Ein erster Schritt. Argentinien verstaatlicht Ölkonzern YPF

Aus: LunaPark21 – Heft 18

Als hätte die argentinische Regierung ihrem Gegenüber in Madrid mit der Teilverstaatlichung von YPF, einem Ölunternehmen, bei dem der spanische Ölkonzern Repsol Mehrheitseigner ist, nicht schon genug auf den Schlips getreten – zu allem Überfluss wählte Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner noch das Bild eines Elefantenrüssels, um den Transfer von Ressourcen aus YPF in Argentinien nach Spanien bildlich darzustellen. Die Anspielung war mehr als deutlich. Mitte April hatte der spanische König Juán Carlos durch die Teilnahme an einer teuren Elefantensafari in Botswana dem krisengeschüttelten Spanien einen handfesten Skandal beschert.

Wenn auch wenig diplomatisch, der Rüsselvergleich passt. Seit Repsol 1999 bei YPF als Mehrheitseigner eingestiegen ist, fielen nicht nur die Investitionen ins Bodenlose. Auch die Förderquoten nahmen kontinuierlich ab. Zwischen 1998 und 2011 reduzierte sich die jährliche Ölförderung von 19,8 auf 11,3 Millionen Kubikmeter, die Gasförderung sank von 13 auf 10,6 Millionen Kubikmeter.

Gewinntransfer nach Spanien

Das Geschäft lohnte sich für Repsol damit doppelt: Zum einen, weil auf Verschleiß produziert wurde, sodass wenigen Kosten vor Ort weiter hohe Erlöse für die Muttergesellschaft in Madrid gegenüberstanden. Zum anderen aufgrund der Entwicklung des Ölpreises: 1999 kostete ein Barrel noch zwischen zehn und zwölf US-Dollar. Heute schwankt der Preis um die Hundert-Dollar-Marke. Knapp 80 Prozent des Unternehmensgewinns wurden als Dividenden ausgeschüttet. Investitionen in die Erschließung neuer Quellen blieben nahezu aus. Laut einer Studie des argentinischen Forschungszentrums CEMOP stellte das Unternehmen lediglich 1,95 Prozent der Jahreserlöse zur Erforschung von Lagerstätten bereit. Im Europageschäft der Spanier betrug die Quote 56, in Südamerika 38 Prozent.

Madrid war erwartungsgemäß wenig erfreut über die Verstaatlichung. Ministerpräsident Mariano Rajoy wetterte, es handele sich um einen „willkürlichen und feindseligen Akt“. Die oppositionellen Sozialisten bestanden auf „rechtlichen und diplomatischen Maßnahmen“. Repsol fordert Entschädigungen in Höhe von 10,5 Milliarden US-Dollar und reichte eine Klage bei dem an der Weltbank angeschlossenen Internationalen Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten (ICSIT) ein. Dem schloss sich Ende Mai auch die EU an, wobei sich Brüssel bei der Welthandelsorganisation über die angeblich protektionistische Handelspolitik Argentiniens im Allgemeinen beschwerte.

Tatsächlich dürften die Chancen von Repsol und der EU, erfolgreich gegen die Enteignung vorzugehen, beschränkt sein. Die aus Madrid angedrohten Importbeschränkungen für argentinischen Biodiesel sind wieder vom Tisch. Und Repsols Regressansprüche werden von Buenos Aires mit Verweis auf YPF-Schulden in Höhe von neun Milliarden verweigert. Beim ICSIT muss sich der Ölmulti auf lange Wartezeiten einrichten. Aktuell sind am ICSIT 26 Verfahren gegen Argentinien ansässig, mehr als gegen irgendein anderes Land.

Der Ärger der spanischen Regierung ist nachvollziehbar. Für die kriselnde spanische Wirtschaft steht mehr auf dem Spiel als der Verlust von YPF. Lateinamerika, besonders der südliche Teil des Subkontinents, der Cono Sur („Süd Kegel“), ist momentan einer der wichtigsten Investitionsmärkte für Spaniens krisengeschüttelte Konzerne. In Argentinien ist Spanien der wichtigste ausländische Investor, noch vor den USA. Ob die Bankhäuser Santander und BBVA, der Energieversorger Endesa oder der Telefonmulti Telefónica de España – während der Privatisierungswelle unter Carlos S. Menem in den 90er Jahren hat spanisches Kapital Zugang zu nahezu allen Branchen der argentinischen Wirtschaft und Daseinsvorsorge gefunden. Zwischen 1990 und 2000 hat Madrid seinen Anteil an den ausländischen Direktinvestitionen in Argentinien von sechs Prozent auf 26,3 Prozent fast verfünffacht. Gleichzeitig haben der CEMOP-Studie zufolge spanische Konzerne die niedrigsten Reinvestitionsquoten aller dort ansässigen Unternehmen.

Neue Dynamik der Rückverstaatlichung

Lange Zeit hatte die argentinische Politik wenig daran auszusetzten. Seit einigen Jahren jedoch erhöht sie den Druck auf ausländische Unternehmen, bestimmte staatliche Vorgaben einzuhalten. Die Fluglinie Aerolineas Argentinas, die 1995 an die Airline Iberia und von dort an die spanische Tourismusgruppe Marsans gegangen war, wurde 2008 in argentinisches Eigentum zurückgeführt. Erst Anfang Mai 2012 verhängte das Planungsministerium eine Sanktion in Höhe von umgerechnet 31,5 Millionen Euro gegenüber der spanischen Telefónica, weil sie einen Netzausfall verursacht hatte.

Der Fall YPF ist nochmals auf einer höheren Ebene angesiedelt. Mit etwa 46000 direkten und indirekten Beschäftigten ist YPF nicht nur das größte argentinische Unternehmen. YPF ist nationales Symbol. 1922 unter dem Namen Yacimientos Petrolíferos Federales (YPF–staatliche Erölvorkommen) als weltweit erstes staatseigenes Monopol im Ölgeschäft gegründet, galt YPF in Lateinamerika lange als Vorbild. Ein jähes Ende fand die Periode mit dem »Gesetz zur Föderalisierung der Kohlenwasserstoffe«, das 1992 vom Senat verabschiedet wurde. Es übertrug die Hoheit über die Ölquellen vom Staat an die Provinzen. Die öffentlichen Beteiligungen wurden schrittweise verkauft. Fernández de Kirchner und ihr verstorbener Ehemanne Néstor Kirchner stimmten damals für die Privatisierung. Auch während ihrer insgesamt drei Amtszeiten seit 2003 haben beide nie die Politik von YPF kritisiert.

Woher der jüngste Sinneswandel? Neu entdeckter Gerechtigkeitssinn dürfte genausowenig den Ausschlag gegeben haben, wie die jahrelangen Proteste gegen die Umweltzerstörungen durch YPF. Die Entscheidung hatte vor allem einen pragmatischen Grund: den akuten Energiemangel. Das systematische Absenken der Förderung bei gleichzeitig steigendem Energiebedarf infolge des enormen Wirtschaftswachstums der letzten Jahre hat dazu geführt, dass Argentinien 2011 zum ersten Mal seit 17 Jahren mehr Brennstoffe importieren musste als es exportierte. Ende 2011 wies die Energiebilanz ein Minus von drei Milliarden US-Dollar auf. Die Regierung sorgte sich um die Auswirkungen auf die Handelsbilanz. Ein Handelsbilanzüberschuss – er betrug 2011 noch 10,3 Milliarden US-Dollar – ist für Argentinien nach dem Staatsbankrott von 2001 überlebenswichtig. Seitdem Buenos Aires sich weigert, einen Großteil der privaten Gläubiger zu bedienen, bekommt es praktisch keine internationalen Kredite. Ob Sozialpolitik oder Subventionen, alles muss aus dem laufenden Haushalt bezahlt werden.

Am 3. Mai stimmte das argentinische Abgeordnetenhaus erwartungsgemäß mit großer Mehrheit für das Gesetz zur „Rückgewinnung der nationalen Souveränität über die Kohlenwasserstoffe“. Der 51-prozentige Anteil von Repsol geht an den Nationalstaat und die Provinzen. Repsol bleibt ein Aktienpaket von knapp sieben Prozent. Zweiter Haupteigner bleibt die argentinische Petersen-Gruppe. Mit zwielichtiger Unterstützung durch die Regierung Kirchner hat diese Gruppe seit 2007 gut 25 Prozent der Repsol-Anteile übernommen.

Wie geht es weiter? Zu recht stellen vor allem konservative Kommentatoren fest, dass bisher kein einziges argentinisches Staatsunternehmen in der Lage war, kostendeckend zu arbeiten. Und auch bei YPF dürften erst mal hohe Ausgaben anstehen, um die benötigte Energie zu fördern. Allein in der Lagerstätte Vaca Muerta (Tote Kuh) in der Provinz Neuquén könnten sich die drittgrößten Schiefergasvorkommen der Welt befinden. Für die Förderung sind laut YPF-Angaben rund 25 Milliarden US-Dollar pro Jahr erforderlich. Selbst wenn diese Summe von YPF aus durchsichtigen Gründen deutlich zu hoch angesetzt worden sein sollte, so wird die argentinische Regierung auch das real erforderliche Investment kaum finanzieren können. Zurzeit laufen Kooperationsverhandlungen mit verschiedenen Ölmultis. Ob diese bereit sind, die im Enteignungsgesetz festgeschriebenen Investitionsquoten zu erfüllen, ist aufgrund der geringen Renditeaussichten auf dem stark regulierten argentinischen Energiemarkt allerdings mehr als ungewiss. Argentinien erhebt nicht nur vergleichsweise hohe Steuern auf Energieexporte. Wegen der gesetzlichen Obergrenzen müssen private Haushalte in Chile oder Brasilien für Erdgas das 20- bis 30-fache des argentinischen Preises zahlen.

Der Tribut, den ein internationales Unternehmen verlangt, um profitabel arbeiten zu können, könnte zu hoch sein. Von der Verstaatlichung bis zur von der Regierung angestrebten Energiesouveränität ist es noch ein weiter Weg. Sie ist jedoch ein erster Schritt.

Johannes Schulten schrieb im letzten Heft von Lunapark21 über „Argentinien – zehn Jahre nach dem Crash“