Direkt vom Festival, noch mit dem Schlamm von Woodstock an den Hosen, kamen „Crosby, Stills and Nash“ 1969 im New Yorker TV-Studio bei Dick Cavett an, der sie in seine Talkshow eingeladen hatte. In der Sendung erklärte David Crosby, der einzige Weg, die Atmosphäre sauber zu kriegen, wäre, „GM, Ford, Chrysler, 76 Union*, Shell und Standard zu überzeugen, ihr Geschäft aufzugeben.“
Fünf Jahrzehnte später scheinen auch die Funktionäre in Industrie und Ministerien verstanden zu haben, dass der Ausstoß an Kohlenstoffdioxid drastisch reduziert werden muss, wenn der Planet sich nicht weiter aufheizen soll. Doch anders, als David Crosby meinte, brauchen Ford und Shell ihre Produktion deshalb nicht einzustellen, ebenso wenig VW, Mercedes und BASF.
Das versprechen zumindest McKinsey und Anton Hofreiter, aber auch renommierte Institute wie Agora Energiewende und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Produktion müsse nur umweltfreundlich werden. „Grünes Wachstum“ sei der Weg, der nicht allein das Überleben der Menschheit, sondern weiterhin Profite und Beschäftigung garantiere.
Dass aber ein grüner Kapitalismus die Klimakatastrophe verhindern werde, bestreitet die Publizistin Ulrike Herrmann und legt in ihrem jüngsten Buch „Das Ende des Kapitalismus“ dar, warum Wirtschaftswachstum und Klimaschutz unvereinbar sind.
Zweihundert Jahre kapitalistischer Entwicklung habe zwar enorme Zuwächse an Wohlstand geschaffen, so Herrmann, im Lauf der letzten 50 Jahre aber die Atmosphäre derart belastet, dass der CO2-Ausstoß heute auf Nettonull gedrückt werden müsse, um das Unheil abzuwenden. Anders als andere Wachstumskritiker:innen, die den Fehler begingen, „ihre Vision auch für den Weg zu halten“, erkennt Herrmann das Dilemma des Kapitalismus, der wachsen müsse, um stabil zu sein. „Ohne ständige Expansion“, so Herrmann, „bricht der Kapitalismus zusammen.“ Das permanente Wachstum aber zerstöre Natur und Umwelt.
Seitens der Wirtschaftswissenschaft-ler:innen bleibe die Frage, wie aus der Wachstumswirtschaft auszusteigen ist, ungelöst. Sie setzten, wie auch Weltbank und Vereinte Nationen, auf technischen Fortschritt: Mit Solarpaneelen, Windrädern, E-Autos, Wärmepumpen, CO2-Abscheidung, Atomenergie, Wasserstoff, E-Kerosin und Recycling sei dem Klimawandel beizukommen, und eine Reduktion von Einkommen und Verbrauch, was eine schwere Wirtschaftskrise zur Folge hätte, zu vermeiden.
Die diversen grünen Technologien diskutiert Herrmann im Einzelnen mit dem Ergebnis, dass sie sämtlich nicht ausreichen werden, um eine weitere Erderwärmung zu verhindern. Und grüne Energie sei gar nicht im erforderten Ausmaß zu generieren, die Kosten für Speichertechnik zur Überbrückung kalter Dunkelflauten und für Stromtrassen aus Nordafrika schlicht nicht zu stemmen.
Allein die Umstellung der deutschen Stahlindustrie auf grünen Wasserstoff brauchte zusätzliche 12.000 Windräder. Die Chemieindustrie gar müsste obendrein noch ihren wichtigsten Grundstoff ersetzen. Digitaltechnik und Cloud-Computing dürften bald mehr an CO2 ausstoßen als der gesamte globale Autoverkehr.
Es kursierten unrealistisch optimistische Prognosen. Die Fraunhofer-Gesellschaft etwa veranschlagt die Kosten der Energiewende für Deutschland mit jährlich etwa 50 Milliarden Euro, nur halb soviel wie die Bundesbürgerinnen und -bürger zu Weihnachten für Geschenke ausgeben. Herrmann widerspricht: Die Energiewende werde nicht billig, sondern teuer werden, zumal die Zeiten niedriger Preise für Mineralien vorbei seien.
Auch die Versprechen, der technische Fortschritt werde in Zukunft Mittel an die Hand geben, mit denen der Krise beizukommen sei, führten in die Katastrophe. Die Klimakrise verlange sofortige Maßnahmen, sie erlaube kein Warten auf die Technik von morgen.
Kritisch seien auch Maßnahmen zur Energie- und Materialeinsparung zu beurteilen, insofern damit stets Mittel frei würden, die Investitionen an anderer Stelle zur Folge hätten. Ebenso bremsten Öko-Steuern den Energieverbrauch kaum, denn die Menschen ließen ihr Auto wegen hoher Benzinkosten nicht stehen, und der Staat würde die zusätzlichen Einnahmen gleich wieder ausgeben, was Energieverbrauch an anderer Stelle erzeuge. Das Phänomen ist als Rebound-Effekt bekannt. Gesteigerte technische Effizienz spart Rohstoffe ein, die dann anderweitig genutzt würden.
Das durchschnittliche Wachstum der Weltwirtschafft von zuletzt jährlich 2,8 Prozent bedeute eine Verdoppelung alle 26 Jahre. „Bis zum Jahr 2100 wäre die Warenflut dann um das 16-Fache gestiegen im Vergleich zur Jahrtausendwende.“ Das klingt schlimm. Aber die Wahrheit ist viel schlimmer, denn Herrmanns Rechnung berücksichtigt nur die Umsätze an Warenwerten. Aber ein Großteil der Produkte wird sich binnen acht Jahrzehnten dramatisch verbilligt haben. Welch gigantische Mengen an Warenplunder zu konsumieren wären, um den Unternehmen das 16-Fache an Umsätzen zu garantieren, ist gar nicht vorstellbar.
Wirtschaftswachstum, auch grünes Wachstum, müsse in den entwickelten Ländern beendet werden, konstatiert Herrmann denn auch. Und nicht nur das, ein grünes Schrumpfen sei erforderlich: Konsum und Einkommen müssen sinken.
Für die Menschen durchaus zu verkraften. Selbst wenn vom heutigen Wohlstand nur die Hälfte übrigbliebe, „wären wir immer noch so reich wie im Jahr 1978“, als sich das Leben „kaum anders anfühlte als heute“. Um aber einen Absturz der Wirtschaft und Massenarbeitslosigkeit mit allen ihren Folgen zu vermeiden, sei staatliche Lenkung nötig. Herrmann plädiert für eine Form von Bewirtschaftung, eine Art „privater Planwirtschaft“, bei der der Staat vorzugeben habe, was produziert werden soll, die Unternehmen aber im Eigentum ihrer bisherigen Besitzer*innen blieben. Zum Vorbild nimmt Herrmann die britische Kriegswirtschaft ab 1939, in der der Konsum in kürzester Zeit um ein Drittel fiel, und die sich „fundamental vom Sozialismus unterschied, der zeitgleich unter Stalin in der Sowjetunion praktiziert wurde“. In Folge der „verordneten Gleichmacherei“ seien „ausgerechnet im Krieg die unteren Schichten besser versorgt gewesen als je zuvo r“, was zur hohen Akzeptanz der Maßnahmen beigetragen habe.
Die Aufgabe und Funktion des Staates in der aktuellen Krise charakterisiert Herrmann ähnlich wie die Ökonomin Mariana Mazzucato, deren Buch „Mission“ wir in Ausgabe 59 von Lunapark21 vorgestellt haben.
Wie heute eine so skizzierte Planwirtschaft Massenarbeitslosigkeit vermeiden könnte, wenn sie die frei werdenden Kapazitäten nicht zur Herstellung von Kriegsgütern nutzte, wird nicht klar. Dennoch führt an einer gelenkten Vollbremsung, um einen Klimakollaps abzuwenden, wohl kaum ein Weg vorbei. Als kardinales Problem der Klimakrise erkennt Herrmann den Wachstumszwang kapitalistischer Produktionsweise, den sie auf die Wirkung von Kredit und technischem Fortschritt zurückführt – und dabei Ursache und Wirkung verwechselt. Denn technischer Fortschritt kommt nur zur Anwendung, sofern Aussicht auf zusätzlichen Gewinn besteht, und Kredit wird in Anspruch genommen, sofern die Ausdehnung der Produktion lohnend erscheint. Treibende Kraft ist die Konkurrenz, die Unternehmen zu beständiger Kostenreduktion zwingt, um ihre Produkte mit denselben Margen anbieten zu können, wie die günstigsten Produzent*innen.
Als Fauxpas erscheint die Wahl des Buchtitels, was vermutlich auf Konto des Verlags geht. „Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen“ heißt das Werk des Politikwissenschaftlers Elmar Altvater aus dem Jahr 2005, das inzwischen in neunter Auflage vorliegt, und das Herrmann ignoriert.
Die kleine Sünde strafte der Spiegel in seiner ersten Titelstory des Jahres „Warum der Kapitalismus so nicht mehr funktioniert“. Frau Herrmann, deren Buch doch schon seit Wochen auf der Bestseller-Liste des Magazins stand, fand in dem Text keine Erwähnung. Stattdessen ließ der Spiegel Mariana Mazzucato ausführlich zu Wort kommen.
Siehe auch den Artikel „Gelb-grünes Wunschdenken“ in Lunapark21, Heft 58 vom Sommer 2022, Seite 72.
* Tankstellenkette in den USA
Ulrike Herrmann
„Das Ende des Kapitalismus.
Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden“
Kiepenheuer & Witsch 2022
340 Seiten
24 Euro