Nach den Ergebnissen der Kommission zu Schwangerschaftsabbruch und Leihmutterschaft liegt nun auch ein Gesetzentwurf vor.
»Die Strafbarkeit der Abtreibung ist zumindest in den ersten zwölf Wochen auch verfassungsmäßig nicht haltbar« – so lautet das Votum der von der Ampelkoalition Ende 2022 eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und zur Fortpflanzungsmedizin. Der Kommissionsbericht fiel also ganz zugunsten einer Liberalisierung aus, wie sie die Ampel in ihren Koalitionsvereinbarungen angeregt hatte. Doch Jubel blieb bei SPD, Grünen und FDP aus.
80 Prozent der Bevölkerung befürworten eine Liberalisierung oder Abschaffung des § 218. Doch Marco Buschmann (FDP) und Karl Lauterbach (SPD), die Minister für Justiz und Gesundheit, gaben sich zurückhaltend. Man werde prüfen und nachdenken. Das hatte die Kommission gemacht, dazu Fachleute aus ärztlicher Praxis und Beratung angehört, NGOs konsultiert und gestritten, und ist am Ende einstimmig zu einem Ergebnis gekommen.
Das Gremium arbeitete in zwei Gruppen. Die erste sollte klären, ob und gegebenenfalls wie eine Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs erfolgen kann. Eine zweite Arbeitsgruppe hatte sich mit der Frage der Liberalisierung von Eizellspende und Leihmutterschaft zu befassen. Mitgearbeitet haben Juristinnen, Sozialwissenschaftlerinnen, Ethikerinnen und Medizinerinnen – 15 Frauen und 3 Männer, der eine Psychologe die beiden anderen Juristen.
Nach einjähriger intensiver Arbeit gab die in ihrer gesellschaftspolitischen Einstellung keinesfalls homogene Gruppe klare Empfehlungen. Der gut 400 Seiten starke Kommissionsbericht1 argumentiert auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis und medizinischer Untersuchungen. Dennoch scheint man in den politischen Parteien von CDU und Ampel über das Resultat nicht glücklich zu sein. Selbst die Grünen mussten erst einmal Einkehr halten und baten »relevante Stakeholder«, so das Einladungsschreiben, zur gemeinsamen Sondierung der neuen Lage. Die FDP sieht plötzlich keinen Handlungsbedarf. Der Deutsche Ärztetag verschiebt die ganze Debatte auf das nächste Jahr. Die zurückhaltende Reaktion der Regierungsparteien hängt vermutlich mit ihrem taktischen Kalkül auf eine Koalition mit der CDU zusammen.
Der Befund
Im Unterschied zum in der DDR geltenden Recht entschied das westdeutsche Verfassungsgericht 1975, der Fötus sei nicht Teil des weiblichen Organismus, sondern ein menschliches Wesen, dem die Würde nach Artikel 1 des Grundgesetzes zustehe, woraus sich eine Pflicht zum Austragen ableite. Nach der Wiedervereinigung vereinheitlichte das Bundesverfassungsgericht 1993 das Recht und erklärte den Abbruch bis zur 12. Schwangerschaftswoche zum rechtswidrigen Akt, der aber strafrechtlich nicht verfolgt werden müsse. Für die Bürgerinnen der ehemaligen DDR bedeutete das eine Verschlechterung. Als »überschaubar« bewertete die Kommission die Konsistenz dieses Entscheids und stellte dem gegenüber fest: »Das Verlangen der Schwangeren nach einem Schwangerschaftsabbruch ist durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit geschützt« – Der Gesetzgeber habe einen begründbaren weiten Spielraum bei der Umsetzung von Straffreiheit sowohl was Fristen als auch vorgeschaltete Beratung oder Wartefristen angeht.
An der geltenden Rechtslage bemängelt die Kommission die Unklarheit mancher Regelungen, Praktiken und Indikationsstellungen bei Abbrüchen in der späteren Phase. Fast immer geht es dabei um pränataldiagnostische Befunde. Der Schwangeren wird in der Regel eine medizinische Indikation ausgestellt, die bescheinigt, dass ihr Leben und ihre Gesundheit durch das Austragen des behinderten Kindes bedroht seien und nur durch einen Abbruch abzuwenden sei. Für andere schwere Erkrankungen oder Notlagen der Schwangeren wird diese Indikation selten erteilt.
Im Übrigen sei die Vereinbarkeit der deutschen Regeln mit internationalen Standards für Menschenrechte und Gesundheitsversorgung zu bezweifeln, denn »die Gewährleistung einer umfassenden und qualitativ ausgezeichneten medizinischen Betreuung im Rahmen eines Schwangerschaftsabbruchs ist laut WHO-Leitlinie zur Versorgung beim Schwangerschaftsabbruch essenziell für das Wohl von Frauen.« Und »aus der Perspektive einiger Vertragsausschüsse2 und der WHO als internationaler Organisation sowie des Kommissars für Menschenrechte des Europarates besteht ein menschenrechtliches Gebot einer vollständigen Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs«.
Eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sei wegen »der fehlenden systematischen Überzeugungskraft und Widerspruchsfreiheit des bisherigen Rechts« begründet. Es sei inkonsistent, wenn Schwangerschaftsabbrüche einerseits im Rahmen staatlicher Gesundheitssysteme erfolgen, andererseits aber im Zwielicht einer potentiellen Strafbarkeit stehen. Das Strafrecht sei immer nur das letzte Mittel zum Erreichen eines Zieles und in diesem Falle zu vermeiden. Überdies hindere die Rechtswidrigkeit die Krankenkassen, den Eingriff zu bezahlen.
Die unzweideutige Bewertung der Kommission hat selbst die Frauen- und die Pro-Choice Bewegung überrascht, die bislang Angst hatten, an dem 1993er Urteil des Verfassungsgerichts, das die Fristenregelung durch eine Beratungsregelung ersetzte, zu rütteln, weil alles nur schlechter werden könnte. Dazu stellte die Kommission klar: Gegenüber dem Gesetzgeber komme den Urteilen keine formale Bindungswirkung zu. – Eine Klatsche für alle, die meinten, eine Liberalisierung des 150 Jahre alten Abtreibungsparagraphen wäre mit der Verfassung nicht zu vereinbaren.
Konservative und Lebensschützer vermuteten die Verfassung auf ihrer Seite. Sie beschwören nun eine Gefährdung eines gesellschaftlichen Friedens in Folge der Infragestellung der bestehenden Regelung und drohen mit einer Verfassungsklage.
Leihmutterschaft aus Altruismus
Der andere Auftrag an die Kommission lautete, eine Stellungnahme zur Liberalisierung von Eizellspende und sogenannter altruistischer Leihmutterschaft zu entwickeln. Die Themen haben eigentlich nichts miteinander zu tun, außer dass es um Schwangerschaft geht: beim § 218 um ungewollte, im andern Falle um ersehnte. Eizellspende und Leihmutterschaft sind in Deutschland verboten, so dass die Fokussierung auf altruistische Leihmutterschaft vermuten lässt, dass die Regierungskoalition eine Liberalisierung für möglich hält, sofern die Leihmutter ihren Dienst aus altruistischer Motivation, heißt ohne finanzielle Vergütung, anbietet. Im Ringen um Koalitionsvereinbarungen im Zuge der Regierungsbildung war wohl ein Kuhhandel beabsichtigt: Liberalisierung des § 218 gegen Liberalisierung der Repromedizin. Besonders die FDP fordert zusammen mit Lobbyverbänden bis hin zu Vereinen »zur Förderung der kommerziellen Leihmutterschaft« die Eröffnung dieses G eschäftsfeldes.
Menschen, die sich ihren Wunsch nach einem Kind – aufgrund medizinischen Handicaps, queerer Lebensform oder sexueller Orientierung – selbst mit Hilfe der üblichen repromedizinischen Methoden nicht erfüllen können, steht manches andere Land offen, um eine Eizelle zu erwerben oder die Dienste einer Leihmutter in Anspruch zu nehmen. Die Bereitschaft dortiger Frauen zu solchem Dienst resultiert nicht selten aus materieller Not, die die behandelnden Kliniken und vermittelnden Organisationen ausbeuten. Auch genügen die Behandlungen häufig nicht den deutschen medizinischen Standards und den Regelungen in Bezug auf das Recht der Kinder, ihre genetische Herkunft zu erfahren – denn die Spendenden bleiben anonym.
Dagegen fordern Institutionen, die das Geschäft vermitteln und organisieren wollen, Leihmutterschaft in Deutschland mit guten Regelungen zu erlauben. Argumentiert wird dabei aus der Warte sogenannter Wunscheltern, deren Wünsche andernfalls unerfüllt blieben. Die Rechte und Ansprüche derjenigen, die das Kind austragen, kommen nicht in Betracht.
Die Kommission hingegen stellte die Absicherung und den Schutz der dienstleistenden Frauen in den Vordergrund, forderte eine schonende Behandlung und Versicherungsschutz der Spenderinnen und Leihmütter und konstatierte »eine Schieflage in Bezug auf den Altruismus«: Sie empfahl angemessene Entschädigungszahlungen und ausschließlich gemeinwohlorientierte Vermittlungsagenturen entsprechend den hiesigen Adoptionsvermittlungen.
Die Kommission sieht in der Leihmutterschaft nicht ein normales Geschäft, sondern eine Beziehung zwischen Personen, die gepflegt und geschützt werden müsste. Das schließe ein Recht für alle Beteiligten ein, nach der Behandlung in Verbindung zu bleiben, besonders für die Dienstleisterinnen die Möglichkeit, etwas über die Entwicklung der mit ihrer Hilfe geborenen Kinder zu erfahren. Vor allem müsse das in Deutschland geltende Recht auf Wissen über die eigene genetische Abstammung garantiert sein.
Sofern diese Voraussetzungen gewährleistet sind, Leihmutter und Wunscheltern einander nahestehen, sei eine Legalisierung möglich.
Die Kommission hat sich ihrem Auftrag gemäß geäußert. Insofern bleibt die Debatte auf biologische und genetische Elternschaft fokussiert, zieht soziale Elternschaft und neuartige Familienmodelle nicht in Betracht und bleibt stattdessen einem Mythos verhaftet, der Elternschaft als Weitergabe persönlichen Erbguts huldigt. Die Dienstleisterinnen in diesem Geschäft werden auf die Funktion ihrer biologischen Weiblichkeit reduziert.
Beklemmung und Fortune
Die beiden Arbeitsgruppen der Kommission haben großartige Arbeit geleistet. Das erhoffte politische Geschäft – tausche Abtreibung gegen Eizellspende und Leihmutterschaft – wird nicht zustande kommen, weil die Kommission den Anspruch auf Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Bedingungen rechtlich gut begründet und hohe Ansprüche zum Schutze der Dienstleisterinnen in der Repromedizin formuliert hat.
Inzwischen gibt es immerhin einen Fraktionsbeschluss der Grünen zur Streichung des § 218 und auch die Frauen der SPD-Fraktion haben sich entsprechend geäußert. Gemeinsam arbeiteten sie an einer Initiative für eine interfraktionelle Gesetzvorlage.
Weil die Zeit drängte und die Initiative nicht vorankam, haben Juristinnen der Kommission mit Unterstützung von 26 Frauenverbänden am 17. Oktober einen Gesetzesentwurf vorgelegt3: Der stellt den Schwangerschaftsabbruch nicht länger unter Strafe und verlegt alle notwendigen Regelungen, etwa ein Recht (nicht Pflicht, wie in der geltenden Regelung) auf kostenlose barrierefreie Beratung zu allen Fragen hinsichtlich Abbruch, Verhütung und medizinischer Versorgung, in das vorhandene Schwangerschaftskonfliktgesetz. Bis zur 22. Schwangerschaftswoche ist der Abbruch freigegeben, medizinische und auch kriminologische Indikation entfallen bis dahin. Danach, also ab möglicher extrauteriner Lebensfähigkeit des werdenden Kindes, bedarf es einer medizinischen Indikation. Alles Weitere regeln medizinische Leitlinien. Mit der Entfernung aus dem Strafgesetzbuch können diesbezügliche medizinische Leistungen von den Krankenkassen übernommen werden.
Weitergehende Forderungen gegen jegliche Befristung widersprachen wohl der Einschätzung der Juristinnen in Bezug auf Durchsetzbarkeit, Kompromissfähigkeit und letztlich auch der Vereinbarkeit mit der Verfassung, die einen Schutz des ungeborenen Lebens vorschreibt.
Damit haben die Juristinnen einen Entwurf vorgelegt, der die unhaltbare und widersprüchliche Rechtslage beendet.
Die Entstigmatisierung ungewollt Schwangerer aber auch des medizinischen Personals ist Voraussetzung, die in Teilen der Republik prekäre Versorgungslage zu verbessern.
Mit dem Platzen der Ampelregierung werden sich die Chancen für eine entsprechende Gesetzesänderung nicht verbessern. Um so mehr bedarf es des fortgesetzten Drucks, das Vorhaben auch unter einer womöglich unionsgeführten Regierung durchzusetzen.
Silke Koppermann war bis vor zwei Jahren praktizierende Frauenärztin und Psychotherapeutin in Hamburg und ist im Arbeitskreis Frauengesundheit aktiv.
Anmerkungen:
1 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/kommissionsbericht-reproduktive-selbstbestimmung-pm-15-04-24.html
2 UN-Menschenrechtsausschuss, UN-Frauenrechtskonvention, UN-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung.
3 https://www.arbeitkreis-frauengesund heit.de/2024/10/17/26-fachverbaende-legen-gesetzentwurf-zur-neuregelung-des-schwangerschafts abbruchs-vor/