Pull & Push: Migration am Beispiel Mexiko – USA

Aus: LunaPark21 – Heft 31

Die Grenze zwischen den USA und Mexiko, die vom Atlantischen zum Pazifischen Ozean reicht, ist 3.144 km lang. 1986 begannen die USA, diese Grenze abzuschotten. Heute ist sie dort, wo Menschen auf beiden Seiten leben, mit einem Grenzzaun, Stacheldraht usw. gesichert (insgesamt auf ca. 1/3 der Gesamtlänge). Je wüstenartiger die Landschaft ist, desto niedriger wird der Zaun, verschwindet oftmals völlig, was die Grenzüberquerung jedoch nicht einfacher macht, da tagelange Märsche durch die Wüste nötig werden.

Je nach Quelle und je nachdem, welche Kosten einberechnet werden, lassen sich die USA diese Grenze zwischen 12 und 18 Milliarden US-Dollar jährlich kosten. Je nach politischer Couleur und Wahlkampfgetöse wird die Verdoppelung dieser Summe gefordert.

21000 Beamte der Border Patrol sichern diese Grenze. Ihnen steht modernste Aufklärungstechnik zur Verfügung. 10 Predator-Drohnen schweben Tag und Nacht über der Grenze und beobachten jede Bewegung. Hinzu kommen Hubschrauber, fest montierte Bewegungsmelder, Kameraüberwachung, Panzerspähwagen etc..

Neben der Kontrolle der Migration dient das Grenzregime auch der Kontrolle der Drogeneinfuhr in die USA, die sich in den letzten Jahren auf festen Routen durch Mexiko, praktisch außerhalb der Kontrolle der mexikanischen Regierung, bis zur Grenze und über die Grenze etabliert hat.

Der Preis der Abschottung waren in den letzten 10 Jahren zwischen 300 und 500 gezählte Tote jährlich – bei einer hohen Dunkelziffer. 2012 eröffneten die Grenzschützer 22 Mal das Feuer auf Unbewaffnete, einige Todesfälle und schwere Verletzungen waren die Folge. All diese Maßnahmen können und sollen die Migration von Mexiko und Mittelamerika in die USA jedoch nicht verhindern. Sachbedingt schwierige Schätzungen geben die Erfolgsquote des Grenzübertritts zwischen 20 und 70 Prozent an. Im schlimmsten Fall sind also fünf Versuche notwendig, um in die USA zu gelangen – statistisch!

In unserer Welt, in der (fast) alles einen Preis hat, hat auch die illegale Reise von Land A in Land B ihren Preis. Geschätzt kostet das Reisepaket von Guatemala in die USA 7000 US-Dollar, von Mexiko in die USA auf dem Landweg 4000, auf dem (dort „bequemeren“ Seeweg) 9000 Dolar. Zum Vergleich: von Marokko in die EU 24000 US-Dollar). Teilweise sind diese Angebote mit Erfolgsgarantien versehen. Die Fluchthelfer werden in jener Weltgegend coyotes genannt.

Die USA waren immer ein Einwanderungsland – und sind es noch. Im Jahr 2013 waren 275 Millionen der in den USA lebenden Menschen auch dort geboren (und hatten damit die US-Staatsbürgerschaft), 41 Millionen waren nicht in den USA geboren, also dorthin eingewandert. Prozentual waren es damit 2013 13 Prozent aller in den USA lebenden Menschen, verglichen mit nur acht Prozent 1990. Rund die Hälfte der 41 Millionen stammt aus Lateinamerika, hiervon wiederum 11,5 Millionen aus Mexiko, ca. 3 Millionen aus dem übrigen Mittelamerika. Ein Viertel aller Eingewanderten stammen also aus Mexiko.

Von den 41 Millionen sind wiederum 26,2 Millionen im arbeitsfähigen Alter. Von diesen sind 7,6 Prozent als arbeitslos registriert. 12,3 Millionen haben bereits die Staatsangehörigkeit der USA erhalten. (Alle Zahlen für 2013 und nach der detaillierten offiziellen US-Statistik; state demographics data).

Die Zahl der sich illegal in den USA aufhaltenden Menschen wird auf elf Millionen geschätzt, hiervon entfallen 7,8 Millionen auf Mexiko und Mittelamerika (71%). 21 Prozent aller Illegalen sind in den letzten fünf Jahren eingereist. 46 Prozent sind Frauen. Immerhin 49 Prozent verfügen über einen höheren Schul-, Hochschul-, oder qualifizierten Berufsabschluss. Die Quote derjenigen, die, obwohl im arbeitsfähigen Alter, nicht arbeitet, soll bei 36 Prozent liegen. 63 Prozent haben Zugang zum Gesundheitssystem, 32 Prozent leben unter dem offiziellen Armutsniveau. Von den Illegalen sind 40 Prozent legal eingereist und „illegal“ geworden, weil ihr Visum abgelaufen ist.

Für jede Wanderungsbewegung sind grundsätzlich zwei Faktorengruppen maßgebend: Faktoren die ihre Ursache in dem Land haben, in das die Migration stattfindet (Pull-Faktoren) und Faktoren, die in den Ländern liegen, aus denen die Migration stattfindet (Push-Faktoren).

Die Push-Faktoren in Mittelamerika (einschließlich Mexikos) sind einfach auszumachen. Die Länder Mittelamerikas gehören zu den ärmsten Ländern der Welt, die Regierungen in diesen Ländern, mit wenigen Ausnahmen, zu den korruptesten der Welt. Die jüngeren Kriege der USA in ihrem Hinterhof haben bis heute ihre Spuren hinterlassen. Die Exportprodukte dieser Länder sind im Wesentlichen agrarischer Art bei sich verschlechternden terms of trade: die erzielten Exportpreise sinken in Relation zu den Preisen der Importe. Entsprechend groß ist in diesen Ländern das Gewaltpotential, Honduras ist z.B. das Land mit den meisten Morden je 1000 Einwohner auf der ganzen Welt.

Daher nehmen die Menschen meist große Strapazen auf sich, um – durch Mexiko hindurch – überhaupt erstmal an die US-Grenze zu gelangen. Filmisch verewigt ist La Bestia, der Güterzug, der Mexiko von Süden nach Norden in 12 – 14 Stunden durchfährt und der eines der Haupttransportmittel für die illegale Migration durch Mexiko ist. Raub, Raubmord, Vergewaltigungen und Entführung sind auf diesem Weg an der Tagesordnung (die Zahl der geschätzten Entführungen liegt bei 20000 pro Jahr). So wird den Flüchtlingen schon auf dem Weg zur US-Grenze das Wenige, was sie haben, genommen.

Für Menschen aus Mexiko ist die Lage nicht besser. Im Gegenteil: Mexiko ist auf dem Weg, sich zu einem ´failed state´ zu entwickeln. Durch das NAFTA-Abkommen noch mehr zur verlängerten Werkbank der USA zugerichtet, mit den gut dokumentierten ausbeuterischen Arbeitsbedingungen insbesondere junger Frauen (gezielte Morde von Frauen eingeschlossen). Hinzu kommt, dass Mexiko in den letzten Jahren Heimat der Kokain-Kartelle wurde und auf dem Weg der Drogen von den Andenländer in die USA Kolumbien als das Land, in dem die Steuerung dieses Prozesses stattfindet, abgelöst hat. In den Transportkorridoren hat Mexiko die territoriale Kontrolle verloren (oder aufgegeben), was für die dort lebenden Menschen bedeutet, dass sie dem ungebremsten Terror durch Drogenkartelle, Polizei, Militärs völlig ungeschützt ausgesetzt sind.

Was hier Staat und was Verbrechen ist, lässt sich nicht mehr auseinander halten, wie zuletzt die inszenierte Flucht des Drogen-Bosses El Chapo Guzmán gezeigt hat. „Flucht“ steht hier für das abgekartete Ende eines „Urlaubs“ Guzmáns in Abstimmung mit der Regierung. Zwischenzeitlich steht Mexiko weltweit an zweiter Stelle der Empfängerländer von Schwarzgeld mit geschätzt im Zeitraum 2001 bis 2010 empfangenen 476 Milliarden US-Dollar. In den ersten 14 Monaten der Regierungszeit des jetzigen Präsidenten Peña Nieto wurde 23640 Morde gezählt, ohne dass es zu nennenswerten Bestrafungen gekommen ist.

Für die Staaten Mittelamerikas stellen die Überweisungen ihrer in die USA emigrierten Staatsangehörigen („remesas“) einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. In El Salvador steuern sie mit vier Milliarden Dollar zu 16 BIP-Prozent bei: ein wichtiger Push-Faktor.

Die anziehenden (Pull-) Faktoren finden sich im US-Wirtschaftssystem, das auf die (legale und illegale) Migration angewiesen ist. Hinzu kommen die zahlreichen familiären Bindungen der mittelamerikanischen Bevölkerung in den USA, die ebenfalls zu den Pull-Faktoren gehören.

Für das einzelne Unternehmen, insbesondere im Agrobusiness, oder auch die einzelne Familie, die eine illegale Hausangestellte beschäftigt, sind die Illegalen höchst vorteilhaft. Hier können die Löhne am besten gedrückt, die Arbeitszeiten optimal ausgedehnt, die Ausbeutung am einfachsten maximiert werden.

Im staatlichen und kapitalistischen Gesamtinteresse ist dies jedoch nur teilweise. Hier ist es auch wichtig, dass gesteuert werden kann, was bei legalen Arbeitskräften einfacher ist. Bei höher qualifizierten Jobs ist es auch im Interesse des einzelnen Unternehmens, dass eine bestimmte Bindung zum Unternehmen entsteht und nicht auf Grund irgendwelcher politischer Entscheidungen die Arbeitenden urplötzlich abgeschoben werden. Das Verhältnis zwischen Illegalen (25%) und Legalen (75%) ist also staatlicherseits auszutarieren.

So haben viele Präsidenten – Republikaner (z.B. George W. Busch) ebenso wie Demokraten (Clinton und Obama) oft Millionen Illegalen einen zumindest temporären und unter bestimmten Bedingungen verlängerbaren Aufenthaltstitel gewährt. Gleichzeitig finden jedoch in großem Umfang Abschiebungen statt: So wurden z.B. 2012 410000 Illegale aus den USA abgeschoben.

Das Grenzregime zu Mexiko ist also vor allem eine Schleuse, die je nach Notwendigkeit mal geöffnet und mal geschlossen wird. Da es in den USA unterschiedliche Ansichten darüber gibt, wie viele und welche Arbeitskräfte gerade benötigt werden, sieht dies von außen betrachtet wie ein erratisch reagierendes System aus. Dies ist es jedoch nicht. Je mehr Geld ausgegeben und Grenzbarrikaden errichtet werden, desto feiner und genauer kann das System gesteuert werden.

Da die Ankommenden sich natürlich nicht an wie auch immer festgelegten Quoten orientieren, erhöht sich der Steuerungsbedarf. Das hiermit verbundene Leid und Elend, der hundertfache Tod, wird von den Verantwortlichen in den USA in Kauf genommen und achselzuckend als Kollateralschaden abgebucht.

Thomas Fruth ist Mitglied in der LP21-Redaktion

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