Handelsblatt und Handelsblatt-Korrespondent

Aus Lunapark21 – Heft 30

Was gilt: „Berlin hat bisher an den Griechenland-Hilfen verdient“ oder „Den Griechen passt die EU nur solange, wie sie von der EU Geld bekommen“

Gerd Höhler berichtet regelmäßig aus Griechenland – für die führende deutsche Wirtschaftszeitung Handelsblatt. Der Mann ist höchst kompetent. Er lebt auch seit Jahrzehnten in Griechenland. Das bekommt man dann besonders „rund“ übermittelt, wenn man anstelle der Tageszeitung Handelsblatt die Griechenland-Zeitung liest. Diese in deutscher Sprache verfasste und primär in Griechenland vertriebene Wochenzeitung richtet sich an die kleine Gemeinde der Deutschen, die ganz oder überwiegend in Griechenland leben, und an die deutschen Griechenland-Touristen. Sie führt im Impressum denselben Gerd Höhler als ihren festen Mitarbeiter auf. In der Ausgabe der Griechenland-Zeitung vom 10. Juni schrieb Gerd Höhler einen Artikel, aus dem wir im Folgenden zitieren:

„Mit Krediten von rund 240 Milliarden Euro sollte Griechenland vor dem Staatsbankrott gerettet werden. Doch fünf Jahre nach Beginn der Hilfsaktion ist die Bilanz verheerend. Die Wirtschaft rutschte in die tiefste und längste Rezession der Nachkriegsgeschichte. Die Menschen sind ärmer geworden. Eine Million Jobs wurde vernichtet. Und die Schuldenlast ist heute höher denn je. Das wirft die Frage auf: Was haben die Griechen mit den Milliarden gemacht? Die Antwort: Gar nichts. Denn die meisten Hilfsgelder kamen nie in Griechenland an. […]

Von den zugesagten Hilfskrediten wurden bisher rund 230 Milliarden Euro ausgezahlt. Das entspricht etwa dem 1,3-fachen des letztjährigen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Doch was haben die Kredite bewirkt? Seit Beginn des Rettungsprogramms hat Griechenland rund ein Viertel seiner Wirtschaftskraft eingebüßt. Die Realeinkommen der privaten Haushalte gingen im Schnitt um ein Drittel zurück. Die Arbeitslosigkeit verdreifachte sich von 8,9 auf 27 Prozent. Und trotz des Schuldenschnitts ist der Schuldenberg heute viel höher als zu Beginn der Krise. 2009 beliefen sich die Schulden auf 301 Milliarden Euro, was einer Schuldenquote von 127,1 Prozent des BIP entsprach. Aktuell schuldet Griechenland 312,7 Milliarden Euro. Das sind knapp 175 Prozent des letztjährigen BIP.

Mit dem vermeintlichen Hilfsprogramm wurde Griechenland in einen Teufelskreis getrieben. Viel zu strikte Sparauflagen ließen die Wirtschaft und die Sozialsysteme zusammenbrechen. Zugleich wurden dem Land neue Schulden aufgesattelt. […] Bei den Menschen in Griechenland ist von den Hilfsgeldern so gut wie nichts angekommen […] 90 Prozent der Gelder dienten dazu, fällige Altschulden abzulösen, Zinsen zu zahlen, Staatsanleihen zurück zukaufen und die griechischen Banken zu rekapitalisieren. […] Die letzten Hilfsgelder an Griechenland sind im August 2014 geflossen. Seither halten die Geldgeber weitere Raten zurück, weil Athen bereits unter den Vorgängerregierungen mit den Reformen in Rückstand geraten war. Aus dem zweiten Hilfspaket stehen noch 18,1 Milliarden Euro zur Verfügung, wovon 7,2 Milliarden auf bisher zurückgehaltene Mittel und 10,9 Milliarden auf bereits bewilligte Kredite entfallen, die für die Banken-Rekapitalisierung vorgesehen waren, aber nicht benötigt wurden. Um diese Gelder geht es bei den aktuellen Verhandlungen. […]

Die häufig gestellte Frage, was die Griechenlandhilfe die deutschen bzw. die europäischen Steuerzahler bisher gekostet hat, ist schnell zu beantworten. Nichts. Deutschland z.B. hat bisher nur Bürgschaften gewährt […] Unter dem Strich bürgt Deutschland also für knapp 54 Milliarden. Teuer wird es erst, wenn Griechenland pleitegeht und die Kredite nicht mehr bedienen kann. Bis dahin verdient der Bundesfinanzminister sogar an der Griechenlandrettung. Seit 2010 hat er aus Athen Zinsen in Höhe von 360 Millionen Euro bekommen.“

Wir erfahren also aus berufenem Mund und bilanzieren: Die gewaltigen „Hilfsprogramme“ haben Griechenland als Land und der Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit nichts gebracht. Das Geld floss zu 90 Prozent dem europäischen Finanzsektor zu.

Die griechische Ökonomie wurde systematisch in eine Rezession und „in einen Teufelskreis“ getrieben, weil „die Sparauflagen zu hart waren“. Die Bevölkerung verarmte; die Arbeitslosigkeit verdreifachte sich.
Es geht in den Verhandlungen seit Anfang Februar 2015 nicht um „neue Gelder“ oder „neue Hilfen“; es geht ausschließlich um die Auszahlung von bereits grundsätzlich bewilligten Geldern, die seit Sommer 2014 zurückgehalten werden.

Die „Griechenlandhilfe“ hat bisher den deutschen Finanzminister bzw. die deutschen Steuerzahlenden nichts gekostet; es gab aufgrund dieser „Hilfen“ sogar Zinseinnahmen in Höhe von gut einer Dreiviertelmilliarde Euro.
Allerdings drohen hohe Verluste auch für den deutschen Fiskus und die deutschen Steuerzahlenden – aber eben deshalb, weil diese Art „Hilfspakete“ gewährt wurden, die dem Land Griechenland und den Griechinnen und Griechen nichts brachten, wohl aber die privaten Finanzinstitute alimentierten.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Die Handelsblatt-Berichterstattung zu Griechenland
Allerdings steht der Höhler-Artikel in der Griechenland-Zeitung in einem Kontrast zu vielen Beiträgen, die sich im Handelsblatt zu Griechenland fanden und finden. Auch wenn es dort mitunter auch differenzierte Beiträge – so aus der Feder von Gerd Höhler selbst – gibt, so beteiligt sich diese Wirtschaftszeitung doch im Großen und Ganzen auch an dem Griechenland-Bashing, wie dies fast die gesamte deutsche Medienlandschaft betreibt. Beispielsweise brachte diese Wirtschaftszeitung am 21. Mai 2015 einen drei Seiten umfassenden Beitrag, der bereits den Aufmacher auf Seite 1 darstellte und die Überschrift hatte: „Verschmähte Milliarden – Griechenland geht nur halbherzig gegen Steuerbetrüger vor. Von mehr als 2000 bekannten Fällen hat Athen nur 49 abgearbeitet […] Dem Staat entgehen Riesensummen.“ Auf Seite 1 der Zeitung heißt es dazu: „Auf 30 bis 40 Milliarden Euro jährlich beziffern Experten die Summe, die dem Fiskus vorenthalten wird.“ Erst im Innenteil, auf Seite 4, wird es dann differenzierter. Hier heißt es dann: „Fachleute schätzen, dass allenfalls zehn Milliarden [der ausstehenden Steuerforderungen; WW] eingetrieben werden können.“ Hier erfährt man, dass „die Zahl der Finanzämter von 300 auf 120 reduziert“ [wurde) – davon verspricht man sich mehr Effizienz.“ Ergänzend sei angefügt: Die – im übrigen noch unter Samaras eingesetzte – „Generalsekretärin für öffentliche Einnahmen“, Frau Aikaterini Savvaidou, stellte im Frühjahr 2015 fest: „Ich brauche dringend mehr Personal, um Steuern eintreiben zu können. Vor allem: Steuerprüfer!“ Unter der Troika wurde der öffentlich Sektor in einem derart extremen Maß abgebaut (von 952500 Beschäftigte im Jahr 2009 auf 573900 Beschäftigte Anfang 2015), dass elementare Funktionen im Staatswesen, so auch das Eintreiben von Steuern, nicht ausgeübt werden können.

Am 10. Februar 2015 konnte man in derselben Zeitung einen Kommentar auf dem Niveau von Bild lesen. Auszüge: „Auf vordere Plätze drängen Griechen bestenfalls noch bei der Fremdenfeindlichkeit. Bei der Roma-Ablehnung belegen sie im Mai 2014 unter sieben europäischen Nationen den dritten […], beim Antisemitismus den ersten Platz – 47 Prozent der Bevölkerung gegenüber fünf Prozent in Deutschland an siebter Stelle. Niemand in dem schönen Land wüsste überzeugende Faktoren für eine ökonomische Himmelstürmerei zu nennen – weder 1981 beim EU-Beitritt (2,3 Kinder pro Frauenleben) noch heute mit dem Euro (1,4) oder eines Tages wieder mit der Drachme. […] Auch einem Alexis Tsipras und seinen Anhängern muss niemand die Köstlichkeiten einer Transferzahlung erläutern. So wie kein vernünftiger Sozialhilfeempfänger in Länder ohne ´Staatsknete´ auswandert, so will auch kein Land weg von der EU, ohne deren stetige Megamilliarden es wirklich hart würde.“

NS-Verbrechen = Kollaborations-Verbrechen?
Auf der Handelsblatt-Onlineplattform Handelsblatt.com durfte Michael Wolffsohn, Historiker an der Bundeswehruniversität München als „Professor Tacheles“ am 9. Februar 2015 die folgende Demagogie verbreiten: „Minister Alexis Tsipras […] und vielen Griechen passt das EU-´System´ nicht. Vor allem das EU-Finanzsystem passt ihnen nicht. Noch präziser: Es passt ihnen nur, solange sie etwas bekommen. Symbol, Hort und Ort des nicht nur gebenden, sondern auch fordernd mahnenden EU-Finanzsystems ist in ihren Augen Deutschland. Und weil das EU-Finanzsystem geknackt werden soll, muss aus dieser Sicht Deutschland geknackt werden.“ Wolffsohn zitiert im Folgenden Reparations-Forderungen von Varoufakis im Zusammenhang mit den NS-Verbrechen in Griechenland, um dann zu schreiben: „Wenn heute die deutsch-griechische Geschichte in Zeiten von Weltkrieg und Holocaust thematisiert wird, muss auch über die Kollaboration von Griechen mit Nazis, SS und Wehrmacht gegen Juden, Kommunisten und Partisanen gesprochen werden. So klein war diese Mitarbeit nicht. Und gar nicht groß war das Mitleid mit den jüdischen Opfern. […] Wer „H“ wie Hitler sagt, muss auch die eigene Geschichte von A bis Z durchgehen.“

Syriza steht in der Tradition des griechischen antifaschistischen Widerstands. Niemand bei Syriza bestreitet die Kollaboration, die es in Griechenland, wie in allen vom Nazi-Regime besetzten Ländern gab. Vor dem Hintergrund, wer Täter und wer überwiegend Opfer war, eine Gegenrechnung zu präsentieren, ist schlicht unerträglich.

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