Quellen kapitalistischer Akkumulation

Bemerkung zu den Untergriffen von Christel Buchinger in Lunapark Nr. 33

In der Lunapark-Redaktion haben wir länger darüber diskutiert, ob ein Beitrag des US-amerikanischen Historikers Jason Moore über nicht bezahlte Quellen kapitalistischer Akkumulation ins Blatt soll oder nicht. Die Debatte darüber verlief entlang der Differenz, ob und inwieweit bezahlte Lohnarbeit als einzige Kategorie entfremdbarer, also ausbeutbarer Quelle von Kapital vernutzt werden kann. Den geläufigen unterschiedlichen Definitionen von Arbeit (bezahlt oder unbezahlt) setzte Moore noch eines drauf und inkludierte Natur als Quelle kapitalistischer Bereicherung, nachzulesen in seinem Beitrag „Endlose Akkumulation?“ in Lunapark Nr. 32. Wir einigten uns darauf, dass die Übersetzung von Matthias Becker nicht nur ins Blatt, sondern auch Ausgangspunkt für eine Debatte sein soll, die die Dualität von Mensch und Natur im Angesicht fortschreitender Verwertung gerade auch letzterer diskutieren soll. Moore fordert dazu auf, die als „Credo der Moderne“ entstandene Trennung zwischen Mensch und Natur neu zu überdenken. Einfacher gefragt: Beutet Kapital – neben bezahlter und unbezahlter Arbeit – auch Natur aus? Lässt sich die Aneignung der Natur mit der Aneignung unbezahlter Arbeit durch das Kapital gleichsetzen? Wir erhofften eine spannende Debatte.

Geworden ist daraus – vorderhand – leider ein wütender Rundumschlag der ersten Diskutantin, Christel Buchinger. In der Auseinandersetzung mit Moores Thesen beharrt Buchinger darauf, dass einzig Erwerbsarbeit die verwertbare Kategorie des Kapitalismus sein könne. „Wie soll die Aneignung der Natur möglich sein ohne Arbeit?“, fragt sie, verfolgt aber die Gegenthese zu Moore nicht weiter, sondern begnügt sich damit, Zensuren an den Autor zu verteilen. Mehrmals wirft sie ihm vor, „keine Ahnung“ zu haben, vom Wertgesetz, von marxistischen und feministischen Ansätzen, und wenn, dann von den falschen. Wenn sie dann ihre Gegenargumente mit Ausrufen wie „Himmel hilf!“ und „Oh heilige Einfalt!“ garniert, ist die Debatte bereits zum Erliegen gekommen und die Wut über ihrer Meinung nach unmarxistisches Verhalten mit ihr durchgegangen. „Diese Aussage würde in einem Unireferat unweigerlich zu einer fünf führen“, schulmeistert sie zum Schluss den in Binghamton lehrenden Moore für eine Aussage, die es Wert wäre, genauer untersucht zu werden. Denn Moore zitiert – ohne genauere Angaben – eine Studie, nach der 70% bis 80% des globalen Sozialproduktes von unbezahlter Arbeit verrichtet werden. „Da wären die Frauen in der Subsistenzwirtschaft produktiver als die Industrie“, schreit sie auf. Irrt sich Moore tatsächlich? Oder verfügt er über Daten, die im globalen Sozialprodukt unbezahlte und Subsistenzarbeit integrieren? Und wenn dem so wäre, welche Theorie bräche zusammen? Und was müsste die Linke dazu sagen? Genau an dieser Stelle wünschte ich mir eine Fortführung der Debatte. Vielleicht gelingt sie ja doch noch.

Die Bemerkungen von Hannes Hofbauer (Mitglied der Redaktion von Lunapark21) beziehen sich auf den Beitrag von Christel Buchinger, Verwirrungen: J.W. Moore „Endlose Akkumulation“ in LP21 Heft 33, S. 21ff, der sich wiederum auf den Beitrag von Jason W. Moore, „Endlose Akkumulation?“ Die nicht bezahlten Quellen des kapitalistischen Reichtums in LP 21 Heft 32, S. 14ff bezieht.

Beide Beiträge haben wir ebenfalls online gestellt.

Weitere Debattenbeiträge für unseren blog an ww@lunapark21.net sind erwünscht

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