Warum eine bloße Verlängerung nicht sinnvoll ist und wie ein Gesamtprogramm aus sozialer und klimapolitischer Sicht aussehen sollte
Zutreffend ist, dass das 9-Euro-Ticket – ungewollt, seitens der FDP-Erfinder – einen Einstieg in einen bessere und sozial akzeptablen öffentlichen Verkehr bieten kann. Die bloße Forderung nach „Verlängerung“ sehe ich jedoch ausgesprochen kritisch. Ein Bejubeln des 9-Euro-Tickets als „Erfolg“ ist auf alle Fälle falsch.
Dazu die folgenden sieben Thesen.
1. KLIMA & VERLAGERUNG
Es gibt keine belastbaren Belege dafür, dass es in den Monaten Juni und Juli zu weniger das Klima belastendem Verkehr – also zu einer echten Verkehrsverlagerung – gekommen wäre. Es spricht alles dafür, dass es in der Summe und perspektivisch zu mehr Klimabelastung kommt – zu einem auf Dauer weiter steigendem Pkw-Verkehr und zu einem deutlichen Plus im öffentlichem Verkehr.
2021 gab es erneut einen massiven Zuwachs der Pkw-Flotte um gut eine Million (netto!) auf 48,7 Millionen Pkw. Auch 2022 gibt es laut Kraftfahrzeugbundesamt den ununterbrochenen Trend bei den Neuzulassungen: Erneut gibt es Monat für Monat NETTO einen Zuwachs bei der Pkw-Flotte – auch in den 9-Euro-Ticket-Monaten Juni und Juli, und auch im zuletzt registrierten Monat Juli 2022.
Konkret: Im Juli 2022 gab es 205.911 neu zugelassene Pkw; im gesamten Zeitraum Januar bis Juli 2022 waren es 1,4 Millionen Neuzulassungen. Damit dürfte es im gesamten Verlauf von 2022 ein Plus von gut 2,2 Millionen bei den Neuzulassungen und um ein Plus von deutlich mehr als eine Million im Bestand geben – also NETTO deutlich mehr als 2021.[1]
All das muss praktische Auswirkungen haben.
Doch selbst wenn der Pkw-Verkehr „nur“ gleich bleiben würde, laufen die Loblieder auf das Plus im Schienennahverkehr doch darauf hinaus, dass es ein Plus der verkehrsbedingten Klimabelastung gibt wegen des ergänzenden deutlichen Anstiegs im öffentlichen Verkehr.
2. SOZIALE LAGE & UNSOZIALE MOBILITÄT
Nun gibt es das Argument „Keiner kann denjenigen, die finanziell schlecht gestellt sind, vorschreiben, wie oft und wohin sie fahren wollen“.
Das wirkt wie ein Totschlagargument – doch es ist sachfremd. In der bestehenden Wirtschaftsordnung gibt es schlicht immer und grundsätzlich ein solches „VORSCHREIBEN“. Die Reichen haben weitgehend freie Mobilität – per ICE, per Porsche, per Jacht, und demnächst per City-Heli. Die Mobilität der Armen ist immer eingeschränkt. Der Aufkleber „Mein Porsche fährt auch ohne Wald“ war in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zynisch-populär; das drückt auch heute noch die soziale (und klima-schädigende) Struktur von Mobilität aus, die ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Struktur ist. Den größten ökologischen Fußabdruck haben nun mal die Wählerinnen und Wähler von FDP und Grünen.
Es geht darum, wie wir die Mobilität derjenigen, die wenig Einkommen haben, erweitern – und wie das eingepflegt wird in den Gesamtkontext von Ressourcen und Klimabelastung – und (damit) in den modal split, also in die Verteilung der fünf verschiedenen Verkehrsarten: Zufußgehen, Radeln, motorisierter Autoverkehr, öffentlicher Verkehr (Busse &Bahnen) und Flugverkehr.
Würde man im Flugverkehr den Nulltarif einführen, dann würden die Leute per Jet zur Weekend-Broadway-Aufführung nach New York City fliegen. Die Billigfliegerei zeigt bereits die gesamte Problematik auf – das Spannungsfeld zwischen sozialen Forderungen und „Mobilität für alle“ einerseits und Klimabelastung bzw. Umweltzerstörung andererseits.
3. ABSOLUTES MUSS: TEMPOLIMITS
Jede Förderung des öffentlichen Verkehrs muss von Beschränkungen des motorisierten Verkehrs auf Straße und in der Luft begleitet werden. Das ist aktuell nicht der Fall. Der motorisierte Individualverkehr (MIV) wächst, wie beschrieben, zumindest mittelfristig weiter. Der Flugverkehr nimmt in diesen Monaten massiv (mit zweistelligen Wachstumsraten) zu. Und es gibt keinerlei Begrenzungen für diese beiden, das Klima besonders belastenden Verkehrsarten.
Es gibt bei denen, die eine „Verlängerung des 9-Euro-Tickets“ fordern, auch keine lautstark vorgetragene Forderungen, den MIV und den Flugverkehr einzuschränken; die Subventionen in Höhe von mehr als 25 Milliarden Euro pro Jahr für diese Verkehrsarten zu streichen oder zumindest zu kürzen.
Die banalste aller Forderungen – die nach Geschwindigkeitsbegrenzungen von 30-80-100 (notfalls: 120) km/h – wird auch nicht erhoben – oder nur gemurmelt.
Angesichts des Klimanotstands – und bei dem notwendigen Anknüpfen an die Friday-for-Future-Bewegung – muss jede Forderung nach Verbilligung des öffentlichen Verkehrs mit Forderungen nach Restriktionen für den MIV verbunden sein. Dabei hat die Forderung nach Tempolimit(s) im Zentrum zu stehen.
Das bloße Fordern nach Billig-Verkehr ist nichts als billig. Das ist eine Forderung, die von den FDP-Gelben und von den Olivgrünen kommt.
4. BESCHÄFTIGTE & GEWERKSCHAFTEN
Aktuell wird kaum thematisiert, dass die beiden im Bereich Schiene engagierten Gewerkschaften sich negativ zu einer Verlängerung des 9-Euro-Ticket äußern. Gemeint sind die EVG und die GDL. Sie führen an, dass durch das 9-Euro-Ticket die Belastungen für die Beschäftigten massiv zugenommen hätten, dass die Zustände in den Zügen oft nicht (mehr) akzeptabel seien und dass Pendler und Stammkundschaft abgeschreckt werden würden. In Wirklichkeit produziere das 9-Euro-Ticket vor allem zusätzliche Billig-Verkehre. Es würde nicht – oder nicht wesentlich – zu einer Verlagerung beitragen beitragen.
Verdi Berlin-Brandenburg hat sich ähnlich positioniert.
Verdi (Bund) plädiert generell für ein neues und preiswertes Tarifsystem, eingebettet in einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Was zu unterstützen ist.
Gewerkschaften und deren Positionen sollten bei unseren Forderungen immer mit-bedacht werden. Aktuell haben wir hier den eher seltenen Fall vorliegen, dass die beiden Bahn-Gewerkschaften, die sich oft deutlich unterschiedlich positionieren, sich gemeinsam kritisch zur Verlängerung des 9-Euro-Tickets äußern. Sicher nicht zuletzt als Reflex der Reaktionen an der Basis, bei den Bahnbeschäftigten selbst.
5. BILLIG & MARKTWIRTSCHAFT
Um es klar zu sagen: Ich bin grundsätzlich und perspektivisch für Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr. Und für ein sehr preisgünstiges System im gesamten übrigen öffentlichen Verkehr. Allerdings muss dies eingebettet sein in ein Rahmengerüst. Und es muss mit dem Gebot Klimaverträglichkeit verknüpft – also mit einem Abbau von verkehrsbedingten Klimabelastungen verbunden – sein. Dies geht nur, wenn es deutliche Restriktionen für den MIV und die Luftfahrt gibt, wenn es zu einer tatsächlichen Verlagerung von Verkehren auf Füße, auf Pedale und zum öffentlichen Verkehr kommt.
Bedacht sein muss auch: Wir leben in einer Wirtschaftsordnung, in der gilt, dass das, was nichts kostet, oft als „… ist nichts wert“ empfunden wird. Bei den konkreten Bedingungen, unter denen das 9-Euro-Ticket eingeführt und umgesetzt wurde und noch umgesetzt wird, wird diese Art Denke dadurch verstärkt, dass es für diese Maßnahme (bewusst!) keinerlei Vorbereitungen gab, dass es kein (oder kaum ein) erweitertes Zug- und Bus-Angebot gibt, weswegen es (auch) einen Rekord von Zugausfällen gibt (10.000 im zweiten Vierteljahr 2022), weswegen (auch) die Zugpünktlichkeit auf ein Rekordniveau sank, weswegen es in jeder Woche zu Dutzenden Zugräumungen wegen Überfüllung kommt …
Damit wird der EINDRUCK, „billig“ im Preis heißt auch „wenig wert“, verstärkt. Das kann einer Autopartei nur recht sein. Freundinnen und Freunde des öffentlichen Verkehrs sollten für eine Verkehrspolitik eintreten, die zu einer hohen Wertschätzung dieser Verkehrsart beiträgt.
6. RAHMEN & SKIZZE
Wie einleitend gesagt: Auch wenn das 9-Euro-Ticket eine FDP-Idee war und auch wenn dieses in deren Autofahrer-Ideologie passt („Wir schenken dem Volk für einen Sommer Billigstreisen, dann ist Ruhe im Karton, es gibt keine Forderung nach Tempolimits und wir können unsere Pro-Auto-Politik fortsetzen“), so bietet es uns doch Ansätze, an denen angeknüpft werden muss. Dazu die folgenden Punkte als Skizze:
ANSCHLUSS-TICKET
Notwendig ist irgendeine Art Anschluss-Ticket. Es wäre falsch, ab dem 1.9. zurück zum Stand 31. Mai 2022 zu fallen. Optimal wäre gewesen, Bund und Länder und Bahn und der Verband öffentlicher Verkehrsbetriebe (VDV) hätten sich auf ein bundesweites Modell oberhalb der 9-Euro geeinigt. Siehe den folgen Punkt.
DAS EIN EURO-PRO-TAG-TICKET
Die Forderung nach einem 365-Euro-Ticket, das bundesweit für den öffentlichen Nahverkehr, also für den öffentlichen Nahverkehr in Städten und für den Schienenpersonennahverkehr ist, scheint unter den gegebenen Bedingungen angemessen. Das heißt: ein 1 Euro pro Tag. Ein solches Ticket sollte auch auf monatlicher oder vierteljährlicher Basis bezahlt werden können. Es sollte ergänzt werden um einen Tarif für Menschen mit niedrigen Einkommen, ggfs. für Hartz-IV-Empfangende mit Nulltarif.
KLIMATICKET im SCHIENENFERNVERKEHR
In Ergänzung sollte es ein Klima-Ticket im Schienenfernverkehr geben. Das Beispiel Österreich, wo das Klimaticket im Jahr 1095 Euro (also 3-Euro am Tag) kostet, erscheint vorbildlich. Allerdings gilt dieses im Nachbarland für alle Verkehrsarten des öffentlichen Verkehrs (für die städtischen Öffis ebenso wie für den Nahverkehr auf der Schiene UND für den Schienenpersonenfernverkehr). Angewandt auf Deutschland und im Fall eines 365-Euro-Tickets im gesamten ÖPNV und Schienenpersonennahverkehr sollte das Klimaticket auch für den ÖPNV und SPNV gültig sein.[2]
Die bislang genannten Punkte müssen zusammengedacht und angeboten werden, damit es nicht zu problematischen Verlagerungen vom Schienenpersonenfernverkehr auf regionale Schienenverkehre kommt.
Hier muss im Übrigen der Busfernverkehr mit-bedacht werden. Dabei ist eine Regelung anzustreben, bei der der Busfernverkehr nicht in Schmutzkonkurrenz zum Schienenfernverkehr tritt – wie das grundsätzlich bis zum 31. Mai 2022 der Fall war.
VERKEHRSVERMEIDUNG & NICHT-MOTORISIERTER VERKEHR
Wir dürfen nicht vergessen, dass der für das Klima (und oft auch für die Menschen) beste Verkehr derjenige ist, der nicht stattfindet, der überflüssig gemacht wird – weil es wieder Strukturen der Nähe gibt, weil es ein Wohlfühlen im „Sesshaften“ gibt, weil die Städte wieder für die Menschen da sind.
Der ZWEITbeste Verkehr ist derjenige, der nicht motorisiert stattfindet: der zu Fuß und per Rad geleistet wird.
Das soll hier nicht weiter vertieft werden. Wichtig ist die Erkenntnis, dass es hier leicht zu Zielkonflikten kommen kann. Der modal split als Ganzes ist entscheidend. Beispielsweise kann aktuell beim 9-Euro-Ticket oft „bike&ride“ nicht mehr stattfinden, weil die Züge überfüllt sind.
FINANZIERUNG
Die Kosten dieser Tickets müssen zu 100 Prozent vom Bund für die öffentlichen Verkehrsbetriebe und für die übrigen Betreiber erstattet werden. Beim 365-Euro-Ticket dürfte es sich um einen Betrag in Höhe von 20-25 Milliarden Euro handeln – pro Jahr. Beim Klimaticket im Fernverkehr dürfte nochmals ein Betrag von rund 8-10 Milliarden Euro fällig werden. Hinzu kommt ein Festbetrag von rund 100 Milliarden Euro, um in den Ausbau der Infrastrukturen und in neue Verkehrsmittel zu investieren.
Das Argument lautet: Wenn ein einmaliges 100-Euro-Sondervermögen für Rüstung, ergänzt um 25-Milliarden-Euro Mehrausgaben fürs Militär pro JAHR möglich sind, dann muss Vergleichbares auch in dem Bereich, der für das Klima entscheidend ist, machbar sein: Einmalig 100 Milliarden Euro für eine Grundsanierung und für den Ausbau der Infrastrukturen PLUS pro Jahr 25-30 Milliarden Grundsubventionierung.
TEMPOLIMITs – und andere EINSCHRÄNKUNGEN von MIV und FLUGVERKEHR
Zentral ist die Forderung nach Tempi 30-80-100. Wenn es am Ende „120“ auf Autobahnen sind, dann wäre das auch ein wesentlicher Fortschritt. Gleichzeitig müssen die Subventionen bei diesen Verkehrsarten (einschließlich der Subventionierung für E-Pkw) nach einem konkreten Zeitplan und bis auf Null zurückgefahren werden. Diese Subventionen sind pro Jahr mindestens so hoch, wie das 365-Euro-Euro bundesweit kosten wird. Rechnet man die externen Kosten (und deren Reduktion durch weniger MIV usw.) ein, so ergibt sich eine volle Kostendeckung für das 365-Euro-Ticket und für das Klimaticket durch erstens den radikalen Abbau dieser Subventionen und zweitens durch die entsprechend niedrigeren externen Kosten (unter anderem bei den Krankenkassen und im Umwelt- und Klimabereich).
AUSBAU ÖFFENTLICHE VERKEHRE – ABBAU STRASSENVERKEHR
Mittelfristig sind die geforderten Reduzierungen der Preise im öffentlichen Verkehr nur sinnvoll, wenn es parallel einen Ausbau des Angebots im öffentlichen Verkehr und einen Abbau beim MIV und bei der Luftfahrt gibt. Im Grunde wären diese Schritte als Vorbereitung für die Ticket-Reduktionen notwendig gewesen – so wie das in Österreich der Fall war.[3] Aktuell gibt es das Gegenteil – die Unterfinanzierung der Infrastrukturen hält an, die Nachfrage steigt – damit wird die Infrastruktur noch mehr als bislang BE- und oft ÜBERLASTET.
Wenn hier nicht sofort gegengesteuert wird, kann das in einem Desaster enden (siehe auch das Burgrain-Garmisch-Partenkirchen-Bahnunglück am 3.6.2022).
Unter den gegebenen Bedingungen (des überstürzt als Sommergag eingeführten 9-Euro-Tickets) muss versucht werden, beides umgesetzt zu bekommen, was heißt, dass auf einen schnell nachholenden Ausbau der Infrastrukturen und der Angebote gedrängt werden muss. Das FDP-geführte Bundesverkehrsministerium plant jedoch in die entgegengesetzte Richtung – und richtet die finanziellen Mittel entsprechend aus.
Elementare Bestandteile dieser Vorbereitung und dieses Ausbaus sind:
– Ein Sofortprogramm zur Sanierung der Schieneninfrastruktur; mit dem primären Ziel einer Beseitigung der rund 1000 Langsamfahrstellen im Schienennetz (der offiziell ausgewiesenen und der in den Fahrplan klammheimlich integrierten)
– Ein Sofortprogramm zur Beseitigung von deutlichmehr als hundert „Flaschenhälsen“ (spezifischen Engpässen) im Schienennetz (z.B. durch die Beseitigung der Eingleisigkeit bei spezifischen Streckenabschnitten, wie es solche auch heute noch sogar bei Hauptstrecken gibt).[4]
– Deutlicher Ausbau des öffentlicher Verkehrs allgemein und der Schiene (Busse, Trams; Schiene). Dabei muss das Ziel gelten: 100-%-Elektrifizierung Schiene bis 2030. Die Zweigleisigkeit im Schienennetz von aktuell nur rund 55 Prozent sollte bis 2035 deutlich erhöht werden (Ziel: 75%). Notwendig ist ein Ausbau des Schienennetzes auf den Stand, den es bis 1993 gab, was eine Steigerung der Betriebslänge des Schienennetzes um rund 20 Prozent bedeutet.
– Zurückstellen (Moratorium und oft Stopp) der „Großprojekte“ (wie S21, Altona-Diebsteich, Fehmarnbelt-Querung, Fernbahntunnel Frankfurt am Main, 2. S-Bahn-Stammstrecke München)
– Stopp von jedem weiteren Straßenbau; Rückbau der Straßeninfrastruktur. Vergleichbares gilt für den Flugverkehr
– Tempolimits (siehe oben).
7. STRUKTUREN DES ÖFFENTLICHEN EIGENTUMS
Durchdenkt man „nur“ das 9-Euro-Ticket, dann ist bereits klar, dass die aktuelle Struktur im öffentlichen Verkehr nicht zu den Forderungen nach einem deutlich preiswerteren öffentlichen Verkehr passt. Der öffentliche Verkehr wird hierzulande (und europaweit) zunehmend von Privaten dominiert – im Bereich des Schienenpersonennahverkehr zu 50 Prozent, im übrigen Bereich je nach Definition zu 10 bis 25 Prozent.
Die gesamten öffentlichen Verkehre werden bereits heute zu einem erheblichen Teil mit öffentlichen Geldern subventioniert (beim SPNV zu 60-65%; durch die „Regionalisierungsmittel“ des Bundes, die an die Bundesländer zur „Bestellung“ von SPNV gehen). Das skizzierte Gesamtprogramm läuft darauf hinaus, dass diese öffentliche Finanzierung auf mehr als 85 Prozent ansteigt.
Damit aber wird die gesamte Struktur öffentlich-privat absurd; der bereits bestehende Flickenteppich ist noch mehr kontraproduktiv als er es heute bereits ist. Der Tarifwirrwarr mit „Waben“ und Verkehrsverbunds-Grenzen und Umwelt- und Ländertickets, unterschiedlichen Bestimmungen für Seniorentickets oder Radmitnahme usw. usf. wird immer verwirrender.
Wir benötigen eine komplette Neustrukturierung des öffentlichen Verkehrs. Grundsätzlich ist dabei dezentrales öffentliche Eigentum so weit wie möglich zu bevorzugen und bundesweites öffentliches Eigentum nur dort sinnvoll, wo dies strukturell notwendig ist (so beim Schienenpersonenfernverkehr).
Wobei es dann auch heißen sollte: Wo „öffentlich“ drauf steht, wo „öffentlich finanziert“ wird, muss auch „öffentlich“, also öffentliches Eigentum, drin stecken.
In ein solches Gesamtprogramm eingebettet, sollte die Debatte um das 9-Euro-Ticket genutzt und für eine überzeugende Klimapolitik im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung, vor allem im Interesse der finanziell schlecht Gestellten, geworben werden.
Anmerkungen:
[1] Siehe: https://www.kba.de/DE/Statistik/04_auskunft_statistik_ueberblick.html?nn=3504038]
[2] Vor Einführung des 9-Euro-Tickets gab es das Argument, ein Klimaticket in Deutschland müsste aufgrund der größeren Fläche Deutschlands deutlich teurer sein als dasjenige in Österreich. Das müsste nochmals durchdacht werden. Allerdings wurde bis Mai ein 365-Euro-Ticket nur für den ÖPNV im jeweiligen Verkehrsverbund (oder in einer spezifischen Region) vorgeschlagen. Inzwischen sieht es so aus, dass das 365-Euro-Ticket überwiegend als bundesweit gültiges Nahverkehrsticket propagiert wird. Dabei wird argumentiert, dass der Durchschnittsmensch sich nicht dauerhaft auf Achse quer durch Deutschland befindet; das Ticket in der Regel im regionalen Bereich, in dem eine Person lebt, eingesetzt werden wird. Vergleichbar könnte man auch im Fall des Klimatickets argumentieren, weswegen der in Österreich gültige Preis für dieses Ticket, 3 Euro pro Tag, auch hierzulande Sinn machen könnte.
[3] Die Einführung des 365-Euro-Tickets in Wiens ÖPNV am 1. Mai 2012 wurde mehrere Jahre im Voraus geplant. Parallel zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs wurde der Straßenverkehr in der City (u.a. durch einen Abbau der Stellplätze) erschwert. Auf diese Weise wurde eine Verdopplung der ÖPNV-Jahreskarten erreicht. Es gab keine überfüllten öffentlichen Verkehrsmittel. Auch das Klimaticket wurde in Österreich im Sommer 2021 und im Vergleich zum deutschen 9-Euro-Ticket deutlich besser vorbereitet eingeführt.
[4] Selbst bei den wenigen aufwendigen Ausbaumaßnahmen unterlässt es die Verkehrspolitik, solche Engpässe mit zu beseitigen. Als 2017 bis 2021 die Südbahn (Ulm –Friedrichshafen – Lindau) elektrifiziert wurde, wurde der relativ kurze Streckenabschnitt Friedrichshafen – Lindau nicht zur Zweigleisigkeit ausgebaut (die längere Strecke Ulm – Friedrichshafen ist zweigleisig). Damit bleibt es bei einem Engpass auf diesem letzten Streckenabschnitt. Auch kam es nicht zur Beseitigung von relativ kleinen abzweigenden Strecken ohne Elektrifizierung (so im Fall des „Diesellochs“ beim Abschnitt Aulendorf – Kißlegg).
Nähere Infos siehe: www.klimabahn-initiative.de