Die Klimaschulden der Landwirtschaft

Eine kleinflächige Landwirtschaft ohne Pestizide wäre ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz

Die Medien vermitteln überwiegend den Eindruck, dass die Rettung menschenfreundlicher Klimabedingungen mit einem konsequenten Umstieg auf „Elektromobilität“ und dem Verzicht auf Kohleverstromung größtenteils erreicht wären. Das ist ein schlüssiges Konzept, denn trotz des temporären Widerstands einzelner, wenngleich mächtiger Akteure, d.h. der Autoindustrie und der Energiekonzerne, ist ein solcher Wandel systemkompatibel – an den Grundfesten eines kapitalistischen Wirtschaftssystems wird nicht gerüttelt. Ein nationaler Handel mit CO2-Zertifikaten, aber auch eine CO2-Steuer lassen die „Kräfte des Marktes“ unangetastet, ggf. unter leicht veränderten Rahmenbedingungen.

Doch ein wichtiger Bestandteil unseres täglichen Lebens und zugleich eine bedeutende Komponente des Klimawandels entzieht sich bei diesem Thema weitestgehend der öffentlichen Diskussion. Die Rede ist von der Erzeugung und dem Verzehr unserer Nahrungsmittel. Weltweit kommt mehr als ein Viertel der Treibhausgase (THG) aus der Landwirtschaft. Landnutzungsänderungen, d.h. die Rodung von Wäldern und die Umwandlung von Wiesen und Weiden in Ackerland, die in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle spielen, haben einen großen Anteil daran. In Deutschland ist die Landwirtschaft laut Umweltbundesamt (UBA) nur mit sieben Prozent an der Gesamtemission von Treibhausgasen beteiligt. Die trotzdem notwendige Reduktion würde tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen erfordern.

In der Landwirtschaft wird CO2 neben der allgemein bekannten Quelle – fossile Brennstoffe für den Einsatz von Traktoren und Erntemaschinen sowie zur Beheizung von Gebäuden und Gewächshäusern – durch Pflügen aus dem Boden freigesetzt. Mithin ist ein Argument der agrochemischen Konzerne, dass Glyphosat zum Klimaschutz beitragen würde: Der Einsatz von Glyphosat ermöglicht eine pfluglose Bodenbearbeitung. Allerdings verschweigen die Glyphosat-Befürworter, dass auch in einer pestizidfreien Landwirtschaft Methoden zur Verfügung stehen, mit denen auf das Pflügen verzichtet werden kann.

Doch die Klimabilanz der Landwirtschaft beschränkt sich nicht auf CO2. Die landwirtschaftlich bedingte Freisetzung von Methan und Lachgas (Stickoxide) kommt hinzu. Das ist insofern bedeutsam, als Methan knapp 30-mal klimaschädlicher ist als CO2 und Lachgas rund 300-mal. Laut Umweltbundesamt (UBA) stammten 2017 in Deutschland 66,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aus der Landwirtschaft. Rund 60 Prozent der gesamten Methan-Emissionen und 80 Prozent der Lachgas-Emissionen kamen aus diesem Wirtschaftszweig.

Von offizieller Seite wird gern darauf verwiesen, dass die landwirtschaftlich bedingte THG-Emission in Deutschland seit den 1990er Jahren rückläufig sei. Das UBA gibt allerdings zu bedenken: „Deutliche Emissionsrückgänge zwischen 1990 und 2017 sind im Wesentlichen auf die Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung beschränkt und gehen auf die Verringerung der Tierbestände zurück.“1 Selbst die Formulierung „im Wesentlichen“ ist euphemistisch: Die Emissionen hatten von 1990 bis 1994 um 16 Prozent abgenommen und betrugen dann noch 66,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Im Jahr 2017 wurden 66,3 Millionen Tonnen emittiert, wobei sich seit 1995 ein Mittelwert von 66,0 Millionen Tonnen ergibt – Ausdruck einer kompletten Stagnation. Der Klimaschutzplan der Bundesregierung von 2016 hat für die Landwirtschaft das Ziel formuliert, die THG-Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 um 31 bis 34 Prozent zu reduzieren. Mit anderen Worten: Nachdem sich 22 Jahre lang de facto nichts am THG-Ausstoß verändert hat, müssten in den nächsten elf Jahren in der Landwirtschaft 12 bis 15 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart werden, um das gesteckte Ziel zu erreichen. Die Behörde weist darauf hin, dass sich bereits jetzt abzeichne, dass dieses Ziel allein mit technischen Maßnahmen nicht erreichbar sein wird und schlussfolgert an anderer Stelle: „Eine Veränderung der Ernährung und die damit einhergehende Verringerung der Tierbestände bei den Wiederkäuern ist die effizienteste Maßnahme, um Methanemissionen zu reduzieren.“2 Immerhin kommt mehr als ein Viertel der THG-Emissionen aus der Tierhaltung. Und dabei hat das UBA bei dieser Bilanz die „ausgelagerten“ CO2-Emissionen noch nicht einmal berücksichtigt. Seit Jahren werden etwa drei Viertel des Futtergetreides (rund 75 Millionen Tonnen) importiert, d.h. die Emissionen, die alljährlich bei Produktion und Transport dieser Getreidemenge anfallen, finden sich in der UBA-Statistik nicht wieder.

Ein reduzierter Konsum an tierischem Protein (vor allem Fleisch und Käse) wäre aus Gründen des Klimaschutzes, aber auch gesundheitspolitisch und wegen des Tierwohls wünschenswert. Würde bei entsprechenden Rahmenbedingungen auf Massentierhaltung verzichtet, würden die mit einem Überkonsum an Protein verbundenen gesundheitlichen Probleme reduziert werden können.3 Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Berechnungen zu den CO2-Äquivalenten unserer Nahrungsmittel, die in Abhängigkeit davon variieren, ob die Produkte biologisch oder konventionell hergestellt wurden, ob es sich um frische Produkte oder um Tiefkühlware handelt und ob sie regional produziert oder über Hunderte oder gar Tausende Kilometer transportiert wurden. Aber selbst tief gekühltes oder konserviertes Gemüse, wenngleich rund dreimal stärker CO2-belastet als frisches, regional produziertes, ist mit etwa 500 Gramm CO2-Äquivalent pro Kilogramm Produkt noch immer rund 6-mal klimag

Günstiger als frisches Schweine- und Geflügelfleisch und mehr als 20-mal klimagünstiger als Rindfleisch.

Dabei ist die Angelegenheit noch komplexer. In ihrem inzwischen in 7. Auflage publizierten Buch „Die Kuh ist kein Klimakiller“ weist Anita Idel darauf hin, dass Rinder zwar (verdauungsphysiologisch bedingt) eine der wesentlichen Methanquellen der Landwirtschaft sind. Wenn sie aber nicht mit Kraftfutter ernährt werden, sondern auf einer Weide stehen, die nicht mit chemischem Dünger behandelt wurde, ist ihre Bilanz praktisch klimaneutral, denn Wiesen und Weiden speichern große Mengen Kohlenstoff.

Zurück zur Frage, ob – wie vom UBA vorgeschlagen – mit einem reduzierten Konsum von Rindfleisch und Milchprodukten eine Verringerung des Bestands an Rindern und, damit verbunden, eine Reduzierung der Methanemission erreicht werden kann. Eine solche Rechnung könnte nur dann aufgehen, wenn die Produzenten den durch Minderkonsum reduzierten Binnenmarktanteil nicht durch verstärkte Exporte von Fleisch- und Milchprodukten ausgleichen. Das heißt die Warenströme müssten kontrolliert werden. Doch ein Abschied vom Freihandel erscheint unter den derzeitiwgen Machtverhältnissen utopisch. Welchen ökonomischen Sinn macht es, zweieinhalb Millionen Tonnen Milch zu exportieren und im gleichen Jahr (2016) fast die identische Menge zu importieren? Ähnliches trifft auch auf den grenzüberschreitenden Warenverkehr anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu, und zwar alljährlich. Vermutlich bedarf es einer Analyse von Subventionsmechanismen, um das Ganze zu verstehe n.

Ein weiterer Aspekt, auf den hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden kann, ist die Tatsache, dass eine kleinflächige Landwirtschaft ohne Pestizide und Kunstdünger eine deutlich günstigere CO2-Bilanz aufweist. Allerdings ist diese arbeitsintensiver, weswegen sie teurer produziert. Was dann aber wieder heißt, dass sie neue Arbeitsplätze schafft.

Dass Maßnahmen erforderlich wären, um den so produzierenden Landwirten das wirtschaftliche Überleben zu garantieren, ist unstrittig. Aber zugleich wäre dafür zu sorgen, dass die damit verbundene Steigerung der Lebensmittelpreise sozial abgefedert wird. Wenn die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer sich dieser Tage für mehr Klimaschutz ausspricht, verbunden mit dem Hinweis, dass dafür keine neuen Schulden gemacht werden sollen, vergisst sie, dass bereits horrende Schulden existieren, und zwar gegenüber dem Klima. Die Frage ist also, wer diese bezahlen wird, einschließlich der Klimaschulden durch die Landwirtschaft.

Peter Clausing studierte Landwirtschaft und Toxikologie (postgradual). Mit seiner Expertise unterstützt er das Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany), in den vergangenen Jahren vor allem beim Thema Glyphosat. Er ist der Überzeugung („Die Grüne Matrix“, erschienen 2014), dass mit agrarökologischen Anbauverfahren pestizidfrei genügend Nahrung produziert werden könnte, um die Weltbevölkerung zu ernähren

Anmerkungen:

1 https://www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/beitrag-der-landwirtschaft-zu-den-treibhausgas#textpart-1

2 https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/umweltbelastungen-der-landwirtschaft/lachgas-methan

3 Das ernährungsphysiologische Optimum liegt im Durchschnitt bei 18 Kilogramm Protein pro Person und Jahr. In der EU wird derzeit knapp das Doppelte verzehrt.