Toter Mandela, guter Mandela. kolumne winfried wolf

Die deutsche Verantwortung für das Apartheid-Regime und den Atomstaat Südafrika
Lunapark21 – Heft 24

Nach Nelson Mandelas Tod ließ Barack Obama in den USA die Flaggen auf halbmast setzen. Er pries Mandela als „Mann des Friedens“. Der US-Präsident entscheidet mehrmals im Monat darüber, welche Menschen völkerrechtswidrig mit US-Drohnen getötet werden – nicht zuletzt auf afrikanischem Boden.
Die deutsche Bild-Zeitung bezeichnete den toten Mandela als „Ikone der Weltgeschichte“. Das Blatt verschweigt die Rolle, die Bild jahrzehntelang bei der Verteidigung des Apartheid-Regimes spielte. Axel
Cäsar Springer, Eigentümer des Springer-Verlags, war persönlich eng mit dem Apartheid-Regime verbunden.[1]
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel pries Mandela als „Staatsmann mit einer Botschaft, die in allen Ländern und zu allen Zeiten Gültigkeit hat.“ Mandela sprach sich zwar zum Zeitpunkt, als sich der Sieg der schwarzen Bevölkerungsmehrheit abzeichnete, für Versöhnung aus. Doch seine „Botschaft“ zuvor lautete ausdrücklich, dass Gewalt gegen ein Unrechtsregime, wie es in Südafrika herrschte, berechtigt sei.[2]

Mit Blick auf die ehemalige DDR-Bürgerin Merkel ließe sich auch anmerken, dass im Gegensatz zur BRD die DDR Mandela und den ANC unterstützt hatte. Mandela nahm später darauf des öfteren positiv Bezug und kritisierte den Umgang der deutschen Regierung mit dem DDR-Erbe.[3]

Frau Merkel agierte bei dem angeführten Zitat als deutsche Bundeskanzlerin. Damit erscheint ein Blick auf die engen Beziehungen zwischen dem westdeutschen Staat und dem Rassisten-Regime in Südafrika von Bedeutung. In der offiziellen deutschen Berichterstattung anlässlich des Todes des bewundernswerten Menschen Nelson Mandela wird dieser Aspekt komplett ausgeklammert. Tatsächlich zählte die Bundesrepublik Deutschland neben Großbritannien und Israel jahrzehntelang zu den drei entscheidenden Unterstützern des südafrikanischen Apartheid-Regimes. Die Zusammenarbeit Bonn-Pretoria fand auf einer politischen, einer ökonomischen und einer militärisch-atomaren Ebene statt.

Politisch: Seit der NS-Diktatur gab es enge Kontakte zwischen der deutschen Regierung und dem südafrikanischen Rassisten-Regime. Diese unsägliche Tradition setzte der Bonner Staat fort. Der deutsche Bundespräsident Lübke erklärte 1959 in Südafrika: „Ich weiß die Rassenprobleme hier in guten Händen.“[4] Der maßgebliche CSU-Politiker Franz-Josef Strauß weilte zehn Mal in offizieller Mission in Südafrika – zuletzt 1988, im Auftrag von Bundeskanzler Helmut Kohl. Er trat dort immer als Verteidiger des Rassisten-Regimes auf. Es gab für diese Position sogar indirekte Unterstützung durch die westdeutschen Gewerkschaften. 1978 sprach sich der Vorstandsvorsitzende der IG Metall, Eugen Loderer, gegen einen Wirtschaftsboykott Südafrikas, wie er von der UNO gefordert wurde, aus.[5]

Ökonomisch: Die BRD war einer der drei wichtigsten Handelspartner des Apartheid-Staats, in vielen Jahren sogar der wichtigste. Diese Rolle nahm der Bonner Staat in offenem Widerspruch zu der UN-Forderung nach einem Wirtschaftsboykott ein. Die westdeutschen Regierungen und die deutschen Konzerne (u.a. VW, BMW, Daimler, Siemens, Leybold-Heraeus, MBB) blieben dem Rassisten-Regime in Pretoria bis zuletzt verbunden. In einem Schreiben des Industriellenverbandes BDI an die Bundesregierung vom 16. September 1977 hieß es: „Die Befolgung der Gesetze des Gastlandes (des Apartheid-Staats Südafrika; WW) ist eine unabdingbare Voraussetzung für die wirtschaftliche Betätigung deutscher Firmen…“[6] Verblüffend und erschütternd ist: Die deutsch-südafrikanische Zusammenarbeit wurde 1970 bis 1981 so stark wie nie zuvor ausgebaut. Dies erfolgte ausgerechnet in den Jahren mit einem sozialdemokratischen Kanzler.[7]

Militärisch-atomar: Die Bonner Regierung und deutsche Konzerne waren maßgeblich daran beteiligt, dass sich der Rassisten-Staat atomar bewaffnen konnte. Eineinhalb jahrzehntelang wurde der Aufbau einer Atommacht Südafrika von der Regierung in Bonn unterstützt und vorangetrieben. Deutsche Konzerne lieferten eine Urananreicherungsanlage, die der TÜV Rheinland mit Niederlassung in Johannesburg (!) „überwachte“. 1979 war es soweit: Südafrika zündete eine erste Atombombe. Und es war der ANC, der bereits 1975 eine Dokumentation über die „Nukleare Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Südafrika“ vorlegte.[8] Seitens führender Vertreter des Apartheid-Regimes wurde offen ausgesprochen, dass man die rassistische Herrschaft gegebenenfalls mit atomaren Waffen verteidigen wolle. Connie Mulder, südafrikanisches Regierungsmitglied, äußerte 1975 unzweideutig: „Bis hierher und nicht weiter. Wir werden handeln, ob das einen dritten Weltkrieg verursacht oder nicht.“[9]

Dass es dazu nicht kam, ist vor allem der anwachsenden Bewegung des ANC zu verdanken. Dies hatte aber auch zu tun mit einer Art kollektiver Restvernunft der Weltbourgeoisie. Das weiße Rassistenregime rüstete Anfang der 1990er Jahre und noch vor der Machtübergabe an den ANC atomar ab. Laut UN-Organisation IAEO wurde 1992 in der Urananreicherungsanlage in Palindaba Material für 20 Atombomben sichergestellt.

Alle, aber auch wirklich alle Artikel, die über Mandelas Tod und das heutige Südafrika berichten, gehen darauf ein, dass Mandelas Traum von einem Südafrika der Gleichheit nicht erfüllt wurde, dass die vom ANC geführten Regierungen durch und durch korrupt seien.

Wohl wahr! Zu fragen ist: Warum ist das so? Natürlich liegt dafür ein großer Teil der Verantwortung beim ANC selbst. Doch es sind vor allem der westliche Kapitalismus und der Imperialismus, die auf ein solches Szenario gezielt abzielten. Der deutsche Bundespräsident Heinrich Lübke hatte in der bereits angeführten Rede in Pretoria 1959 auch gesagt: „Afrika ist die Flankendeckung für Europa. Wenn Afrika kommunistisch wird, dann ist auch Europa in die Zange genommen.“ Damit war gemeint: Ein unabhängiges und demokratisches Afrika hätte die neokoloniale Beherrschung des afrikanisches Kontinents, wie sie heute noch existiert (und auf deren Basis wir u.a. alle preiswerte Handys mit lustigen Klingeltönen haben), verhindert. Auf die Kontinuität dieser Herrschaft zielte die gesamte westliche Politik seit dem offiziellen Ende der Kolonialherrschaft. Der Mord an Patrice Lumumba (1961), die westliche Unterstützung für die portugiesischen Kolonialkriege in Angola, Mozambique und Guinea-Bissau (1961-1974) und die beschriebene westdeutsche Politik zur Verteidigung des südafrikanischen Apartheid-Regimes (1949-1994) stehen dabei in einem engen Zusammenhang.

Mit diesem umfassenden und kombinierten westlichen Engagement sollte alles getan werden, dass die Botschaft von Nelson Mandela nicht Wirklichkeit und weltweit Vorbild wird. Mandela fasste seine Vision wie folgt zusammen: „Mich zieht die Konzeption der klassenlosen Gesellschaft an, teils aufgrund meines Studiums marxistischer Lehren, teils aber auch aus meiner Bewunderung für Aufbau und Organisation der früheren afrikanischen Gesellschaftsordnung meiner Heimat: Grund und Boden, die damals wichtigsten Produktionsquellen, waren Stammeseigentum gewesen; es gab weder Arme noch Reiche, und niemand wurde ausgebeutet.“[10]

Der Autor ist Chefredakteur von Lunapark21.

Anmerkungen:

[1] „Zeitungschef Springer gilt als guter Freund des ehemaligen südafrikanischen Finanzministers Dr. Nicolaas Diederichs. Als der Südafrikaner, der ehemals in Deutschland studiert hat, im April dieses Jahres Staatspräsident wurde, flog der Zeitungsverleger eigens als einer der deutschen Ehrengäste nach Kapstadt.“ In: Der Spiegel 3.11.1975.

[2] „Anfang Juni 1961 kamen ich und einige Kollegen nach langer und sorgfältiger Prüfung der Lage in Südafrika zu dem Schluss, dass (…) afrikanische Führer wirklichkeitsfremd (…) handeln würden, wenn sie weiterhin Frieden und Gewaltlosigkeit zu einem Zeitpunkt predigten, an dem die Regierung sogar unseren friedlichen Forderungen mit Gewalteinsatz begegnete.“ Nelson Mandela, Rede im Rivonia-Prozess, Juni 1964, in: Kap ohne Hoffnung, Freimut Duve (Hrsg.), Hamburg 1965, S. 131f.

[3] Mandela 2001: „In diesem Zusammenhang (möchte ich) doch an Margot Honecker erinnern, die heute in Chile lebt, wie ich höre, in ärmlichen Verhältnissen. (…) Honecker war immerhin ein Staatschef und Margot Honecker die First Lady. Und ich weiß nicht, ob das den Entscheidungsträgern in Deutschland noch bewusst ist.“ Nachgedruckt in: Berliner Zeitung 10.12.2013.

[4] Zitiert in: Kap ohne Hoffnung, a.a.O., S. 91.

[5] Er wurde dafür vom deutschen Industriellenverband BDI ausdrücklich gelobt. Nach: Frankfurter Rundschau vom 4.10.1978. Natürlich gab es in den westdeutschen Gewerkschaften auch eine breite Solidaritätsbewegung für den ANC und Mandela. So verabschiedete die 10. Bundesjugendkonferenz des DGB 1978 eine entsprechende Resolution.

[6] Zitiert in der Wochenzeitung was tun Nr. 233 26.10.1978.

[7] 1965 lagen die deutschen Direktinvestitionen in Südafrika bei 86 Mio DM, 1970 bei 119 Mio. 1981 bei 711 Mio DM. Nach: Wolff Geisler und Gottfried Wellmer, DM-Investitionen in Südafrika, Bonn 1983, S. 12.

[8] Veröffentlicht als Dokumentation des ANC of South Africa, Progress Dritte Welt, Bonn, September 1975. Zitiert in: Holger Strohm, Friedlich in die Katastrophe, Frankfurt/M. 1981, S. 832.

[9] Pretoria News vom 21.11.1975; hier nach: Strohm, a.a.O., S. 834.

[10] Rede im Rivonia-Prozess, in: Kap ohne Hoffnung, a.a.O., S. 135.

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