Erzieherinnen bereiten Streik vor

Daniel Behruzi. Lunapark21 – Heft 29

Die Forderungen sind ambitioniert, ein Streik wahrscheinlich: Durchschnittlich zehn Prozent mehr Geld sollen die neuen Eingruppierungsregelungen den rund 220000 Beschäftigten der kommunalen Sozial- und Erziehungsdienste bringen. Sollten sich die Gewerkschaften ver.di und GEW damit durchsetzen, würde sich indirekt auch die Lage der mehr als eine halbe Million Beschäftigten in freigemeinnützigen und kirchlichen Einrichtungen verbessern. Drei Viertel von ihnen sind Frauen.

Blick zurück
Vor fünf Jahren legten Zehntausende Erzieherinnen zwölf Wochen lang immer wieder die Arbeit nieder – mitten in der Wirtschaftskrise. Ihre Forderungen: höhere Bezahlung und besserer Gesundheitsschutz. Von dem Ergebnis – gegen das sich in der ver.di-Tarifkommission seinerzeit viel Widerstand regte – profitierten vor allem junge Erzieherinnen. Die mit der Ablösung des Bundesangestellten-Tarifvertrags (BAT) durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) einhergehenden Einkommensverluste konnten größtenteils ausgeglichen werden. Doch ältere und langjährig Beschäftigte hatten kaum etwas davon. Auch beim betrieblichen Gesundheitsschutz verbesserte sich in der Folge wenig.

Deshalb gehen die Erzieherinnen gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Bereich Soziale Arbeit nun erneut auf die Straße. Sie fordern eine deutliche Aufwertung und mehr Anerkennung – auch finanziell. Denn im Vergleich zu typischen Männerberufen in der Industrie ist die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und behinderten Menschen deutlich unterbezahlt. Eine Erzieherin, die zum Beispiel als Gruppenleiterin in einer Kita Verantwortung trägt, verdient Vollzeit (in Entgeltstufe 3) 2.703,20 Euro. Künftig sollen es 2.920,97 Euro sein. Doch Vollzeitbeschäftigung ist in den Kitas ohnehin die große Ausnahme: Lediglich 40 Prozent der Erzieherinnen haben einen Vollzeitvertrag, im Osten nur 25 Prozent. Von ihrem Teilzeitgehalt können sie kaum eigenständig leben – von der Aussicht auf eine auskömmliche Rente ganz zu schweigen.

Die Gewerkschaften haben für die geforderte Aufwertung gute Argumente. Die Notwendigkeit frühkindlicher Bildung und professioneller Kinderbetreuung bestreiten auch die meisten Politiker nicht – von ein paar CSU-Hinterwäldlern abgesehen, die Frauen am liebsten immer noch an Heim und Herd verbannen würden. Die Arbeitgeber werden in dem Konflikt aber versuchen, das Bedürfnis der Eltern nach mehr Kita-Plätzen und das Verlangen der Erzieherinnen nach mehr Geld gegeneinander auszuspielen – Motto: „Kita-Ausbau und höhere Gehälter können wir uns nicht gleichzeitig leisten.“

Neue Perspektiven
Dabei ist klar, dass beides zusammenhängt. Denn schon jetzt gibt es mancherorts einen eklatanten Fachkräftemangel. Und der Personalbedarf wird noch drastisch zunehmen. Jede dritte Erzieherin ist über 60. Wenn sie in Rente gehen, wird es zu wenige Frauen – und noch viel weniger Männer – geben, die unter den jetzigen Bedingungen bereit sind, den Job zu machen. Einkommen und Arbeitsbedingungen müssen sich daher deutlich verbessern – auch und gerade im Interesse der Kinder und Eltern.

Doch gute Argumente werden nicht reichen, um diese Tarifauseinandersetzung zum Erfolg zu bringen. Angesichts kommunaler Finanznot und Schuldenbremse werden die Widerstände erheblich sein. Ein weiteres Problem: Streiks in Kitas und Sozialeinrichtungen verursachen keinen ökonomischen Schaden – zumindest nicht bei denjenigen, die man treffen will. Daher sind die Gewerkschaften gut beraten, wenn sie den Konflikt von Beginn an als politische Auseinandersetzung führen und die öffentliche Meinung für ihre Anliegen mobilisieren.

Der anstehende Streik ist ein weiterer Beleg für das, was manche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die „Feminisierung des Arbeitskampfs“ nennen. Während die Industriegewerkschaften in der Metallbranche seit über zehn Jahren, in der Chemieindustrie schon seit Jahrzehnten nicht mehr zu Erzwingungsstreiks aufgerufen haben, ist das im weiblich geprägten Dienstleistungsbereich ganz anders. Ob Krankenpflegerinnen, Reinigungskräfte oder eben Erzieherinnen – in den vergangenen Jahren haben ausgerechnet diese traditionell eher gewerkschaftsfernen Beschäftigtengruppen beeindruckende Arbeitskämpfe geführt. Und Erfolge erzielt.

Daniel Behruzi ist Journalist und Soziologe. Soeben hat er seine Dissertation zu Betrieblichen Wettbewerbsbündnissen und linksoppositionellen Betriebsräten in der Automobilindustrie“ abgeschlossen.

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