Interview mit Godehart Hannig vom Kirchhof Oberellenbach
Lunapark21 – Heft 27
Immer wieder heißt es, Bio-Landwirtschaft sei etwas für reiche Großstädter und „Lohas“ („Lifestyle of Health and Sustainability“), die sich die teuren Preise für die Produkte leisten könnten. Tatsächlich sei biologische Landwirtschaft aufgrund der geringeren Erträge aber kontraproduktiv für die Ernährungssicherung. Immer wieder wird sogar behauptet, Bio-Landbau lauge die Böden aus, da die mit der Ernte exportierten Nährstoffe nicht durch Dünger ersetzt würden. Immerhin werden inzwischen über eine Million Hektar der deutschen Agrarfläche – deutlich mehr als fünf Prozent – biologisch bewirtschaftet, Tendenz weiter ansteigend, auch wenn es auch Berichte über Betriebe gibt, die auf konventionelle Landwirtschaft rück-umstellen.
Die Zukunftsfähigkeit von Bio-Landwirtschaft und die Gründe für Erfolge und Misserfolge sind umstritten. Wir wollten es genauer wissen und unterhielten uns mit Godehart Hannig, der seit mehr als 30 Jahren einen Bio-Bauernhof in Nordhessen betreibt.
Warum seid Ihr Bio-Landwirte geworden?
Weil wir anders leben wollten. Uns ist bei der Landwirtschaft eine ganzheitliche Herangehensweise wichtig, und darauf richten wir alle Maßnahmen im Betrieb aus – ob es um die Tiere, die Menschen oder den Boden geht. Es gibt zwar viele Bio-Landbauorganisationen, aber für uns ist genau diese ganzheitliche Betrachtung der Grund, dass wir dem ältesten Bio-Anbauverband Demeter angehören und biologisch-dynamisch wirtschaften. Andere Anbauverbände sind später gegründet worden – zum Teil, weil sie Demeter zwar gut fanden, aber mit der Anthroposophie nichts zu tun haben wollten, zum anderen Teil, weil sie rein aus Umweltschutz-Gründen die Schäden der konventionellen Agrarwirtschaft beheben wollten. Man kann Bio-Landwirtschaft auch mit der generellen Denkweise von konventioneller Landwirtschaft betreiben und nur Minimalstandards umsetzen wie die Vermeidung von chemischen Bioziden und wasserlöslichem Mineraldünger.
Die Frage ist aber immer, was man in den Mittelpunkt stellt: Mein Bedürfnis, um jeden Preis Geld zu verdienen oder die Bedürfnisse der Tiere und der Natur. Daher ist die sogenannte wesensgemäße Betrachtung von Erde, Pflanze, Tier und Mensch ganz entscheidend. Es ist ein offenes Konzept, mit dem ich mich forschend den Dingen nähere, wohl wissend, dass mein Bewusstsein die Dinge noch nicht in ihrer Ganzheit erfassen kann.
Was heißt das in Eurem Alltag?
Das bedeutet, dass wir eine alte und robuste Rasse von Kühen halten statt amerikanischer Hochleistungsrassen, dass die Tiere nur Futter erhalten, das der Physiologie ihrer Verdauung entspricht, dass sie immer einen großen Auslauf haben oder auch, dass wir ihnen eine Bürstenmaschine zur Verfügung stellen. Unsere Kühe geben 5000 bis 5500 Liter Milch pro Jahr. Hochleistungskühe kommen dagegen auf etwa 10000 Liter. Dafür lebt eine durchschnittliche Kuh in Deutschland nur 4,7 Jahre, unsere Kühe aber gut 6 Jahre – und sie haben definitiv ein gesünderes Leben. Auch die Qualität und der Geschmack der Milch, die sie produzieren, sind dadurch sehr viel besser. Hochleistung heißt bei uns: Höchste Qualität, nicht höchste Quantität. Wenn man z.B. die Kühe physiologisch richtig ernährt, geben sie die beste Milch: reich an ungesättigten Fettsäuren, wohlschmeckend und auch für Allergiker verträglicher.
Wie schneiden konventionelle Landwirtschaft, Bio-Landwirtschaft und biologisch-dynamische Landwirtschaft ab in Bezug auf Nachhaltigkeit?
Heutzutage reklamiert jeder für sich Nachhaltigkeit. Der Begriff ist ausgelutscht, und es gibt viel Begriffsverwirrung. Daher wird es bei der Beantwortung dieser Frage schwierig.
Zuerst einmal muss man sagen: Bis etwa zum Jahr 1900 war im Prinzip die gesamte Landwirtschaft weltweit biologisch. Das, was heute die konventionelle Landwirtschaft von der biologischen unterscheidet, gab es damals schlichtweg noch nicht: weder Kunstdünger noch Spritzmittel.
Von der konventionellen Landwirtschaft heißt es, sie sei nachhaltig, weil sie die „Düngung auf Entzug“ durchführt. Das bedeutet, dass sie die dem Boden entzogenen Nährstoffe durch Mineraldünger wieder zuführt. Dazu misst man den Gehalt an löslichen Nährstoffen im Boden, der erwartete Ertrag wird postuliert, und daraus wird die Differenz errechnet. Dann wird entsprechend viel – eher mehr als weniger – gedüngt, damit diese Erträge erreicht werden können. Das ist letztlich die Herangehensweise wie bei einem Chemiebaukasten. Uns Bio-Landwirten wird dagegen vorgeworfen, weil wir das nicht machen, laugten wir die Böden aus und Bio-Landwirtschaft sei daher langfristig nicht nachhaltig. Das ist schlichtweg Unfug, denn die Kunst ist es gerade, durch entsprechende Fruchtwechsel dafür zu sorgen, dass der Boden im Gleichgewicht bleibt. Letztlich saugen die Pflanzen den Boden nicht aus, sondern sie geben dem Boden auch etwas zurück, um die Mineralien in eine lösliche Form und damit verfügbar zu machen. Beide bilden eine Symbiose – es ist ein Geben und Nehmen in beiden Richtungen. Wichtig dabei ist der Stickstoff, der im Boden so ohne weiteres Dazutun nicht in ausreichender Menge vorhanden ist. Er wird organisch durch Leguminosenanbau (Klee, Luzerne, Bohnen, Erbsen) und tierischen Dünger eingetragen. Leguminosen haben in Symbiose mit Knöllchenbakterien die Fähigkeit, große Mengen von Stickstoff aus der Luft aufzunehmen und in den Wurzeln einzulagern, wo sie beim Umbrechen freigesetzt und in die Humusbildung einfließen. Zugespitzt könnte man sagen: Der Öko-Landwirt ist letztlich kein Produzent von irgendetwas, sondern Stickstoffmanager. Denn das ist das Einzige, was er aktiv in den Prozess des Pflanzenwachstums einbringen kann. Alles andere machen die Pflanzen zusammen mit dem Boden ganz von alleine.
Was den Boden angeht wird aber noch etwas Entscheidendes vergessen: Wo kommt eigentlich der Geschmack in den Produkten her? Der Weinkenner weiß das: Der Geschmack kommt aus dem Boden; die gleiche Rebsorte kann in zwei benachbarten Weinbergen mit unterschiedlichen Böden ganz verschiedene Weine hervorbringen. Bei anderen Pflanzen ist das nicht anders. Es geht dabei um viele Spurenelemente und Feinmineralien. Und die biologisch angebaute Pflanze trägt selbst dazu bei, diese Mineralien zu lösen, indem sie mehr Wurzeln bildet und selbst in die Bodenchemie eingreift.
Das bedeutet aber umgekehrt, dass ein Bio-Betrieb sich nicht nur auf ein Produkt beschränken kann, weil dann dieser Kreislauf nicht funktioniert?
Genau, ein Biobetrieb muss deswegen immer ein gemischter Betrieb sein – mit Landwirtschaft und Tieren. Viele Landwirte wollen sich jedoch in nur eine Richtung spezialisieren, weil ein gemischter Betrieb sehr viel aufwändiger ist. Das ist eine der Begrenzungen für den Bio-Landbau in Deutschland.
Wie ist in dem Zusammenhang der Trend zu vegetarischer und veganer Ernährung zu sehen? Angenommen, alle Menschen würden sich nur noch so ernähren, könnte man dann insgesamt mehr Menschen ernähren oder gäbe es durch die zu verändernden Kreisläufe auch neue Probleme?
Nur mit Gartenbau wäre das sicherlich möglich, aber bei Getreide wird es schon schwierig: Man braucht beispielsweise Klee zur Stickstoffanreicherung, der muss aber wieder von Tieren gefressen werden, und auch die Düngung mit tierischen Produkten wäre natürlich nicht möglich. Der Klee wird auch aus ackerbaulichen Gründen benötigt, um bestimmte Wurzelunkräuter zu bekämpfen. Auch Grünland, also Wiesen, sind für das Ökosystem und das Klima wichtig; die einzige sinnvolle Nutzung ist aber das Futter für sogenannte rauhfutterfressende Tiere (Kühe, Ziegen u.ä.). Zumindest in unserer momentanen Art der Landwirtschaft sehe ich nicht, wie das ganz ohne Tiere funktionieren sollte. Ich bin aber generell der Auffassung, dass sehr viel weniger und bewussterer Fleischverzehr nicht nur dem Klima, sondern auch unserer Gesundheit sehr gut tun würde. Und diese Mengen könnte man dann auch in biologischer und wesensgemäßer Tierhaltung produzieren.
Muss Biolandwirtschaft immer eine kleine Nische bleiben oder könnte man die Menschheit auch heute ganz auf diesem Wege ernähren?
Ich denke, man könnte und sollte die Menschheit so ernähren, und mit weniger Fleischverzehr wäre das in jedem Fall sehr viel einfacher. Bio-Landwirtschaft vor der Industrialisierung hatte häufig Hungersnöte zur Folge. Wir sind heute sehr viel weiter, und daher findet auch die biologische Landwirtschaft heute auf ganz anderem Niveau statt. Wir haben ein viel besseres Bodenmanagement und viel mehr Wissen um die Nährstoffverluste und die Möglichkeiten, diese wieder auszugleichen. Und die Erträge in der Bio-Landwirtschaft sind nicht immer so viel schlechter. Generell reagieren schwächere Böden besser auf die biologische Bewirtschaftung; in trockenen Jahren erbringen sie wegen des höheren Humusanteils im Boden und der tieferen Wurzeln manchmal sogar mehr Ertrag als der konventionelle Landbau.
Wir dürfen aber auch nicht nur die absolute Menge von produzierten Nahrungsmitteln sehen, denn wir werfen auch viel zu viele Nahrungsmittel weg – auch hier steckt ein Teil der Lösung. Und man muss auch sehen, welche anderen Vorteile eine rein biologische Landwirtschaft hätte: Wir stecken jedes Jahr 80 Milliarden Euro in die Trinkwasserreinigung. Pro Hektar werden 100 Kilogramm Stickstoff zu viel gedüngt – das sind bei 20 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche in Deutschland zwei Millionen Tonnen. Ein erheblicher Teil davon muss dann wieder aus dem Trinkwasser herausgefiltert werden – auch das könnten wir uns sparen!
Wie sieht es mit der Einflussnahme von Lobbyverbänden auf die Politik aus? Hat die kommerzielle Landwirtschaft einen größeren Einfluss auf die Gesetzgebung?
Definitiv ja. Die Agrar-Lobbyverbände arbeiten in eine ganz andere Richtung als wir; sie wollen immer mehr Subventionen für ihre Art zu wirtschaften. Bei der EU arbeiten 700 Agrarlobbyisten, davon nur 30 für Bio-Landwirtschaft. Es gibt eine strategische Lobbypartnerschaft von Bauernverband, Agrarchemie, Forschung sowie Lebensmittelverarbeitung und -handel. Sie alle treten oft gemeinsam auf und arbeiten mit ihrem riesigen Lobbyapparat in die gleiche Richtung. Das sieht man beispielsweise bei der Verwendung von Rohmilch in Käseprodukten: Es heißt, die Keime seien gefährlich, daher sei das Pasteurisieren der Milch wichtig. Das Pasteurisieren denaturiert aber auch Eiweiße und Fette und führt zu ganz anderen, schlechteren Produkten. Alle Spitzenkäse weltweit sind aber Rohmilchkäse. Hätten wir die Franzosen nicht in der EU, wären die alle schon längst verboten – ohne einen wirklichen Grund. Und die lokalen Bakterien spielen für die Qualität eine entscheidende Rolle – ob das im Ort Camembert ist oder in den Höhlen von Roquefort! Deshalb gibt es so viele regionale Käse, die nur an bestimmten Orten in einer bestimmten Art produziert werden können, und das macht die Vielfalt aus.
In der konventionellen Milchwirtschaft wird die Milch vom Bauern zur Molkerei in Deutschland durchschnittlich über 570 Kilometer transportiert, und dort kommt die Milch von vielen Höfen zusammen. Da ist Pasteurisieren unerlässlich. Nicht wegen der „Hygiene“, sondern aus Gründen der Betriebssicherheit. Aber die Regelungen, die für die Großindustrie Sinn machen, dürfen nicht auf alle angewendet werden. Sonst macht man über Rechtsgleichheit die handwerklichen Betriebe kaputt. Die Pluralität muss aber erhalten bleiben! Eine Lobby, die so viel Geld hat, darf nicht ständig Gewalt gegen die ausüben, die anders arbeiten. Unser größtes Gut ist die Freiheit. Wir brauchen keine Ernährungsdiktatur!
Seht Ihr zusätzliches Potenzial für Biolandwirtschaft, wenn mehr in die Forschung dafür investiert würde? Wären so auch auf natürlichem Wege deutlich höhere Erträge möglich?
Ja, es wäre viel mehr machbar. In den Agrarwissenschaften müsste die ökologische und bio-dynamische Forschung unbedingt gestärkt werden – momentan haben beide allenfalls den Status einer Orchideenwissenschaft. Großen Forschungsbedarf sehe ich beispielsweise bei der Symbiose von Boden und Pflanze, bei der Frage der Tiergesundheit und Tierernährung und bei der Qualität in allen Bereichen. Hier ist noch viel Forschungsarbeit notwendig! Als Landwirt würde ich gerne besser verstehen, was da passiert – und auch dabei sollte es nicht nur um den physikalisch-stofflichen Blick auf die Welt gehen, sondern um eine ganzheitliche Perspektive.
Könnt Ihr von Eurer Arbeit gut leben?
Ich bezweifele, dass viele Menschen von der Landwirtschaft gut leben können. Vielleicht etwa 25 Prozent Vorzeigebetriebe, aber für den Rest ist es sehr schwer – ob bio oder nicht. Der Karren mit der Landwirtschaft ist schon in den 1950er Jahren in den Dreck gefahren worden. Damals hat man fälschlicherweise gedacht, Landwirtschaft müsse ein Wirtschaftszweig wie jeder andere werden – und niedrige Preise wurden zum obersten Kriterium erklärt. Die Konsumwirtschaft will billige Produkte ohne Preisschwankungen. Subsistzenzlandwirtschaft wurde damals weitgehend abgeschafft, indem die Rahmenbedingungen politisch verändert wurden; viele Menschen sind in die Industrie abgewandert, und die Betriebe wurden immer größer – bis heute.
Durch diese enorme Größe der Betriebe ist Landwirtschaft heute grundsätzlich schwierig. Das Grundproblem ist der enorm hohe Kapitalbedarf: Man benötigt etwa 275000 Euro pro Arbeitsplatz – bei einer extrem geringen Rendite. Das zweite riesige Problem ist die Subventionspolitik, die nach dem Krieg mit dem Argument der Vorratsbeschaffung für schlechte Zeiten eingeführt wurde. Diese Subventionen sind zum politischen Steuerungsinstrument geworden, steuern aber genau in die falsche Richtung. Zur Begründung wird immer wieder der Weltmarkt als Phantom aufgebaut, obwohl er für die tatsächliche landwirtschaftliche Produktion im Land kaum eine Rolle spielt.
Unter welchen Bedingungen könntet Ihr mit Eurem Betrieb wirtschaftlich arbeiten?
Unser Betrieb kann sich wirtschaftlich tragen. Unser spezielles Problem hier ist jedoch: Der Kirchhof hat völlig ohne Eigenkapital angefangen. Er ist im Prinzip ein Projekt der neuen Commons-Bewegung – es haben sich viele Menschen mit beteiligt, die einen solchen Betrieb aufbauen wollten. Wir sind weiter auf der Suche nach Beteiligungen, um die nächsten Entwicklungsschritte zu machen, die den Kirchhof dauerhaft in die Erfolgszone bringen werden.
Und was wären Eure Forderungen an die Landwirtschaftspolitik, um Bio-Landwirtschaft attraktiver zu machen?
Meine politische Forderung wäre: Alle landwirtschaftlichen Subventionen sollten komplett abgeschafft werden, mit Ausnahme des Bergbauernprogramms, das man als Dienstleistungsprogramm und nicht als Subventionsprogramm weiterentwickeln müsste. Das Ziel dieses Programms ist es, dass Flächen, die unrentabel für landwirtschaftliche Nutzung sind und zugleich hohen ökologischen Wert besitzen, nicht verwahrlosen, verbuschen oder verwalden.
Die Folge eines solchen radikalen Subventionsabbaus wären: Die Preise würden endlich die Realität der Produktion abbilden und ein ehrliches Verhältnis zwischen Erzeugern und Verbrauchern schaffen. Derzeit ist es ja so, dass die Verbraucher im Supermarkt einen billigen Preis bezahlen, aber dazu kommen die Steuern zur Zahlung von Subventionen und Folgeschäden (Trinkwasseraufbereitung). Parallel zur Absenkung der Subventionen müsste es eine Steuersenkung geben, die ja mit dem eingesparten Geld leicht möglich wären. Damit hätten die Verbraucher dann mehr Geld in der Tasche, um selbst entscheiden zu können, für welche Produkte sie das Geld ausgeben möchten.
Landwirtschaft muss als Gemeingut aufgefasst werden. Luft, Wasser und Nahrungsmittel zählen zu den Grundbedürfnissen, ohne die ein Mensch nicht leben kann. Unser Hof ist beispielsweise mit der Unterstützung vieler Menschen aufgebaut worden. Auf vielen Höfen steht nun in den nächsten Jahren ein Generationswechsel an. Dadurch geht zwar einiges der ursprünglichen Energie verloren, aber auch viel von dem „Spinnertum“ der ersten Generation; es findet eine gewisse Konsolidierung statt, die ich für sinnvoll halte.
In der „Nachhaltigkeits-Szene“ wird der Wertewandel hin zu Bioprodukten immer wieder beschworen. Seht Ihr diesen Wandel tatsächlich oder betrifft das nur die großen, kommerziellen Bio-Anbieter in den Supermärkten?
Die Zuwächse sind über die ganzen Jahre tatsächlich vorhanden, und die Akzeptanz wird größer. Mein Eindruck ist allerdings: Viele Kunden kaufen wegen Qualität und nicht wegen „bio“. Es geht ihnen also eher um einen sensorisch fühlbaren als einen intellektuellen Wert! Die großen Ketten ziehen mit, weil da viel Geld zu verdienen ist. Sie bringen somit die gleichen Absatzstrukturen in die Biobranche: Es muss billiger werden und länger haltbar sein! Aber mit dieser Methode wurde schon in der konventionellen Landwirtschaft alles schlechter.
Seht Ihr dabei auch Konflikte zwischen biologischem Anbau und Ökologie? Man denke an die berühmten Bio-Äpfel aus Neuseeland oder Bio-Milchprodukte, die durch ganz Deutschland transportiert werden.
Man muss hier unterscheiden zwischen Öko-Landwirtschaft und Ernährungsökologie: Ersteres bezieht sich zunächst nur auf die Art, wie Pflanzen wachsen, wie der Boden behandelt wird und welche Produkte daraus entstehen. Ernährungsökologie beinhaltet die Wechselwirkungen der Ernährung mit dem einzelnen Menschen, der Umwelt und der Gesellschaft.
Der Bio-Boom wird leider vorwiegend durch Importe abgedeckt – da stehen Italien und Argentinien an erster Stelle. In der deutschen Bio-Landwirtschaft sind die Zuwächse dagegen gering. Das hat aber auch viel mit den bestehenden Strukturen zu tun: Die Handelsstrukturen in Deutschland sind stark monopolistisch, fünf Händler vertreiben 85 Prozent der Lebensmittel. Das spricht nicht besonders für die Ökobilanz der Produkte, und unsere Strategie ist daher, uns aus diesen Handelsstrukturen einfach herauszuhalten. Jeder kann aber selbst darauf achten, möglichst lokale Produkte zu kaufen. Die Strategie der regionalen Vermarktung funktioniert aber nur mit einer diversifizierten Produktion – also mit Höfen, die viele unterschiedliche Produkte herstellen und dann direkt an Endkunden und den Einzelhandel sowie die Gastronomie liefern. Das bedeutet aber auch, dass man keine Skaleneffekte bei der Produktion hat, die Produkte sind aufgrund des kleinen Produktionsmaßstabs letztlich teurer.
Was sind Eure Herausforderungen für die Zukunft?
Wenn wir die Welt verändern wollen, dann müssen wir uns selbst zusammentun und Initiativen starten. Aber auch die langfristige Stabilisierung ist eine Herausforderung: Der Kirchhof bräuchte jetzt jüngere Leute, die internet-fit sind und neue Kommunikationsebenen aufbauen. Community Supported Agriculture (CSA) ist eine interessante neue Idee, aber für uns sehe ich das nicht als Möglichkeit, da wir keine große Stadt in der Nähe haben, wo viele Menschen leben, die dabei mitmachen. Generell geht es aber nicht um das große Geld, sondern vor allem um das gemeinschaftliche Tragen des Hofes. Der Hof hat enormes Potenzial, aber er ist eben noch nicht fertig. Gemeinschaft muss lebendig sein und sich immer weiterentwickeln.
Die Fragen stellten Simone Holzwarth und Bernhard Knierim, der einen eigenen Bezug zum Kirchhof hat, da seine Schwester dort seit mehr als zehn Jahren arbeitet.
Der Kirchhof Oberellenbach wurde 1981 von Renate und Godehart Hannig aus einer verlassenen alten Hofstelle neu zu einem Demeter-Betrieb aufgebaut – anfangs nur für die Selbstversorgung. Seitdem ist er beständig gewachsen und vermarktet inzwischen eine Vielzahl von Produkten in der Region. Dabei verbindet der Betrieb die biologisch-dynamische Landwirtschaft mit der sozialen Arbeit, indem auch mehrere Menschen mit Behinderung oder schwierigem sozialem Hintergrund auf dem Hof Arbeit finden. Heute bewirtschaftet der Kirchhof mit 9 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Fläche von 150 Hektar und beherbergt Kühe, Ziegen, Pferde, Esel und Hühner. Das wichtigste Produkt ist der hochwertige Rohmilchkäse, der in der eigenen Hofkäserei hergestellt wird.
Weitere Infos: www.kirchhof-oberellenbach.de
1 Gedanke zu “Bio-Landwirtschaft – Zukunft oder Irrweg?”
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