbeiter dort weiterhin ausgebeutet werden oder dass Palmölanbau auf ehemaligen Regenwald-Flächen auch mit dem Logo von Umwelt-NGOs kein echter Beitrag zum Klimaschutz ist, dürfte für viele Leserinnen und Leser nicht völlig neu sein. Eher schon die Recherche zum weithin unbekannten „Siegelportal“ (www.siegelklarheit.de) des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), das die unterschiedlichen Nachhaltigkeitssiegel für alle möglichen Produkte bewertet – und dem es schon für eine Bewertung als „sehr gute Wahl“ genügt, wenn auch nur absolute Mindestanforderungen entweder im ökologischen oder im sozialen Bereich erfüllt werden. Damit unterstützt der Staat die Unternehmen ganz offensiv bei ihren fragwürdigen Greenwashing-Bemühungen.

Man merkt dem Buch an, dass es von einer Journalistin geschrieben ist. Kathrin Hartmann stellt besonders krasse und verstörende Beispiele zusammen, wie Konzerne und staatliche Stellen die „Grüne Lüge“ verbreiten und für sich nutzen. „Grüne Lügen gehören zum System. Sie sollen die Hoffnung nähren, dass sich zerstörerische Unternehmen zum Guten wenden. Aber Unternehmen sind keine Personen mit Gewissen, die aus Erkenntnis heraus und nach ethischen Prinzipien handeln. Sie sind Konzentration von Macht.“

Das Buch liest sich gut und flüssig wie eine spannende Reportage; in weiten Teilen wirkt es gar wie das Drehbuch für den zugehörigen Film. Wer allerdings tiefergehende Analysen erwartet, recherchierte Zahlen über den Umfang der beschriebenen Unternehmens-Lügen oder ein umfassendes Verständnis von Mechanismen des Greenwashings, könnte enttäuscht werden. Ziel der Autorin scheint in erster Linie zu sein, die Leserinnen und Leser mit plakativen Beispielen misstrauisch zu machen gegenüber allem, was in der Werbung und bei den Produkten der Konzerne grün und sozial daherkommt.

Und die Gegenstrategien? Im letzten Kapitel listet Kathrin Hartmann hoffnungsvolle Initiativen auf. „Veränderung kommt immer von unten. Allerdings eben nicht durch Konsum, sondern durch politischen Protest. Denn im Gegensatz zu Konsumenten, die ja nur kaufen können, haben wir als Bürger Rechte. Und die haben wir uns erkämpft, nicht erkauft.“ (Zitat von Kathrin Hartmann in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 13. April 2018). Aber die vorgestellten Projekte und Proteste wirken letztlich gegenüber der massiven Macht der Großkonzerne, die mit großem PR-Aufwand grün und sozial erscheinen wollen, noch schwach. Wobei auch andere keine bessere Antwort auf die entscheidende Frage nach den Alternativen zu all den krassen grünen Fake News haben.

Völlig zuzustimmen ist der Forderung der Autorin, dass man die Entscheidung über – oft nur vermeintlich – grün und sozial hergestellte Produkte nicht alleine den Konsumentinnen und Konsumenten überlassen darf, sondern dass es hier unbedingt der Ordnungspolitik bedarf: Ethisch und ökologisch verwerfliche Arten des Produzierens sollten schlichtweg gesetzlich verboten werden anstatt der Kundschaft die Entscheidung aufzubürden – und damit auch die Notwendigkeit, die Wahrheit zwischen all den „grünen Lügen“ zu finden. Wenn das Buch und der Film dazu beitragen, den Druck für soziale und ökologische Mindeststandards zu erhöhen, wäre das ein großer Erfolg.

Bernhard Knierim schreibt in Lunapark21 meist zu Mobilitäts- und Öko-Themen.