Stirbt die “Neue Frauenbewegung” mit ihren Protagonistinnen – Zum Tod von Kate Millet

Die „neue“ westdeutsche Frauenbewegung wird im nächsten Jahr 50 Jahre alt. Sie hat einiges erreicht, was – wenn wir nicht aufpassen – wieder zurückgedreht werden wird. Und das, obwohl die „volle Gleichberechtigung“ zwischen den Geschlechtern noch lange nicht verwirklicht ist. Noch immer lamentieren Frauen darüber, dass zu wenig Frauen in technischen Berufen lernen und arbeiten, dass Frauen in Führungspositionen seltener sind als Männer, Männer nicht die Verantwortung für die Haus und Sorgearbeiten übernehmen, Frauen weniger Lohn und dafür die „Vereinbarkeitsproblematik“ bekommen, und dann behindert in der Weiterbildung und in der beruflichen Karriereplanung sind.

 

Haben „wir Frauen“ – die es freilich gar nicht gibt, weil Frauen bekanntlich ganz unterschiedlich sind – nicht lange genug gejammert, vor allem über das Problem der „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, das ohnehin nicht alle betrifft. Dass die „Neue Frauenbewegung“ in Westdeutschland sich als Gegenbewegung, als Basisbewegung von Frauen für Frauen, die Hierarchien im Privatleben, im Betrieb und in der Öffentlichkeit als patriarchale Strukturen ablehnte, verstand und dass sie dafür eintrat, dass sich die Strukturen in Beruf und Familie ändern, scheint vergessen.

 

Wichtige Impulse erhielt die Frauenbewegung in der BRD durch US-amerikanische Feministinnen, die bereits seit Beginn der 1960er Jahre aktiv waren. Radikale Feministinnen versuchten in den USA, sowohl das öffentliche als auch das private Leben von Grund auf neu zu erfinden. Zu ihnen gehörten Betty Friedan (1921 – 2006), Shulamith Firestone ((1945 – 2012) und Kate Millet (1934 – 2017). Soweit sie nicht vergessen sind, wird ihnen heute Männerfeindschaft unterstellt. Sie wollten jedoch weniger die Frau vom Manne befreien, sondern beide von der falschen Ordnung, die ein richtiges Leben für Frau und Mann unmöglich machte.

 

1969 erschien Kate Millets bahnbrechendes Werk Sexual Politics (deutsch 1970: Sexus und Herrschaft) in dem sie die Politik des Patriarchats und die Familie als Fundament der patriarchalen Gesellschaft analysierte und kritisierte. Die zentrale These von “Sexual Politics”, das auf ihrer wissenschaftlichen Dissertation basierte, lautete, dass die Beziehung zwischen den Geschlechtern immer politisch zu verstehen sei. In dem Werk forschte sie nach den Ursprüngen des Patriarchats in der westlichen Gesellschaft – und vor allem in der westlichen Literatur. Zu diesem Zweck untersuchte sie die sexistischen und heterosexuellen Perspektiven in Romanen von D. H. Lawrence, Henry Miller und Norman Mailer und verglich sie mit der Sichtweise des homosexuellen Autors Jean Genet.

 

Sie betrachtet die Unterdrückung der Frau als die primäre Ausbeutungs- und Unterdrückungsform der Gesellschaft, die sie insgesamt als patriarchal bezeichnet. Für Millett ist das Patriarchat eine soziale und historische Konstante, „die sich durch alle anderen politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Formen hindurch zieht, sei es in Kasten oder Klassen, Feudalherrschaft oder Bürokratie oder in den großen Religionsgemeinschaften“.

 

Kate Millet war keine Ökonomin. Sie war Literaturwissenschaftlerin, Schriftstellerin und Bildhauerin, und wurde in den 1980er Jahren, nachdem sie schon beinahe in Vergessenheit geraten war, Bäuerin auf einer kleinen Farm im Staat New York, auf der sie eine Künstlerinnen-Kolonie angesiedelt hatte. Sie schrieb etliche andere Bücher, die alle mit ihren jeweiligen Lebenszusammenhängen zu tun hatten. Kultbuch der 1970er Frauenbewegung wurde ihr Hauptwerk „Sexus und Herrschaft“.

 

In den USA wurde es mit dem “Kapital” von Karl Marx verglichen, das in diesem Jahr 150 Jahre alt wird. „Das mag etwas hochgestochen sein“, schrieb Gerhard Zwerenz 1971 in einer Rezension im „SPIEGEL“. Gab aber zu, dass – nimmt man “Das Kapital” Band 1 – der Vergleich passen würde. „Eine gewaltige, alle verfügbaren Erfahrungen, Daten und Untersuchungen umfassende Energie“ würde den Grundstock zu der Studie, die zugleich ihre Doktorarbeit war, legen. Er vergleicht Marx Theorie der Befreiung des Proletariats mit Milletts Theorie zur Befreiung der weiblichen Klasse. Durch beide Werke würden „alle vorherigen Versuche zu höchstens gutgemeinten Utopie schrumpfen“.

 

Käte Millett war schonungslos radikal. Ihr ging es um die Befreiung der Frauen. Das Patriarchat sah sie als grundlegendes Herrschaftsverhältnis, als eine „soziale Konstante“, ein „Grundprinzip“ jeder Gesellschaft.  „Im Patriarchat entwickelte sich der Begriff des Eigentums von seinem einfachen Ursprung, der Frau als beweglicher Habe […]. Die Unterwerfung der Frau unter den Mann ist natürlich weit mehr als ein wirtschaftliches oder politisches Ereignis; sie ist ein totales gesellschaftliches und psychologisches Phänomen”, schrieb Kate Millett. Die Unterdrückung der Frauen und die sich darin widerspiegelnden gesellschaftlichen Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern sah sie als Ursache der Frauenunterdrückung in Beruf und Familie. Sie sprach von einer Revolution, von der „Sexualrevolution“, die die „Wüste, die wir bewohnen“ in eine „bessere Welt“ verwandeln wird. Es ging ihr keineswegs lediglich um weiße Mittelschichtsfrauen, wie ihr später mitunter vorgeworfen wurde. Frauenbewegung, Bürgerrechtsbewegung, StudentInnen und Schwarze bildeten für Kate Millett eine „radikale Koalition“.

“Sexual Politics” kann noch heute als Grundlagenwerk für die Auseinandersetzung mit Gender, Wirtschaft und Kultur gelten. Es ist nicht mehr „modern“, hat aber nichts an Aktualität verloren. Im Erscheinungsjahr wurde es 80.000mal verkauft. Im Jahre 2000 wurde es in den USA neu aufgelegt, in Deutschland kann man es nur noch antiquarisch kaufen.

Kate Millett starb am 6. September 2017 bei einem Besuch in Paris, wo sie ihren 82. Geburtstag feiern wollte, plötzlich an einem Herzinfarkt. Die „neue Frauenbewegung“ hat eine wichtige Protagonistin verloren.

 

Gisela Notz ist Mitglied der Redaktion von Lunapark21. Gerade ist Lunapark21 Extra 14/15 erschienen zum Thema Rhein-Reisende – Kunst und politische Ökonomie von und an den Ufern des Stroms. Mit diesem Heft versuchen wir Kunst und linke Politik miteinander zu verbinden. Wir präsentieren die Kunst unseres Graphikers Joachim Römer. Das Heft kann kann einzeln oder über unsere App bei Apple und GooglePlay in elektronischer Form bestellt/gekauft werden.