Steigende Preise

BLOCK 3: THEORIE

Wie wirken Grundstückspreise auf das Leben in der Stadt?

Um zu begreifen, wie sich steigende Grundstückspreise und Mieten auf das Leben in den Städten auswirken, lohnt es sich, den Zustand zu beschreiben, als die Nutzung der Grundstücke sich noch nicht nach ihrem Preis richtete.

In der feudalen und ständischen Gesellschaft wurden Grundstücke vergeben als Herrschafts- und Gewerbebereiche zugleich, bei denen die unfreien Arbeitskräfte in persönlicher Abhängigkeit an das Grundstück und seinen Herren gebunden waren. Und auch in den Städten waren die Grundstücke mit bestimmten Gewerberechten verbunden und nach einer zünftigen Gewerbeordnung verteilt: Alle Handwerker einer Zunft hatten Häuser nebeneinander und wachten mit der Zunft über die Organisation des Gewerbes, die verwendeten Techniken und Preise und verhinderten Konkurrenz zwischen den Handwerkern.

Diese europäische Stadt, wie es in der Sprache der Architekturhistoriker heißt, änderte ihren Charakter und ihre Flächenverwendung, als mit der Durchsetzung der Gewerbefreiheit auch die Grundstücke frei verkauft werden konnten.

1803, in dieser Übergangsphase zwischen alter ständischer und neuer kapitalistischer Gesellschaft nach der Französischen Revolution, stand der junge Johann Heinrich von Thünen (1783-1850) in Hamburg an der Elbe, etwa dort, wo heute der Jenisch-Park ist und schaute auf die Elbe, etwa dort, wo heute Containerschiffe an den Werkshallen von Airbus vorbeiziehen. Er hatte in der Landwirtschaftsschule des Herrn Staudinger eine Hausaufgabe zu erledigen und sollte beschreiben, was die Bauern von Klein-Flottbeck anbauten oder auch das, was sie besser anbauen sollten. Sie hatten sich nämlich schon ein wenig auf die Lieferung in die nahe Stadt Hamburg konzentriert und nicht mehr auf die Eigenproduktion für sich oder den Gutshof. Nach der Meinung des Herrn von Thünen sollten sie bedenken, dass beim Verkauf in die nahe Stadt auch Transportkosten anfielen, die vom Ertrag abgingen. In seinem Aufsatz beschrieb er dann die Anbauzonen rund um den zentralen Konsumort Stadt, bei dere n Bebauung die jeweils notwendigen Transportkosten bedacht werden mussten. Und typischerweise ziehen sich diese später „Thünensche Kreise“ genannten Zonen zu Parallelen am Flussufer aus, wenn der günstige Transport über das Wasser möglich ist. Und heute zeigen die an Groß-Flottbek vorbeiziehenden Containerschiffe, dass der Transport über Wasser und Meer relativ zum Transport über Land derart günstig geworden ist, dass Rohstoffe, Halbprodukte und Fertigwaren um die ganze Welt geschippert werden, um bei der Verarbeitung Lohnkosten zu sparen.

Anschließend ging Thünen auf sein Gut bei Tellow, schrieb das Buch „Der isolierte Staat“, in dem die Theorie der Thünenschen Kreise weiterentwickelt wurde, und zeichnete dreißig Jahre lang auf, wieviel er für die Bebauung des Landes ausgab und wie viel er dabei erlöste und bewies damit, dass diese Arbeitsweise keineswegs schon selbstverständlich war.

Die „Thünenschen Kreise“ können nicht nur als Standorttheorie für Landwirtschaft und andere Produktionen aufgefasst werden, sondern sie können auch verständlich machen, was passiert, wenn unvermehrbarer Grund an einem bestimmten Ort zu einem hohen Preis verkauft wird: Im Zentrum der Städte, wo alle hinwollen, müssen dann die gewinnbringenden Nutzungen gestapelt werden. Dort werden die höheren Häuser gebaut, damit höherer Gesamtertrag den Grundstückspreis deckt. Und wenn dazu noch – wie ab 1890 – sichere Personenaufzüge kommen, dann werden die Etagen in den Etagenhäusern und Hochhäusern sogar gleichwertig und können gleich teuer vermietet oder verkauft werden. Im Beletage-Haus mit seinen Treppenhäusern war das 1. Stockwerk das teuerste und aufwendigste, darüber aber nahmen wegen des Treppensteigens Wohnwert und Preis ab, so dass sich großbürgerliche Kreise mit Kleinbürgern und Gewerbetreibenden das Haus teilen mus sten, bis der Aufzug es möglich machte, „sortenrein“, das heißt auf allen Etagen mit der gleichen gesellschaftlichen Schicht zu wohnen.

In Nordamerika, wo ab 1865 mit dem Bau der Transkontinentalen Eisenbahn auch die Grundstücke entlang der Strecke frei verkauft wurden, zeigte sich die Wirkung auf diese Stadtstruktur als erstes. In Chicago türmen sich im Zentrum am Michigan-See die Hochhäuser in den Himmel und doch haben die wichtigsten Manager wegen der immensen Grundstückspreise nur winzige Arbeitsbüros. Nach Feierabend setzen sie sich mit vielen Pendlern in ihr Auto, durchfahren den Gürtel der Stadtteile für die Ärmeren, vorwiegend die farbige Bevölkerung, um zu ihren endlos sich ausdehnenden Vierteln mit Einfamilienhäusern zu gelangen.

Unter der Stelle, wo von Thünen am Elbufer stand, unterquert seit 1975 der neue Elbtunnel den Fluss. Ursprünglich geplant und gebaut, um 80 bis 90 Prozent vom Überlandverkehr an Hamburg vorbei genutzt zu werden, erwies sich dieser Tunnel rasch als zu klein. Viele Arbeitende kauften Grundstücke und Häuser am Südufer der Elbe, weil sie von dort jetzt in ein bis zwei Stunden Fahrt zu ihrem Arbeitsplatz am Nordufer kommen. Heute macht der innerstädtische Verkehr 80 bis 90 Prozent des Verkehres im Elbtunnel aus, und der musste dafür im Jahr 2000 durch eine vierte Elbtunnelröhre erweitert werden.

Der Autoverkehr zu billigeren Grundstücken im Umland verbraucht nicht nur Zeit bei den Fahrten, Arbeitszeit zur Erarbeitung der Kosten für den Autohalter, sondern auch wertvollen städtischen Grund für Straßen und Parkplätze, der sinnvoller verwendet werden könnte. Jeder Autobesitzer in der Stadt beansprucht mindestens noch einmal 25 Quadratmeter Grund: einmal für einen Parkplatz zuhause, dann bei der Arbeit und schließlich sogar noch im Einkaufszentrum.

Hohe Grundstückspreise führen dazu, dass dort nur Nutzungen stattfinden können, die diesen Grundstückspreis auch erwirtschaften können. Deshalb werden die Geschäfte in den Cities immer hochpreisiger, Wohnnutzungen zu günstigeren Mieten werden verdrängt und am Ende sitzen alle die zusammen, die mit dem Einkommen die gleiche Schicht, die Gewohnheiten und die Langeweile teilen.

Eine Grundstücksspekulation aus Gründen, die sich hauptsächlich aus Überschuss an Kapital speist, das anderswo keine Anlage findet, wirkt noch unheilvoller. Es werden Wohnungen, Gebäude, Siedlungen nicht deshalb gebaut, weil sie gebraucht werden, sondern weil Geld angelegt werden soll und spätestens nach dem nächsten Börsencrash erweisen sich diese Bauten als überflüssig, unbenutzbar, verschwendete Arbeitszeit. Solche Investitionsruinen türmen sich ohnehin schon seit der letzten Finanzkrise an den Küsten Spaniens, Portugals und der Türkei.

Weil der Grund für das Bauen nicht der Gebrauch der Wohnungen und Gebäude ist, sondern ihr steigender Wert, auf den die Beteiligten setzen, rettet jede Verweigerung einer solchen Kapitalanlage die Zukunft. Deshalb ist die Weigerung, Grundstücke nach ihrem Verkaufswert zu vergeben, eine überaus sinnvolle Bewahrung der städtischen Gesellschaft. Überall, wo Genossenschaften an Wohnzwecke gebunden sind, wo kommunaler Wohnungsbau andere Nutzungen verwehrt und wo Stiftungen und Politik dafür sorgen, dass Nutzungen nicht nach dem Grundstückspreis vergeben werden, sondern nach einem gewollten Zweck, wird ein Stück städtischer Gesellschaft gerettet. Dort leben Menschen nebeneinander und nutzen Grundstücke, städtische Flächen und Plätze, obwohl sie unterschiedlichen Ertrag erbringen und Miete zahlen müssen. Deshalb werden sich dort regelmäßig Menschen begegnen, die unterschiedlich viel Miete zahlen, unterschiedlich verdienen und einkaufen, ver schiedene Gewohnheiten und Herkünfte haben und sich trotz unterschiedlicher Meinungen begegnen und miteinander auskommen müssen und wollen. Also genau jene Mischung, die das Leben in einer Stadt in einer demokratischen Republik so interessant und lebenswert macht.

Jürgen Bönig, Technikhistoriker, hat Ausstellungen zu Mobilität und Stadtstruktur im Museum der Arbeit in Hamburg kuratiert.

Sven Bardua/Gert Kähler: Die Stadt und das Auto, Wie der Verkehr Hamburg veränderte, Hamburg und München 2012