Hamburg überlässt den Hafen der Familie Aponte

Was beim Verkauf der HHLA an MSC herausgekommen ist

Für einen undurchsichtigen Deal ist die Regierung der Hansestadt Hamburg bereit, die öffentliche Kontrolle des Hafens aufzugeben. Über die Containerterminals, den Kern des Hamburger Hafens, soll künftig MSC, die größte Reederei der Welt, bestimmen – wie das Hamburger Parlament am 5. September 2024 entschieden hat.

Der MSC-Konzern ist im Besitz der Familie Aponte in der Schweiz. Der Hamburger Senat vergibt die Aktien des Hafenbetreibers HHLA an die Familie Aponte zum geringstmöglichen Preis, legt zu den von MSC gewünschten Investitionen etwas mehr aus Steuermitteln drauf, verzichtet im Streitfall auf die Anrufung bürgerlicher Gerichte und lässt ein Schiedsgericht nach ausschließlich wirtschaftlichen Kriterien in geheimer Verhandlung entscheiden auf Grundlage eines Vertrages, der 40 Jahre gelten soll, zuvor nicht geändert werden kann und dessen wesentliche Teile der Öffentlichkeit nicht bekannt sind.

Das ist das Ergebnis der parlamentarischen Behandlung eines Vertrages, den drei Hamburger SPD-Senatoren einschließlich des Ersten Bürgermeisters Peter Tschentscher ohne Auftrag und Sachkenntnis unter Beiziehung einer Kanzlei am 13. September 2023 mit den Besitzern der Mediterranean Shipping Company (MSC) geschlossen haben. Die in Genf residierende milliardenschwere italienische Familie Aponte soll künftig über drei der vier Terminals des Hamburger Hafens und noch dazu über die Metrans, verfügen, die wichtige Betreibergesellschaft des Hinterlandverkehrs über die Schiene bis nach Triest. Die wirtschaftlichen Verhältnisse und Absichten der Apontes konnten in der bürgerschaftlichen Debatte und während drei parlamentarischen Anhörungen nur in Teilen erhellt werden. Und das, was wir wissen, ist schlimm genug.

Geheimverträge

Die von den Bürgerschaftsabgeordneten befragten Experten sprachen einhellig gegen den Verkauf der Staatsanteile der Hamburger Hafen- und Logistik AG (HHLA), des Betreibers von Containerterminals, konnten aber Wirkung und Folgen der zu billigenden Verträge nicht beurteilen, weil wesentliche Teile des Vertragswerkes geheim gehalten werden. Die Fachleute kannten bei ihren Gutachten noch nicht einmal die zugrundeliegenden Verträge über das künftige Geschäftsverhalten und die Steuerung der HHLA durch MSC und Senat, weil sie im Gegensatz zu den Bürgerschaftsabgeordneten nicht in den Datenraum durften, in dem die angeblich auf Wunsch der privaten Käufer teilweise geschwärzten Verträge gelesen werden können – unter Verpflichtung zur Geheimhaltung.

Nach der parlamentarischen Sommerpause stimmte die Bürgerschaft, das Hamburger Parlament, trotz Unkenntnis wesentlicher Sachverhalte, der Drucksache zum Verkauf von 49,9 Prozent der Betreibergesellschaft HHLA an MSC zu. »Egal, wir machen das jetzt«, wie Die Zeit schrieb. Aus der Regierungskoalition von SPD und Grünen stimmten drei Parlamentarier, der SPD-Abgeordnete und Vorsitzende des Haushaltsausschusses Mathias Petersen und zwei Abgeordnete der Grünen, gegen den Ausverkauf, andere blieben der Abstimmung fern. Die Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete Ivy May Müller erklärte Ende September ihren Austritt aus Partei und Fraktion und wechselte in die Linksfraktion.

Das, was durch Anfragen und die von CDU und Linkspartei erzwungenen öffentlichen Anhörungen über die im Februar 2024 vorgelegte Drucksache bekannt geworden ist, lässt erwarten, dass künftig nicht mehr Hamburg bestimmt, was im Kern des Hamburger Hafens passiert, sondern trotz einer Minderheitsbeteiligung von 49,9 Prozent eine Familie, die über ihre Aktivitäten noch nie eine Bilanz vorgelegt hat.

Der Hamburger Senat will durch den Verkauf einer starken HHLA-Aktienminderheit an die Besitzer der größten Reederei der Welt den Rückgang des Containerumschlages stoppen, Containerverkehr der MSC von anderen Standorten nach Hamburg lenken, die MSC-Zentrale hierherholen und Investitionen in den Hamburger Hafen ermöglichen.

Dies hat die Verhandlungskommission ohne Auftrag auf eine Weise gemacht, die die Verfügungsgewalt über die Betreibergesellschaft von drei der vier Terminals des Hamburger Hafens vollständig an MSC übergibt: Vertragsgemäß werden alle wichtigen Entscheidungen einstimmig getroffen. Die Anteilsmehrheit Hamburgs von 50,1 Prozent ist somit nicht entscheidend, im Streitfall ist die Anrufung eines Schiedsgerichts möglich, das allein die Wirtschaftlichkeit der strittigen Maßnahme beurteilt als einzige und letzte Instanz, ohne dass die Anrufung weiterer bürgerlicher Gerichte möglich ist. Es gibt eine zweite Verfahrensweise im Konfliktfall, bei der als letzte Stufe sich das Oberhaupt der Besitzerfamilie Aponte und der demokratisch gewählte Bürgermeister der Stadt Hamburg treffen. Sollten die sich nicht einigen, wird der strittige Vorschlag nicht verwirklicht.

Minderheit bestimmt

Der Verkauf der Minderheit an der Terminalholding HHLA an eine Reederei mit der Konsequenz eines Vetos für MSC hat konkurrierende Reedereien vermuten lassen: Hier installiert der Staat ein Monopol, künftig werden andere Reedereien in Hamburg schlechter bedient werden und Fracht künftig besser nicht mehr über Hamburg laufen lassen, wenn sie nicht direkt für Hamburg bestimmt ist. Die vertragliche Versicherung, bis 2030/31 eine Million Standardcontainer mehr in Hamburg umzuschlagen, ist nicht den Computerausdruck wert, auf dem sie geschrieben steht – alle Verträge und Zusicherungen wurden schon im Angebot von MSC unter dem Vorbehalt gemacht, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht ändern. Und noch bevor die Bürgerschaft im Juli 2024 über den Vertragsabschluss in erster Lesung abstimmte, haben sich die Rahmenbedingungen erheblich verändert, indem die Huthi-Rebellen dafür sorgen, dass der Suez-Kanal von der Containerschifffahrt nicht mehr  genutzt wird. Kein Schiedsgericht wird also 2030/31 MSC verurteilen, weil es die Zusagen für mehr Containerumschlag nicht einhält.

Die parlamentarischen Anhörungen haben auch gezeigt, dass der Senat von Hamburg, das sich als »Tor zur Welt« versteht, keine Ahnung von der Welt hat. Ernsthaft trugen die Senatorin Melanie Leonhard und Senator Andreas Dressel vor, dass überall dort, wo Reedereien und speziell MSC Hafenanlagen kauften, es den Häfen gut ginge. Der Senat hält es also für ausgeschlossen, dass MSC gerade diejenigen Häfen aufgekauft hat, denen es gut ging und gut gehen wird.

Der offizielle »Hafenentwicklungsplan für den Hamburger Hafen 2040« besteht aus Werbeprosa und enthält keine Angaben über die sich verändernden Verkehrsströme in der Welt. Obwohl Hamburg einmal vom Umschlag von 25 Millionen Standardcontainern (TEU) pro Jahr träumte, haben die Investitionen der Europäischen Gemeinschaft in Wasserstraßen und Häfen besonders im Mittelmeer und im Ostseeraum dazu geführt, dass weniger Schiffe und Fracht den Umweg über Hamburg machen müssen und ihre Zielhäfen direkt ansteuern, so dass Hamburg höchstens einen jährlichen Containerumschlag von 10 Millionen TEU erreichen konnte.

Das werden auch keine zusätzlichen Investitionen im Hamburger Hafen ändern. Die Ausgaben für Technik hingegen, die MSC vorzunehmen wünscht und zu denen der Hamburger Staat mehr als die Hälfte beisteuern muss, werden dem Hamburger Hafen und der Stadt schaden. Sie werden ausschließlich in den HHLA-Terminals stattfinden und nicht, wie erforderlich, in anderen Bereichen des Hafens. Sie werden dem Ziel dienen, teure Anlagen aufzustellen, die weniger Arbeitskräfte brauchen und die die meiste Zeit untätig herumstehen und auf die wenigen großen Schiffe warten, auf die MSC sich konzentriert. Und sicherlich wird MSC kein Interesse an einem Mehrverdienst durch den Hafenumschlag der HHLA haben, konkurrierende Reedereien sogar fernhalten. Mit ihren Schiffen ist MSC Kundin der HHLA und wird von niedrigen Preisen am Quai profitieren. Verluste der Terminals kann der MSC-Schiffstransport als Gewinn verbuchen, und die HHLA-Verluste trägt zur Hälfte die Stadt. Das sollt e sich rechnen.

MSC ist keine Aktiengesellschaft und unterliegt nicht der gesetzlichen Publizitätspflicht. Der riesige Konzern, der seine Subunternehmen in Steueroasen registrieren lässt, wird als Familienbetrieb geführt und »agiert aggressiv wie Amazon und diskret wie eine Genfer Privatbank«, wie Die Zeit schrieb. Hamburg hat keine Ahnung, mit wem es sich einlässt und scheint aus seinem Debakel mit dem windigen österreichischen Unternehmer Benko nichts gelernt zu haben.

Ist die Ahnungslosigkeit in Wirtschaftsfragen schon skandalös, so grenzt der geforderte Preis für die HHLA an Begünstigung, stellt mindestens eine massive Beihilfe für ein Familienvermögen dar, bei dem Konkurrenten keine Chance hatten, mitzubieten.

Staatskunst

Der Entwurf eines Gesetzes über den Verkauf der HHLA dokumentiert deutlich, wessen Interesse die drei Senatoren vertreten. Ein offenes Bieterverfahren »war rechtlich nicht erforderlich und auch nicht geboten«, sei nicht sinnvoll gewesen und unüblich, weil es »zu Spekulationen im Börsenkurs der A-Aktien geführt« hätte. Mit anderen Worten: Ein öffentliches Bieterverfahren hätte zu höheren Kursen der HHLA-Aktien geführt und die Gefahr hätte bestanden, dass MSC mehr für den Kauf einer Aktienminderheit hätte bezahlen müssen und Hamburg mehr für seinen 20-prozentigen Anteil bekommen hätte.

Der Preis, den MSC für die Aktien der HHLA bot, liegt nach den Ergebnissen der Anhörungen weit unter dem Verkehrswert der HHLA, der sich aus den bisherigen Gewinnausschüttungen, künftigen Ertragsmöglichkeiten und zusätzlich den Monopolgewinnen ermessen lässt, die die Verfügung von MSC über HHLA-Terminals und Metrans erwarten lässt. Klagen waren bei der Europäischen Kommission anhängig, auch von Konkurrenten, weil der Verkauf zum Niedrigpreis zwar eine rechtlich mögliche Variante darstellt, aber ein Verschenken von Staatsvermögen an Private darstellt, und eine Vergabe unter Wert einer staatlichen Beihilfe gleichkommt. Die Kommission hat alle diese Verfahren negativ beschieden beziehungsweise nicht zugelassen – nur die Einbeziehung des Containerterminals im Hafen von Odessa, den die HHLA betreibt, bedarf der Zustimmung der ukrainischen Regierung.

Mit dem Verkauf der HHLA haben die SPD-Senatorinnen nicht nur den Koalitionspartner brüskiert, der nicht informiert war, sondern auch sämtliche anderen Reedereien, die sich mit einem Monopol konfrontiert sehen und Daten über ihre eigenen Geschäfte einem Konkurrenten zufließen sehen. Und auch die anderen deutschen Hafenstädte hat Hamburg vor den Kopf gestoßen, weil die Kooperation für einen Tiefwasserhafen torpediert wird und damit ein Hafenentwicklungsplan des Bundes. Und das zugunsten eines Familienunternehmens, das mindestens für die nächsten 40 Jahre darüber bestimmen wird, was im Zentrum des Hamburger Hafens und der Stadt passieren wird, ohne dass die Stadt mit ihrer Schein-Mehrheit andere städtische Interessen gegen das wirtschaftliche Interesse von MSC durchsetzen kann.

Diejenigen, die sich gewehrt haben gegen den Verkauf, haben einiges erreicht. In Anhörungen wurde deutlich, dass die Verträge der Reederei mehr Macht geben als behauptet. Die Argumente für den Verkauf wurden von allen Expertinnen in der Luft zerrissen und die Überlassung des Kerns des Hamburger Hafens in private Verfügungsmacht als fundamentaler Bruch Hamburger Politik kenntlich. In diesem fast ein Jahr dauernden Konflikt haben die Kritiker die politische Hegemonie errungen, zumindest die Hegemonie des Senats über die Funktionsweise und Zukunftsperspektiven des Hafens gebrochen. Journalist:innen von Mopo, Hamburger Abendblatt bis zur Zeit bezweifelten Gründe, Gestaltung und Erfolge des Hafenverkaufs.

Künftig wird wichtig sein, die Beschäftigten der HHLA und der anderen Hafenbetriebe gegen die heftigen Angriffe zu verteidigen, die von MSC zu erwarten sind und die Diskussion fortzuführen, auf welche Weise Stadt und Elbe naturschonend genutzt werden können und zum Leben in der Stadt beitragen.

Jürgen Bönig sprach als Ver.di-Mitglied erstmals am 11.11.2023 gegen den MSC-Deal.

Hinweise:

https://www.sozonline.de/2023/11/die-interessen-von-msc-sind-nicht-die-interessen-der-stadt-hamburg-und-ihres-hafens

Argumente gegen den Verkauf und eine Broschüre des Autors unter

Ein Hafen für alle, alle für den Hafen

Alle Dokumente der Debatte um den Gesetzentwurf sind unter dem Stichwort HHLA erhältlich über

https://www.buergerschaft-hh.de/parldok

Drucksache 22/14401 vom 13.02.2024

Ein Podcast der Zeit-Autorin Kristina Läsker über MSC unter

https://www.zeit.de/hamburg/2024-05/hamburger-hafen-investoren-msc-deal-hamburg-podcast-elbvertiefung