Eingeblättert…

in die Welt des systematischen Wahnsinns

Klima I: In vino veritas

Kann man sich das Wetter schöntrinken? Vielleicht – auf jeden Fall ist der Alkoholgehalt von Wein deutlich gestiegen, eine Folge des Klimawandels. Galt ein Rotwein mit zwölf Prozent vor fünfzig Jahren noch als kräftig, so ist heute kaum noch ein Bordeaux mit weniger als 13,5 Grad Alkohol zu bekommen und selbst 15 Grad sind keine Seltenheit mehr.

Die Wärme lässt die Trauben mehr Zucker entwickeln, der während der Gärung in Alkohol gewandelt wird. Zwar ließe sich der Gärvorgang vorzeitig stoppen, der Alkoholgehalt wäre geringer, der Anteil von Restzucker aber höher. Der Wein wäre süß. Ein Problem vor allem für hochklassige und renommierte Weingüter. Oder können Sie sich einen James Bond vorstellen, der einen Chateau Latour „halbtrocken“ orderte?

Lässt sich das Klima am Abend noch vergessen, belehrt der schwere Kopf am anderen Morgen.

Von den gestiegenen Temperaturen profitieren die Weinbauregionen weiter im Norden. Dänische Winzer – kein Scherz – bieten inzwischen recht ansprechende Tropfen.

Dramatisch sieht es dagegen für den Weinbau der südlichen Hemisphäre aus, vor allem aufgrund von Trockenheit. So ist die Menge produzierten Weins im vergangenen Jahr in Chile, Argentinien und Australien um 20 und mehr Prozent eingebrochen. Südafrikas Weinbauern hatten einen Verlust von zehn Prozent zu verkraften.

Vorteil Vorurteil

Frauen gelten als von Natur aus fürsorglich; sie seien einfühlsamer als Männer und wüssten Konflikte zu entspannen statt zu eskalieren. Die angeblichen Fähigkeiten qualifizieren sie für entsprechende Berufe. Wenn dann noch eine Ausbildung im Polizei- oder Militärdienst hinzukommt, jahrelanges Kampfsporttraining und ein routinierter Umgang mit Schusswaffen, bietet sich eine Tätigkeit als „E.P. specialist“ an.

E.P. steht für Executive Protection und bedeutet Personenschutz für gesellschaftlich hochstehende Persönlichkeiten – Bodyguard.

Man kennt die Bilder von Politiker:innen, umstanden von breitschultrigen Typen in ausgepolstertem Sakko, starkes Kinn, die Augen hinter dunklen Gläsern, Sprechfunk am Mann – Schutz und Abschreckung: Hier ist nicht gut Kirschen essen.

Derartige Sicherung beraubt die zu schützende Person aber auch jeglicher Anonymität, und mag für mögliche Angreifer geradezu zielführend sein – auch nicht nach jedermanns Geschmack, frauens noch weniger.

Gefragt ist eben oft diskreter Schutz. Vor allem auf Privat- und Geschäftsreisen wollen vermögende oder hochrangige Individuen nicht unnötig auffallen, noch weniger auf den Wegen alltäglicher Besorgungen. Gefragt ist ein Bodyguard mit Tarnkappe, und wer wäre da besser geeignet als eine Frau. Die Tarnkappe verleihen ihr die gesellschaftlichen Klischeevorstellungen. Eine begleitende Frau mag persönliche Assistentin sein, die Tante oder das Kindermädchen. Eine abwehrbereite Martial-Arts-Expertin wird kaum jemand erwarten.

Weibliche Angehörige der Herrscherhäuser des Mittleren Ostens buchen Personenschützerinnen, schon aus religiösen Gründen. Aber auch mit der steigenden Zahl von Frauen in Führungspositionen wächst der Bedarf an femininem Begleitschutz.

Neben der Qualifikation in Sicherheitstechniken braucht es Anpassungs- und Einfühlungsvermögen für den Umgang in und mit wohlhabenden Kreisen, Mehrsprachigkeit ist von Vorteil. Die Fortbildung lohnt sich. Gegenüber dem Polizeidienst ist als E.P. specialist das Vier- bis Fünffache zu verdienen. „Für weniger als 1000 Dollar am Tag stehe ich nicht auf“, zitiert die New York Times eine Spezialistin.

Klima II: Süßreserve

Auf ein katastrophales Jahr 2023 folgte eine Rekordsaison 2024, so dass Kanada seine strategische Reserve wieder auffüllen konnte. Es stand schlimm. Die Pegel in den Tanks für Ahornsirup waren auf den niedrigsten Stand seit 16 Jahren gefallen. Und „Pfannkuchen ohne“, das geht eigentlich nicht.

Die gestiegenen Temperaturen infolge des Klimawandels könnten sogar höhere Erträge generieren, wenn nicht zugleich extreme Wetterereignisse häufiger eintreten würden. Heftige Winde, vor allem Eisstürme haben im vergangenen Jahr die Menge des landesweit geschöpften Baumsafts um 40 Prozent vermindert.

Ahorn, dessen karamellartige Rindentropfen schon den Speisezettel der Irokesen bereicherte, ist Symbol des Landes. Maple Leaf heißt denn auch die berühmte Münze aus kanadischem Gold.

Knapp 80 Prozent des weltweit konsumierten Ahornsirups produziert Kanada, und zwar zu 90 Prozent in der Provinz Quebec. 55 Millionen Ahornbäume sind angezapft und liefern in guten Jahren an die 80 Millionen Liter der klebrigen Köstlichkeit.

Einige wenige Großhandelsunternehmen setzen einen Mindestpreis fest, der den Produzierenden ein auskömmliches Leben garantiert. Die Regierung goutiert das Verfahren.

Die globalen klimatischen Veränderungen stellen das traditionelle Gewerbe in Frage. Das wärmere Wetter lässt den Sirup früher fließen, begünstigt aber auch Parasiten. Und die Zapfzeit, März bis April, endet früher. Viele der Sirupproduzierenden hoffen auf Genehmigungen, um Pflanzungen weiter nördlich anzulegen. Dafür können sie ein starkes Argument ins Feld führen. Die Blätter des Ahorns enthalten wesentlich mehr an Feuchtigkeit als Kiefernnadeln und sind weniger leicht entflammbar. Kanada musste 2023 die verheerendsten Waldbrände seiner Geschichte verzeichnen.

With God on his Side

Es ist kein freier und fairer Markt, wenn China seine Exportprodukte, vor allem die seiner Autoindustrie, im großen Stil subventioniert. Geradezu unanständig aber ist es, Güter zu verschenken und damit anderen das Geschäft gänzlich zu verderben.

Zweieinhalb Milliarden Bibeln hat <I>The Gideons<I> seit Gründung des Vereins im Jahre 1899 kostenlos verteilt. In über 100 Sprachen liegen die Exemplare in den Hotels, Spitälern, Kasernen und Gefängnissen von rund 200 Ländern.

Bibeln sind eine spezielle Ware. Ein Copyright gibt es nicht, und den längst verstorbenen Autoren gebührt auch kein Honorar. Andererseits kann der Markt als gesättigt gelten. Darüber hinaus ist der Inhalt sakrosankt. Neue Folgen zeitgenössischer Autor:innen, die das Werk fortsetzen, wie beispielsweise das James-Bond-Oeuvre von Ian Fleming, oder wie die frischen Abenteuer des Hercule Poirot, den einst Agatha Christie erschuf, verbieten sich.

Clevere Verlage bieten Ausgaben zugeschnitten auf ein besonderes Publikumssegment, etwa Neuübersetzungen in Dialekt oder eine „Boys Bible“ mit „blutrünstigen Geschichten, die du in der Bibel nicht erwartet hättest“. Es gibt die „Biker Bibel“ und eine „Mother’s Bible“.

Rund 800 Millionen Dollar waren im vergangenen Jahr allein in den USA mit religiösen Schriften zu verdienen.

Gegenüber dem kommerziellen sollte aber der spirituelle Wert der Heiligen Schrift im Vordergrund stehen. Und der kam jüngst im Wahlkampf zur Wirkung. Unter dem Slogan „Let’s make America pray again“ ließ Donald Trump seine eigene „God Bless the USA Bible“ vertreiben, zum Preis von 59,99 Dollar.

Klima III: Endless Night

Wie viele? Das weiß niemand so genau. Die letzte Volkszählung in Somalia fand 1986 statt, Ergebnisse wurden nie veröffentlicht.

1969, neun Jahre nach der Unabhängigkeit, übernahm das Militär die Macht. Die frühere koloniale Aufteilung Somalias zwischen Italien, Großbritannien und Frankreich wirkt bis heute nach, Grenze und Gebietsansprüche gegenüber Äthiopien sind umstritten. Seit 1988 befindet sich das Land am Horn von Afrika, dessen Kultur stärker von Clanstrukturen geprägt ist als durch Loyalität gegenüber der Zentralgewalt, im Bürgerkrieg.

Als wäre das Ausmaß an Elend noch nicht groß genug, trifft der Klimawandel Somalia mit voller Härte. Rund 70 Prozent der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft. Zwei Regenperioden pro Jahr erlaubten Weidewirtschaft sowie Gemüse- und Getreideanbau vor allem im Süden des Landes.

Zwischen 2020 und 2022 fielen fünf Regenperioden in Folge aus. Eine Hungersnot konnte durch ein über zwei Milliarden Euro teures Hilfsprogramm der Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen und weitere Spenden abgewendet werden.

Darauf folgten im vergangenen Jahr die heftigsten Regenfälle und Überflutungen seit hundert Jahren. Felder und Straßen wurden weggeschwemmt, zahlreiche Gesundheitseinrichtungen zerstört, ebenso Trinkwasserreservoirs und Latrinen; mehr als eine Million Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen.

Die Naturkatastrophe trifft eine Bevölkerung, die über Jahrzehnte durch Kämpfe, räuberische Warlords, Dschihadisten und korrupte Behörden verarmt ist. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf wird auf unter 800 Dollar geschätzt.

Etwa ein Fünftel der knapp 20 Millionen Bewohnenden sind in Not, und 1,7 Millionen Kleinkinder unterernährt. Nahezu vier Millionen Menschen leben in Lagern und können nicht zurück. Ihre Herden sind verdurstet, ihre Felder verdorrt, Kapital für einen Neuanfang haben sie nicht.

Und die Welt ist es leid. Von dringend nötiger Hilfe in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar stehen laut Uno nur ein Bruchteil bereit. In der öffentlichen Aufmerksamkeit verschwindet Somalia hinter dem Krieg im Sudan, und auch der wird von der westlichen Berichterstattung zwischen Ukraine und dem Nahen Osten nur gestreift.

Souvenirs

Wie wäre es mit einem Schlüsselanhänger für 200 Euro? Echtes Handwerk, gefertigt aus Patronenhülsen und anderem Militärschrott von der ukrainisch-russischen Front.

Ukrainische Soldaten gehen neue Wege bei der Beschaffung von Ersatz für verlorene oder zerstörte Ausrüstung und schicken, was immer sich als Kriegstrophäe eignen mag, an Händler in der Etappe. Die wiederum suchen Käufer via Internet, auf eBay oder eigener Plattform.

Ein russischer Helm, der vielleicht sogar den Namen seines ehemaligen Trägers aufweist, bringt 1400 Dollar oder mehr. Uniformstücke sind gefragt, besonders von Spezialeinheiten des russischen Nachrichtendienstes. Sehr begehrt sind auch Wrackteile abgeschossener Sukhoi‑Kampfjets.

Der Kauf solchen Auswurfs der Kriegshölle wird als Unterstützung der ukrainischen Soldaten beworben, denen der Erlös übersandt werde.

Die Käufer sitzen meist im Ausland, darunter fanatische Sammler von Kriegsmemorabilia. Angebote von Gegenständen mit allzu schrecklichen Spuren hat eBay von der Site genommen und Dealer gesperrt.

Ein kriegsversehrter ukrainischer Veteran bietet einen speziellen Service für Sammler, die nach bestimmten Gegenständen fragen, übermittelt den Wunsch an Frontsoldaten, die sich dann auf die Pirsch machen.

Ein Netz von Helfern, meistens auch Veteranen, übernimmt den Schmuggeldienst über die Grenze, denn der Export von Militärgerät aller Art ist in der Ukraine verboten. Die Lieferung von der Front bis zum Empfänger dauert in der Regel nur Tage.

Die Einnahmen kommen wohl tatsächlich der kämpfenden Truppe zugute, die aber weniger an Geld, vielmehr an neuer Ausrüstung interessiert ist. Eine einzelne Granate kann einem das komplette Equipment zerstören, erklärt ein britischer ehemaliger Fallschirmjäger, der sich in seinem Online-Shop als Babbs vorstellt.

Die Zwischenhändler bemühen sich, das benötigte Material – Medikamente und Verbandszeug, Kleidung, Ausrüstung – einzukaufen und an die entsprechende Stellung an der Front zu liefern, per Boten oder Drohne.