…den Draht aus der Mütze

Eberhard Happe. Lunapark21 – Heft 24

In der Ausgabe vom 30. November 2013 erschien in der Süddeutschen Zeitung ein von Daniela Kuhr verfasster Artikel unter der Überschrift „Sind die denn bekloppt“ zum Thema „Vor 20 Jahren wurde aus der Bundesbahn eine Aktiengesellschaft“. Der Artikel liest sich wie ein Text aus der PR-Abteilung der Deutschen Bahn. U.a. war – als Zitat des Ex-Daimler-Managers und Ex-Bahnchefs Heinz Dürr unkommentiert zu lesen: „Dass sich niemand (bei der Bundesbahn; LP21) verantwortlich fühlte, zog sich durch das ganze Unternehmen hindurch“; zum Thema „Pünktlichkeit“ wird unkommentiert und indirekt zustimmend der Kommentar eines Bahnbeschäftigten wiedergegeben: „Dass die Züge früher pünktlicher gewesen seien, hält er für ein Gerücht: ‘Vielleicht meint man das nur, weil es im Zug keine Durchsagen gab.’“

Eberhard Happe verfasste die hier wiedergegebene Antwort auf den Artikel und sandte diese am 1. Dezember als Leserbrief an die SZ.

An die Redaktion der Süddeutschen Zeitung
z. Hd. Frau Daniela Kuhr

„Sind die denn bekloppt?“

Sehr geehrte Frau Kuhr,
was Sie vor einiger Zeit zur Causa „Naumann“ und „Pro Bahn“ geschrieben haben, fand ich beherzt und mutig. Was Sie jetzt geschrieben haben – obgleich mit einiger unverkennbarer versteckter Ironie – holt einem gestandenen Eisenbahner geradezu den Draht aus der Mütze. (…)

Es stimmt, der Begriff „Kunde“ war uns im Personenverkehr nicht geläufig; denn wir hatten einen weitaus besseren: „Fahrgast“! Diesem Fahrgast boten wir zuverlässige Beförderung mit nahezu immer gesicherten Anschlüssen (heute ist es ein Vabanquespiel auf die Anschlüsse vom Fern- auf den Nahverkehr zu vertrauen); wir boten ihm ferner ein übersichtliches, für alle gleiches Tarifsystem (ohne diskriminierende Schnäppchenjägerei); weiterhin boten wir ihm die Beförderung seines Reisegepäcks in allen Zügen, wobei er – von seltenen Ausnahmen abgesehen – sicher sein konnte, an seinem Reiseziel sein Gepäck unversehrt ausgehändigt zu bekommen (Service gestrichen). Darüber hinaus boten wir ihm an allen Stationen zu den Zeiten, in denen Züge verkehrten, die Möglichkeit, für alle europäischen Destinationen Fahrkarten zu erwerben (Service nahezu eliminiert). (…)

Schließlich waren die Service-Beamten (Zugbegleiter, Aufsichtsbeamte etc.) bei aller Hoheitsattitüde zu menschlich höflichem Umgang mit unseren Fahrgästen verpflichtet, einer Pflicht, der zu entsprechen Berufsehre war.
Zu ihrem Statement „Die Bundesbahn fuhr geradezu unfassbare Verluste ein.“ verweise ich auf meinen 1999 unter Pseudonym veröffentlichten und als Anlage beigefügten Aufsatz ‘Keine Privat-Eisenbahn-Vorteile’ (…) und auf die diversen von Winfried Wolf und Bernhard Knierim bzw. dem ‘Bündnis Bahn für Alle’ herausgegebenen ‘Alternativen Geschäftsberichte’, die Ihnen allerdings ja vorliegen. Es soll nicht bestritten werden, dass die Deutsche Bundesbahn eine in merklichem Umfang verkrustete Behörde war; aber es hätte der Staatsführung oblegen, einer solchen Entwicklung beizeiten zu wehren. Stattdessen hat man es bequemer gefunden, auf dem Verkehrssicherstellungs-Auftrag zu bestehen bei gleichzeitiger gesetzeswidriger Schuldenkumulation. Bis zum Ende Ihres Bestehens entsprach der Jahresverlust der Deutschen Bundesbahn in etwa der durch die Permanent-Verschuldung generierten Zinsverpflichtung. Wie sieht denn die Finanzierungsbasis der Deutschen Bahn-AG aus?

Keine Pensionsverpflichtung; keine Altschulden (allein seit 1994 Neuschulden in Höhe von 17 Mrd. Euro, was zwei Drittel der Bundesbahnschuld des Jahres 1990 entspricht!); insgesamt fließen heute laut Angaben der Bundesregierung in das System Schiene pro Jahr rund 30 Prozent mehr staatliche Unterstützungszahlungen als z.B. 1992!); ein auf einen Bruchteil seines wahren Wertes reduziertes Anlagevermögen (dadurch massiv reduzierte Abschreibungen und Ausweisung von Scheingewinnen!); Neubau und umfassende Erneuerung der Infrastruktur aus Haushaltsmitteln des Bundes; unverhohlene Forderung, marode Brücken mit Steuergeld zu sanieren; umfassende Alimentation des Schienen-Personen-Nahverkehrs mit Haushaltsmitteln des Bundes; massive Reduzierung der für eine weitgehend störungsfreie Betriebsführung notwendigen Redundanz der Infrastruktur (seit 1994 Abbau von gut 50 % aller Weichen und daraus folgendem Verlust von Überholungsgleisen) mit gelegentlichen katastrophalen Folgen für die Zuverlässigkeit des Bahnbetriebes.

Zur Instandhaltung und Wartung der Zuggarnituren, die Sie ansprechen: Die exorbitant erhöhte Arbeitsdichte und die verlängerten Wartungsintervalle bei gleichzeitig verkürztem Wartungs-Zeitaufwand haben wesentlich zur Katastrophe von Eschede und zum S-Bahn-Desaster von Berlin beigetragen.
Einer den Führungs- und Leitungsaufgaben intellektuell und fachlich gewachsenen Unternehmensführung dürfte und könnte eine Jahrhundert-Blamage wie die beinahe Total-Eliminierung eines Netz-Knotens wie Mainz unmöglich passieren.

Die „Feste Fahrbahn“ war Ursache für eine wochenlange Streckensperrung auf einer der Hauptmagistralen zwischen Berlin und Hannover. Die „Feste Fahrbahn“ war bei den Oberbau-Fachleuten der Deutschen Bundesbahn stets auf Ablehnung gestoßen – wie sie ja auch weltweit auf Ablehnung stößt. Es bedurfte einer ‘ignoranten, arroganten Niete’ im Vorstand der Deutschen Bahn, der Einführung dieser teuersten Fehlinvestition seit Bestehen der Eisenbahn den Weg zu bereiten.

Ich grüße freundlich
Eberhard Happe

Bundesbahn-Direktor a. D. Dipl.-Ing., Celle; Mitglied des Expertenkreises „Bürgerbahn statt Börsenbahn“. ekw.happe@t-online.de

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