Die Hälfte vom verschimmelten Kuchen – weltweit!?

Der im Oktober 2016 erschienene Global Gender Gap Report zeigt, dass das Bemühen, den sogenannte Gender Gap, also die Kluft zwischen den Geschlechtern zu überbrücken, sich seit 2006 weltweit drastisch verlangsamt hat. Seitdem wird der Bericht jährlich vom World Economic Forum (WEF) erstellt. Das WEF ist auch jenes Forum, das die jährlichen Elitetreffen in Davos veranstaltet. Der Report umfasst unter anderem eine Rangordnung der 144 untersuchten Nationen, die  in die Bereiche Wirtschaft, Bildung, politische Teilhabe, Gesundheit und Überlebenschancen unterteilt ist.

Die Index-Werte der Nationen berücksichtigen dabei die relative Benachteiligung von Frauen in den verschiedenen Teilbereichen. Zwar liegen Frauen und Männer in Gesundheits- und Bildungsfragen nahe beieinander. In diesen Bereichen ist der Gender Gap weltweit zu rund 95 Prozent geschlossen. Der inzwischen hohe Bildungsstand der Frauen schlägt sich jedoch weder bei der politischen Beteiligung (Frauenanteil weltweit durchschnittlich 25 Prozent), noch bei der wirtschaftlichen Gleichstellung von Frauen und Männern nieder. In mehr als der Hälfte der Länder sind die Parlamente lediglich zu 20 Prozent mit Frauen besetzt und Frauen sind auch wirtschaftlich immer noch deutliche schlechter gestellt, als Männer; hier besteht eine Kluft von 59 Prozent. Das wird durch die StudienautorInnen vor allem auf die unbezahlt geleistete  Reproduktionsarbeit der Frauen zurückgeführt, die sich negativ auf die Verdienstchancen zwischen den Geschlechtern auswirkt. Von formaler Gleichberechtigung sind wir also immer noch weit entfernt und die „Frauenfrage“ ist nach wie vor ungelöst.

Wie schon in allen Vorjahren geht der erste Platz nach Island, das von Journalistinnen sogleich als das „Land der Seligen“ gelobt wird. Nach deren Meinung hat Island den Platz bekommen, weil Frauen und Männer sich dort die Kinderbetreuung teilen. Das klingt so, als würden in Island alle Menschen in heterosexuellen Kleinfamilien leben. Längst ist bekannt, dass Frauen die keine „Familie“ haben – zumindest in europäischen Ländern – ebenso benachteiligt sind, im Niedriglohnsektor oder „freiwillig“ umsonst arbeiten (müssen). Weltweit gesehen leben Menschen längst nicht in allen Ländern in der in Deutschland an die Wand gemalten „Normalfamilie“.

Die nächsten Plätze belegen Finnland, Norwegen, Schweden. Dass Ruanda, den fünften Platz „gewann“, sorgte vor allem in deutschsprachigen Mainstreammedien für viel Aufmerksamkeit. Deutschland, die Schweiz und Österreich landeten im Gleichstellungsranking auf den Plätzen 13, 12 und 52. Vor allem wurde bedauert, wie schlecht es doch um die Gleichstellung bestellt sei, wenn ein afrikanisches Land so viel besser abschneidet. Auch der Referent für Sozialpolitik und Gesundheit der österreichischen Wirtschaftskammer Rolf Gleißner war alarmiert. Er sah sich den Bericht genau an und fand die verwendeten Methoden “unseriös und manipulativ”. Die Botschaft, dass Länder wie Österreich bei der Gleichstellung hinter Entwicklungsländern lägen, hält er für “absurd”. Sortierte man die Rangliste nur anhand des Kriteriums Einkommensgleichheit, würde Ruanda sogar auf Platz eins landen – Österreich nur auf Platz 84. Dass eine Frau in Ruanda nur ein Zweiundzwanzigstel dessen verdient, was eine Österreicherin im Durchschnitt bekommt, bliebe dabei unberücksichtigt. Mag sein, dass diese Feststellung Ausdruck seiner Enttäuschung über den schlechten Platz „seines“ Landes ist. Dennoch lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob die Forderung, „von allem die Hälfte“ für einen globalen Genderbericht tragen kann.

Der Index bewertet Länder danach, wie gut sie ihre jeweiligen Ressourcen und Chancen unter ihrer männlichen und weiblichen Bevölkerung aufteilen, unabhängig vom Gesamtniveau dieser Ressourcen, von Lebenschancen und von sozialen Ungleichheiten in einem Land. Er untersucht die Lücken innerhalb eines Landes und nicht den Level, um den Index vom Entwicklungsstand eines Landes zu entkoppeln. Die Autorinnen betonen, dass es der Anspruch des Global Gender Gap Index sei, eine Aussage über den Grad der Gleichstellung „unabhängig vom Grad der Entwicklung” zu machen. Es ist aber fraglich, wie aussagekräftig ein relativer Wert angesichts ungleicher Ausgangsbasis aufgrund großer absoluter Unterschiede ist, und ob somit nicht unzulässig von den äußerst verschiedenen Umständen abstrahiert wird. Ähnliche methodische Mängel sieht Gleißner bei der Bewertung der Bildungschancen (wo Österreich nur auf Platz 86 kommt, während ein Land wie Nicaragua vorne liegt, obwohl dort 17 Prozent der Frauen nicht einmal Lesen und Schreiben lernen) und der politischen Teilhabe, wo Österreich schlechter abschneidet als die de-Facto-Diktatur Angola, die seit 37 Jahren vom gleichen Machthaber beherrscht wird.

Laut Bericht hätten wir beim jetzigen Fortschrittstempo für die Geschlechtergleichstellung in 170 Jahren die „vollständige Gleichheit“ erreicht. Aber was ist, wenn die Kluft geschlossen ist? Dann hätten Frauen überall den gleichberechtigten Zugang zu Gesundheit, Bildung, politischer und wirtschaftlicher Teilhabe wie ihre Männer. Wollen wir das? Schließlich blieben dann die Frauen in Tschad, Saudi-Arabien, Syrien, Pakistan sowie Jemen – das sind die letzten Plätze auf der Liste – weiter arm; so arm wie ihre Männer. Und auch in der BRD gäbe es gleich viele Hartz-IV Empfänger wie Empfängerinnen. Der Reichtum konzentriert sich in den meisten, wenn nicht in allen Ländern der Welt, in den Händen weniger.

Schon die Sozialistinnen und Internationalistinnen der ersten „alten“ deutschen Frauenbewegung ging es um die weltweite Emanzipation der Arbeiterinnen, die in allen Ländern auf der untersten Stufe der Gesellschaft standen und von allen Ausgebeuteten die am meisten Unterdrückten waren. Schließlich galt, was Clara Zetkin formulierte: „Das Ziel ist das Frauenrecht als Menschenrecht“ – weltweit.

 

Gisela Notz ist bei Lunapark21 verantwortlich für das Ressort ´feminismus und ökonomie´. In Heft 36 erschien dort ein Beitrag zur Lohndiskrimierung von Frauen von Therese Wüthrich.

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