Debatte um eine Medienpolitik der Zukunft nach der „No-Billag“-Volksabstimmung in der Schweiz
Anfang März lehnte eine deutliche Mehrheit der abstimmenden Schweizerinnen und Schweizer den Angriff auf das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen ab. Die von Rechtspopulisten lancierte Initiative zur Abschaffung der Gebührenfinanzierung, die so genannte „No-Billag“-Initiative, erhielt überzeugende 71,6 Prozent Nein-Stimmen. Nach dem Volksentscheid gehen die Diskussionen in der Schweiz jedoch weiter: Einerseits hat der Bundesrat (die Exekutive) für die kommenden Monate den Entwurf eines neuen Mediengesetzes angekündigt. Andererseits liegt ein interessanter, unabhängiger Vorschlag eines neuen Verfassungsartikels vor, der die Medienförderung als notwendige, öffentliche Dienstleistung („Service public“) versteht und eine „digitale Allmende“ erreichen will.
Die rechtspopulistische Volksinitiative wurde vom Bundesrat sowie der großen Mehrheit der Parteien abgelehnt, weil sie viele Fernseh- und Radiostationen existenziell gefährdet und die Medienvielfalt deutlich eingeschränkt hätte. Trotz dieser drastischen Befürchtungen war noch wenige Monate vor der Abstimmung unklar, wie das Ergebnis ausgehen würde. Eine breit und intensiv geführte Diskussion, in der sich viele Medien- und Kulturschaffende für den Erhalt der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) sowie der Film- und Lokalradioförderung einsetzten, führte schlussendlich zum deutlichen Abstimmungsresultat.
Auch die linke Wochenzeitung WOZ debattierte das zentrale schweizerische Medienthema vor der Abstimmung am 4. März ausführlich und empfahl eine klare Ablehnung. Erwartet werden konnte das Ergebnis jedoch nicht, wie der WOZ-Redakteur Kaspar Surber kommentierte in der Ausgabe vom 8. März: „Die Ablehnung der No-Billag-Initiative war in ihrer Deutlichkeit eine Überraschung, sie ist nach einer mehrmonatigen Diskussion eine Sensation. Fast drei Viertel der stimmenden Bevölkerung wollen weiterhin ein starkes öffentliches Radio und Fernsehen. Sie wollen, dass sich die SRG im technologischen Wandel verändert, das zeigt die Zustimmung der jüngeren Bevölkerung.“
Zeitgemäßer „Service public“
Das deutliche Ergebnis habe „die Legitimation des öffentlichen Rundfunks in der Schweiz sicher gestärkt“, kommentierte der Wirtschaftsredakteur bei Radio SRF und Medienexperte Klaus Bonanomi. Auch ZDF-Intendant Thomas Bellut vernahm ein „ermutigendes Signal“ aus der Schweiz, das zu „einer Versachlichung der Debatte in Deutschland“ beitragen könne.
Dennoch ist nun eine medienpolitische Ruhe in der Schweiz nicht absehbar, denn es sind sowohl spürbare strukturelle Änderungen bei der SRG als auch ein neues Mediengesetz bereits geplant. So sollen die Billag-Gebühren ab nächstem Jahr von derzeit 451 auf 365 Franken sinken. Außerdem soll die Fernsehwerbung eingeschränkt werden und die SRG müsse sparen, sagen Direktor Gilles Marchand und Bundesrat übereinstimmend. Von 100 Millionen Franken ist die Rede.
Die Bewegung in der schweizerischen Medienpolitik griff Hansi Voigt, WOZ-Medien-Kolumnist und Mitgründer des Nachrichtenportals Watson, auf und veröffentlichte am Tag nach der Abstimmung den Vorschlag eines neuen Verfassungsartikels, der ein „zeitgemäßes Mediengesetz“ skizzieren will. Er hatte den Vorschlag zusammen mit dem dreisprachigen Politiker Jon Pult aus Graubünden und mit dem Internetunternehmer Moritz Zumbühl erarbeitet.[1]
Laut ihrem Vorschlag soll die SRG den Auftrag erhalten, eine „digitale Allmende“ zu schaffen. Denn: „Wir brauchen Medienvielfalt. Wir brauchen dafür eine neue Medienpolitik, auf der Höhe des digitalen Zeitalters. Und wir brauchen nicht weniger, sondern einen zeitgemäßen Service public.“ Gleichzeitig solle „die SRG ihre Leistungen viel breiter zur Verfügung stellen, in gutem Zusammenspiel mit privaten Medien. Und im Sinne der Medienvielfalt soll der Bund auch private Medien unterstützen können, die sich dem Strukturwandel stellen, statt an ihrem alten Geschäftsmodell festzuhalten, das immer schlechter funktioniert.“
Gemäß Voigt sollen die öffentlich-rechtlichen Sender ihren Informationsauftrag als öffentliche Dienstleistung umfangreicher verstehen, um insbesondere die jüngere Generation besser zu erreichen: „Wenn alle Menschen online sind, muss der ‚Service public‘ auch dort sein.“
In einer ersten Reaktion zeigte sich Fabian Scheidler, Journalist und Miteigentümer von Kontext TV, begeistert: „Der Schweizer Reformvorschlag einer digitalen Allmende geht genau in die richtige Richtung. Öffentlich-rechtlich produzierte Sendungen müssen frei und für alle Ewigkeit online verfügbar sein, sie sind ja schließlich mit den Gebühren bereits vom Bürger bezahlt. Da muss sich der Gesetzgeber endlich gegen die Kapitalverwertungsinteressen der privaten Verlage durchsetzen, die versuchen, die Sender noch weiter aus dem Netz heraus zu drängen.“
Neues Mediengesetz in Vorbereitung
Obwohl der Bundesrats-Entwurf für ein neues Mediengesetz noch nicht öffentlich ist, sind bereits erste Eckpunkte bekannt geworden. Bundesrätin Doris Leuthard hatte bereits kurz nach der Abstimmung im März davon gesprochen, wie wichtig „Service-Public-Angebote“ seien und dass es „in allen Sprachregionen ein vielfältiges Angebot“ weiterhin gebe.
Laut der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom 19. Mai sollen im Gesetz „regionale Kommunikationsräume definiert “, aber auch „innovative IT-Lösungen“ und „partizipative Medienangebote“ unterstützt werden. Die bisher an Lokal- und Regionalsender ausbezahlten Fördergelder sollen nun „überwiegend Audio- und Videoproduktionen zugutekommen, welche zur demokratischen Meinungsbildung, zur kulturellen Teilhabe oder zur gesellschaftlichen Integration beitragen“.
Mit diesem Vorschlag zeige sich das Medienministerium „auf der Höhe der Zeit“, kommentiert Hansi Voigt den veröffentlichten Gesetzesentwurf in der WOZ<I (vom 24.5.) zufrieden. Er schätzt die Chancen zu dessen Umsetzung „angesichts der sich rasant auflösenden Medienlandschaft und der zerstrittenen Verleger“ derzeit als gut ein.
Peter Streiff, Freier Journalist, lebt als Exil-Schweizer seit zwei Jahrzehnten im Raum Stuttgart. Er engagiert sich für Selbstorganisation (Redaktion der Zeitschrift „Contraste“) und in der unermüdlichen Stuttgarter Widerstandsbewegung („Oben bleiben!“).
Anmerkung:
[1] Vorschlag eines neuen Verfassungsartikels für eine digitale Allmende: www.artikel93.ch