Daten
Fläche: 1.550.000 Quadratkilometer
Größte Wassertiefe: 4375 Meter
Angrenzende Landmassen: USA, Mexiko, Kuba
Zuflüsse: Mississippi River, Rio Grande, Yucatánstraße
Wassertemperatur Winter: 25 Grad
Wassertemperatur Sommer: 30 Grad
Anzahl Bohrinseln: Hunderte
Große Ölplattform-Havarien: 3. Juni 1979, 16. September 2004, 20. April 2010
Weiteres beachtenswertes Umweltdesaster: Eine 23.000 Quadratkilometer große Todeszone im Wasser.
Ein Strom unserer Zeit
Ende Juni waberte die erste Hitzewelle des Jahres 2019 über große Teile Europas hinweg. Stellenweise wurde die 40-Grad Marke erreicht und übertroffen. Das war eine von vielen Erinnerungen daran, dass es bei der Beschäftigung mit der weltweiten Klimakrise drängt. Das Klima hängt von vielen ineinandergreifenden und sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren ab.
Ein solcher Faktor ist der Golfstrom, der im Golf von Mexiko seinen Anfang nimmt. Die Abschwächung des Golfstromes gilt als eine der Ursachen für die vermehrt in Europa auftretenden Hitzewellen. Das im Strom mitschwimmende Plankton ist ein Grundnahrungsmittel für viele im Atlantik lebende Tiere. Der ebenfalls dahintreibende Plastikmüll ist für dieselben Tiere ein tödliches Gift. Dieser Müll treibt teilweise von der amerikanischen Küste bis nach Europa.
Der Golf von Mexiko ist ein Strom unserer Zeit. Hier treten durch Menschen verursachte Umweltkatastrophen besonders oft auf. Für die allermeisten dieser Katastrophen ist die petrochemische Industrie – die Ölwirtschaft – verantwortlich. Doch auch die industrielle Landwirtschaft trägt ihren Teil bei.
Die Folgen dieses verantwortungslosen Handelns tragen die Natur und vor allem auch arbeitende Menschen. Sie sind es, die aufgrund wiederkehrender Ölpest ihre Lebensgrundlage verlieren, die mit einem buchstäblich sterbenden Meer umgehen müssen und die ihre Wohnungen aufgrund immer schlimmer werdender Wirbelstürme aufgeben müssen. Willkommen am Golf von Mexiko? Ich weiß nicht, paradiesisch geht es hier wahrlich nicht zu.
Von Todeszonen, Wirbelstürmen und Havarien
Die Namen der an den Golf von Mexiko angrenzenden US-Bundesstaaten lesen sich wie ein „who is who“ des amerikanischen Südens: Alabama, Mississippi, Florida, Louisiana. Befassen wir uns ein wenig mit dem Abschnitt vor der Küste Louisianas. Dort können wir ein rekordverdächtiges Naturschauspiel bewundern, nämlich die weltgrößte Todeszone.
Todeszonen sind Gebiete im Meer, in denen es keinen Sauerstoff und somit kein Leben mehr gibt. Solche Gebiete treten weltweit immer öfter und verbreiteter auf, so zum Beispiel in der Ostsee. Eine der wichtigsten Industrien neben dem Tourismus und der Petrochemie ist am Golf von Mexiko die Fischerei. In einer Todeszone ist Fischerei unmöglich. Es gibt weder Krabben noch Fische.
Die vor Louisiana liegende Todeszone ist 23.000 Quadratkilometer groß, Tendenz wachsend. Laut Angaben der „nationalen und atmosphärischen Verwaltungsbehörde (National Oceanic and Atmospheric Administration)“ der USA handelt es sich hierbei um ein Gebiet so groß wie New Jersey. In einem Bericht vom 2. August 2017 spricht die Behörde von der „größten jemals gemessenen Todeszone“.
Wer wissen möchte, wie es dazu kommen konnte, folgt am besten dem Verlauf des Mississippi-River stromaufwärts. Der Mississippi fließt in den Golf von Mexiko. Auf seiner Reise dorthin nimmt er vor allem aus Louisiana einiges mit. So befindet sich in einem 60 Kilometer langen Abschnitt zwischen Baton Rouge und der am Golf gelegenen Stadt New Orleans die so genannte „Krebs-Allee“. Dieser Name ergibt sich aus den insgesamt 17 hier am Mississippi aufgereihten Erdölraffinerien. In keinem anderen US-Bundesstaat ist die Krebs-Sterblichkeitsrate so hoch wie in Louisiana.
Doch das sei nur am Rande erwähnt. Für die Todeszone ist die industrielle Landwirtschaft von weitaus größerer Bedeutung. Deren Abfallprodukte und Düngemittelreste vermengen sich im Mississippi mit den Abwässern der größeren, entlang des Flussverlaufs liegenden Städte. Laut Berichten US-amerikanischer Umweltschutzorganisationen tragen Fleischkonzerne wie Tyson Food die Hauptverantwortung für die Verseuchung des Wassers mit Nitrat. Im Mississippi findet sich außerdem eine hohe Stickstoffkonzentration, die ihre Ursache im industriellen Anbau von Mais für die Biospritproduktion hat.
Wenn dieser Cocktail den Golf von Mexiko erreicht, führt er zu einem massiven Wachstum der Algenpopulation. Wenn die Algen sterben, sinken sie auf den Meeresgrund ab und werden von Bakterien zersetzt, die sich ihrerseits in Folge explosionsartig vermehren. So wird der für die Meerestiere dringend nötige Sauerstoff vollständig aufgezehrt. Voilà, wir haben eine Todeszone.
Das bisschen Erdöl bringt doch keinen um…
4.000 (in Worten: viertausend) Bohrinseln gibt es am Golf von Mexiko. Irgendwo ist immer ein Leck. Das ist bei dieser Industrie völlig unausweichlich und gehört zur Lebensrealität bei der Förderung fossiler Brennstoffe. Manchmal geht jedoch bei der Förderung etwas ganz grundsätzlich schief. Dann knallt es. Im Golf von Mexiko geschieht das ziemlich oft. Die großen Fördergesellschaften sind recht gut darin, Unfälle zu vertuschen. Aus deren Sicht besteht der „Unfall“ bei den folgenden Beispielen aus dem Fakt, dass hier eine Vertuschung unmöglich war.
Am 3. Juni 1979 traf es die im Auftrag der mexikanischen Erdölgesellschaft PEMEX von der Schlumberger-Tochter Sedco betriebene Bohrinsel Ixtoc I. Unkontrolliert austretendes Gas und Erdöl entzündeten sich. Die Plattform wurde durch das Feuer komplett zerstört. Hierbei handelt es sich um einen so genannten „Blowout“. Ein „Blowout“ ist eine häufige Unfallursache bei Ölplattformen. In Folge dieses Blowouts entstand ein Leck, durch welches bis zum 23. März 1980 unkontrolliert Rohöl ausfloss. Das Ergebnis war die bis dahin weltweit schwerste Ölpest. Zwischen 20.000 bis 30.000 Barrel Erdöl ergossen sich täglich ins Meer. Aus Sedco wurde danach Transocean. Wir werden mit diesem Unternehmen ein weiteres Mal Bekanntschaft machen.
Am 16. September 2004 peitschte der Hurrikan „Ivan“ durch den Golf von Mexiko. Durch den Sturm kam es am Meeresboden zu einem Erdrutsch, welcher die Ölplattform „Taylor Energy MC20“ um hunderte Meter verschob. Seitdem tritt Erdöl unkontrolliert aus und verseucht das Meer – und zwar bis heute. 320 Liter sollen es laut Angaben der US-Küstenwache pro Tag sein. Scheinbar ist es nicht möglich, etwas dagegen zu unternehmen.
Ans Licht kam dieser Unfall übrigens nur aufgrund von Untersuchungen durch Umweltschützer im Jahr 2010. Sie hatten eigentlich die Folgen einer weiteren Havarie, nämlich der „Deepwater Horizon“-Katastrophe ermitteln wollen. Dabei waren sie rein zufällig auf das Leck bei der MC20-Plattform gestoßen.
Deepwater Horizon: Hier treffen wir wieder auf das Unternehmen „Transocean“, welches den Betrieb dieser Bohrinsel im Auftrag des Ölmultis BP betrieb. Wie schon im Fall von Ixtoc I kam es am 20. April 2010 zu einem Blowout, durch welchen die Plattform MC20 komplett abbrannte. Bis zum 16. Juli 2010 flossen 800 Millionen Liter Öl ins Meer. Es entstand ein fast 10.000 Quadratkilometer großer Ölteppich, der ganze Küstenregionen entlang des Golfs verseuchte. In den US-Bundesstaaten Lousiana, Florida, Mississippi und Alabama wurde der Notstand ausgerufen.
Stadtaufwertung durch Naturkatastrophen
Ivan war schlimm, Katrina war schlimmer. Im September 2005 fegten Ausläufer dieses Hurrikans über die Jazz- und Bluesmetropole New Orleans hinweg. Nur 160 Kilometer von New Orleans entfernt fließt der Mississippi in den Golf von Mexiko. Katrina war einer der stärksten jemals in den USA gemessenen Wirbelstürme. Für New Orleans hätte er fast das Ende bedeutet.
Die marode Infrastruktur der Stadt hielt dem Sturm nicht stand. Dämme brachen, das Wasser des Sees Pontchartrain ergoss sich über das Stadtgebiet. Am 6. September wurde die Zwangsevakuierung von New Orleans angeordnet. Längst nicht alle konnten dem folgen. Der Superdome, der vor allem für ärmere Bevölkerungsschichten als Zufluchtsstätte diente, wurde überschwemmt.
Große Teile der Stadt wurden komplett vernichtet. Besonders betroffen waren Stadtteile, in denen es eine große Dichte an Sozialwohnungen gab. Diese Wohngegenden lagen besonders niedrig, den Fluten dienten sie quasi als erweitertes Flussbett. Nach dem Sturm wurden die Sozialwohnungen planiert. Das Bauland wurde an Immobilienkonzerne verkauft. 75 Prozent der vom Sturm obdachlos gewordenen Bevölkerungsschichten waren Schwarze. Längst nicht alle kehrten in die Stadt zurück – die aufgewerteten Wohngegenden sind für sie zu teuer geworden. Im Kapitalismus bedeutet jede Katastrophe eine Chance auf Profit.
Christian Bunke lebt in Wien. Er ist bei Lunapark21 für die Rubrik „Ort und Zeit“, die es in jedem Heft gibt, verantwortlich.