Die (Un)vereinbarkeit von Familie und Beruf

Aus: LunaPark21 – Heft 31

„Denn in der Familie stecken die Frauen. Sie sollen wirken für das öffentliche Leben, aber man soll ihrer dabei nicht ansichtig werden, denn sie sollen zu Hause bleiben“. Das ist eine eindeutige Ansage und sie stammt vom ersten deutschen Familiensoziologen Wilhelm Heinrich Riehl, aus seinem Buch: „Die Familie“ von 1855. Riehl bezog klare Positionen; die Vereinbarkeit war einfach, die Frau gehört in die Familie, der Mann geht hinaus ins feindliche Leben. Die Großfamilie, das viel zitierte „ganze Haus“ bröckelte gerade und war in der Krise. Aus der Krise entstand die Kleinfamilie, wie wir sie heute kennen und wie sie überall an die Plakatwände geklebt wird: Vater, Mutter und ein Kind oder mehrere.

Selbstständigkeit durch Erwerbsarbeit

Das Verständnis für die Notwendigkeit der Teilhabe der Frauen an der Erwerbsarbeit musste sich in zähem Ringen gegen die hartnäckige Einstellung von der natur- und gottgebotenen Stellung der Frau und des Mannes in Familie und Beruf durchsetzen. Die sich seit 1865 formierende bürgerliche Frauenbewegung kämpfte leidenschaftlich um das Recht der Frauen auf Bildung und auf Erwerb. „Wer nicht frei für sich erwerben darf, ist Sklave“, stellte Louise Otto 1866 fest. Sie sah die Versklavung der Frauen durch eine menschenunwürdige Abhängigkeit vom Hausherrn. Ihr ging es nicht um irgendeine Arbeit, sondern die Erwerbsarbeit sollte die Selbständigkeit der Frauen ermöglichen: „Selbständig kann schon dem Sprachgebrauch nach nur sein, wer selbst zu stehen vermag, d.h., wer sich selbst auf seinen eigenen Füßen ohne fremde Beihülfe erhalten kann.“ Mini-Jobs und ein bisschen Mitverdienen waren nicht gemeint. Louise Otto verwies auf die positiven Auswirkungen der ökonomischen Selbständigkeit der Frauen auf das Geschlechterverhältnis. Sie forderte allerdings schon damals nicht nur eine materielle Teilung der Familienpflichten, sondern auch eine immaterielle. Ohne die Beteiligung der Männer an der Hausarbeit, sah sie ihr Emanzipationskonzept verfehlt.

Auch Frauen der Arbeiterklasse verwiesen darauf, dass die tragende Grundlage für die soziale Gleichberechtigung des „weiblichen Geschlechts“ die Berufsarbeit bildet, weil „ohne wirtschaftliche Unabhängigkeit des Weibes vom Manne, von der Familie, die Emanzipation unmöglich wird“, wie Clara Zetkin hervorhob. In ihrem Text „Die neue Familie“ forderte Zetkin 1906 eine die Familie ergänzende öffentliche Erziehung und eine Aufteilung der Erziehungsarbeit zwischen den Eheleuten. Sieht man sich die Realität, sowohl die der bürgerlichen als auch die der sozialistischen Frauen an, so wird deutlich, dass die Frauen zwar die Berufswelt eroberten, ergänzende Infrastruktur forderten, die Männer aber an der Übernahme von Haus- und Sorgearbeit wenig Interesse zeigten.

Zwar wird die Frau, auch wenn sie verheiratet ist und Kinder hat, durch die Einbeziehung in die Erwerbsarbeit stundenweise dem „Bannkreis des Hauses entzogen“, die alte Form der Familie wird jedoch nicht wirklich untergraben. Frauen schleppen nun die doppelte Last wie ihre männlichen Arbeitsgenossen. Ihnen bleibt die Haus- und Sorgearbeit neben der Erwerbsarbeit. Anders als die Bürgerinnen konnten Arbeiterinnen die häuslichen Carearbeiten nicht an Dienstbotinnen delegieren. Durch die Dienstbotinnenfrage trat der Klassencharakter der Frauenbewegungen deutlich hervor. Als die häuslichen Dienstbotinnen um die Wende zum 20. Jahrhundert anfingen, sich auf ihre Menschenrechte zu besinnen, kam auch dieses Modell ins Wanken.

Aufbruch zu neuen Familienstrukturen?

Es waren lediglich einige weitsichtige Sozialisten und Sozialistinnen wie August Bebel und Lily Braun, die den „genossenschaftlichen Haushalt oder die zentralisierte Wirtschaftsführung“ vorschlugen. Die Konzepte haben nichts an Aktualität verloren. Heute leben wir in einer laut Grundgesetz gleichberechtigten Gesellschaft. Die neuen Frauenbewegungen der 1970er Jahre (in Westdeutschland) problematisierten die geschlechtshierarchische Arbeitsverteilung in Beruf und Familie. Konzepte zur Einbeziehung der Männer in die Hausarbeit standen weiterhin aus. Auch die Kritik der Feministinnen dieser Zeit an der kleinfamilialen Lebensform zu Gunsten von Wohn- und Lebensgemeinschaften erreichte keine wirklich breite Basis. Die ständig steigende Quote der Erwerbsbeteiligung von Frauen in der BRD und der Wunsch „beides“ zu vereinbaren, führte zur Flexibilisierung der Frauenarbeit im Beruf durch Minijobs und nicht existenzsichernde Teilzeitarbeitsverhältnisse. Die Frau muss nicht mehr (ausschließlich) zu Hause bleiben, dennoch bleibt ihnen meist die wirtschaftliche Abhängigkeit vom „Haupternährer“ und das Problem der „Vereinbarkeit“. Rollentausch ist möglich, wird aber selten praktiziert und ist eine schlechte Lösung des Problems, denn er lässt die Strukturen der Familie weiterhin unangetastet. Väter und Mütter wünschen sich eine gleichmäßige oder zumindest gleichmäßigere Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit, so geht es aus zahlreichen Studien hervor, aber nur wenige leben tatsächlich danach. Der Soziologe Ulrich Beck sprach 1986 von „verbaler Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“ bei seinen Geschlechtsgenossen. Selbst wenn das Interesse der Männer an der Haus- und Sorgearbeit größer sein würde, wäre es schwierig, das „Vereinbarkeitsproblem“ innerhalb der Kleinfamilie befriedigend zulösen. Das Wissen, dass weder Familie noch Beruf in ihrer jetzigen Form geeignet sind, „beides“ zu vereinbaren, liegt seit langem vor. Das traditionelle Familienmodell wusste eine männliche Arbeitsbiografie mit einer lebenslangen Hausfrauen – oder Zuverdienerinnen-Existenz zu verzahnen, nicht aber zwei Erwerbsbiografien mit zwei Sorgearbeitsbiografien. Wenn sich die Strukturen der Erwerbsarbeit „familienfreundlich“ gestalten sollen, muss sich auch die „kleine in sich geschlossene Familiendreieinigkeit– Mann, Weib und Kinder“ (Lily Braun) – ändern.

Tatsächlich entfernt sich die soziale Realität immer mehr vom ideologischen Gemälde. Obwohl nur noch 24 Prozent der Haushalte dem Familienhaushalt mit Vater, Mutter und einem oder mehreren Kindern entsprechen, hat die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft von verheirateten heterosexuellen Eltern mit einem Kind oder mehreren gemeinsamen

Kindern in den letzten Jahrzehnten nichts an ihrer Wirkung als gesellschaftliches Leitbild eingebüßt. Von den Familien, in denen Kinder leben, sind 71,2 Prozent Ehepaare, 9,2 Prozent Lebensgemeinschaften und 19,7 Prozent Alleinerziehende (davon 82 Prozent Frauen). Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass wir es mit einer weit größeren Vielfalt von Lebensformen zu tun haben, als dies aus der Statistik ersichtlich ist. Acht Millionen Menschen in der BRD leben ohnehin als Singles. Sie werden für den „Geburtenrückgang“ und die „Wohnungsnot“ verantwortlich gemacht. Der Ruf nach einer (zusätzlichen) Besteuerung von Kinderlosen wird laut, anstatt die Vergünstigungen, die alleine der Aufrechterhaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung dienen, wie Ehegattensplitting, Witwenrente und Mitversicherung in der Krankenkasse als Relikte des Hauptverdiener-Modells aufzuheben und allen Menschen gleiche Rechte zu gewähren. Stattdessen werden sich häufende „neue Lebensformen“, wenn sie sich der bürgerlichen Familienform anpassen, „normalisiert“ und ebenfalls mit den Privilegien ausgestattet. Das „Vereinbarkeitsproblem“ wird auch an ihnen nicht vorbei gehen.

Es gilt dafür einzutreten, dass keine Lebensform bevorzugt und keine benachteiligt wird. Und es gilt an Modellen zu arbeiten, die auf eine Gleichverteilung der sinnvollen existenzsichernden Erwerbsarbeit und der Haus- und Sorgearbeiten (heute Care-Arbeiten genannt) orientieren und zwar individuell, im Kollektiv und in der Gesellschaft. Es geht um die in die Realität umzusetzende Utopie von freien Zusammenschlüssen unter freien Menschen.

Gisela Notz ist Sozialwissenschaftlerin und Historikerin. Sie lebt und arbeitet freiberuflich in Berlin. Soeben sind ihr neues Buch Kritik des Familismus. Theorie und soziale Realität eines ideologischen Gemäldes in der Reihe theorie.org des Schmetterling Verlags in Stuttgart sowie der von ihr herausgegebene Wandkalender „Wegbereiterinnen“ für das Jahr 2016 erschienen (AG-SPAK Bücher, Neu-Ulm).

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