Stimmen mit Gewicht

Vonovia übernimmt Deutsche Wohnen

Von ein paar Hedgefonds lässt sich die Nummer Eins nicht ihre Strategie diktieren. Vonovia, der größte börsennotierte Wohnungskonzern der Bundesrepublik, hatte Ende Mai 2021 ein Übernahmeangebot für die Nummer zwei, die Deutsche Wohnen, vorgelegt. Zwei Monate später musste der Vorstand einräumen, dass die angestrebte Mehrheit knapp verfehlt wurde. Doch das war kein Grund aufzugeben. Anfang August folgte ein leicht aufgebessertes Angebot an die Aktionäre des Konkurrenten: Statt 18 waren es nunmehr 19 Milliarden Euro, die auf dem Tisch lagen. Und Mitte September erklärte der Vonovia-Vorstand, dass er den Kampf auf jeden Fall gewinnen will: Die Mindestannahmeschwelle wurde aus dem Übernahmeangebot gestrichen, als größter Aktionär werde man die Deutsche Wohnen (DW) auch mit einem Anteil von weniger als 50 Prozent in den Griff kriegen. Die Botschaft kam an, auch die letzten Hedgefonds sahen es ein und verkauften. Anfang Oktober lag der Anteil der Vonovia an der DW bei 60, Ende Oktober bei knapp 90 Prozent. Es gibt an den Finanzmärkten auch wankelmütige Aktionäre, die sich nur von kurzfristigen Überlegungen leiten lassen. Es gibt aber daneben kapitalkräftige Investoren, die zu langfristigen Planungen und ihrer Umsetzung in der Lage sind. Ihre Stimmen haben Gewicht. Vonovia und ihre Großaktionäre, der Vermögensverwalter Blackrock und der Norwegische Staatsfonds, gehören dazu.

Geschäftsmodell Vonovia

Die öffentliche Kritik an zu hohen Mieten nahm Vonovia-Chef Rolf Buch schon Ende Mai mit einem Angebot zur Sozialpartnerschaft auf: Nicht im Konflikt, sondern in der Kooperation mit dem Kapital könne die Wohnungskrise bewältigt werden. Gewisse Beschränkungen für Mietsteigerungen, Ankündigung von Neubau und ein Angebot über den Verkauf von Wohnungen an das Land Berlin sollten die Übernahme begleiten. Damit wird einerseits dem politischen und sozialen Druck begegnet. Andererseits ist es keine echte Einschränkung des Geschäftsmodells der Vonovia, in dem die Bewirtschaftung und Modernisierung der Immobilienbestände nur eine, allerdings eine notwendige Voraussetzung für die Spekulation darstellt.

Nach der Übernahme kommt Vonovia mit gut 500.000 Wohnungen im Bundesgebiet auf einen Anteil von 2,5 Prozent am deutschen Mietwohnungsmarkt. In Berlin werden es fast 10 Prozent sein. Das Unternehmen ist schon in den letzten Jahren durch den Aufkauf anderer Wohnungsunternehmen stark gewachsen. Die Umsatzerlöse der Vonovia aus der Immobilienwirtschaft haben sich von 2012 bis 2020 von einer auf drei Milliarden Euro erhöht. Die durchschnittlichen Mieten je Quadratmeter legten im selben Zeitraum um 32 Prozent zu: von 5,27 auf 6,95 Euro. Das Wachstum der Vonovia war überwiegend ein Mengenwachstum: Mehr Miete aus mehr Wohnungen.

Die Rendite für die Aktionäre kommt vor allem aus den steigenden Aktienpreisen. Alle acht deutschen börsennotierten Immobiliengesellschaften bewerten ihre Immobilien in den Bilanzen nicht nach deutschem Handels- und Steuerrecht zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten, sondern als Konzerne und Finanzinvestoren nach den International Financial Reporting Standards. Die Anteilseigner von Vonovia setzen darauf, dass die Preise der internen Bewertung bei Verkäufen von Immobilienbeständen auch auf dem Markt realisiert werden können. Die Veräußerungsgewinne verbleiben weitgehend im Unternehmen und werden für Zukäufe genutzt. Solange das funktioniert, steigt nicht nur der in den Bilanzen ausgewiesene Unternehmenswert sondern auch der Börsenkurs. Die Aktionäre können ihre Anteile zu einem höheren Preis verkaufen, als sie selbst bezahlen mussten. Diesen höheren Preis bezahlen die neuen Anleger, die jetzt einsteigen und auf einem höheren Niveau da s gleiche versuchen: Sie spekulieren auf einen weiter steigenden Aktienkurs. Die Dividendenzahlungen (2020 ca. 1 Mrd Euro) nehmen die Halter der Aktien gern mit.

Das heißt nicht, dass Investoren keine Schwierigkeiten haben. Im Gegenteil: Die Übernahme der DW ist das nächste Kapitel einer Bereinigung unter den privatwirtschaftlichen Immobilienunternehmen, die seit Jahren etwa 13 Prozent der Mietwohnungen in Deutschland kontrollieren. Ihre Bestände sind fast durchweg aus den Wohnungsprivatisierungen der späten 1990er und frühen 2000er Jahre entstanden. Die Finanzkrise 2007-09 hat die Ära der Privatisierungen aber erst einmal beendet. Seitdem drängeln sich all die privatwirtschaftlichen Unternehmen im selben Marktsegment, das nicht mehr wächst. Sie können sich im wesentlichen nur gegenseitig etwas abkaufen oder fusionieren. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung stellt das in seinem Bericht zu den Wohnungs- und Immobilienmärkten in Deutschland 2020 dar: Seit 2015 befindet sich das Handelsgeschehen mit großen Wohnungsbeständen in einer „zweiten Tiefphase“, denn es herrscht „Knapphe it an verfügbaren Wohnungsportfolios“.

Der DW unter ihrem Vorstandschef Michael Zahn war es nicht gelungen, auf dem beschränkten Markt erfolgreich zu wachsen. Anders als Vonovia, war sie mit allen großen Übernahmeprojekten in den letzten Jahren gescheitert. Bis heute werden die Bestände der DW deshalb von zwei privatisierten Berliner Wohnungsunternehmen geprägt, der Gehag und der GSW: 70 Prozent des DW- Bestandes liegen in der Hauptstadt. Und die ist ein schwieriges Terrain.

Einerseits ging die Verengung auf dem Wohnungsmarkt mit einer massiven Steigerung der Angebots-, aber auch der Bestandsmieten einher. Die Suche nach einer neuen Bleibe in Berlin ist selbst für Normalverdiener wenig aussichtsreich, auf jeden Fall dauert sie lange. Die Bevölkerung Berlins ist von 2010 bis 2020 von 3,4 Millionen auf knapp 3,8 Millionen gewachsen. 2019 kamen auf gut zwei Millionen Haushalte 1,97 Millionen Wohnungen, davon waren 84 Prozent Mietwohnungen. Die Leerstandsquote liegt seit einigen Jahren unter der Fluktuationsreserve von etwa zwei Prozent des Wohnungsbestandes. Und in Umkehrung eines langfristigen Trends ist die Wohnfläche je Einwohner seit 2010 gesunken, von 40 auf 38,2 Quadratmeter. Durch verdichtete Nutzung im Wohnungsbestand wurde damit eine Fläche „eingespart“, die gut 100.000 Wohnungen zu 63 Quadratmetern entspricht.

Der Wohnraumbedarfsbericht Berlin stellt für über 370.000 Haushalte eine Wohnkostenüberbelastung fest – die Bruttowarmmiete beträgt mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens. Dabei unterschätzt der Bericht das Problem deutlich, denn er setzt voraus: „Die Transferleistungsempfängerinnen und -empfänger … stellen keine Teilmenge der mit leistbaren Wohnungen zu versorgenden Haushalte dar, da die Wohnkosten … übernommen werden.“ Tatsächlich müssen aber knapp 90.000 Haushalte im Transferleistungsbezug zu den Wohnkosten aus ihrem Existenzminimum zuzahlen. Die Wohnungsknappheit ändert das Kräfteverhältnis auf dem Markt zugunsten der Anbieter.

Andererseits hatte schon Marx auf die Grenzen der Macht der Immobilieneigentümer hingewiesen: „Mit der juristischen Macht dieser Personen, Portionen des Erdballs zu brauchen und zu mißbrauchen, ist nichts abgemacht. Der Gebrauch derselben hängt von ökonomischen Bedingungen ab, die von ihrem Willen unabhängig sind“.1 In Berlin läuft das Geschäft nicht wie in München oder Frankfurt am Main, weil Berlin nicht München oder Frankfurt ist. Der Standort der DW gibt nicht so viel her: Eine Lektion, die Vorstandschef Zahn und Co. durch eine Reihe von Gerichtsverfahren und Mieterprotesten lernen mussten.

In der Konkurrenz gibt es keinen zweiten Sieger. Die DW ist am Ende gescheitert, aber erfolgreich gescheitert. Das Übernahmeangebot war für ihre Aktionäre ein gutes Geschäft. Und es ist nebenbei eine Antwort auf die Initiative für eine Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen, die sich nicht ohne Grund „dwenteignen“ genannt hatte. Denn bei einem Angebot von mehr als 19 Milliarden Euro für den gesamten Konzern zahlt die Vonovia für die Berliner Bestände der DW gut 13 Milliarden Euro. Offenbar hat die Vonovia vor einer Enteignung durch Volksentscheid keine Angst.

Votum gegen steigende Mieten

Parallel zur Bundestagswahl und den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus wurde in der Hauptstadt am 26. September über den „Beschluss zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs durch den Senat zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen“ abgestimmt. Der komplizierte Name zeigt die vielen Kompromisse, die auf dem Weg zur amtlichen Zulassung nötig waren. Entschieden wurde deshalb nicht über ein Gesetz oder ein irgendwie konkretes Vorhaben, sondern über einen Auftrag an die künftige Landesregierung. Das amtliche Endergebnis lautet: 1.035.950 Ja-Stimmen, 715.698 Nein-Stimmen, 46.660 Stimmen waren ungültig: Mit 57,6 Prozent der Teilnehmenden und 42,3 Prozent der Abstimmungsberechtigen war der Volksentscheid erfolgreich. Gleichzeitig allerdings wählten die Berlinerinnen und Berliner ein Landesparlament, in dem die Befürworter einer Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen keine Mehrheit haben. Was nun?

Die Initiative hat kein copyright auf ihren Vorschlag oder eine Interpretationshoheit über die Umsetzung. Nur wenn Senat und Parlament sie einladen, hat sie eine Stimme in den weiteren Verhandlungen. Im Verlauf des nächsten Jahres sollen alle offenen Fragen in einer Kommission erörtert werden, die SPD, Grüne und Linkspartei in ihrem Koalitionsvertrag für die Landesregierung angekündigt haben. Auch ein erfolgreicher Volksentscheid kann an den Mehrheitsverhältnissen der Landespolitik scheitern. 2017 war parallel zur Bundestagswahl ein Volksentscheid zum Weiterbetrieb des Flughafens Tegel erfolgreich (994.916 Ja-Stimmen, 56,4 Prozent der Teilnehmenden, 40,1 Prozent der Abstimmungsberechtigten). Im Juni 2018 aber lehnte das Landesparlament mit der Mehrheit von SPD, Linkspartei und Grünen den Vorschlag als nicht umsetzbar ab.

Sicherlich ist das aktuelle Abstimmungsergebnis vor allem einem Protest gegen steigende Mieten geschuldet. Doch auch das Versprechen der Machbarkeit hatte die breite Unterstützung für die Sozialisierungsforderung gespeist. Mit Verweis auf Artikel 15 Grundgesetz war die prinzipielle Berechtigung des Vorhabens gesichert. Doch die Legalität der Vergesellschaftung hängt an der Zahlung einer an-
gemessenen Entschädigung. Die Ini-tiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ kommt durch die Annahme fiktiver, niedriger Mieten zu einem niedrigen, doch fiktiven Ertragswert. Vor Gericht würde ein solcher Vorschlag schwerlich als „gerechte Abwägung der Interessen“ durchkommen.

Unter den verschiedenen Modellen ist die Orientierung an der Kreditbelastung der Berliner Wohnungsbestände der Immobilienkonzerne am ehesten realistisch. Damit wären Entschädigungszahlungen von knapp 23 Milliarden Euro fällig – gut 1500 Euro pro Quadratmeter. Das wären nur etwa zwei Drittel des Marktwertes, aber noch deutlich mehr als die ungefähr 17 Milliarden Euro, die sich bei einer nachhaltigen Bewirtschaftung zu den derzeitigen Mieten refinanzieren lassen.2 Mit dem Volksentscheid hat die Initiative einen großen symbolischen Erfolg erreicht. Die Kräfteverhältnisse in der Wohnungspolitik und auf dem Wohnungsmarkt haben sich jedoch nicht verändert – wie die Ergebnisse der Wahl zum Abgeordnetenhaus zeigen.

Ankauf statt Neubau

Und auch an anderer Stelle zeigen sich die Kräfteverhältnisse auf dem Wohnungsmarkt. Kurz vor der Wahl einigten sich Vonovia und DW mit drei landeseigene Unternehmen über den Verkauf von knapp 15.000 Wohnungen. Mit 2300 Euro pro Quadratmeter wurden den Konzernen ihre Buchwerte gezahlt. Der Regierende Bürgermeister und sein Finanzsenator hatten diesen Punkt besonders beworben: eine Ausweitung des öffentlichen Wohnungsbestandes, ein Erwerb insbesondere von Sozialwohnungen, was alles sehr hübsch klingen soll. Sie haben aber ebenso deutlich gemacht, wer die Zeche zahlen wird: Die Landeswohnungsunternehmen (LWU) durch eine massive Ausweitung ihrer Verschuldung. Das ist, in diesem Fall, der Preis der Sozialpartnerschaft. Was heißt das?

Der Stadtentwicklungsplan Wohnen des Senats beziffert den Berliner Neubaubedarf 2017 bis 2030 auf 194.000 Wohnungen (77.000 Entlastungsbedarf, 117.000 Wachstumsbedarf), davon soll etwa die Hälfte im „gemeinwohlorientierten Wohnungsbau“ entstehen. Da das Neubauvolumen kleinerer „gemeinwohlorientierter Bauherren“ gering ist, bilden die Bauvorhaben der LWU – degewo, SuL, WBM, Howoge, Gesobau, Gewobag – praktisch die einzige Möglichkeit, in diesem Segment eine gewisse politische Steuerung und Mietendämpfung zu realisieren. In der letzten Wahlperiode sollten sie 30.000 neue Wohnungen errichten und 10.000 weitere ankaufen, bis 2026 sollen insgesamt 60.000 neue Wohnungen und 20.000 Ankäufe erreicht werden. Eine Realisierung dieser Pläne würde nicht alle Probleme auf dem Berliner Wohnungsmarkt lösen. Aber die Realisierung der Bestandsausweitung der LWU ist Voraussetzung, um einen dämpfenden Einfluss auf die Mietentwicklung ausüben zu können.

Das Ziel beim Ankauf von Bestandswohnungen wurde in dieser Legislatur schon übertroffen. Aber die Neubauziele werden deutlich verfehlt werden. Privatisierungen und Sparpolitik der Jahre bis 2009 wirken bis heute nach. Zwar haben sich die LWU wirtschaftlich stabilisiert, aber das notwendige und nunmehr politisch gewünschte Wachstum können sie aus eigenen Ressourcen nicht stemmen.3 Eine Aus-weitung ihrer Verbindlichkeiten um 2,5 Millliarden Euro bedeutet eine Ausweitung ihrer Verschuldung um 20 Prozent. Das bedeutet, dass alle Planungen für eine Ausweitung des öffentlichen Wohnungsbaus Makulatur sind. Nur massive direkte Zuführungen des Landes könnten hieran noch etwas ändern. Wenn das Land von den LWU mehr soziale Leistungen will – geringe Mieten, Integration, Neubau zu leistbaren Mieten – dann müsste das Land dafür auch die politische und wirtschaftliche Verantwortung übernehmen. In der Investitionsplanung des Senats ist das aber nicht vorgesehe n – schon gar nicht nach Corona.

Noch vor der Verabschiedung des Berliner Mietendeckels hatte im Sommer 2019 die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik in einem Sondermemorandum „Gutes Wohnen für alle“ das zentrale Problem knapp umrissen: „Zur kurzfristigen Entlastung kann ein Staat, ein Bundesland oder auch eine Kommune immer nur auf Regulierung setzen – dies gilt auch für viele andere Politikbereiche. Notwendig ist aber, dass der Regulierung auch die Gestaltung folgt.“ Im April ist der Berliner Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert, im Oktober hat das Bundesverwaltungsgericht die Berliner Handhabung des kommunalen Vorkaufsrechtes kassiert. Um so schärfer stellt sich die Frage nach den Gestaltungsmöglichkeiten der Wohnungspolitik. Symbolische Erfolge reichen nicht.

Sebastian Gerhardt lebt und arbeitet als freier Autor und Bildungsreferent in Berlin. Er betreibt die Webseite https://planwirtschaft.works

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