Friedrich Engels und der Kapp-Putsch

„Mit dem Speere soll man Gabe empfangen, Spitze gegen Spitze.“

Engels 200 · quartalsbericht 01/2020 · 200 Jahre Engels ·

Am 28. November 1820 wurde Friedrich Engels in Barmen geboren. In vier LP21-Ausgaben werden wir Bedeutung und Wirkung des revolutionären Theoretikers und praktizierenden Kapitalisten Friedrich Engels beleuchten.

Vor 100 Jahren, am 13. März 1920, putschten General von Lüttwitz, Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp und General Erich Ludendorff gegen die Regierung der Republik. Wären die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht in den Generalstreik getreten, dem größten der deutschen Geschichte, hätte der Staatstreich gelingen können: Die Regierung aus SPD, Zentrum und DDP war in das sichere Stuttgart geflohen, vor den putschenden Truppen, die sie selbst nach Berlin beordert hatte zur Niederhaltung derjenigen, die über die demokratische Republik hinaus auch die Eigentumsverhältnisse ändern wollten.

Mit der sogenannten Militärfrage hatte sich Friedrich Engels seit seiner Militärdienstzeit als einjährig Freiwilliger in Berlin beschäftigt. Die Französische Revolution hatte einen neuen Typ von Armee hervorgebracht. Im Krieg gegen die revolutionären Massenheere Frankreichs sahen die feudalen Regierungen Europas keinen anderen Ausweg, als die eigene Bevölkerung zu bewaffnen und diese durch Nationalismus, Reformen und materielle und rechtliche Verbesserungen zu motivieren. Nach dem Sieg über Napoleon nahmen die Herrschenden die zweischneidigen Ergebnisse der „Befreiungskriege“ zurück – Volksbewaffnung und Öffnung des Offizierscorps für Nichtadelige. Nur wenige Beispiele allgemeiner Bürgerbewaffnung blieben bestehen, so das Bürgermilitär Hamburgs, das in der Revolution 1848 seine Offiziere aus den eigenen, bürgerlichen Reihen wählte. „Die Soldaten wählen ihre Führer selbst“, forderten die Hamburger Delegierten de nn auch auf dem Rätekongress in Berlin im Dezember 1918.

Nach der Niederlage der 1848er Revolution vermochte Bismarck das Militär in einer Weise neu zu organisieren, die sich als äußerst gefährlich für die Arbeiterbewegung und die Entwicklung der Gesellschaft erweisen sollte. Im Zuge der „Bauernbefreiung“ erhielt der Adel in Preußen eine neue Rolle, in der unter anderem die Offiziersränge ausschließlich ihm vorbehalten waren. Bauernsöhne bildeten die Mannschaften des Heeres, die zum Gehorsam gegenüber dem Nationalstaat erzogen wurden und gegen die städtische Bevölkerung eingesetzt werden konnten. In den Kriegen gegen Dänemark 1864 und gegen Österreich 1866 zeigte sich schon, dass eine solche Berufsarmee zu militärischen Abenteuern neigte.

1865 wollte Otto Meissner in Hamburg, der spätere Verleger des „Kapital“, von Friedrich Engels eine Schrift zu dieser Entwicklung haben. In „Die preußische Militärfrage und die Deutsche Arbeiterpartei“ wägt Engels ab, welche Folgen welche militärische Ausbildung für die Arbeiterbewegung hätte, wer über den Etat dieser Streitkräfte bestimmen sollte und wie sich der Aufbau des Heeres auf die Stellung Preußens im europäischen Machtkampf auswirken würde. Wie Engels im Vorwort schreibt, könne nur die Partei der Arbeiter, die außerhalb des Konflikts zwischen „Reaction und Bürgertum“ stünde, solche Fragen „ganz kaltblütig… wissenschaftlich behandeln, als ob sie schon vergangen, anatomisch, ob sie schon Cadaver wären“ (MEW 16, S.41). Und er warnte vor einer Berufsarmee mit einer gesellschaftlich abgesonderten Offizierskaste mit Neigung zu Abenteuern, die die Errungenschaften der bürgerlichen Revolution gefà 4hrde: „Je mehr Arbeiter in den Waffen geübt werden, desto besser. Die allgemeine Wehrpflicht ist die notwendige und natürliche Ergänzung des allgemeinen Stimmrechts; sie setzt die Stimmenden in den Stand, ihre Beschlüsse gegen alle Staatsstreichversuche mit den Waffen in der Hand durchzusetzen.“ (MEW 16, S. 66).

Die preußische Form der Berufsarmee feierte mit dem Sieg über Frankreich 1871 und der Gründung des Deutschen Reiches ihren Triumph.

Marx und Engels nahmen Partei für den Kriegsgegner und priesen die Pariser Kommune, die im Widerstand gegen Preußen neue Formen der Staatsorganisation und der Bewaffnung der Bürgerschaft entwickelt hatte. Die Kommunarden wurden zu Zehntausenden von französischen Truppen zusammengeschossen, die zu diesem Zweck zuvor aus preußischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden waren – eine offensichtliche Übereinstimmung der Klassen- und Herrschaftsinteressen von Kriegsgegnern.

Infolge des Triumphs in drei kurz aufeinander folgenden Kriegen setzte sich auch im Deutschen Reich eine Armee nach preußischem Vorbild durch. Dessen Offizierskorps, aus den ehemaligen Herrscherfamilien rekrutiert, leistete aus Karrieregründen Tendenzen zu imperialistischen Aggressionskriegen Vorschub.

Zugleich kannte eine derartige militärische Führung keinerlei Skrupel, Truppen gegen die Arbeiterbevölkerung einzusetzen – wie sich nach dem Ersten Weltkrieg in Angriffen von Militärs und Freikorps auf die Novemberrevolution und im Kapp-Putsch von 1920 zeigte. Dem Generalstreik folgte die blutige Niederschlagung des Arbeiterwiderstandes im Ruhrgebiet durch dieselben Truppen, die am Putsch beteiligt waren. Vor den Gefahren einer solchen Armee für die Arbeiterbewegung, die gleich auch die bürgerliche Republik abräumen würde, hatte Friedrich Engels bereits fünfzig Jahre früher gewarnt, mit der Aufforderung „Spitze gegen Spitze“, mit der seine Broschüre zur Militärfrage endet.

Jürgen Bönig, Hamburg, hat sich 2017 in dem Buch Karl Marx in Hamburg auch mit Friedrich Engels und dessen Beziehung zum Verleger von Karl Marx, Otto Meißner, beschäftigt.