Die Klima-Frankensteine

Mit gefährlichen Eingriffen in die Biosphäre wollen Geoingenieure den Klimawandel aufhalten. Dahinter stecken mächtige Interessen und Akteure.

Es ist still geworden nach dem Jubel von Paris: 2015 einigte sich dort die Staatengemeinschaft darauf, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Doch seither ist der globale Treibhausgasausstoß weiter gewachsen und die USA haben ihre Teilnahme am Abkommen aufgekündigt. De facto hat das auch die Bundesregierung getan. Deutschland hatte sich zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 bis 2020 um 40 Prozent und bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren. Die große Koalition strebt ein Gesetz an, das die Einhaltung dieser Ziele um zehn Jahre nach hinten verschiebt. Kein Wunder: Schließlich belegt der jüngst erschienene Klimaschutzbericht 2017 des Bundesumweltministeriums, dass Deutschland seit 2014 bei der Einsparung von Treibhausgasen kaum einen Schritt vorangekommen ist.

Die scheinbare Handlungsunfähigkeit der Länder, die besonders viele Emissionen ausstoßen, und die Geschwindigkeit, mit der der Klimawandel voranschreitet, haben eine technische Wunderwaffe auf den Plan gerufen: Geoengineering. Darunter versteht man etwa die Reflexion von Sonnenstrahlen: entweder durch das Ausbringen bestimmte Stoffe in der Stratosphäre, durch künstliche Wolken, durch gigantische Sonnenspiegel im All oder durch Glasstaub, auf dem Eis der Arktis. Auch das Filtern von CO2 aus der Atmosphäre, die Düngung von Ozeanen mit Eisen, die CO2-speichernde Algen vermehren soll oder die Speicherung von CO2 unter der Erde, die umstrittene Carbon-Capture-and-Storage-Technologie (CCS) zählen zum Geoengineering.

Die Manipulation natürlicher Systeme birgt gefährliche globale Nebenwirkungen, die unumkehrbar sind und womöglich schlimmer als der Klimawandel selbst: So könnten Schwefelpartikel in der Atmosphäre die Sonne verdunkeln und die Erde „abkühlen“. Das passierte, als 1991 der philippinische Vulkan Pinatubo ausbrach und die Aschewolke in die Stratosphäre gelangte: Die Temperatur sank weltweit um ein halbes Grad. Untersuchungen belegen, dass Schwefelinjektionen auf der Nordhalbkugel den Monsun in Afrika und Asien beeinflussen können. Das hätte dort, wo die Menschen bereits unter den Folgen des Klimawandels leiden, Dürren, Ernteausfälle und vermutlich Hungerkatastrophen zur Folge.

Wem nützen also solche monströsen Technologien und wer treibt sie voran? Diesen Fragen widmet sich der Report „The Big Bad Fix. The Case against Climate Geoengineering“, der NGOs Biofuelwtach, ETC Group und der Heinrich-Böll-Stiftung, der im Dezember 2017 erschienen ist. Es ist die umfassendste Untersuchung zum weltweiten Stand der Technologie und ihrer Erforschung, ihren Gefahren, ihrer Ideologie und ihren Akteuren. Er zeigt, wie sehr Klimapolitik eine Machtfrage ist: „Geoengineering ist keine technische oder wissenschaftliche Notwendigkeit, sondern ein gefährliche Verteidigung des gescheiterten Status Quo. Zu behaupten, man ‘müsste’ Geoengineering anwenden, bedeutet, dass es akzeptabler sei, unserem Planeten irreparable Schäden zuzufügen, als unser Wirtschaftssystem zu verändern, das nur für einige wenige profitabel ist.“

Nur zehn Prozent der Weltbevölkerung sind für die Hälfte der globalen Emissionen verantwortlich. Entsprechend haben die Länder mit besonders hohen Emissionen – USA, Großbritannien und China – die meisten Forschungsprogramme und Geoengineering-Projekte. Allerdings sind es nur wenige Akteure, die in der Entwicklung besonders aktiv sind und Geoeengineerung am lautesten propagieren. Laut Report tummeln sich in der „Geo-Clique“ Forscher, Ingenieure und Investoren, die auch finanzielle Interessen haben. Die prominentesten sind David Keith (Harvard) und Ken Caldeira (Stanford). Keith hat die Firma Carbon Engineering gegründet und hält das Patent am „Planetary Cooler“, der CO2 aus der Atmosphäre ziehen soll. Caldeira erforscht die Auswirkungen der Sonnenverdunklung. Er ist an einer Erfindung der Firma Intellectual Ventures beteiligt, die warmes Oberflächenwasser auf den Meeresgrund drücken soll, um Stürme zu verhindern. Die Firma wurde von Nathan Myhrvold, Ex-Technologie-Chef von Microsoft, gegründet. Im Patent der Ozean-Pumpe steht neben Caldeiras Name auch der von Bill Gates. Der Multimilliardär gilt als „Sugar Daddy“ der Klima-Klempner. Mit Keith und Caldeira hat Gates den Fonds für Innovative Klima- und Energieforschung (FICER) gegründet und mit 8,5 Millionen Dollar aus seinem Privatvermögen unterstützt. Gates persönlich investiert in Keith’ CO2-Staubsauger – neben Murray Edwards, dem die Firma Canadian Natural Resources gehört, die Teersand in Alberta abbaut.

Keith hat das Harvard Solar Geoengineering Research Program gegründet. Dieses soll den ersten Freilandversuch zur Sonnenverdunklung finanzieren, den Keith im Herbst 2018 durchführen will. Im Stratospheric Controlled Pertubation Experiment (ScoPEx) will er mit einem Ballon Aerosole in 20 Kilometern Höhe in die Stratosphäre ausbringen, um zu testen, wie sich diese dort verhalten. Der Versuch soll 20 Millionen Dollar kosten, sieben Millionen sind bereits beisammen – gespendet von Bill Gates, Philantrokapitalisten und Risiko-Investoren. „Wenn das stattfindet, sind Tür und Tor für weitere und größere Experimente geöffnet“, sagt Lili Fuhr von der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Geologin beobachtet, dass die „Geschwindkeit, in der Geoengineering als ‘letzte Möglichkeit’ wahrgenommen wird, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen, enorm ist.“

So hat etwa der Weltklimarat (IPCC) Geoengineering jahrelang nicht diskutiert. Im 5. Bericht (2014) werden zum ersten Mal „Negativemissionen“ verhandelt – also die Möglichkeit, der Atmosphäre CO2 zu entziehen. Seit dem 6. IPCCV (2016) werden alle Geoengineering-Technologien als Instrumente diskutiert. In Deutschland stehen Umweltbundesamt sowie Bundesumweltministerium Geoengineering kritisch gegenüber. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat ein kritisches Gutachten dazu vorgelegt. Die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik hingegen fordert, Geoengineering „offener“ zu diskutieren. Jetzt arbeitet die Bundesregierung bereits an Gesetzen, die die Forschung am marinen Geoengineering regeln sollen – also die so genannte Ozean-Düngung. Auf eine schriftliche Anfrage der Grünen antwortete Florian Pronold, Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium, dass wissenschaftlichen Vorhaben künftig „die Erlaubnis in Übereinstimmung mit den Vorgaben des internationalen Rechts nur erteilt werden dürfen, wenn der Vorhabenträger unter anderem ein hohes Schutzniveau für die Meeresumwelt und die menschliche Gesundheit gewährleistet“. Doch das ist bereits seit 2013 im Londoner Protokoll zur Verschmutzung der Meere geregelt. Die UN Convention on Biodiversity (CBD) hat ein Moratorium auf Ozean-Düngung (2008) und Geoengineering (2010) verabschiedet. Und die UN Environmental Modification Convention (ENMOD) verbietet den militärischen Einsatz wetterverändernder Technologien.

Würden die Technologien gestoppt, dann würde die Temperatur auf der Erde schlagartig hochschnellen, die Klimamanipulation würde die Erderwärmung ja nur kaschieren. Schließlich werden die hochgefährlichen Pläne B und C ja genau deshalb verhandelt, um Plan A zu verhindern: Die inszenierte Dringlichkeit der Phantom-Technologie lenkt die Aufmerksamkeit und Investitionen von der einzigen Lösung ab, von der wir wissen, dass sie funktioniert. Nämlich die radikale Verringerung der Kohlenstoffemissionen. Genau das versucht die fossile Industrie zu verhindern. Und so ist es kein Wunder, dass Firmen wie BP, Chevron, Conoco, Dupont, Exxon, General Electrics und Shell Interesse an Geoeongineering zeigen und teils große Summen in die Erforschung der Carbon-Capture-and-Storage-Technologie gesteckt haben. Zuvor haben solche Firmen jahrelang Think Tanks und Politiker, die den Klimawandel leugnen, unterstützt. Man kann sagen: An die Stelle der Klimawandel-Leugner sind heute die Klima-Klempner getreten sind. Dazu passt, dass US-Präsident Donald Trump, der aus dem Paris-Vertrag aussteigen will, unlängst eine Anhörung zu Geoengineering im Kongress veranlasste.

Kathrin Hartmann lebt und arbeitet in München. Sie ist Journalistin, Buchautorin und Umweltaktivistin.