Aus: LunaPark21 – Heft 18
Den Vorstellungen der Regierung in Warschau zufolge steht Polen vor einer regelrechten Erdgasbonanza, die das Land von russischen Energielieferungen unabhängig machen würde. Der rechtsliberale Regierungschef Donald Tusk betonte Mitte Mai die Bereitschaft seines Landes, die Förderung von sogenanntem Schiefergas langfristig zu unterstützen und rechtlich abzusichern. Es handele sich um „ein enormes energetisches Unterfangen, das die Fundamente für die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität der kommenden Jahrzehnte“ legen werde, betonte Tusk.
In Polen wurden bereits 20 Bohrungen nach Schiefergas vorgenommen, in nächster Zeit sollen sieben weitere hinzukommen. Binnen der nächsten fünf Jahre soll so die Erdgasförderung laut Prognosen der polnischen Regierung bereits auf zehn Milliarden Kubikmeter gesteigert werden. Und das weitere Potenzial für Schiefergasabbau ist tatsächlich enorm: In Polen sollen sich die größten Schiefergasvorkommen Europas befinden, nach Schätzungen des US-Energieministeriums bis zu 5,3 Billionen Kubikmeter. Die von der polnischen Ostseeküste bis nach Südostpolen lokalisierten Vorkommen würden somit ausreichen, um Polens Erdgasbedarf für mehr als 150 Jahre zu decken. Die Claims sind auch bei dieser von Warschau erhofften Bonanza bereits abgesteckt. Es sind hauptsächlich US-amerikanische Multis wie Exxon Mobil oder Chevron, aber auch britische oder kanadische Unternehmen, die bisher bei der Lizenzvergabe zum Zuge kamen.
Auch die Ukraine will mittels Schiefergasabbau, der aufgrund neuer umstrittener Fördertechniken ermöglicht wird, ihre energetische Unabhängigkeit stärken und so den Dauerkonflikt um Gaspreise und Liefermengen mit Russland entschärfen. Der ukrainische Premier Asarow kündigte Mitte Mai einen massiven Ausbau der Förderung von Schiefergas an, um so die Fördermenge binnen der kommenden acht Jahre auf 15 Milliarden Kubikmeter zu steigern.
In weiten Teilen Europas sieht die Politik das Potenzial dieses „unkonventionellen Energieträger“ hingegen weitaus kritischer. So wurden in Deutschland und Frankreich nach ersten Versuchen die Bohrungen nach diesem Energieträger eingestellt.
Geheimes Giftcocktail
Dies liegt nicht zuletzt an der kostspieligen, aufwendigen und auch gefährlichen Fördertechnik, dem sogenannten Fracking, mit der Schiefergas gewonnen wird. Dabei kommt eine sogenannte Fracking-Flüssigkeit zum Einsatz, die unter sehr starkem Druck durch das Bohrloch ins Erdreich gepumpt wird. Dieses Gemisch besteht zu 98 Prozent aus Wasser, zu 1,8 Prozent aus Quarzsand und zu 0,2 Prozent aus einem Chemikaliencocktail, dessen genaue Zusammensetzung oft als ein Betriebsgeheimnis gilt. Darunter befinden sich auch hochgiftige Stoffe, die zu Augenreizungen führen können, oder beim Inhalieren die Atemwege stark angreifen und beim Verzehr ab einer bestimmten Dosierung tödlich wirken. Daneben finden sich in der Fracking-Flüssigkeit noch Biozide und eine Petroleummischung. Im Umgang mit diesen Stoffen muss direkter Hautkontakt vermieden werden.
Der Bohrvorgang ist hochkomplex und fehleranfällig. Die Bohrungen müssen zuerst bis zu den 1000 bis 1500 Meter tief liegenden Schieferschichten vertikal durchgeführt werden, wobei die grundwasserführende Schicht aufwendig mittels eines Rohrsystems abgedichtet werden muss, um deren etwaige Kontaminierung zu verhindern. Hiernach werden in mehr als 1000 Metern Tiefe horizontale Bohrungen vorgenommen, um möglichst weit in die Schieferschichten einzudringen. Anschließend wird die besagte, mit dem Chemiekocktail angereicherte Fracking-Flüssigkeit unter sehr hohen Druck in diese Gesteinsschichten hineingepresst, wodurch diese aufgesprengt werden und das in ihnen gebundene Erdgas freisetzen. Problematisch ist bei dieser Fördermethode auch der langfristige Aspekt, da selbst nach Angaben der Energiekonzerne ein Großteil der Fracking-Flüssigkeit nicht abgepumpt werden kann und folglich für immer im Boden verbleibt.
Das Land des unbegrenzten Frackings
Eine Vorreiterrolle beim Fracking nehmen die Vereinigten Staaten ein, die den Schieferausbau massiv forciert haben. Der Schiefergas-Boom in den USA wird an der massiven Ausweitung der Fördermengen deutlich, die von 57 Milliarden Kubikmetern im Jahr 2008, über 88 Milliarden 2009 auf rund 120 Milliarden Kubikmeter 2010 explosionsartig anstiegen. Inzwischen umfasst Schiefergas rund 23 Prozent der gesamten Erdgasproduktion der Vereinigten Staaten, die aufgrund dieser Produktionssteigerung dabei sind, sich von einem Importeur zu einem Exporteur von Energieträgern zu entwickeln.
Die Kehrseite des Booms kann in vielen Landstrichen der USA besichtigt werden, wie etwa in einem Waldstück in West Virginia: „Nach zwei Tagen waren alle Bodenpflanzen tot. Innerhalb von zehn Tagen begannen die Blätter der Bäume sich braun zu färben. Nach zwei Jahren war mehr als die Hälfte der circa 150 Bäume abgestorben.“ Diese Schilderung der ökologischen Verwüstungen, die die aus einem Bohrloch auslaufende Fracking-Flüssigkeit verursacht, fanden sich im US-Fachmagazin „Journal of Environmental Quality“. Ähnliche Berichte über die Folgen des größtenteils unregulierten Fracking lassen sich zu Dutzenden finden. Teilweise wird die hochgiftige Fracking-Flüssigkeit einfach in frei zugängliche und offene Erdlöcher gepumpt, die bei der nächsten Überschwemmung die benachbarten Gewässer und Felder verseuchen. Neben der Kontaminierung des Bodens an der Oberfläche sind die bereits erwiesenen Verunreinigungen des Grundwassers hochproblematisch. Bei einer breit angelegten Studie untersuchten Wissenschaftler 68 Brunnen von Privathaushalten in Pennsylvania und New York, die sich in der Nähe von Schiefergas-Bohrtürmen befanden, mit alarmierendem Ergebnis: 85 Prozent dieser Wasserproben enthielten Methan, wobei die Konzentration ab einem Abstand von nur einem Kilometer zu den Bohrtürmen besonders hoch gewesen sei.
Dennoch sind inzwischen auch viele Schwellenländer bemüht, dem US-Vorbild zu folgen und die Förderung von Schiefergas massiv auszubauen. In China nahm die erste Förderanlage für Schiefergas ihren Betrieb im Juni auf, in Indien soll dies in vier Jahren der Fall sein.
Tomasz Konicz, geboren in Olsztyn in Polen, arbeitet als freier Journalist zu Themen wie Ökonomie, Ökologie, Osteuropa. Er schrieb im letzten Heft von LP21 „Kahlschlag in Hellas –Berlin dreht an der Todesspirale“.