Rollback ohne Widerstand. Gruppenarbeit bei Daimler-Untertürkheim war nie „Gute Arbeit“

Aus Lunapark21 – Heft 19

Glaubt man den Hochglanzprospekten des Daimler-Vorstands, dann ist die Welt der Produktionsarbeit hinter den Fabriktoren in bester Ordnung: Selbständig entscheidende Gruppen organisieren ihre Arbeit und koordinieren sich mit vor- und nachgelagerten Bereichen, keiner wird mehr auf kurztaktiges monotones Stückzahlklopfen reduziert. Der Aufgabenumfang der Gruppen ist vielmehr mit vielen organisierenden, steuernden, disponierenden Tätigkeiten angereichert, Produktionsarbeit also abwechslungsreich geworden. Und aus kontrollierenden repressiven Chefs sind kollegial unterstützende Coachs geworden…

Mit der Realität in den heutigen Produktionshallen hat das herzlich wenig zu tun. Dort muss heute unter enormem körperlichen und psychischen Druck gearbeitet werden. Die wenigen Elemente einer Gruppenarbeit, die jemals ihren Weg aus den PR-Heftchen in gelebte betriebliche Praxis gefunden haben, sind längst zurückgenommen und von dutzenden Lean-Production-Projekten kleingemahlen worden. Dass dies ohne breiten Widerstand der „Gruppen“-Arbeiter möglich war, unterstreicht, wie beschränkt die Daimlersche Ausprägung von Gruppenarbeit immer war.

Dabei war Mitte der 1980er Jahre die Hoffnung auf einen Paradigmenwechsel in der Arbeitsorganisation groß. Denn die Rebellion der Massenarbeiter in den Autofabriken der 1960er und 70er Jahre hatte gesellschaftliche Debatten über die Menschenfeindlichkeit der Fließbandarbeit und über eine nötige „Humanisierung der Arbeitswelt“ ausgelöst. Linksalternative Betriebsgruppen wie die Untertürkheimer PLAKAT-Gruppe hatten dies aufgegriffen und eine „Ökologisch-Humanistische Industriearbeit“ gefordert. Fließbänder sollten abgeschafft und durch Montageinseln ersetzt werden, an denen kleine Gruppen zum Beispiel komplette Motoren zusammenbauen sollten. Fertigungsinseln mit Universalmaschinen sollten die Transferstraßen mit Einzweck-Maschinerie ersetzen. So sollten auch Voraussetzungen geschaffen werden für eine Produktkonversion.

Zeitverzögert wurden diese Diskussionen auch in der IG Metall aufgegriffen und der Daimler-Gesamtbetriebsrat handelte mit der Unternehmensleitung eine Betriebsvereinbarung über Einführung und Regularien von Gruppenarbeit aus. Darin wurden Rechte von Gruppen verankert wie z.B. Wahl der Gruppensprecher, Zeit für regelmäßige Gruppengespräche, Vorschlagsrechte für Qualifizierungsmaßnahmen und Lohnentwicklung der Gruppenmitglieder. Die Abschaffung taktgebundener Bandarbeit zugunsten einer gruppenarbeitsförderlichen Produktionstechnik wie im Volvo-Vorzeigewerk Uddevalla blieb aber von Anfang an auf ganz wenige Prestigeprojekte beschränkt. Diese brachten den Kollegen zwar reale Verbesserungen, wurden aber schnell wieder kassiert.

Denn bereits in den 1990er Jahren bestimmte die Maxime des Daimler-Chefs Jürgen Schrempp „Profit! Profit! Profit!“ die Haltung des mittleren Managements zur Gruppenarbeit. Alles, was für die schnelle Durchsetzung der vorgegebenen Renditemargen hinderlich war, wurde behindert und blockiert. Selbst die sehr begrenzten Momente von Selbststeuerung durch Gruppenarbeit standen der „Speed!“-Doktrin des Vorstands im Weg.

Das Rollback in der Arbeitsorganisation begann. Arbeitsanreicherungen mit nicht direkt „wertschöpfenden“ Tätigkeiten wurden zurückgenommen. Die Politik der Standorterpressung tat ein Übriges: Mit Zustimmung der meisten Betriebsräte wurden die legendären erstreikten „Steinkühler“-Erholzeitpausen für Produktionsarbeiter dort gekürzt, wo angeblich mit Gruppenarbeit „erholungswirksame Belastungswechsel“ für die Kollegen stattfänden. Die es aber – dank Rollback – tatsächlich längst nicht mehr gab.

Als wichtiges Element selbstbestimmterer „Guter Arbeit“ wurde Gruppenarbeit spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wahrgenommen. Das ist auch der Grund dafür, dass der Rollback in der Gruppenarbeit auf keinen nennenswerten Widerstand der Beschäftigten stieß – während zum Beispiel der Versuch, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu kürzen, sie 1996 sofort auf die Straße getrieben hatte.

Tom Adler ist IG-Metall-Betriebsrat im Daimler-Werk Untertürkheim und Mitherausgeber der Betriebszeitung Alternative