Willkommenskultur [robust] – Zur politischen Ökonomie von Migration und Flucht

Aus: LunaPark21 – Heft 31

Am 28. September 2015 forderte die Tageszeitung Die Welt: „Die [die Flüchtlinge] aufnehmende Gesellschaft muss eine klare Vorstellung davon haben, was sie braucht. Sie muss klare Ansagen machen. […] Wir benötigen eine robuste Begrüßung“; mit „Wasserflaschen am Bahnhof stehen“ – das reiche nicht aus.

Nach den „robusten Friedenseinsätzen“ der Bundeswehr – soeben ist die afghanische Stadt Kundus nach 14-jährigen westlich-robusten Friedenseinsätzen wieder an die Taliban gefallen – gibt es jetzt also die „robuste Willkommenskultur“. George Orwell winkt müde ab. Lunapark21 bringt ein 20-seitiges Spezial zu eben dieser „robusten Willkommenskultur“. Georg Fülberth greift in seinem Lexikon-Beitrag indirekt den Begriff „robuste Willkommenskultur“ auf – als er den Text schrieb, war diese „Welt“ noch nicht in der Welt. Winfried Wolf untersucht ab Seite in einem ersten Beitrag über „Fluchtursachen“, wie in den Weltregionen, aus denen die meisten Flüchtlinge kommen, die Lebensverhältnisse sich derart änderten, dass Massenfluchten ausgelöst werden. Er weist dabei unter anderem auf kriegsfördernde Waffenexporte, westliche Kriegsimporte und zerstörerische Warenexporte und auf jeweils spezifische deutsche Verantwortlichkeiten hin. Thomas Fruth skizziert die rechtlichen Grundlagen beim Thema Migration in Deutschland und der EU. Hannes Hofbauer argumentiert, dass in Ungarn „nur“ geltendes EU-Recht („Dublin“) umgesetzt wird. Sebastian Gerhardt beschreibt die Besonderheiten der „Transitregion Balkan“. Während die Antirassistische Initiative Berlin die brutale Wirklichkeit von 24 Jahren „robuster Willkommenskultur“ (mit mehrfachem Tod und vielen Selbstmorden in Knästen) dokumentiert, fordert Bernd Kasparek von „border-control“ „legale und sichere Fluchtwege“. Über erstaunliche und Hoffnungen weckende Erfahrungen und Praktiken berichten Christian Salmhofer und Hannes Höller aus Krumpendorf im österreichischen Kärnten. Thomas Fruth erinnert daran, dass es nicht nur die „Festung Europa“, sondern auch eine „Festung USA“ gibt, wo die gigantische Grenzsicherung zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko in nur einem Jahrzehnt soviele Hundert Milliarden US-Dollar kostet, dass man damit einen Großteil der bedrückenden Lebensverhältnisse, die diese weltweiten Fluchten erst schaffen, beseitigen könnte. Was natürlich mit entsprechenden EU-Zahlen auch für die EU und deren „Festung“ zu belegen sein wäre. Und immer geht es eigentlich nicht um Prinzipien und Ethik, sondern um „push & pull“, um ökonomische Grundsätze, die recht kalt und zynisch diese Fluchten im Wesentlichen steuern. Wie hier für die USA und wie auch bereits in unserer Quartalslüge dokumentiert.

In diesem LP21-Spezial beziehen sich die Zahlen zu den Prozentsätzen, woher in der EU und in der BRD die Flüchtlinge stammen, auf das erste Halbjahr 2015. Die entsprechenden Relationen sehen im Herbst deutlich anders aus: Der Anteil der Flüchtlinge aus dem Balkan ist erheblich rückläufig, derjenige aus Syrien massiv gestiegen.