Wo ist denn der Chef? Frauen in Naturwissenschaften und Technik

Aus: LunaPark21 – Heft 18

„Nur jeder fünfte Absolvent ist eine Frau“, titelte Der Spiegel vom 21. März 2011. EU-weit sind die schulischen Leistungen der jungen Frauen oft besser als die der Männer. Dennoch haben sie beim Zugang zu qualifizierten Ausbildungsplätzen immer noch die schlechteren Karten.

60 Prozent der Hochschulabsolventen in Deutschland sind weiblich. Dennoch betrug die Frauenquote bei den Abgängern in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) nach einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) von 2009 nur 31,4 Prozent. Besonders im technischen und naturwissenschaftlichen Bereich ist die Frauenquote in Deutschland im Europavergleich unterdurchschnittlich: Nur 22 Prozent der in den Ingenieurwissenschaften Ausgebildeten sind weiblich. Noch niedriger liegen Großbritannien (21%), Österreich (20%), Niederlande (16%) und die Schweiz (15%). Der EU-Durchschnitt beträgt 27 Prozent. Nachholbedarf hat Deutschland auch im Bereich Mathematik und Informatik (Frauenanteil 26% – EU-Durchschnitt 29%).

Das arbeitgebernahe IW fürchtet für die Zukunft einen erheblichen Mangel an Fachkräften. Tatsächlich konnten 2011 mehr als 117000 offene Stellen im MINT-Bereich nicht besetzt werden. Andererseits gab es im Januar 2011 noch 86700 erwerbslose MINT-Kräfte. Warum sie erwerbslos waren und wie viele davon Frauen sind, wurde nicht ausgewiesen.

Zurecht verweist die Medizin-Nobelpreisträgerin von 1977, Rosalyn Sussman Yalow, auf die ungeheuere Verschwendung, die mit der Konzentration auf nur ein Geschlecht verbunden ist: „Die Welt kann sich den Verlust von Talenten der Hälfte ihrer Leute nicht leisten, wenn wir die vielen Probleme lösen wollen, die uns bedrängen.“

Sind Frauen selber schuld?

Immer noch und immer wieder wird den jungen Frauen vorgeworfen, dass sie sich nur auf wenige „typisch weibliche“ Ausbildungsberufe und Studiengänge und zu wenig auf gewerblich-technische Berufe und technische Studiengänge konzentrieren. Sylke Pageler vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) stellte in Bezug auf den Fachkräftemangel bei den Ingenieurberufen in einem Interview fest: „Es gehen zu wenig junge Menschen in die Ingenieursausbildung.“ Danach gefragt, ob „mehr Frauen in die Ingenieurberufe“ eine Lösung wäre, sagte sie: „Es wäre ein guter Ansatz, er ist aber nur einer von vielen“. Vor allem müssten Maßnahmen eingeleitet werden, um „die Mädchen frühzeitig für diese Berufe zu interessieren“ und dann müssten „den jungen Mädchen Frauen vorgestellt werden, die in diesem Beruf tätig sind, um Ängste abzubauen.“

Bereits Ende der 1970er Jahre gab es Modellprogramme für „Mädchen in Männerberufe“ oder „Frauen in gewerblich-technische Berufe“, mit dem Ziel mehr Frauen zu gewinnen. Schon damals wurde mit dem erwarteten Fachkräftemangel und dem Fehlen von Vorbildfrauen argumentiert.

Tatsächlich konnte in dieser Zeit auch der Anteil weiblicher Studierender in den Ingenieurwissenschaften etwas erhöht werden. Alle Modellversuche hatten das Ergebnis, dass Frauen die Arbeit ebenso gut wie Männer können. Nach ihrer Ausbildung hatten die jungen Frauen allerdings oft nicht die gleichen Chancen wie junge Männer, in die erlernten Berufe auch einsteigen zu können. Denn immer noch existieren die Vorurteile, die Arbeit sei für Frauen „zu schwer“, zudem wird ihnen technisches Unverständnis unterstellt. „Wo ist denn der Chef?“ werden nicht nur Ingenieurinnen gefragt, die als Bauleiterinnen tätig sind, sondern oft auch Meisterinnen in gewerblich-technischen Berufen.

Meisterinnen im Zimmereihandwerk, berichteten bei einer Tagung darüber, dass Frauen von den Agenturen für Arbeit nicht zum Thema Bauhandwerk beraten werden, weil „diese davon ausgehen, Frauen würden anschließend schwer vermittelbare Arbeitssuchende werden“. Offensichtlich seien Beraterinnen und Berater immer noch der Meinung, als Friseurin oder Arzthelferin sei das Leben einfacher.

Der wesentlich höhere Verdienst im Technikberuf zeigt leider keine Wirkung. Stattdessen wird gerade in qualifizierten Berufen immer wieder auf die (Un)vereinbarkeit von Kinderhaben und Berufstätigkeit verwiesen. Tatsächlich gibt in einer durch den VDI in Auftrag gegebenen Studie die Hälfte der befragten Ingenieure in Führungspositionen an, dass ihre Karrierepläne von ihren Kindern nicht beeinflusst werden, von den Ingenieurinnen (!) sieht das nur jede Fünfte so.

Die Mehrzahl der Führungsfrauen – so geht es aus der VDI-Studie hervor – wünscht sich weniger Überstunden und die Möglichkeit, die Arbeitsstunden zu reduzieren. Das aber scheint in Führungspositionen nach wie vor ein unmögliches Unterfangen zu sein. Eine weitaus bessere Lösung wäre die Reduzierung der Vollzeitarbeit durch allgemeine Arbeitszeitverkürzung. Zusätzlich geht es um eine Gleichverteilung der Elternzeit, die Karin Diegelmann, Bauingenieurin im deutschen Ingenieurinnenbund (dib) in einem taz-Interview vom März 2011 wieder einmal forderte. Wäre das so, müssten Arbeitgeber auch bei einem jungen Mann damit rechnen, dass er wegen Elternzeit eine Weile ausfalle. Das sei ein Gewinn für alle; Mütter, Väter und Kinder, Unternehmen profitierten von den Potenzialen der Frauen und die leidige Lohnlücke, die Frauen durch die berufliche Unterbrechung haben, entfalle. Warum selbst Ingenieurinnen im Durchschnitt 17 Prozent weniger verdienen als Männer, ist allerdings nicht nur mit der Unterbrechung zu erklären.

Wie Frauen motivieren?

An fünf bundesdeutschen Hochschulen gibt es heute die Möglichkeit, dass Frauen im Ingenieurwesen unter sich bleiben. Dadurch sollen „die sozialen Zugangsbarrieren für Frauen, die an einem ingenieurwissenschaftlichen Studium interessiert sind, langfristig abgebaut werden“, schrieb Ulrike Schleier, Professorin für Wirtschaftsingenieurwesen an der Jade Hochschule in Wilhelmshaven in der Zeitschrift Karrierewelt vom Juni 2011. Tatsächlich hat sich die Quote der weiblichen Studierenden in Wilhelmshaven bereits merklich erhöht. Ingenieurinnen und Frauen aus gewerblich technischen Berufen gehen in Schulen und stellen sich den Fragen der jungen Mädchen nach ihrem Beruf, ihrem Alltag und den damit verbundenen Problemen und Chancen. Durch eine Zusammenarbeit zwischen Schulen, Hochschulen und Betrieben, die technikorientierte Berufspraktika oder einzelne „Schnuppertage“ anbieten, auch durch den Girls-Day wird versucht, Barrieren für Mädchen in technischen Studien- und Berufsfeldern abzubauen.

Zusätzlich wären Veränderungen hin zur persönlichkeitsfördernden, humanen, demokratischen, sinnvollen und möglichst selbstbestimmten existenzsichernden Arbeit notwendig. Auch für Ingenieurinnen reicht es nicht, undifferenziert die Forderung „her mit der Hälfte“ zu stellen, denn das hieße, die Hälfte vom verschimmelten Kuchen zu fordern. Der Beweis, dass durch mehr Frauen in Führungspositionen humaner produziert wird, ist bis jetzt ebenso wenig erbracht, wie der Gegenbeweis, weil die empirische Basis fehlt.

Ein best-practise-Beispiel ist die FrauenEnergieGemeinschaft „Windfang eG“: 20 Ingenieurinnen hatten die Nase voll, dass die Männer meist die Augen verdrehten, wenn sie „Frauen und Technik“ zusammenbringen wollten und beschlossen 1992 den Spieß umzudrehen: „Während Männer oft viel Wind um nichts machen, wollten sie Wind machen, um einen Beitrag zu einer Energiewende zu leisten,“ schrieb Barbara Bollwahn in einer Broschüre. Hierarchien lehnten die Frauen ab; Aktienjunkies wollten sie auch keine sein. Sie wollten selbst bestimmen, woher der Wind weht. In der Zwischenzeit bauen sie auch Solaranlagen, zum Beispiel die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach des Frauenmuseums in Bonn. Es gibt weitere Beispiele, in denen sich (nicht nur) Frauen zusammen tun, um zu versuchen, mit sich und ihren Mitmenschen sowie mit der Umwelt pfleglich und vorsorgend umzugehen, weil sie wissen, dass sie gemeinsam mehr und Besseres erreichen können als allein.

Gisela Notz ist als Sozialwissenschaftlerin und Autorin freiberuflich tätig. Sie lebt in Berlin. Sie ist Mitglied im Beirat vom Bund demokratischer Wissenschalftlerinnen und Wissenschaftler.

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