Die City of London – exterritoriale Finanzmachtzentrale
Die Grenzen der City werden von silbernen Drachenstatuen spirituell beschützt. Wahrscheinlich sollen so Dämonen, Steuerprüfer und revolutionäre Sozialisten von dem Finanzplatz ferngehalten werden. Im Norden grenzt der Bezirk Islington an die City of London an. Hier hat Labour-Parteichef Jeremy Corbyn seine Sozialbauwohnung und seinen Wahlkreis. Die Dämonen sind der City also näher als ihr lieb sein kann.
Andere angrenzende Stadtteile sind Hackney, Tower Hamlets und Southwark. Bei ihnen handelt es sich um Bezirke, in denen derzeit massive soziale Auseinandersetzungen rund um die Wohnungsfrage toben. Vielerorts wehren sich Bürgerinitiativen gegen die Vertreibung der Bevölkerung aus ihren Wohnorten durch teure Spekulations- und Bauprojekte, die nicht selten von Unternehmen vorangetrieben werden, die in der City beheimatetet sind.
Die Architektur der City wird von riesigen Wolkenkratzertürmen dominiert. Von außen betrachtet wirkt sie wie eine moderne, glitzernde Festung, die so ihren Machtanspruch projiziert. Doch die Wurzeln der City gehen bis in die Zeit der römischen Besatzung Großbritanniens zurück. Schon damals war hier ein Handelsplatz.
Die City verwaltet und regiert sich selbst. Aber die Politik wird hier nicht in einem Rathaus, sondern einer Gildenhalle gemacht. Sie wurde im Jahr 1140 errichtet und steht bis heute. Um in der City etwas zu sagen zu haben, muss man in eine der zahlreichen, teils Jahrhunderte alten Handelsgilden aufgenommen werden. Das schafft nur, wer die entsprechenden Werte mitbringt. Moralische Werte sind damit nicht gemeint. Eher muss man ein Finanzschwergewicht sein. Ist man erst einmal im Club, bietet die City nette Annehmlichkeiten. Für Gildenmitglieder gibt es in der Gildenhalle eine subventionierte Bar. Hier kosten sonst sehr teure und erlesene Getränke nur jeweils 60 Pence. Die Mitgliedschaft wird auf Lebenszeit verliehen. Das ist Dialektik in Reinkultur: Wer wohlhabend ist und politischen Einfluss verliehen bekommt, kann sich einen billigen Lebensstil leisten.
Jahrhunderte im Dienst des Kapitals
Es ist jetzt rund zehn Jahre her, dass die Bankentürme wackelten und die globale Finanzkrise ihren Lauf nahm. Viel ist seither passiert. Das schottische Unabhängigkeitsreferendum. Das britische Ja zum Brexit (in der City und in London stimmte man mit „Nein“). Der Aufschwung des Hinterbänklers Jeremy Corbyn – das alles sind Folgen dieses immer noch andauernden Erdbebens, das das Weltfinanzkapital damals erfasst hat.
Die City of London steht im Zentrum dieses Bebens. Sie war ein Ausgangspunkt der Bankenkrise im Februar 2008. Und sie wurde dadurch als Steueroase, Geldwaschanlage und Jahrhunderte alte bürgerliche politische Machtinstitution sichtbar. Vor der Krise sprach kaum jemand über die City. Heute schon.
Als 2012 die Occupy-Proteste London erreichten, schlugen die Demonstranten mitten in der „Square Mile“, dem Börsen- und Finanzviertel im Herzen der Londoner Millionenmetropole, ihre Zelte auf. Sie forderten eine Offenlegung der Finanzen der City, Transparenz und Demokratie.
Denn die City ist nicht nur ein Finanzplatz. Sie ist auch erklärtermaßen die älteste bürgerlich-demokratische Einrichtung Großbritanniens und damit eine der ältesten solcher Institutionen weltweit. Als 1066 die Normannen von Frankreich kommend Großbritannien eroberten, war die City schon da: Ein von Händlergilden selbstverwaltetes Finanzzentrum, welches einer eigenen Staatlichkeit folgte. Alle Feudalherren Großbritanniens mussten damals den Normannen Gefolgschaft schwören. Die City behielt alle Rechte und sogar ihre eigene Miliz.
Diese Rechte wurden der City niemals in der Geschichte von irgendwem „verliehen“. Das unterscheidet sie von allen anderen britischen Städten, die ihre Stadtrechte einer königlichen „Charta“ verdanken und sich somit den Regeln des herrschenden Königshauses unterwerfen. Bei der City ist es umgekehrt. Mitglieder des britischen Königshauses dürfen die „Square Mile“ nur unbewaffnet und nach Voranmeldung betreten. Und dies auch nur, wenn sie vorher vom Lord-Bürgermeister der City an deren Grenze abgeholt werden. Ähnliches gilt auch für die britische Finanzaufsicht. Innerhalb der City-Grenzen haben die Großbanken Narrenfreiheit. Seit 1571 erinnert ein ständiger Vertreter der City im Unterhaus die Regierenden daran, woher deren Geld kommt. Er wird „remembrancer“ genannt. Heute agiert er als Finanzlobbyist, etwa um härtere Steuergesetze zu verhindern.
Die City war von Beginn an internationalistisch. Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg unterstützte man nicht das eigene Königreich, sondern das amerikanische Bürgertum. Heute kämpft die City gegen den Vollzug des Brexit. Das tut sie im Auftrag amerikanischer, russischer, chinesischer und arabischer Finanzkonzerne und Oligarchen, die sich hier angesiedelt haben.
Bürgerliches Wahlrecht wird großgeschrieben. Buchstäblich. Denn Konzerne dürfen hier wählen. Je mehr Mitarbeiter ein Unternehmen hat, desto mehr Stimmen kriegt es. Einzelpersonen ohne Eigentum sind von der Teilnahme bei Kommunalwahlen weitgehend ausgeschlossen.
In vielerlei Hinsicht ist die City exterritorial. Unter diesem Schutzmantel arbeiteten die hier angesiedelten Konzerne seit den 1950er Jahren an der Deregulierung des britischen Finanzmarktes. Dieser Prozess wurde 1986 von der Thatcher-Regierung vollendet. Als Ausdruck des Dankes und der tiefen Verbundenheit schenkte die City Margaret Thatcher im Jahr 2013 ein pompöses Begräbnis in der St. Pauls Kathedrale. Als der Sarg in die Kirche einzog, schritt der damalige Lord-Bürgermeister Roger Gifford mitsamt Zeremonienschwert voran.
Mit einem ähnlichen Schwert schlachtete Giffords Vorgänger William Walworth im Jahr 1381 Wat Tyler, den Anführer eines Bauernaufstandes, bestialisch ab. Heute zählen meistens Bankette und Weltreisen zum Repertoire des Lord-Bürgermeisters, in dessen Amtsbeschreibung die Verteidigung des internationalen liberalen Kapitalismus festgehalten wird.
Eine Bedrohung für diesen Kapitalismus ist Jeremy Corbyn, der Vorsitzende der britischen Labour-Partei und deren wirtschaftspolitischer Sprecher John McDonnell. Letzterer organisierte im Februar eine Konferenz zum Thema „alternative Eigentumsformen“. Dort versprach er die „Übergabe öffentlicher Dienstleistungen in die Hände der Beschäftigten.“
In der City ist auch noch ein riesiges Glasfenster-Gemälde zu besichtigen, das an den gewaltsamen Tod Wat Tylers erinnert. Corbyn und seine Mitstreiter sind gut beraten, sich an dieses Ereignis zu erinnern. Das Wappentier der City ist der Drache. Und wer den Drachen bekämpfen will, muss bereit sein ihn zu töten.
Liegt im Herzen der britischen Hauptstadt London. Ist das weltweit bedeutende und berühmte Finanzzentrum, auch als „Square Mile“ bezeichnet. Umfasst eine Fläche von 2,9 Quadratkilometern. Im Großraum London leben rund 8 Millionen Menschen, die City hat nur 9000 Bewohner. Sie bietet jedoch 350.000 Beschäftigten einen Arbeitsplatz. Diese 350.000 Beschäftigte pendeln täglich ein beziehungsweise aus. Aus dem übrigen London; teilweise aus Ortschaften und Städten, die hundert und mehr Kilometer von London entfernt liegen.
Wäre die City ein eigener, einzelner Betrieb, sie wäre der größte Arbeitsplatz Großbritanniens. Allein daran lässt sich die Dominanz der Finanzbranche im britischen Wirtschaftssystem bereits erahnen. 500 multinationale Bankkonzerne haben hier ihre Hauptquartiere. Sie machen jährlich 1,85 Billionen britische Pfund Umsatz. Nein, nicht Milliarden. Billionen.
Christian Bunke ist als freier Journalist aktiv in Großbritannien und Österreich.
1 Gedanke zu „Jahrhunderte im Dienst des Kapitals“
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