Vom Zockerparadies zum Finanzloch

Die Kärntner Hypo Alpe Adria-Bank
Hannes Hofbauer. Lunapark21 – Heft 23

Die große Welt im Kleinen. Die Geschichte der ehemaligen Kärntner Landesbank bietet ein ideales Sittenbild spätkapitalistischer Verhältnisse in Europa. Sie steht beispielhaft für deren gesellschaftliches Grundverständnis, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren. Begonnen hat alles nach der sogenannten Wende in Osteuropa, die zu einem enormen Expansionsschub gerade im Bankensektor führte. Aus dem beschaulichen Landesinstitut, das 1992 mit einer Bilanzsumme von (umgerechnet) 2 Milliarden Euro operierte, wurde binnen 15 Jahren die in sieben Ländern (insbesondere Kroatien und Bosnien) tätige, sechstgrößte Bankengruppe Österreichs mit einer Bilanzsumme von 42 Milliarden Euro.

Im Schatten des vermeintlich grenzenlosen Aufstieges hat sich ein fein ziseliertes Kärntner Finanzsystem etabliert, das die lokale rechts-konservative Koalition aus FPÖ und ÖVP für sich zu nutzen wusste und das gleichzeitig internationalen Investoren fette Gewinne zuschanzte. Die Hypo Alpe Adria, bis 2007 in mehrheitlichem Besitz der Kärntner Landesregierung, war seit Mitte der 1990er Jahre vornehmlich auf drei Feldern aktiv, die sich später als extrem verlustreich herausstellen sollten: Sie kreditierte Unsummen für den Kauf von Industrieanlagen und den Bau von Tourismusprojekten in Kroatien, Slowenien und Bosnien, finanzierte die paternalistische Sozialpolitik von Landeshauptmann Jörg Haider und spekulierte auf Offshore-Finanzmärkten. Als Sicherheit genügte in der Regel ein Shake Hands mit einem führenden Landespolitiker.

Bank zur guten Haider-Hand
Im Portfolio der Bank fanden sich die kroatischen Aluminiumbetriebe Aluflex und TLM, eine Unzahl von fertigen, halbfertigen und projektierten Hotelanlagen entlang der adriatischen Küste, Yachthäfen und vieles andere mehr. Auch die rechte Sozialpolitik, auf deren Basis ein Jörg Haider in Kärnten bis zu 42 Prozent Zustimmung erlangte, war ohne die Hypo nicht denkbar: Legendär waren z.B. der sogenannte „Teuerungsausgleich“ in Form eines 100-Euro-Scheins, den sich Bedürftige beim Landhaus abholen konnten; landeseigene Tankstellen boten billigeres Benzin an, ein Mutter-Kind-Geld sollte für zügigere Reproduktion sorgen. Der fragwürdige soziale Paternalismus fand sein ökonomisches Gegenstück in zügelloser Spekulation. Hunderte Millionen Euro versickerten in der Steueroase Jersey, während die Finanzbehörde im kanadischen British Columbia eine Hypo-Tochter „für alle Zeiten“ vom lokalen Wertpapierhandel ausschloss, weil selbige 2006/2007 wertlose Aktien (Penny-Stocks) in Spam-E-Mails zum Kauf angepriesen hatte.

Im Dezember 2006 und März 2007 trat eine Investorengruppe rund um den Vermögensberater Thilo Berlin auf den Plan und erwarb für relativ wenig Geld einen knapp 10-Prozent-Anteil an der Bank. Die Süddeutsche Zeitung schrieb später, am 1. Januar 2010, dass der Gruppe zu diesem Zeitpunkt bereits die bevorstehende Übernahme der Hypo durch die Bayerische Landesbank (Bayern LB) bekannt gewesen sein dürfte, die zu einem – kurzfristigen aber beträchtlichen – Wertzuwachs der Anteile führte. Im Rahmen von Gerichtsverfahren tauchte später nach einer Hausdurchsuchung der Münchner Staatsanwaltschaft die Liste der Investoren auf und wurde öffentlich gemacht. Die 46 Namen darauf lesen sich wie ein Who is Who des österreichischen und deutschen Großkapitals: Veit Sorger (Ö, Papier, Chef der Industriellenvereinigung), die Grafen Mathias und Ferdinand Orsini-Rosenberg (Ö, alter Adel, Grundbesitz), Marie Maculan (Ö, Bauwirtschaft), Hans Werner Aufrecht (D, Mercedes-AMG), Piech Vermögensverwaltung (D), Oliver Marc Schwarzkopf (D, Kosmetik), Ingrid Flick (D, Vermögen), Arndt Klippgen (D, Papier) u.a. Für diese Investorengruppe war der Hypo-Coup ein gutes Geschäft ohne große Anstrengung. Denn am 22. Mai 2007 kaufte die Bayerische Landesbank die Mehrheit an der Hypo. Die Aktien hüpften in die Höhe, die Aktionäre ihnen nach. Und Thilo Berlin verkaufte zum für ihn günstigsten Zeitpunkt.

Von nun an ging‘s bergab, Hypo und Bayern LB hatten ihre Schuldigkeit getan. Und von jenseits des Atlantiks zogen dunkle Krisenwolken auf. Im Dezember 2008 – ein Jahr nach der spektakulären Übernahme; der Bayerischen Landesbank gehörten mittlerweile zwei Drittel der Hypo – wurde der zwischenzeitlich von München zum Vorstandsvorsitzenden der Hypo bestimmte Thilo Berlin beim österreichischen Finanzministerium vorstellig. Das hatte mehrere Milliarden Euro zur Rettung maroder österreichischer Banken aufgelegt. Die Hypo brauchte 900 Millionen davon und erhielt sie anstandslos. Der Niedergang war damit allerdings nicht aufzuhalten. Die Investments im Osten entpuppten sich als Blasen, Spekulationen brachten Mega-Verluste und nun machte sich auch bemerkbar, dass es seit dem 11. Oktober 2008 die schützende Hand über dem Institut nicht mehr gab; Jörg Haider war in den Tod gerast. Thilo Berlin gab auf, die Bayern LB geriet in Panik und zwang die österreichische Bundesregierung zu einem „Notaufkauf“.

Die 3-Euro-Verstaatlichung
Am frühen Montagmorgen, dem 14. Dezember 2009, eine Stunde vor Kassabeginn, unterzeichnete der österreichische Finanzminister Josef Pröll den Kaufvertrag. Um drei Euro übernahm die Republik den maroden Laden: je ein Euro ging an die Eigentümer zur Bayern LB, zur Grazer Wechselseitigen und an die Kärntner Landesregierung. Es gab eine Einmalzahlung von 800 Millionen Euro seitens des bayerische Mehrheitseigentümers; damit entledigte sich dieser eines unmittelbar bevorstehenden Zuschussbedarfs von weiteren 3 bis 4 Milliarden Euro und einer Ausfallhaftung in Höhe von 18 Milliarden Euro, dem Achtfachen des Kärntner Landesbudgets. Dem staunenden Publikum wurde der Vorgang als „alternativlose Rettung in letzter Not“ verkauft, zu der auch – was für ein Argument! – EZB-Chef Jean-Claude Trichet geraten habe.

Im Januar 2010 setzte die Republik den ehemaligen Kurzzeit-Finanzminister Johannes Dietz (ÖVP) als Aufsichtsratsvorsitzenden der notverstaatlichten Hypo ein. Drei Jahre, so hieß es damals, würden er und seine Mannen brauchen, um das Schlamassel zu ordnen und die Leichen im Keller zu sichten. Er schaffte es nicht. Sein Rücktritt im Juni 2013 schlug wie eine Bombe ein. Denn mittlerweile war eine Reihe von nationalen und internationalen Rechtsstreitigkeiten anhängig. Die Bayern LB zerrte den neuen Eigentümer der Bank, die Republik Österreich, vor den Kadi, weil sich Wien seit Dezember 2012 weigert, im Kaufvertrag vereinbarte Kreditrückzahlungen an München zu leisten. Insgesamt 4,5 Milliarden Euro will die Bayern LB vom österreichischen Staat zurück, die sie nach der Übernahme der Hypo – angeblich – als Kredit gegeben hatte. Österreich betrachtet diese Summe seit Dezember 2012 als Eigenkapital. Bis Dezember 2012 flossen 2,2 Milliarden (von 4,5 Milliarden) an die Bayern LB retour, die restlichen 2,3 Milliarden Euro will München nun per Gerichtsentscheid einklagen.

Finanzkrieg München – Wien
Am 22. August 2013 holte dann Wien zum Gegenschlag aus und klagte seinerseits gegen die Bayern. Der Gegenstand der Klage: jene 2,2 Milliarden Euro, die bis Dezember 2012 – ungerechtfertigter Weise, wie in Wien betont wird – als Kreditrückzahlung nach München gingen. Kredit oder Eigenkapital, das ist die alles entscheidende Frage. Der Streit ist heftig. Um dieselben 4,5 Milliarden Euro geht es übrigens in einem weiteren Streit, der zwischen der EU und Wien ausgetragen wird. Brüssel sieht in der mit der Bayern LB vereinbarten Rückzahlungssumme eine unerlaubte Garantie, die laut Vertrag nur dann wirksam werden könne, wenn die Republik das Unternehmen in eine Good Bank und eine Bad Bank zerschlägt. Und Brüssel hakt nach: weil laut Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia nur eine fünfjährige Übergangsperiode für die Reprivatisierung von (Not)Verstaatlichungen vorgesehen ist, ansonsten der Wettbewerb als verzerrt gilt, drängt er auf Verkauf. Ein solcher ist nur mit Zerschlagung des Unternehmens möglich. Damit wiederum würde die Garantievereinbarung zwischen Hypo und Bayern LB in Kraft treten, um deren Charakter (Kredit oder Eigenkapital) gleichzeitig an der inneren Front gestritten wird.

Wien sieht jedenfalls die fünfjährige Frist noch nicht als abgelaufen, denn die offizielle Verstaatlichung fand erst im Dezember 2009 statt. Brüssel wiederum begreift bereits die 900 Millionen Euro schwere Rettungsaktion vom Dezember 2008 als staatlichen Eingriff. Die öffentliche Debatte darüber verprellt mögliche Investoren, die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz steigt, 16 Milliarden Euro Miese stehen derzeit in den Büchern …
Typisch systemimmanent gestaltet sich auch die Aufarbeitung der Misere, die das österreichische Budget schon mehrere Milliarden Euro gekostet hat und noch weitere 16 Milliarden Euro kosten könnte. Neben den großen Gerichtsverfahren München gegen Wien, Wien gegen München und Brüssel gegen Wien, wird Schuld und Sühne auch im Kleinen bei Justitia gesucht. Die Zahl der wegen der Hypo-Causa vor Gericht stehenden wird von Monat zu Monat unüberschaubarer. Namen wie Piech, Sorger, Senger-Weiss, Orsini-Rosenberg, Maculan, Schwarzkopf oder Flick wird man allerdings vergeblich auf Anklageschriften suchen. Es sind gut bezahlte hohe Angestellte und fallengelassene Politiker, die sich im Umfeld der Hypo-Pleite gerichtlich verantworten müssen. Da wurden mittlerweile in Kroatien der ehemalige Ministerpräsident Ivo Sanader und ein Ex-Vizeverteidigungsminister, General Vladimir Zagorec, zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Dem einen wurde illegale Provisionsannahme zum Verhängnis, dem anderen Veruntreuung und Geldwäsche. In Österreich laufen Strafverfahren gegen den früheren Kärntner ÖVP-Chef Josef Martinz, den damaligen Hypo-Vorstand Wolfgang Kulterer und ein gutes Dutzend andere Politiker, Rechtsanwälte und Steuerberater. Mehrjährige Haftstrafen, zumeist noch nicht rechtskräftig, wurden ausgesprochen.

Für die Republik Österreich ist die Hypo-Akte noch lange nicht aufgearbeitet. Die Sozialisierung der Verluste wird – neben bereits geleisteten Zuschüssen – demnächst höchst konkret zu Buche schlagen. Politisch verantwortliche Administratoren bangen vor letztinstanzlichen Gerichtsurteilen, die manche von ihnen – wie ihre kroatischen Kollegen – hinter Gitter bringen werden. Die Damen und Herren der raschen Abzocke hingegen, die vor allem beim Eigentümerwechsel von Klagenfurt nach München Kasse machten, bleiben ungeschoren. In diesen Personen manifestiert sich das Primat der (kapitalistischen) Ökonomie über die Politik in idealtypischer Weise.

Hannes Hofbauer veröffentlichte mehrere Bücher zu Osteuropa. Von ihm erschien jüngst – gemeinsam mit Ko-Autor David Noack – Die Slowakei. Der mühsame Weg nach Westen im Promedia Verlag (Wien 2012). Hofbauer ist Mitglied der LP21-Redaktion.

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