Katowice und das Prinzip Hoffnung

Der Kampf gegen die Klimakatastrophe in den Zeiten des Neoliberalismus

Der Kampf gegen die Klimakatastrophe in den Zeiten des Neoliberalismus

Seit die sich häufenden Extremwetterereignisse, die schmelzenden Gletscher und Polkappen und – nicht zuletzt auch in Deutschland – die zunehmend wärmeren und trockeneren Sommer den tiefgreifenden Prozess eines möglicherweise auch erdgeschichtlich relevanten Klimawandels sinnlich erfahrbar machen, steigen die Anforderungen an die regierungsamtlichen wie auch massenmedialen Muster der Rechtfertigungen. Nicht jeder befindet sich in der Lage eines Donald Trump, der, mit den militanten Ignoranten des Bible- und Rustbelt, den verbissenen Reaktionären der National Rifle Association oder der Tea-Party im Rücken, das Offensichtliche schlicht zu leugnen vermag. Die Bundesregierung dagegen hat einen Ruf zu verlieren: den des Musterknaben in Sachen Klimaschutz und Umweltpolitik. Es ist allerdings nur ein Ruf. Die Realitäten der deutschen „Energiewende“ sowie der Verkehrs-, Städte-, Industrie- und Raumplanung sehen anders aus. Hier ist von einer substantiellen, ökologischen Wende nichts zu erkennen. Selbst der bandenmäßig begangene, massenhafte Betrug der deutschen Autoindustrie bleibt ohne juristische Konsequenzen. Hier muss die mittlerweile als Abmahnverein stigmatisierte Deutsche Umwelthilfe das Recht der Bürger auf saubere, besser, nicht ganz so gesundheitsschädliche Luft mühsam durch die Instanzen klagen (siehe Seite 13). 2016 hatte allein die Bundesrepublik, laut WHO, 12 860 vorzeitige Todesfälle durch Stickoxide (NO²) und 66 080 durch Feinstäube (PM 2,5) zu beklagen.

Noch im Juni 2018 hatte die Bundesregierung kleinlaut einräumen müssen, dass die CO²-Ziele für 2020 nicht erreicht werden können. Die CO²-Emissionen in Deutschland und Europa sind 2017 laut Europäischer Umweltagentur (EEA) wieder gestiegen. Die deutschen Erfolge beruhen vor allem auf der Stilllegung der ehemaligen DDR-Industrie in den 1990er Jahren. Heute fährt „die Klimakanzlerin“ auch nicht mehr zum Phototermin nach Grönland. Das eigene Versagen hindert hierzulande natürlich niemand, Länder wie z.B. Polen, welches den UN-Klimagipfel (UNFCCC COP24) im Dezember 2018 in Katowice ausrichtete, an den Umweltpranger zu stellen.(Siehe Seite 11f)

Industrielle Revolution und Klimaerwärmung

Diese offenkundige Bigotterie in der Klimapropaganda hat strukturelle Ursachen. COP24 betonte noch einmal aus einer humanen, global-verantwortlichen Perspektive eindringlich die Notwendigkeit, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf möglichst 1,50 C zu begrenzen. Vor allem die Staaten des Südens mit flachen Küstengebieten, großen Flussdeltas und Inseln, heben die katastrophalen Auswirkungen eines Temperaturanstiegs von 20 C und eines entsprechenden Anstiegs des Meeresspiegels hervor. Andererseits signalisieren die Realitäten der kapitalistischen Weltwirtschaft immer deutlicher, dass dieses wichtige Ziel unter den gegenwärtig obwaltenden sozioökonomischen, geostrategischen und machtpolitischen Bedingungen kaum eine Chance hat, Wirklichkeit zu werden.

Katowice gilt in der medialen Darstellung als Erfolg, weil „verbindliche Richtlinien“ (NZZ) erzielt worden seien. Aber welche Instanz sollte diese „verbindlichen Richtlinien“ gegen Donald Trump oder nur Angela Merkel durchsetzen?

Seit der Mensch in der industriellen Revolution die Energiepotentiale des Kohlenstoffs bzw. Kohlenwasserstoffs entdeckt und zu reiner industrieller Nutzung gebracht hatte, verändert er das Angesicht des Planeten. Wo sich früher Reiter, Fuhrwerke, Kähne und Segelschiffe mühsam ihren Weg bahnten, verbinden heute Pkw, Lastwagen, Eisenbahnen, Flugzeuge und riesige Schiffe die Kontinente. Megastädte, riesige Industriezentren und Agro-Plantagen wurden geschaffen. Nun entstehen jedoch aus jedem Kilogramm Kohlenstoff, der in einem Energieträger enthalten ist, bei vollständiger Verbrennung, rund 3,67 kg CO². CO² (76 Prozent) gilt, mit Methan (16 Prozent), Distickstoffoxid (6 Prozent) und fluorierten Kohlenwasserstoffen (2 Prozent) als infrarotaktives Treibhausgas (THG). THG sind in der Lage, einen Teil der infraroten Wärmerückstrahlung der Erdoberfläche in den Weltraum zu absorbieren. Die Forschung geht von einem nahezu linearen Zusammenhang zwischen der Treibhausgas-Konzentration und der globalen Erwärmung aus. Der jährliche Ausstoß an THG lag 2017 beim Allzeitrekord von 53,5 Gigatonnen (Gt) CO²-Äquivalent (CO²e).

Die Klimaerwärmung nimmt bedrohlich an Fahrt auf

Heute, bei einer Bevölkerung von über 7 Milliarden, ist der Mensch in der Lage, die natürlichen Warm-Kalt-Zyklen des gegenwärtigen känozoischen Eiszeitalters, das die Entstehung des Homo Sapiens ermöglichte, zu manipulieren. Und zwar in die gegensätzlichen Richtungen einer anthropogenen Warmphase (plus 60 C), wie auch eines nuklearen Winters infolge eines Atomkrieges (minus 6-80 C). Bei beiden Szenarien ist die Weiterexistenz der Spezies in Frage gestellt.

Laut IPCC war die globale Durchschnittstemperatur 2016 bereits rund 1,10 C höher als in vorindustrieller Zeit. Es war so warm wie zuletzt vor Hundertausenden von Jahren. Die CO²-Konzentration in der Atmosphäre ist in diesem Zeitraum von den stabilen 280 ppm (parts per million) auf aktuell über 400 ppm gestiegen. Es kam dabei zu einer erheblichen Beschleunigung auf gegenwärtig 2-2,5 ppm/Jahr, die auf der „Keeling-Kurve“, der globalen „Fieberkurve“ seit 1958, gut ablesbar ist. Auch wenn jetzt der CO²-Eintrag auf Null gesetzt würde, würde diese 400 -ppm-Konzentration über Zehntausende Jahre stabil bleiben. Unter der Berücksichtigung der prozesszeitlichen Verzögerungen und prognostischen Unsicherheiten wäre laut IPCC bei einer Konzentration von etwa 450 ppm CO² mit einer Stabilisierung der globalen Erwärmung bei 1,2-30 C zu rechnen. Unter sonst gleichen Bedingungen wäre das spätestens 2040 der Fall. Ab dann, oder bei einer durch Verminderung der CO²-Emission erreichten Abflachung der Keeling-Kurve entsprechend später, wäre eine klimaneutrale Energiegewinnung erforderlich, um die dann eingetretene Erwärmung langfristig zu stabilisieren.

Da sich die Klimagase, zumindest nach menschlichen Zeiträumen, relativ stabil in der Atmosphäre akkumulieren, sind von den Klimaforschern des Weltklimarats (IPCC) zum besseren Verständnis der Problemlage verschiedene Klima-Budget-Modelle entwickelt worden. Die Komplexität der verschiedenen Modelle mal unbeachtet gelassen, sind seit 1850 bis 2010 etwa 1.700 Gt anthropogenes CO² in die Atmosphäre verbracht worden. Nun gibt es eine breite Diskussion, bei welcher Gesamtemission eine 1,50 C- bzw. 20 C-Erwärmung zu stabilisieren ist. Die letzten IPCC-Daten (SR15) sehen ein Restbudget von 420 Gt für eine 66-Prozent- und 580 Gt für eine 50-Prozent-Chance. Andere wie das Projekt Berkeley Earth kommen auf deutlich niedrigere Werte (258 Gt). Das bedeutet bei den gegenwärtigen Emissionen keine 15 Jahre, also vor 2034. Hält die bisherige Wachstums-Dynamik an, dürfte nur wenige Jahre später bereits die Grenze von 2.700 Gt CO² erreicht worden sein. Dieser Wert gilt als Norm zur Einhaltung der 20 C-Erwärmung. Ginge es so weiter, wäre bis zur Jahrhundertwende ein Plus von 4-60 C wahrscheinlich. Damit würde die Bewohnbarkeit weiter Teile des Globus infrage gestellt.

Es könnte auch schneller kommen

Diese Szenarien sind natürlich mit erheblichen Unsicherheiten befrachtet. Es könnte alles auch anders – und auch deutlich schneller – kommen. Durch verschiedene, schwer quantifizierbare Kippmomente könnte sich die Klimaveränderung erheblich, auch selbstverstärkend beschleunigen. Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung hat 16 mögliche Kipp-Phänomene, gegliedert unter den Strukturaspekten „Eiskörper“, „Strömungssysteme“ und „Ökosysteme“, zusammengestellt und ihre weitreichenden Folgen erläutert. Das Auftauen der Permafrostböden in Sibirien und Nordamerika könnte beispielsweise mehrere hundert Gt CO² und Methan freisetzen. In die Atmosphäre gelangt würden diese wiederum für Erwärmung und weitere Tau- und Auftau-Prozesse sorgen. Ähnliches gilt für das Grönlandeis, die arktische Eiskappe sowie den West- und Ostantarktischen Eisschild.

Zudem findet eine aktive Vernichtung der größten globalen CO²-Speicher bzw.-Senken statt. In den tropischen und subtropischen Regenwäldern werden schätzungsweise 470 Gt Kohlenstoff gespeichert. In den weltweiten Wäldern insgesamt 860 Gt. Laut Global Forest Watch wurden in den letzten Jahren pro Jahr rund 30 Millionen Hektar des globalen Waldes gerodet. Von den 17 Millionen Quadratkilometern tropischer Regenwald, den es Anfang der 1950er Jahre noch gab, existiert nicht einmal mehr die Hälfte. Vor allem die verbreitete Brandrodung großer Urwaldflächen und die nachfolgende tropisch-schnelle Zersetzung der Überreste setzten große Mengen CO² frei. Der IPCC beziffert den CO-2-Effekt durch globale Entwaldung auf 17,4 Prozent der anthropogenen CO²-Emissionen. Andere Quellen nennen höhere Quoten von bis 25 Prozent (FAO).

Insgesamt 40 Prozent schreibt der IPCC der Landwirtschaft, der veränderten Landnutzung (Entwaldung), der Zubereitung und dem Vertrieb von Lebensmitteln und Ähnlichen zu. 40 Prozent für die (in jeder Hinsicht ungesunde) Art und Weise, wie wir uns (vor allem in den Industrieländern) ernähren.

Der Verkehrssektor: Klimaerwärmungstreiber und Einsparpotential

CO-2-Einsparpotentiale böten nach der Landwirtschaft vor allem die Verkehrssysteme und die Energiegewinnung, die zusammen mit der Gebäudeheizung für 55 Prozent der CO²-Emissionen stehen. Auf Weltebene werden noch immer 80 Prozent des Energiebedarfs auf Basis fossiler Brennstoffe erzeugt. Die Nuklearenergie bestreitet 2,5 Prozent, die Erneuerbaren stehen für etwa 19 Prozent. Wobei bei den Erneuerbaren wiederum fast die Hälfte (9 Prozent) auf Biomassennutzung entfällt; dazu zählt auch das Abholzen und Verbrennen von (Regen-)Wäldern.

Eine qualitative Veränderung des Status Quo innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeiträume würde massive staatliche Interventionen und hohe Investitionen erforderlich machen. Vor dem Hintergrund der großflächigen Verschuldung der Industriestaaten in Folge der letzten Wirtschaftskrise wird dazu rein materiell kaum ein Staat in der Lage sein, womit die Bevölkerung zur Kasse gebeten wird.

Auch die (gescheiterte) Energiewende in Deutschland ist ein klassisches Geschäft zulasten Dritter, der Stromkunden, die den vom Staat garantierten Profit der Energiegiganten zu bezahlen haben. Ähnliches gilt für die CO²-Steuer in Frankreich. Wenn es etwas gibt, was den, natürlich interessegeleiteten Irrweg der Privatisierung der Energiewirtschaft schlagartig klarmacht, so sind es die Anforderungen der ökologischen Wende.

Ähnliches gilt auch für die Priorisierung des motorisieren Individualverkehrs auf Basis des Verbrennungsmotors. Das klassische Beispiel: Die US-Autokonzerne kauften Bahngesellschaften und lokale Versorger auf und legten sie still. Das Auto wurde strategisch alternativlos gemacht. Ähnliches, nicht ganz so krass, spielte sich auch in Deutschland, insbesondere nach 1990, ab. Eine Verkehrsplanung, die ihren Namen verdient, gibt es in Deutschland nicht. Ein Blick auf Innenstädte und Autobahnen genügt. Und es gibt eine solche Politik auch auf Weltebene nicht. Der weltweite Kfz-Bestand lag 2016 bei 1,32 Milliarden Einheiten (Pkw, Lkw, Busse). Es kam zu einer Verdoppelung seit 1996 und zu einer Vervierfachung seit 1976. Das rapide Wachstum analog einer Exponentialfunktion resultierte in den letzten Jahren zum größten Teil aus der nachholenden Industrialisierung und Motorisierung Ostasiens und dürfte, wenn sich die Pläne einer neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) realisieren, weiter an Fahrt gewinnen. Anzumerken wäre, dass die VR China mit dem Ausbau seines Bahnnetzes – vor allem des beispiellosen, der geographischen Größe des Landes angepassten Hochgeschwindigkeitsnetzes von 38 000 km bis zum Jahr 2025 – zumindest partiell gegensteuert.

Die nun mit viel Aplomb herbeigerufene Wende zur E-Mobilität tritt dagegen die Dose nur weiter die Straße herunter. Die CO²-Bilanz des E-Autos hängt bekanntlich vor allem von der Batteriegröße und dem Strommix des Netzes ab. Bei einem langstreckentauglichen E-Auto der Mittelklasse, sofern es existierte, wäre der CO²-Vorteil gegenüber dem Verbrenner minimal, wenn überhaupt vorhanden. Eine ökologische Wende in der Verkehrspolitik setzte weitreichende Veränderungen in den Arbeits-, Wohn- und Arbeitsstrukturen voraus. Verkehre müssten vor allem reduziert und vermieden werden. Wertschöpfungsketten verkürzt, Städte wieder bewohnbar, Radverkehre zum Standard erhoben werden. Danach sieht es allerdings nicht aus.

Angesichts des exponentiellen Anstiegs der THGe-Emissionen kann man sich dem regierungsamtlich verbreiteten Optimismus, Katowice sei ein Erfolg gewesen, nicht anschließen. Entscheidend sind nicht wohlfeile Erklärungen, sondern harte Fakten und Messwerte. Die industrielle Revolution hat dem Kapitalismus zum globalen Durchbruch verholfen. Produziert wird das, was maximalen Profit bringt. Und es wird auf die Art und Weise produziert, bei der der höchste Profit entsteht. „300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen mehr, dass es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“ (Karl Marx, nach dem „Quarterly Reviewer“). Mit dem Durchbruch des neoliberalen Verwertungsmodus Anfang der 1980er Jahre wurde die unbedingte Profitorientierung als Share-Holder-Value gewissermaßen staatlich-gesellschaftliche Norm. Ronald Reagans Feststellung „Der Staat ist das Problem“ leitete die sukzessive sozio-ökonomische Entmachtung und Verschuldung der großen kapitalistischen Staaten ein. Donald Trumps „America first!” signalisiert den „Endkampf“ des Imperiums um seine globale Dominanz. Da gerät auch der Klimawandel zur Fußnote. Bei wirtschaftlich ausbeutbaren, globalen Kohlenstoffreserven von etwa 20.000 Gt gibt es aber keine marktwirtschaftliche Barriere.

Der Schutz des Klimas ist ohne den Kampf gegen die dominanten globalen Profit- und Machtinteressen nicht zu haben. Solange das nicht verstanden ist, bleiben Konferenzen wie COP24 eher gutgemeinte Alibi-Veranstaltungen, die eine Veränderung zum Besseren suggerieren, die es in diesem Rahmen nicht gibt.