Fernsehen alternativ

Kontext TV – die anderen Nachrichten
Simone Holzwarth. Lunapark21 – Heft 24

„Wir versuchen nicht, das Mainstream-Fernsehen zu imitieren mit seinen kurzen Nachrichtenhäppchen und Talkrunden, in denen keine größeren Zusammenhänge erkennbar werden.“ Fabian Scheidler, einer der Macher bei Kontext TV, formuliert diese Zielvorgaben für die Internet-basierte TV-Nachrichtensendung. „Stattdessen wolle wir Leuten den Raum geben, die etwas zu sagen haben, die einen größeren Bogen spannen und damit eben Kontexte herstellen.“ Scheidler ist freischaffender Autor und bildender Künstler. Jüngst brachte er eine Oper mit dem Titel „Tod eines Bankers“ auf die Bühne (Text: F. Scheidler / Musik: Andreas Kerstling).

Die Idee zur Arbeit an „anderen Nachrichten“ entstand 2009 im Zusammenhang mit der Erstellung einer Plagiat-Ausgabe der ZEIT, die Scheidler für Attac mitkonzipiert hatte. Er traf bei dieser Arbeit den Journalisten David Goeßmann. Beide verband der Wunsch nach einem unabhängigen Nachrichtenmagazin, das kritische Stimmen jenseits des Mainstreams zu Wort kommen lässt.

Die beiden gründeten 2009 Kontext TV. Laut Kontext-Website bietet die Sendung „Hintergrundinformationen zu drängenden Gegenwarts- und Zukunftsthemen wie Klimawandel, Krieg und Frieden, Finanzkrise, soziale Gerechtigkeit und Migration … Zu Wort kommen kritische Stimmen aus dem In- und Ausland, die in den Mainstream-Medien zu wenig gehört werden.“ Kontext versteht sich dabei als Filterstelle für Informationen, die man sonst nicht bekommt. Es sollen nicht nur Akteure vorgestellt werden, sondern auch Alternativen skizziert werden. Kontext will einen Beitrag dazu leisten, dass sich ein mediales Gegengewicht zu den großen Sendern und Verlagen herausbildet.

Eine große Aufgabe. Zumal wenn man über ein geringes Budget verfügt – verschwindend gering im Vergleich zu den öffentlich-rechtlichen oder den Privatsendern. Kontext TV wird inzwischen von rund 20 Aktiven getragen. Die meisten arbeiten ehrenamtlich und das auf hohem Niveau. Kontext TV verzichtet bewusst auf Einnahmen aus Werbung und Sponsoring, um seine Unabhängigkeit zu wahren. Die Arbeit ist nicht-kommerziell und wird aus den Spenden der Fördermitglieder im gemeinnützigen Verein Kontext Medien e.V. finanziert. Einzelne Sendungen wurden auch schon durch Stiftungen gefördert. Allerdings, so Scheidler, sei es äußerst schwierig, andere Mittel als private Spenden zu akquirieren: „Für kritische Medienarbeit in Deutschland eine kontinuierliche Finanzierung zu bekommen ist sehr schwer. In Österreich gibt es beispielsweise die öffentliche Förderung für Community TV und Radio, also für nicht-kommerziellen Rundfunk jenseits der öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Sender. In Deutschland fehlt solch eine Förderung, besonders für die redaktionelle Arbeit.“

Diese Situation wird verschärft durch die aktuelle Umstrukturierung der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland mit dem zwangsweisen Einzug einer monatlichen Gebühr durch die GEZ. Scheidler sieht diese Zwangsgebühr kritisch: „Viele Menschen fragen sich, warum sie relativ viel Geld im Monat für ein Programm bezahlen sollen, das sie gar nicht sehen wollen, weil es ihnen inhaltlich zu dünn ist. Ich denke, viele wären grundsätzlich bereit, Geld für alternative Angebote ausgzugeben, aber die Zwangsgebühr macht das schwerer. Trotz allem sehen wir bei uns aber ein beständiges Wachstum von Fördermitgliedern und sind hoffnungsvoll, dass sich Kontext eines Tages finanziell tragen kann.“

Die Gruppe ist überzeugt von der Wichtigkeit ihrer Arbeit. Trotz der geringen finanziellen Mittel produziert sie monatlich eine neue Sendung auf ihrer Website. Abgesehen vom direkten Zugriff auf ihre Internetseite werden die Kontext-TV Sendungen über ein Netzwerk von lokalen Radio- und Fernsehstationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz verbreitet, darunter Alex TV (Berlin), Radio Weser.TV, Tide TV Hamburg, OK Magdeburg, KOK:TV Mainz, Radio Dreyeckland (Freiburg) und Radio Lora (München), Freies Fernsehen Salzburg und Okto TV (Wien). Insgesamt sind es rund 30000 Menschen pro Monat, die die Kontext TV-Sendungen allein im Internet sehen oder hören.

Welche Themen sind wichtig für Kontext TV und wie entsteht aus einer Idee eine Sendung? „Wir wollen gegen mediale Moden Themen setzen und auch an Themen dranbleiben, die schnell wieder untergehen, und nachlegen, wenn der Hype vorbei ist“, so Scheidler.

Gelegentlich ist Kontext TV auch den aktuellen Ereignissen eine Nasenlänge voraus. Beispiel Migration: Einen Monat vor der Katastrophe vor Lampedusa präsentierte Kontext TV eine Sendung, in der verschiedene Stimmen zum Thema Migration zu Wort kamen, darunter viele Aktivisten und Aktivistinnen aus dem Globalen Süden. Die Interviews wurden beim Weltsozialforum in Tunis geführt. Die Oktober-Sendung hatte den Schwerpunkt „Ausweitung der Kriegszone“ – mit deutscher Hilfe. Es geht dabei um die zentrale Rolle, die der willige Helfer deutsche Bundesregierung bei dem US-Tötungsprogramm mit Hilfe von Drohen spielt (u.a. Einsätze, die vom US Afrika Kommando „AFRICOM“ in Stuttgart gesteuert werden).

Wem also möchte Kontext eine Stimme geben? Scheidler: „Die Zivilgesellschaft bietet ein viel größeres Spektrum von intelligenten Analysen und Vorschlägen, als sie von den Mainstream-Medien abgebildet werden. Die privaten Sender sind von kommerziellen Interessen dominiert, bei den öffentlich-rechtlichen spielen parteipolitische Machtinteressen eine wichtige Rolle. Dadurch ist das Spektrum der Debatten ziemlich begrenzt. Auffallend ist das zum Beispiel in der medialen Aufarbeitung der Finanzkrise seit 2009. Auch heute noch stehen praktisch die gleichen „Experten“ vor den Kameras, die vor der Krise jahrelang falsche Prognosen geliefert hatten. Bei Kontext TV sollen dagegen alternative Sichtweisen Raum bekommen. Das Spektrum der Gäste reicht von bekannten kritischen Stimmen aus Forschung und Aktivismus wie Noam Chomsky, Vandana Shiva oder Heiner Flassbeck über Journalisten wie Harald Schumann (Tagespiegel) und Jeremy Scahill (Autor von „Dirty Wars“) bis zu Graswurzel-Aktivistinnen.

Kontext hat bisher nicht die Mittel, um eigenständig investigativ zu arbeiten. „Wir verstehen uns als eine Art Vermittler. Wir wollen das Wissen, das in der Zivilgesellschaft existiert, aber oft zerstreut ist, einem breiteren Publikum zugänglich machen. Weil wir nicht auf Infohäppchen und schnelle Schnitte setzen, sondern auf Zusammenhänge, ist das für manche Zuschauer natürlich ungewohnt, es bricht mit bestimmten Sehgewohnheiten.“ Kontext möchte mit dem Format so viele Zuschauer wie möglich erreichen, ist sich aber der Probleme des schwierigen Zugangs zu den Debatten über komplexe Zusammenhänge bewusst.

Mit dieser Herausforderung war Scheidler auch konfrontiert, als er in den Jahren 2003 bis 2007 als Dramaturg am Berliner Grips Theater arbeitete: „Unsere Gesellschaft besteht aus vielen verschiedenen Parallelgesellschaften. Im Grips Theater saßen Kinder und Jugendliche aus allen Schichten. Das ist im Theater etwas Außergewöhnliches, und wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, alle gleichermaßen zu erreichen. Im Journalismus ist das noch schwieirger. Ich sehe es als ein großes Problem der linken Publizistik, dass sich vieles im eigenen Dunstkreis bewegt und man nur Zugang zu den Debatten hat, wenn man den Fachjargon beherrscht. Wir versuchen mit unseren Sendungen, den Zugang zu den Debatten zu öffnen, in dem wir auf eine verständliche Sprache in den Interviews achten.“

Für die Zukunft wünscht sich Fabian Scheidler eine sichere finanzielle Basis, die es erlaubt, einmal pro Woche zu senden und ein eigenes Studio einzurichten. Auch schwebt ihm eine Zusammenarbeit mit anderen ähnlichen Initiativen aus unterschiedlichen europäischen Ländern vor.

Ein weiter Weg. Doch erste wichtige Schritte sind gemacht.

Website: www.kontext-tv.de

Simone Holzwarth verbrachte zwischen 2008 und 2010 viel Zeit in den USA und war dort fasziniert von der kritischen Medienszene wie beispielsweise dem spendenfinanzierten Radiosender KPFA – siehe Subjektiver Faktor in Heft 8 von Lunapark21 (Winter 2009/2010) und dem Internet-Nachrichtenmagazin Democracy Now. Seitdem wünscht sie sich ähnliche Formate in Deutschland und freut sich über die Arbeit von Kontext TV.

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