Erz oder Leben. Bergbauunternehmen als fünfte Gewalt in Mexiko

Aus: LunaPark21 – Heft 18

Der Artikel 27 der mexikanischen Verfassung liest sich teilweise sehr schön. Die Nation hat die Hoheit über die Bodenschätze auf dem zum Staat gehörenden Territorium. Deren Ausbeutung soll dem gesellschaftlichen Nutzen und der Verbesserung der Lebensbedingungen der städtischen und ländlichen Bevölkerung dienen. Der „öffentliche Reichtum“, den die Bodenschätze darstellen, muss möglichst gerecht verteilt werden und einer „ausgewogenen Entwicklung“ des Landes dienen. Aus diesem Grund hat die Nation zu „jeder Zeit“ das Recht, dem Privatbesitz Vorgehensweisen aufzuzwingen, die dem „öffentlichen Interesse“ dienen.

Die konservative Regierung des Präsidenten Felipe Calderón folgt in ihrer Regierungszeit seit 2006 einer anderen Maxime: Das Privatkapital hat jederzeit das Recht, der Nation Vorgehensweisen aufzuzwingen, die in seinem höchst privatem Interesse liegen und einer ausgewogenen Entwicklung des Landes sowie einer gerechten Verteilung öffentlichen Reichtums für jedermann offensichtlich entgegen stehen.

30 Prozent des Bodens konzessioniert

Bereits vor zwei Jahren wurde an dieser Stelle über den Bergbauwahn und speziell den neuen Gold- und Silberrausch in Mexiko geschrieben. Denn beim südlichen Nachbarn, den USA sind es weniger seltene Erden oder begehrtes Kupfer, die im Boden liegen. Das Geschäft liegt vor allem im Fördern der Gold- und Silberreserven. Die Regierung hat alles getan, diese Entwicklung noch mehr voranzutreiben. Bevor sie Ende dieses Jahres abtreten muss, will sie vollendete Tatsachen schaffen. Anders als die vergleichsweise progressiven Regierungen in Brasilien, Argentinien und Bolivien macht sie dabei noch nicht einmal den Versuch, den Staat an den riesigen Gewinnen der Konzerne teilhaben zu lassen. Die Konzessionsvergabe für Sondierung und Förderung geht rasant weiter. Sowohl für die Ausbeutung unter Tage als auch für den noch zerstörerischen Tagebau. Bald werden etwa 30 Prozent des mexikanischen Territoriums für den Bergbau konzessioniert sein. Vor zwei Jahren waren es noch gut 25 Prozent, auch schon kaum vorstellbar. Angesichts dessen, was vermutlich noch an Gold, Silber, anderen Erzen und seltenen Erden im mexikanischen Boden steckt, gibt es Wissenschaftler, die eine Extraktion auf 80 Prozent des mexikanischen Territoriums für denkbar halten.

Seit 1992 haben mehrere Gesetzesänderungen den mexikanischen Bergbau zunehmend dem ausländischen Kapital geöffnet. War dessen Beteiligung anfangs auf 49 Prozent begrenzt, so bedeuteten weitere „Reformen“ 2005 eine völlige Öffnung für die internationalen Konzerne. Konzessionen gibt es inzwischen für einen Zeitraum von bis zu 50 Jahren. Sie sind danach noch einmal um maximal 50 Jahre verlängerbar. Die Inhaber dieser Konzessionen können also in aller Ruhe darauf warten, dass der Marktpreis der Ressourcen, die sie aus dem Boden holen, ihnen Rentabilität garantiert.

Das Perfide: Obwohl der Bergbau fest in privater Hand ist und weder Bund, Bundesstaaten noch Kommunen von den Einnahmen profitieren, gilt die Extraktion dem Gesetz nach als eine Aktivität von „öffentlichem Nutzen“. Im Zweifelsfall kann damit über die Köpfe von kleinen Privateigentümern oder Landgemeinden hinweg entschieden werden. Haben diese eine ganz andere Nutzung des Bodens im Sinn, so ziehen sie in der Regel den Kürzeren. Wehren sie sich, kann ihr Land vorübergehend besetzt oder zwangsenteignet werden. Wenn es um den knappen „Rohstoff“ Boden geht, hat der Kleinbauer gegen den Bergbaukonzern keine Chance. Aus Gesetzessicht ist das alles legal. Die Unternehmen können nur gewinnen.

Nach wie vor sind es vor allem die kanadischen Minenkonglomerate (wie Goldcorp, Fortuna Silver Mines, Blackfire), die in acht von zehn Fällen bei den Konzessionen zum Zuge kommen. Der Vorteil für die Konzerne mit Sitz im Ausland: Sie können ihre Gewinne problemlos transferieren. Nicht einmal Grundstückssteuer zahlen sie in Mexiko. Pro Hektar konzessioniertem Land, so rechneten jüngst Teilnehmer an dem Seminar „Megaprojekte im Bergbau, Umweltzerstörung und Menschenrechte“ an der Autonomen Mexikanischen Nationaluniversität (UNAM) vor, führen sie zwischen 5 und 111 Pesos an die mexikanischen Steuerbehörden ab. 111 Pesos entsprechen derzeit etwas mehr als 6 Euro. Die Zahlung ist unabhängig davon, ob roter Tuffstein oder eben Edelmetall aus dem Boden geholt wird.

Das nationale Privatkapital lässt sich die phantastischen Bedingungen genauso wenig entgehen. Ein Beispiel ist die Minera Frisco im Bundesstaat Puebla. Sie gehört zum Firmenimperium des Mexikaners Carlos Slim, laut Forbes reichster Mensch der Welt. Slim will nahe der Ortschaft Tetela de Ocampo auf 10600 Hektar mindestens 9 Milliarden Pesos (gut 500 Millionen Euro) in den Tagebau investieren, um Gold und Silber aus dem Gestein zu lösen. Ein Dorfkomitee versucht unter dem Slogan „Nein zum Gold, Ja zum Leben“ die Förderung zu verhindern.

Das „Ja zum Leben“ ist einfacher gesagt als getan. Nach Auffassung des Ökonomen Andrés Barreda von der UNAM sind die Bergbauunternehmen inzwischen zu Spezialisten in Konflikttechnik geworden. Mit Hilfe von Soziologen und Anthropologen würden Probleme in Gemeinden ausfindig gemacht. Um diese dann gezielt auszunutzen und gegebenenfalls zu eskalieren, damit es keinen geeinten Widerstand gegen den Extraktivismus gibt.

Auftragsmorde

Ein Paradebeispiel dafür ist der Fall der Mine Cuzcatlán (der Name Cuzcatlán ist der Nahuatl-Sprache entlehnt und kann mit „Ort der Juwelen“ übersetzt werden) in San José del Progreso im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca. Die Konzession gehört dem kanadischen Konzern Fortuna Silver Mines. Trotz jahrelanger Proteste begann dort im September 2011 die kommerzielle Gold- und Silberproduktion. Noch 2011 sollten dort 520000 Feinunzen Silber und 4600 Feinunzen Gold gefördert werden. Für 2012 ist die dreifache Menge anvisiert. „Dies ist ein Meilenstein für Fortuna“ heißt es dazu in einer Presserklärung des Konzerns. Die Euphorie verwundert wenig. Bei den aktuellen Gold- und Silberpreisen ist die Gewinnspanne riesig. Fortuna Silver Mines gibt die eigenen Kosten pro Unze Silber mit 5,04 US-Dollar an. Derzeit erzielt die Unze Silber einen Marktpreis von 35-40 US-Dollar. Der Preis für die Feinunze Gold erreichte in den vergangenen Monaten immer neue Rekordhöhen und pendelt derzeit bei rund 1750 US-Dollar, während die Produktionskosten leicht über 300 Dollar liegen dürften. Es lässt sich ausrechnen, wie schnell sich die Konzerninvestition von 55 Millionen Dollar amortisiert.

Eine Mine = Wasserverbrauch einer Großstadt

Nach Daten der mexikanischen Statistikbehörde INEGI ist die Bergbauindustrie für den überwältigenden Teil freigesetzter Giftstoffe wie Blei, Arsen, Kadmium und Blausäure verantwortlich. Dramatische Konsequenzen werden für den Wasserhaushalt befürchtet. Einerseits glauben weder betroffene Bevölkerung noch Umweltschützer den Beteuerungen der Bergbauunternehmen, das Grundwasser sei vor Vergiftung geschützt. Andererseits gibt es den wasserintensiven Tagebau oft in Regionen, in denen die Bevölkerung unter Wassermangel leidet. Einige Beispiele:

Der tägliche Wasserverbrauch einer Mine des kanadischen Rohstoffkonzerns Goldcorp in Mazapil entspricht dem gesamten täglichen Wasserkonsum der knapp 1,4 Millionen Bürger des Bundesstaates Zacatecas.

In Cerro de San Pedro nahe der Stadt San Luis Potosí hat das kanadische Unternehmen New Gold Minería San Xavier in den vergangenen Jahren nicht nur mehrere Hügel gesprengt und abgetragen – darunter den kleinen Berg, der im Wappen des Bundesstaates San Luis Potosí wiedergegeben ist. Die Mine verbraucht auch mit 32 Millionen Liter mehr Wasser am Tag, als alle Haushalte der Millionen-Stadt zusammen.

In San José del Progreso im südlichen Bundesstaat Oaxaca erhofft sich das Unternehmen Fortuna Silver Mines (…) eine reiche Gold- und Silberausbeute. In Bälde sollen täglich 1500 Tonnen Gestein zerkleinert und ausgewaschen werden. Die dafür benötigten 1,5 Millionen Liter Wasser täglich sollen unter anderem aus einem kleinen Stauteich der Gemeinde und aus dem zwölf Kilometer entfernten Fluss Atoyac beschafft werden. Von den 1000 Familien im Dorf hat nur ein Viertel einen Trinkwasseranschluss. Der Grundwasserspiegel ist in den letzten Jahrzehnten ohnehin ständig gesunken. Als Dorfbewohner im Frühjahr 2009 das Minengelände besetzten, machten zwei Monate später mehrere Hundertschaften staatlicher Sicherheitskräfte samt Hundestaffel den Weg für Fortuna Silver Mines frei.

Gerold Schmidt, „Wirklich wahre Goldgruben“, in, Lunapark21, Heft 10, Sommer 2010.

Bernardo Vásquez Sánchez stand der schnellen Amortisierung eindeutig im Weg. Der junge Agraringenieur war einer der führenden Köpfe des Widerstandes gegen den Bergbau in San José. Immer wieder wies er auf die immense Schere zwischen dem Zerstörungspotential der Mine und dem tatsächlichen Nutzen für die örtliche Bevölkerung hin. Immer wieder sprach er die Gefahr für die Wasserversorgung der Gemeinden an. Seine zapotekische Herkunft erleichterte ihm die Kommunikation mit den überwiegend indigenen Dorfbewohnern. Seine Ausbildung ermöglichte es ihm, die Risiken des Bergbauprojektes anhand von Statistiken, Bauplänen und Schaubildern fundiert einem größerem Publikum auf Foren und anderen Plattformen zu erklären. Das machte ihn zu einem doppelt gefährlichen Gegner für die kanadischen Schatzsucher und wortwörtlich zu einem Jagdobjekt. Am Abend des 15. März 2012 wurde der 32-jährige erschossen. Bereits am 18. Januar 2012 war in San José del Progreso der 57-jährige Bernardo Méndez Vásquez bei einer Demonstration erschossen worden. Damals gab es Spekulationen, es handele sich wegen der großen Namensähnlichkeit um eine Verwechslung. Es wird schwer sein, den Konzernherren in Vancouver oder ihren Erfüllungsgehilfen vor Ort einen gezielten Auftragsmord nachzuweisen. Fortuna Silver wäscht sich die Hände in Unschuld. Der Konzern bedauert wie die Regierung von Oaxaca die „Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen“. Eine Verhöhnung der Toten.

Nicht umsonst schrieb die Anwältin und Zeitungskommentatorin Magdalena Gómez im Zusammenhang mit den Bergbaukonzernen und ihrem „schrankenlosen Extraktivismus“ von der „fünften Gewalt“ in Mexiko. Hoffnung auf Änderung gibt es kaum. Selbst wenn am 1. Juli wider Erwarten der Linkskandidat Andrés Manuel López Obrador bei den Präsidentschaftswahlen gewinnen sollte. In seinem Wahlkampf kam das Thema Bergbau kaum vor.

Gerold Schmidt lebt in Mexico D.F; er schrieb in LP21 Heft 3 zu Pemex und in Heft 10 zu dem „Bergbauwahn der Multis in Mexiko“.

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