Fair Oceans. Ein Arbeitsschwerpunkt macht Meer

Christoph Spehr. Lunapark21 – Heft 25

Alles begann, wie so oft, mit einer Zeitung, und ihr Name war alaska. Im zweiten Stock des Naturfreundehauses in der Bremer Buchtstraße, im kleinsten Raum des Hauses, unter sehr schrägen Wänden, wurde ab 1989 die Vereinszeitschrift der BUKO produziert: der „Bundeskoordination Internationalismus“, dem Dachverband entwicklungspolitischer und internationalistischer Aktionsgruppen in Deutschland. Es war keine ganz einfache, aber eine sehr interessante Zeit für Internationalismus. Der Kalte Krieg löste sich auf, das Modell „Entwicklung“ geriet in die Kritik, der Imperialismus wandelte sich zur neuen Weltordnung, der Kapitalismus zeigte sich wieder einmal unerwartet flexibel, und die Befreiungsbewegungen waren auch nicht mehr das, was sie mal waren. „Triple Oppression“ und die Kritik des neoliberalen Selbstmanagements waren das Gebot der Stunde, linke Theorie ging nicht nur beherzt mit Feminismus, Ökologie und Antirassismus aus, sondern flirtete auch ganz offen mit Popkultur. Zeitungsmachen reichte der Redaktionsgruppe schon bald nicht mehr: Es entstanden erste Veranstaltungsreihen wie die legendäre Reihe im Schlachthof zum „Berti-Vogts-Syndrom“ (basierend auf dem schlichtherzigen Bekenntnissatz des ehemaligen Nationaltrainers: „Grün, die Farbe ist doch schön!“). Irgendwann wurden die Räume größer, ein eigener Verein musste her, die Symbiose mit dem autonomen Kulturzentrum „Paradox“ kam dazu, eine Vielzahl von Projekten zu Entwicklung, Umwelt, Kapitalismus und dem ganzen Rest nahm Gestalt an. Man war engagiert in der Kritik der neuen Leitideologie „Nachhaltigkeit“, machte Popkultur-Kongresse zu Science-Fiction, Horror, Politik und Utopie, und lernte den Umgang mit EU-Kohle.

Sehr viel später machte der Verein, der auf den ein wenig ulkigen Namen IntKom hört (Verein für Internationalismus und Kommunikation), eine interessante Entdeckung. Nachdem 29 Prozent der Erdoberfläche nahezu vollständig erschlossen, kolonisiert, ausgebeutet, umgepflügt, abgeholzt, versiegelt, umgemodelt, bebaut, gesprengt und umgebuddelt waren (in, wie die Akteure von IntKom fanden, insgesamt wenig überzeugender Weise), richtete sich der Blick vermehrt auf die restlichen 71 Prozent, an denen man bislang nur ganz oberflächlich gekratzt hatte: die Meere. Und obwohl alles darauf hindeutete, dass dieselben Konflikte, Kämpfe, Verbrechen und Dämlichkeiten sich wiederholen würden, die man auf den trockenen 29 Prozent geübt hatte, war die kritische Begleitung dieses Prozesses einigermaßen unterentwickelt. Die Umwelt-NGOs kamen noch am besten damit zurecht. Sie hatten schließlich immer schon ein Faible für Wale und Robben gehabt (auch wenn der Tiefseedornhai und der gemeine Hering nicht ganz so sexy sind). Von Seiten der entwicklungspolitischen NGOs und der internationalen Solidaritätsbewegung war in Sachen Meerespolitik dagegen wenig los. Jedenfalls im Herzen der Bestie; in Westafrika organisierten sich die Kleinfischer sehr wohl gegen die Raubzüge internationaler Trawler-Flotten vor ihrer Küste. Im Zentrum der Kritik stand dabei auch die EU. Diese kaufte und kauft weite Meeresgebiete vor der westafrikanischen Küste per Lizenz auf und lässt die nationalen Flotten der EU-Länder dort fischen. Das klingt kolonial. Ist es auch.

Auch auf dem Meer hat die koloniale Landnahme längst begonnen. Wer weiß schon, dass es gewissermaßen ein 17. deutsches Bundesland gibt, mit 75000 qkm größer als Bayern, das im Pazifik zwischen Hawaii, Kiribati und Mexico liegt – nur am Meeresboden, in 5000 km Tiefe, seit 2006 von der Bundesregierung gepachtet, als Testgebiet für Tiefseebergbau? Oder dass seit 2009 eine Art Bebauungsplan für die Nordsee existiert, für eine Fläche so groß wie Brandenburg, auf dem minutiös durchgeplant ist, wo Windparks, Ölfördergebiete, Gasleitungen, militärische Übungsgebiete, Schifffahrtslinien und dazwischen noch ein bisschen Naturschutz zu liegen haben? Oder dass man mit modernsten „Fernerkundungssystemen“ zwar jedes winzige Fischerboot auf dem Mittelmeer, auf dem ein paar Flüchtlinge versuchen nach Europa zu kommen, vom All aus ausfindig machen kann, aber komischerweise nicht die riesigen Industriefangschiffe, die in den Hoheitsgewässern der Entwicklungsländer illegal deren Fisch klauen?

Keine Frage: Die Lage schrie nach einem Arbeitsschwerpunkt. Also wurde fair oceans gegründet. Seit 2009 widmet sich der neue Arbeitsschwerpunkt von IntKom der Meerespolitik und dem Nord-Süd-Verhältnis. Workshops und Kongresse, Info-Flugblätter und Broschüren, Website und Projekte und vor allem die Netzwerk- und Koordinierungsarbeit sind seitdem gewachsen. Fair oceans koordiniert die Arbeitsgruppe „Meere“ des „Forum Umwelt und Entwicklung“, ist Mitglied bei OCEAN2012, unterhält einen regionalen Arbeitskreis zur Meerespolitik in Bremen und arbeitet eng zusammen mit der Arbeitsstelle Agrarhandel und Fischerei des Evangelischen Entwicklungsdienstes EED/Brot für die Welt, der „Coalition for fair fisheries agreements“ (CFFA), der „African Confederation of Artisanal Fishing“ (CAOPA), der Zeitschrift WATERKANT, dem Bremer Entwicklungspolitischen Netzwerk, der „Örtlichen Erzeugergemeinschaft der Kutter- und Küstenfischer Emsmündung“ und verschiedenen Umweltorganisationen.

Fair Oceans und IntKom sind der organisatorische Träger des „Gegenkongresses“ zum Europäischen Tag der Meere 2014. Die Konferenz („Letzte Hoffnung Meer? Alternative Perspektiven für Umwelt und Entwicklung auf See“) wird von einem lokalen Bündnis getragen und findet am 15.-17. Mai 2014 in Bremen statt, unmittelbar vor dem offiziellen „European Maritime Day“ (siehe Seite 47).

„Der Ozean ist eine Wildnis, die rund um den Erdball reicht, wilder als der bengalische Dschungel und voll mit Monstern“, schrieb Henry David Thoreau Mitte des 19. Jahrhunderts. In diesem Dschungel geht es derzeit zu wie damals in den nordamerikanischen Plains, als Bisons herdenweise von der Eisenbahn aus niedergemäht und der indianischen Ökonomie dadurch die Existenzgrundlage entzogen wurde. Die angestammten Monster der Tiefsee nehmen sich nostalgisch aus gegenüber den modernen Monstern, mit denen der ozeanische Dschungel durchpflügt und ausgebeutet wird.

Die Folgen werden die weltweite Nord-Süd-Spaltung verschärfen. Wer es sich technologisch und finanziell leisten kann, das Meer in seinem Interesse zu manipulieren, gewinnt; wer es sich nicht leisten kann, sich vor den Folgen zu schützen, verliert. Oder – es ist ja immer dasselbe: man organisiert sich. Fair Oceans will einen Beitrag dazu leisten. Inhaltlich auf hoher See. Politisch auf der Höhe der Zeit. Solidarisch an der Seite der … naja, jedenfalls dagegen!

Christoph Spehr war damals auch dabei bei der alaska und ist es bis heute bei IntKom und fair oceans. Seine Brötchen verdient er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bremer Bürgerschaftsfraktion der LINKEN, keine Brötchen verdient er u.a. als Bremer Landessprecher der LINKEN. Als er noch mehr Zeit hatte, hat er ein paar Bücher veröffentlicht: „Die Ökofalle“, „Die Aliens sind unter uns“, „Gleicher als andere“ und als Herausgeber „Out of this world“ und „On Rules and Monsters“.

Kontakt: fair oceans · Bernhardstraße 12 · 28203 Bremen · 0152-29517004 ·
www.fair-oceans.info · fair-oceans@gmx.info

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