„Keine Schande, eine ›Schlampe‹ zu sein“

Laurie Pennys Buch zur Sexuellen Revolution

Mit ihrem jüngsten Buch, das im Februar in London erschienen ist und schon einen Monat später auf deutsch vorlag, liefert Laurie Penny ein feministisches Manifest und zugleich eine Charakterstudie der aktuellen gesellschaftspolitischen Verhältnisse, wobei sie vor allem die Entwicklungen in Großbritannien und in den USA in den Blick nimmt.

Die Mittdreißigerin ist eine erfolgreiche Journalistin und bedeutende Feministin. Und sie ist eine brillante Stilistin, deren Texte durch analytische Schärfe und schnoddrige Metaphorik bestechen. Mit Anne Emmert hat ihr der Nautilus-Verlag eine kongeniale Übersetzerin zur Seite gestellt, so dass auch die deutsche Ausgabe eine zündende Lektüre bietet. Wollte man die prägnanten Sätze der „Sexuellen Revolution“ unterstreichen, würde man den Stift wohl gar nicht mehr aus der Hand legen.

Der Titel des Buches ist weniger plakativ als vielmehr als Beschreibung dessen zu verstehen, was gegenwärtig stattfindet. Denn „überall auf der Welt beginnen Frauen und queere Menschen, das Schloss ihrer Selbstbestimmung zu knacken und die massiven Schäden zu begutachten, die sie erlitten und erlebt haben“, schreibt Penny. Die weibliche Bewusstwerdung schlage sich nieder in sinkenden Geburtenraten, in einer wachsenden Zahl von alleinstehenden, für sich selbst sorgenden Frauen, und eklatant in der #MeToo-Bewegung, an deren Beispiel Penny aufzeigt, wieviel Kraft und Mut es Frauen abverlangt, ihre Stimme gegen die repressive Gewalt patriarchaler Strukturen zu erheben. Denn „sexuelle Gewalt zur Sprache zu bringen, ist alles andere als ungefährlich.“

Auch wenn sexuelle Gewalt durch Männer „für heranwachsende Mädchen eine fast schon universelle Erfahrung“ darstelle, gebraucht Penny den Begriff Rape Culture vor allem für die Art, wie Gesellschaft und Gerichte auf sexuelle Übergriffe reagieren. „Wenn sich eine Community mit ihren Missbrauchstätern auseinandersetzen soll, läuft das darauf hinaus, dass sie sich mit ihrer eigenen Doppelmoral und Mitschuld auseinandersetzen muss. Das ist eine höchst unerfreuliche Aufgabe“, der allzu oft ausgewichen werde. So würden Gerichte bei sexuellen Gewaltdelikten die Rufschädigung, die ein männlicher Täter bei einer Verurteilung erleiden würde, in der Regel stärker gewichten, als die erlittenen Verletzungen der Frau, zu Gunsten des Beklagten. Strukturelle Gewalt äußere sich darin, „die Handlungsmacht und Würde von Frauen zu opfern, um das Ansehen mächtiger Männer zu schützen“.

Unsere Gesellschaft sei konditioniert, „ein gewisses Maß an Gewalt als normal hinzunehmen, die Täter zu schützen und die Opfer zum Schweigen zu bringen“ und es schlimmer zu finden, der Vergewaltigung beschuldigt als vergewaltigt zu werden. Doch je mehr Menschen ihre Stimme gegen erlittene sexuelle Gewalt erheben, um so deutlicher wird, dass Vergewaltigung keine Ausnahmeerscheinung ist, sondern in großen Bereichen unserer Gesellschaft, in Sport, Kirchen, Internaten, und Gefängnissen endemisch ist.

Backslash

Die Sexuelle Revolution mobilisiert auch Gegenkräfte, zumal sich durch sinkende Löhne und Sozialleistungen sowie steigende Kosten für Kinderbetreuung im Lauf der vergangenen Jahrzehnte die Bedingungen für viele Frauen verschlechtert und ihre Abhängigkeit vom Ehemann vergrößert haben.

Auf Männer wirke die neoliberale Wirtschaftspolitik zudem als Beschädigung ihres Selbstwertgefühls, insofern sich schwindende Kaufkraft schlecht mit dem Bild von Stärke und Überlegenheit vereinbaren lasse. Und da setzten rechte und neofaschistische Organisationen an, denen sämtlich Misogynie und Rassismus wesentliche Bestandteile ihrer Ideologie sind. Die männliche Angst, als Verlierer dazustehen, wird kompensiert durch Ermächtigung gegenüber Frauen, Kindern, People of Color.

In rechten Foren erkennt Penny einen „gefährlichen Schützengraben verblendeten Selbstmitleids, in dem junge und nicht mehr ganz so junge meist weiße Männer einander kreiswichsend zu kollektiver Tollwut aufgeilen und zu Gewalttaten gegen sich und andere aufstacheln.“

Donald Trump, Jair Bolsonaro, Viktor Orbán, Silvio Berlusconi, all die Supermachos versprachen, Frauen und ethnische Minderheiten in die Schranken zu weisen und vermittelten mit ihrer Kraftmeierei vor allem männlichen Wählern die Aussicht auf identifikatorische Teilhabe und emotionale Ermächtigung.

Dabei ist es die sexuelle Freiheit der Frau, die der religiösen Rechten und den Neokonservativen als moralischer Skandal gilt und sie eint. „Die Kriminalisierung der Abtreibung verwandelt die sexuelle Handlungsmacht der Frau in ein Verbrechen. Das ist das Ziel.“ „Sexueller Autoritarismus entsteht, wenn sich heterosexuelle Männer nicht mehr auf die sexuelle Gefügigkeit von Frauen verlassen können.“ Zahlreiche Frauen, die es sich aus materiellen oder psychischen Gründen nicht leisten können, sich zu emanzipieren, wählen diese Rambos ebenfalls, in der vergeblichen Hoffnung, für ihre Gehorsamsbezeugungen den Schutz der kleinen Götter ihrer Umgebung zu verdienen. Das treffe besonders auf weiße Frauen in den USA zu. „So wie männliche weiße Rassisten eine unwirkliche Fantasie weißer Weiblichkeit verehren, streben viele weiße Frauen danach, sie zu verkörpern, wollen also in die Rolle der Prinzessin schlüpfen, die der ihr versprochenen Fürsorge und Geborgenheit würdig ist.“

Penny weist ausdrücklich auf die ökonomische Funktion der Frauenunterdrückung hin. „Dieselbe Logik, die der rechtsextremen Weltanschauung zugrunde liegt“, halte auch den weißen suprematistisch-patriarchalen Staat zusammen – Rechtsextreme trieben sie lediglich auf die Spitze. „Die politische Ökonomie der Heterosexualität ist darauf ausgerichtet, Frauen in Abhängigkeit von Männern zu halten. Das geschlechtsspezifische Lohngefälle rührt nicht nur einfach daher, dass Frauen für denselben Job weniger Geld bekommen, sondern daher, dass es nach wie vor fast unmöglich ist, Kindererziehung mit Vollzeitarbeit zu kombinieren.“

Economy

„Bei der Frauenemanzipation ging es schon immer um wirtschaftliche Gerechtigkeit. Doch der neoliberale Kapitalismus war nur an einem Feminismus interessiert, den man gegen Geld in einem Käfig tanzen lassen und gleichzeitig davon überzeugen konnte, dass er bereits frei war.“ Könnten Frauen nicht weiterhin dazu genötigt werden, die häusliche Sorgearbeit zuverlässig und umsonst zu verrichten, würde der heutige Kapitalismus zusammenbrechen.

Frauenfeindlichkeit ist also nicht bloß eine Facette rechten Zeitgeistes, sondern zentrales und opportunes Mittel zur Durchsetzung neoliberaler Ordnung. Insofern hat die sexuelle Revolution gesellschaftliche Konsequenzen, die weit über die Verhältnisse von Geschlecht und Gender hinausreichen.

Für Männer, denen unsere Gesellschaft „kaum Methoden einer gewaltfreien Emotionskontrolle an die Hand“ gebe, zeigt Penny ein hohes Maß an Empathie, auch wenn sie ihnen zugleich emotionalen Analphabetismus attestiert, der Verführung nicht von Nötigung zu unterscheiden wisse. „Wer der Dominanz huldigt, kann keine echte beiderseitige Lust kennen. Wer Despoten vergöttert und die eigene Verletzlichkeit fürchtet, ist grundsätzlich nicht in der Lage, sich auch nur halbwegs anständig flachlegen zu lassen.“

Hinsichtlich ihrer eigenen Biografie ist Laurie Penny offen bis zur Selbstentblößung. Ihre Geständnisse mögen die Lesenden zuweilen als schmerzlich empfinden, sie verdeutlichen aber auch, dass wir alle – auch bei klarstem analytischem Durchblick – Kinder unserer Zeit sind, die sich ihrer emotionalen Zurichtung bewusst sein können, wissend, dass sie ihr nie ganz werden entkommen können.