Wie das Sorge-Paradigma Frauen weiter aus wesentlichen Einflussbereichen heraushält
Es gibt keine Ausrede mehr. Welche sich in den Ländern des globalen Nordens als Frau definiert oder als solche gesehen wird, ist nicht mehr entlastet durch ihre Nähe zur Natur, zur materiellen Basis des Menschseins, die sie »unschuldig« bleiben lässt an den Zerstörungen der Technik, die mitzugestalten Frauen jahrhundertlang vorenthalten wurde.
Vor ziemlich genau 50 Jahren begannen Feministinnen in der Bundesrepublik das kostengünstige patriarchal-kapitalistische Reproduktions-Arrangement aufzukündigen, den umfassenden Gratis-Service – von Kinderproduktion über Koch- und Putzdienste bis zur Psycho-Betreuung und Sexarbeit. Sie wollten »die Welt aus den Angeln heben« und zumindest mal die Männerdomänen erobern, aus denen sie, mit Ausnahmen, sorgsam ferngehalten worden waren. Alsbald aber erwuchs aus der Erkenntnis, dass die Arbeiten am Menschen doch einen ganz besonderen Wert haben, ja dass sie fundamental für alles menschliche Handeln sind, eine feministische Theorierichtung mit einer ziemlich einseitigen Fixierung auf deren gesellschaftliche Anerkennung und Aufwertung.
Von dieser, im Laufe der Jahrzehnte immer feiner ausgearbeiteten »Care«-Theorie, die schließlich alles einschloss, was die Entwicklung und Erhaltung des Menschen unterstützt, und letztlich auch die Sorge um die Natur, kam in der breiten weiblichen Öffentlichkeit wenig an. Soweit die provokante Identitätsdebatte dem Feminismus nicht die Show stahl, blieb als bescheidenes Resultat der einst großen feministischen Ziele die, einzig auch medial vermittelte, Vereinbarkeitspolitik. Die gewünschte Aufhebung der Trennstruktur der Sphären von Produktion und Reproduktion, wie es einst hieß, reduzierte sich auf das Ideal der Verteilung der Sorgearbeiten auf alle, ein an sich schon fragwürdiges Ideal. Jedenfalls kein großer Emanzipationsgewinn, selbst wenn die aktuellen Bestrebungen nach (Erwerbs)Arbeitszeit-Verkürzung, von der Generation Z bis zu den Gewerkschaften, gutwillig als später Erfolg interpretiert werden könnten.
Dass mit der erstrebten neuen Normalarbeitszeit der feministische Anspruch der Umverteilung eher realisiert und sogar der Gender Pay Gap durch Angleichung der Arbeitszeiten verringert werden könnte, betrifft jedoch nur einen, wenn auch gemeinhin als repräsentativ betrachteten Teil der Bevölkerung. Was gemäß Mainstream nicht weiter auffällt, der von der Natürlichkeit eines allfälligen Kinderwunsches ausgeht und andere Lebensentwürfe, auch für Frauen, nicht einmal denkt, junge Frauen somit nicht gerade darin bestärkt, ihre Berufswünsche an weitergehenden Interessen und Befähigungen auszurichten und nicht an biologischen Uhren und Teilbarkeiten.
Nicht anders ein Feminismus, der in der Pandemie vor allem den, mehr oder auch weniger realen, Backlash der Mütter im Homeoffice hervorhebt und nicht etwa die Wissenschaftlerinnen, die die Grundlagen für die MRNA-Impfstoffe gefunden und den ersten wirksamen Impfstoff mit entwickelt haben; ein Feminismus, der in den Bemühungen, Frauen für die Mint-Fächer zu werben, vor allem eine kapitalismusdienliche Maßnahme sieht; oder einer, der Klimapolitik mit Enkeltauglichkeit bewirbt, statt die jungen Klimaaktivistinnen in ihrer Entscheidung ernst zu nehmen, den Planeten nicht noch stärker zu bevölkern, auf dem sich unsere Spezies schon so breit gemacht hat, dass sie alles andere zu ersticken droht. Ein solcher Feminismus befördert jedenfalls nicht den Eintritt von Frauen in die die Welt maßgeblich bewegenden Bereiche – als da sind die Naturwissenschaften und Technik.
Auch Care geht nicht ohne Technik
Was bei all dem Lob der Sorge um den Menschen hinten runterfällt, ist die Tatsache, dass diese so unschuldig wohl-wollenden Arbeiten wohl eingebettet sind in unsere hochtechnisierte Kultur, dass sie zwar deren Basis sind, zugleich aber auf ihre Errungenschaften zurückgreifen, und das nicht nur, um den heutigen Ansprüchen gemäß, gute Sorge zu leisten. Den Care-Theoretikerinnen scheint es indes keine ernsthaften Überlegungen wert, dass Frauen kaum Einfluss auf die Gestaltung, auf Sinn und Nützlichkeit technischer Entwicklungen haben beziehungsweise nehmen.
Dass Frauen, bislang nur Konsumentinnen der teils durchaus nützlichen, teils destruktiven Erfindungen und Bequemlichkeiten männlicher Technikproduktion der vergangenen 200 Jahre, diese durchaus genossen und ihre Kollateralschäden ebenso beiseite geschoben haben wie deren Erfinder. Nebenwirkungen, die auch die Politisierten nur so weit in ihr Bewusstsein lassen, wie es den individuellen, mit den Angeboten gewachsenen Befindlichkeiten und Bedürfnissen nicht entgegensteht.
Besonders deutlich wird dieser verdrängte Konflikt bei den digitalen Techniken, die mehr als jede vorhergehende Erfindung unser gesellschaftliches Miteinander, unsere Kommunikation, unseren Konsum beeinflussen, und die über Institutionen und Lobbys hinweg Politik nicht nur lenken, sondern machen. Dabei verkehren sie die selbst proklamierten Ziele geradezu ins Gegenteil.
So etwa das Smartphone, dieser geniale Coup, der in kürzester Zeit weite Teile der Menschheit, selbst im globalen Süden, überzeugt hat, ständig einen dienstbereiten Kleincomputer, ohne den nichts mehr geht, am Leib zu tragen.
Schon der Aspekt der Arbeitserleichterung und Zeitersparnis ist irreal, bedenkt frau die üppige Aufmerksamkeit, die das smarte Gerät, ebenso wie die übrigen digitalen Gadgets, den Nutzer:innen abverlangt. Nicht zu reden von der Verlagerung von Kosten und vieler bisher bezahlter Dienstleistungen ins Private, unter dem Vorwand, es praktischerweise jetzt allen selbst in die Hand zu geben. Was keineswegs nur Frauen trifft. Dem wird keine Arbeitszeitverkürzung beikommen. Ebenso wenig wie irgendeine Ressource gespart wird angesichts des schon jetzt gigantischen Datentraffics und Gerätebedarfs, die mit der angestrebten Allround-Digitalisierung, deren Anwendungen immer größere Rechenleistung erfordern, beständig wachsen werden.
Alles ist Materie
Das ist es aber, worüber sich selbst die Umweltbewussten und die jungen Klimaaktivist:innen in die Tasche lügen: der immense Energie- und Ressourcenhunger der digitalen Technologien, den sie unter anderem mit grüner Stromgewinnung wegrationalisieren, für die es aber ebenfalls enorme Ressourcen braucht. Es ist ja schön, dass inzwischen ein breiteres Bewusstsein über die üblen Produktionsbedingungen im globalen Süden – zumindest im Kleidungs- und Lebensmittelsektor – endlich das vorliegende, wenn auch sehr verbesserungsbedürftige, Lieferkettengesetz erzwungen hat. Das aber wird nichts daran ändern, dass weiterhin Tonnen um Tonnen von Erde und Gestein umgewälzt und ausgehöhlt werden, um die gewaltigen Mengen der für die Digitalisierung und die sie unterstützende Energiewende benötigten Metalle in Kleinstmengen – etwa zehn Gramm Gold je Tonne Gestein* – herauszufiltern.
Selbst, wenn keine Kleinpro-duzent:innen mehr in schlecht gesicherten Schächten begraben oder von Warlords ausgebeutet werden, und wenn die gigantischen Muldenkipper in den offiziellen Minen künftig nicht mit 2500 Litern Diesel pro Tag, sondern Solar betrieben werden, werden weiter Landschaften verwüstet, gigantische Mengen an Wasser verbraucht und giftige, schlecht gesicherte Staubhalden und Schlammbecken hinterlassen, die noch mehr Lebensräume zerstören.
Es geht noch immer um sehr viel Materie, nur im Globalen Norden nicht so offensichtlich und dreckig wie im Frühkapitalismus. Da reicht es nicht, im Nachhinein an der Software herumzuregulieren, rassistische und sexistische Algorithmen zu entlarven oder Datenschutzmaßnahmen einzuführen, so wichtig das auch ist. Die Weichen müssen mit den Zielen gestellt werden.
Das beeinflusst frau aber nicht als Clickworkerin im Homeoffice oder als Influencerin mit Lifestyle-Tipps. Nicht einmal mit intelligent pädagogischem Spieledesign, womit sich inzwischen Informatikerinnen gegen heftigen Widerstand kleine Plätze erobern. Ganz so allein sind sie zwar nicht mehr, die Frauen, die Informatik studieren, anders als die frühen Informatikerinnen – die dennoch wichtige Grundlagen geschaffen haben. Doch um die letzte große Männerbastion zu knacken, diese Spielwiese egomaner, selbstüberschätzender und sexistischer Jungs, müssten es schon mehr als die gegenwärtigen knapp 20 Prozent werden, vor allem in der Ingenieurs- und Technikinformatik. Und sie müssten sich dann auch richtig reinhängen. Das gilt für alle Tech-Bereiche.
Wenn schon Care, dann weiter gefasst
Welche also all das weiterhin will: die Vorzüge des technologischen Fortschritts, der kaum mehr ohne digitale Elemente denkbar ist – die perfekte Prothese, das minimalinvasive chirurgische Gerät, die Dienste der Satelliten oder Windräder, und eben auch all die smarten Gerätschaften für den Privatgebrauch –, und das gerechterweise für alle, und natürlich ohne neokoloniale Ausbeutung und Umweltzerstörung, die muss sich schon etwas überlegen, über den Care-Horizont hinaus. Oder wenigstens im Sinne der schon vor 30 Jahren von Feministinnen entwickelten Vorsorge-Perspektive, die, neben Forderungen nach Suffizienz, Reversibilität und Aufmerksamkeit für Nebenwirkungen von Entwicklungen, der Natur als eigenständiger Produzentin und Lieferantin unserer Rohstoffe ihre Regenerationszeiten zugesteht. Eine für die lebendige Natur sicher sinnvolle Herangehensweise, auf die angesichts der fortschreitenden Zerstörungen inzwischen auch andere kommen.
Was die gerade vornehmlich benötigten Mineralien betrifft, wird es allerdings schwierig. Da sind andere Lösungen gefragt. Für die braucht es auch ein technisches Verständnis davon, wie die Hardware all der Hightechprodukte funktioniert, und die Kompetenz, eigene Alternativen zu entwickeln. Naheliegend sind weitgehend recyclebare Geräte und Bauweisen und möglichst energiearme Recyclingmethoden, Entwicklung alternativer Stoffe und Chemikalien, aber auch andere Formen der Gewinnung neuer Rohstoffe. Aufgaben, die mitunter die ganze, nicht aufmerksamkeitsgespaltene Frau brauchen. Angesichts der globalen Bevölkerungsentwicklung ist es aber auch kein Drama, wenn einige Frauen mehr keine Lust auf Kinder haben und sich lieber um die Entwicklungen sorgen, die unsere Gegenwart und unsere mittelfristige Zukunft bestimmen.
Und warum sollten Frauen nicht Lust darauf haben, sich voll in so etwas zu vertiefen? Wie es im Übrigen Naturwissenschaftlerinnen wider mangelnde Ermutigung schon länger tun. Renommierte Klimatologinnen, Tiefseeforscherinnen, Astronominnen und Chemikerinnen, die inzwischen so selbstverständlich in den Medien zu Wort kommen, dass es gar nicht mehr auffällt. Wobei sie leider auch zu wenig als Vorbilder hervorgehoben werden, die es aber immer noch braucht. Sie beweisen, dass der Umgang mit der Materie nicht die kritische Sicht auf den gesellschaftlichen Zusammenhang verstellen muss, in dem und für den sie forschen.
Die Aufforderung an Frauen, sich mehr auch um die technologische Entwicklung zu bemühen, folgt weder einem Glauben an die Allmacht von Technik – ganz ohne Reduzierung, des Verbrauchs und der Verbrauchenden, wird es nicht gehen – noch der Illusion einer per se besseren Herangehensweise der Frauen. Es geht darum, anzuerkennen, dass zum einen alle menschlichen Handlungen Ressourcen verbrauchen, auch die sorgenden, und zwar weit mehr als den meisten bewusst ist. Und dass zum anderen die Technologien, mit denen wir gerade Lebensgrundlagen zerstören, nicht verschwinden werden und deshalb andere Methoden und ein vernünftigeres Maß des Umgangs damit gefunden werden müssen. Ein Prozess, den auch Frauen aktiv mitgestalten und mitverantworten müssen. Die Fähigkeiten sind da und eigentlich auch das Interesse.
Eveline Linke ist Diplom-Ingenieurin, Feministin, freie Autorin. Sie lebt in Hamburg und Berlin.
* Nur für Elektronikartikel werden u.a. jährlich 320 t Gold verarbeitet. Ein Windrad enthält bis zu 300 kg seltene Erden und 8–30 t Kupfer, je nach Größe und Standort. Dazu kommen Eisen, Aluminium, Zement, Sand und Chemikalien wie PFAS. Bis zu 50.000 t Gestein müssen bewegt werden, um eine größere Windkraftanlage zu bauen. Und die hält auch nicht ewig.