Flüge statt Züge

Warum die Verlagerung von Flugverkehr nicht in Gang kommt

Fliegen ist die mit Abstand klimaschädlichste Art des Reisens – das ist eigentlich eine Binsenweisheit. Dennoch nahm der Flugverkehr bis zur Corona-Krise stetig zu, und es spricht vieles dafür, dass sich dieses Wachstum nach der Pandemie fortsetzen wird, wenn keine politischen Maßnahmen dagegen getroffen werden. In der EU und ebenso weltweit ist das Fliegen der am schnellsten wachsende Verkehrssektor. Allein zwischen 1995 und 2017 wuchs die Verkehrsleistung des EU-Luftverkehrs um 123 Prozent; das ist mehr als eine Verdoppelung. Seit einigen Jahren ist der Flugverkehr in Europa auf Platz 2 nach dem Straßenverkehr vorgerückt und hat den Bahnverkehr deutlich hinter sich gelassen – eine extrem klimaschädliche Wachstums-Saga.

Dabei sind die Emissionen des Flugverkehrs im Vergleich zu den Alternativen umso größer, je kürzer die Strecke ist – und gleichzeitig ist der vermeintliche Zeitvorteil dabei umso geringer. Für die Strecke Frankfurt (Main) – Berlin als wichtigste deutsche Inlandsflugverbindung ist der Energieaufwand pro Person beim Fliegen mehr als zehnmal so groß wie bei der Bahnfahrt (41,5 umgerechnete Liter Benzin gegenüber 3,1 Litern bei der Bahn). Dabei werden pro Fluggast 95,9 Kilogramm CO2 emittiert – verglichen mit gerade einmal 0,06 Kilogramm für die Bahnfahrt, die nach der Rechnung der DB mit 100 Prozent Ökostrom erfolgt. Im ICE-Sprinter beträgt die Fahrzeit dabei knapp unter 4 Stunden, was gegenüber einer knappen Stunde Flugzeit auf den ersten Blick viel aussieht. Rechnet man aber die zusätzlichen Wege zu bzw. von den außerhalb liegenden Flughäfen, die Eincheck- und Wartezeiten sowie die Sicherheitskontrollen mit ein, dann kommt man auch beim Flug auf rund 4 Stunden Zeitaufwand. Die Bahn steht im Vergleich also alles andere als schlecht da – erst recht, wenn man die nutzbare Zeit betrachtet, die bei der Zugfahrt die gesamte Reise umfasst.

Ähnlich sieht es bei den meisten wichtigen Inlandsverbindungen aus und auch bei vielen Verbindungen mit den Nachbarländern. Hier kommt dem Schienenverkehr der Ausbau wichtiger Strecken für hohe Geschwindigkeiten und auch die zentrale Lage der Bahnhöfe in den Innenstädten zugute. Rational spricht also nichts für das Fliegen auf solchen Strecken. Die Luftfahrtindustrie versteht das Klima-Argument daher zunehmend als Image-Problem und verspricht für die Zukunft „grünes Fliegen“. Tatsächlich benötigen moderne Flugzeuge etwas weniger Energie und emittieren daher auch etwas weniger Schadstoffe – aber auch die Bahn wird beständig sparsamer. Während aber der Zug schon heute vollständig mit erneuerbaren Energien fahren kann, ist dies bei der Luftfahrt noch pure Zukunftsmusik. Und selbst wenn Flugzeuge eines Tages vollständig mit aus Strom hergestellten „Power-to-Liquid“-Kraftstoffen, mit Wasserstoff oder mit aus Pflanzen gewonnenen Agro kraftstoffen betrieben werden könnten, bleibt die Energiebilanz dieser Technologien unterirdisch. Die Energieverluste zur Herstellung solcher Kraftstoffe sind gigantisch, so dass der Vorteil der Bahn im Vergleich zum Flugzeug nochmals wächst. Hinzu kommt, dass die zusätzlichen Klimaeffekte – etwa die Wolkenbildung in großer Höhe oder der Methanausstoß, die ein Vielfaches des reinen CO2-Ausstoßes ausmachen, auch mit solchen angeblich sauberen Kraftstoffen erhalten bleiben würden. „Klimaneutrales“ Fliegen bleibt also auch für die Zukunft nichts weiter als ein leeres Versprechen.

Immerhin wird seit der Corona-Krise wieder stärker über die Verlagerung von Flügen auf die Schiene diskutiert, da die Fluglinien in wirtschaftlichen Nöten sind. Die Kurzstreckenflüge sind für sie größtenteils ein Zuschussgeschäft, das sie nur betreiben, um möglichst viele Start- und Zielflughäfen anbieten zu können und so ihre Langstreckenflüge zu füllen. Dieses Jahr startete eine neue Kooperation zwischen Lufthansa und Deutscher Bahn, um einige solcher Zubringerflüge auf die Schiene zu verlagern; dafür will die DB zusätzliche schnelle Sprinter-ICEs anbieten. Der Frankfurter Flughafen als wichtigstes deutsches Drehkreuz hat dafür mit einem eigenen Flughafen-Fernbahnhof perfekte Voraussetzungen, ebenso der neue Berliner Flughafen BER. Die Lufthansa fliegt aber weiter auch Kurzstreckenflüge, und in einer besseren wirtschaftlichen Situation könnte sich die Strategie wieder ändern. Die Billigfluglinien setzen ohnehin weiter a usschließlich auf den Flug – massiv subventioniert unter anderem durch die fehlende Kerosinsteuer und die Mehrwertsteuerbefreiung für grenzüberschreitende Flüge. Frankreich hat das Corona-Rettungspaket für die Air France hingegen immerhin mit der Auflage verbunden, grundsätzlich keine Flüge mehr anzubieten, die mit dem Zug in zweieinhalb Stunden erreichbar sind. Auch das ist eine schwache Regelung, die nur zur Einstellung weniger Flüge geführt hat. In Anbetracht der Klimakrise erscheinen inzwischen auch Bahnreisen von vier bis sechs Stunden als absolut zumutbare Alternativen. Bislang traut sich aber keine Partei an die Forderung nach einem echten Verbot solcher Kurzstreckenflüge heran. Selbst die gerade gestartete Kampagne „Züge statt Flüge“ spricht nur vom „Entzug der Verkehrsrechte“ – was aber letztlich auf ein Verbot hinausläuft. Dabei ist ein Verbot im Vergleich zu bloßen Verteuerungen nicht nur wirksamer, sondern wä re auch sozialer, weil es für alle Menschen unabhängig von den Finanzen gleichermaßen gilt.

Wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen, darf die Verlagerung von Kurzstreckenflügen aber ohnehin nur der Anfang sein. Auch längere Reisen müssen auf die Schiene verlagert werden. Eigentlich hat Europa dafür gute Voraussetzungen, denn es gibt ein relativ dichtes Schienennetz, wenn auch teilweise noch mit bedauerlichen Lücken an den Grenzen. Auf vielen Strecken fehlt jedoch bislang ein nutzbares Angebot: Die Zahl an durchgehenden Zügen hat in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen, und auch durchgehende Tickets sind oft nicht erhältlich. Die Bahnunternehmen setzen vor allem auf den nationalen Hochgeschwindigkeitsverkehr und kooperieren kaum noch, seit sie sich gemäß der EU-Liberalisierungsideologie gegenseitig als Konkurrenten betrachten. Für die längeren Verbindungen wären vor allem neue Nachtzüge extrem sinnvoll, weil sie eine komfortable Reise im Schlaf über 1000 bis 1500 Kilometer ermöglichen – mit bequemer Ankunft am Zielort zur Frühstückszeit, was nicht einmal das Flugzeug bieten kann. Einige hoffnungsvolle Ansätze wie die Ausweitung des Nachtzugnetzes durch die Österreichischen Bundesbahnen und einige neue Betreiber gibt es in den letzten Jahren. Für eine echte Trendwende bräuchte es aber nicht nur ein Förderprogramm für den Wieder-Aufbau eines europäischen Schlafwagenpools, sondern vor allem eine Abkehr von der EU-Liberalisierungspolitik und stattdessen die Förderung einer echten europäischen Kooperation auf der Schiene. Die „United Railways of Europe“ wären eine schöne Vision, die ein europäisches Netz von Tages- und Nachtverbindungen auf die Schiene bringen und das Fliegen damit überflüssig machen könnte.

Bernhard Knierim lebt in Werder (Havel) und ist aktiv für eine Verkehrswende – unter anderem im Bündnis Bahn für Alle und im europäischen Netzwerk Back on Track.