Die Pariser Kommune und die Frauen

quartalsbericht 01/2021 150 jahre pariser kommune

Vor 150 Jahren wehrte sich die Nationalgarde von Paris gegen ihre Entwaffnung, und die Kommune von Paris begann vom 18. März bis zu ihrer Niederschlagung am 28. Mai 1871, die Stadt in einer neuen Form zu verwalten. Der erste Quartalsbericht beschäftigt sich mit der Rolle der Frauen in der Pariser Kommune.

Die Straße der Pariser Kommune in Berlin Friedrichshain erinnert seit 1971 an den revolutionären Aufstand der Pariser ArbeiterInnen vom März bis Mai 1871. Karl Marx lobte die Kommune als ruhmvollen Vorboten einer neuen Gesellschaft und Friedrich Engels verwies darauf, dass zum ersten Mal in der Geschichte die Arbeiterklasse in einer großen Hauptstadt die politische Macht ergriff. Was war geschehen?

Es rumorte schon lange in Frankreich; besonders in Paris. Die Versprechungen der großen Französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (von Schwesterlichkeit war keine Rede), waren nicht umgesetzt. Der dritte Stand und später das Proletariat hatten für die Republik gekämpft: 1792, 1830, 1848, aber die soziale Lage besserte sich nicht, unabhängig davon, ob das Land Monarchie oder Republik war. Zuletzt führte der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 zur Niederlage Frankreichs. Den PariserInnen erging es elend unter der Belagerung der Deutschen. Der Ruf nach einer Kommune in Anlehnung an die Revolution von 1789/99 wurde unter den republikanisch und sozialistisch Gesinnten immer lauter. Und das nicht nur in Paris, auch andere Städte, wie Marseille und Lyon, unternahmen Versuche; leider mit niederschmetternden Ergebnissen. Die Situation in Paris wurde immer bedrohlicher: Anfang des Jahres 1871 stand ein Staatsstreich der bürgerlichen R egierung bevor. Der bisherige Höhepunkt war der Versuch, die Kanonen der Nationalgarde aus Paris abzutransportieren. Doch die Bevölkerung, insbesondere Frauen, stellten sich schützend davor. Die Folge war die Übernahme der Stadt durch das Zentralkomitee der Nationalgarde nach Vertreibung der Regierungstruppen. Die Regierung selbst und mit ihr der Verwaltungsapparat, Teile des Militärs und Unternehmer flüchteten nach Versailles. Währenddessen bereitete das Zentralkomitee die Wahlen zur Kommune vor. Am 29. März 1871 wurde die neue Stadtverwaltung gewählt, die sich mehrheitlich aus Arbeitern oder Personen, die die Interessen der arbeitenden Bevölkerung vertraten, zusammensetzte. Sie kamen aus unterschiedlichen Strömungen: Anarchisten, Blanquisten, Marxisten, liberale Republikaner. Von Beginn an musste die Kommune um ihre Existenz kämpfen, darum spielte der militärische Aspekt eine entscheidende Rolle.

Die Kommune hatte sich anspruchsvolle Ziele gesetzt, die sie in Dekreten festhielt und zügig mit deren Umsetzung begann. Es waren politische, soziale, bildungspolitische und ökonomische Maßnahmen, wie die Abschaffung des stehenden Heeres und eine allgemeine Volksbewaffnung, Wahl von Richtern und Staatsanwälten, Überführung der durch die Flucht der Besitzer verlassenen Betriebe in Genossenschaften und andere Kollektive, gleicher Lohn für Männer und Frauen, Trennung von Staat und Kirche, Konfiszierung von Kirchengütern, Einführung fairer Mieten, Hinterbliebenengeld für Frauen und Kinder. Die neue Stadtverwaltung setzte sich zum großen Teil aus Arbeitern und ‚kleinen‘ Angestellten zusammen. In den Clubs und Kommissionen der Stadtbezirke, in den Genossenschaften und Gewerkschaften wurden mögliche und nötige Maßnahmen zuerst diskutiert und dann in der Kommune beschlossen. Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gab es strenge Vo rschriften, wie die Einführung eines Personalausweises, um das Eindringen von Spitzeln aus Versailles zu unterbinden. Eine nächtliche Ausgangssperre wurde angeordnet, um Trunksucht und Prostitution einzudämmen, die als sittenwidrig galten.

Welche Rolle spielten Frauen in der Kommune?

Zunächst fällt auf, dass keine Frauen in die Gremien der Kommune gewählt wurden. Frauen hatten noch kein Wahlrecht, und sie stritten offensichtlich nicht dafür, obwohl die Frage des Frauenwahlrechts bereits in der Revolution von 1848 eine wichtige Forderung war. Die Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp führt das darauf zurück, dass es den Frauen in erster Linie nicht um die Einhaltung feministischer Prinzipien ging, sondern „um das Überleben der Kommune als solcher… Sie unterschieden beim Einbringen feministischer Forderungen in die Tagespolitik der Kommune zwischen solchen, die für das Gelingen der Kommune unumgänglich waren – in den Bereichen von Arbeit, Bildung und Erziehung – und solchen, die vorerst hintenangestellt werden konnten, wie etwa das Frauenwahlrecht.“1 Viele Frauen waren schon vor der Zeit der Kommune in Frauenbewegungen tätig und schlossen sich nun in Frauenorganisationen wie der „Union des femmes“ zusammen. Sie richt eten Volksküchen ein und brachten Essenskörbe zu den Soldaten. Als Sanitäterinnen behandelten sie nicht nur verwundete Nationalgardisten, sondern ebenso Soldaten der Armee der Versailler. Frauen engagierten sich aber auch in Clubs und Komitees, etwa den „Wachsamkeitskomitees“, die sich um die Erfüllung der Vorhaben der Kommune und deren Verteidigung zu kümmern hatten.

Die Ergebnisse ihrer Diskussionen formulierten die Frauen als Forderungen an die Kommunemitglieder. Sie verlangten unter anderem die gleichen Rechte von Frauen und Mädchen in Beruf und Ausbildung, die Einführung eines polytechnischen Unterrichts, die Abschaffung des Religionsunterrichts in den Schulen, die Schaffung von Frauenarbeitsplätzen, vorrangig in Genossenschaften, die Reform des Scheidungsrechts. Einige Frauen, wie Paule Mink (1839-1901), fuhren in die Provinzen und informierten dort über die Kommune von Paris, denn es gab wenige zuverlässige Nachrichten über die wirkliche Tätigkeit der PariserInnen, meistens waren es Falschmeldungen, die bewusst von den Versaillern verbreitet wurden.

Frauen ergriffen aber auch die Waffen und kämpften auf den Barrikaden. Manche hielten Reden vor großen Versammlungen. Zu ihnen gehörte die Mitbegründerin der „Union des femmes“ Elisabeth Dmitrieff (1851-1918). Frauen sorgten also sowohl für das Überleben als auch für die Verteidigung der Stadt. Sie sollen zu den hartnäckigsten und entschlossensten KämpferInnen beim bewaffneten Aufstand gezählt haben.

Nicht selten wurden sie als „Brandstifterinnen“ diffamiert. So ging das Gerücht um, dass die sogenannten „Petroleusen“ Häuser in Brand gesteckt hätten, um Paris nicht den Versaillern übergeben zu müssen. Viele Frauen wurden aus diesem Grunde während der „Blutwoche“ gefangen genommen, während bei den späteren Prozessen nicht eine Frau wegen Brandstiftung verurteilt wurde. Das negative Image der kämpfenden Pariser Frauen hat sich lange gehalten.

Genaue Zahlen sind nicht zu finden, aber schätzungsweise haben sich mehrere Tausend Frauen an der Kommune beteiligt. Und wie bei den Männern, gab es bei den Frauen unterschiedliche Standpunkte und Meinungen, viele kamen aus der schon bestehenden Frauenbewegung, viele waren Marxistinnen, andere Anarchistinnen. Das verbindende Element war der Kampf um die Erhaltung der Kommune. Stellvertretend seien neben Elisabeth Dmitrieff, André Léo (Léodile Bréa, 1824-1900), Louise Michel (1830-1905)2 und Nathalie Lemel (1827-1921)3 genannt.

Die blutige Niederschlagung der Pariser Kommune

Nur 72 Tage konnte sich die Pariser Kommune halten. Nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der Versailler Regierung und dem Deutschen Kaiserreich am 10. Mai 1871 in Frankfurt am Main war der Weg für die Armee der Versailler frei, Paris zu erobern. Mit Hilfe eines Spitzels gelang es ihnen, ohne größeren Widerstand nach Paris einzudringen. So begann die als „Blutwoche“ (21. bis 28. Mai 1871) in die Geschichte eingegangene letzte Phase der Pariser Kommune. 582 Barrikaden wurden errichtet, einige durch Frauen, doch sie konnten nicht standhalten. Das Resultat war erschreckend: Etwa 35.000 Menschen wurden umgebracht, rücksichtslos und ohne Gnade: BarrikadenkämpferInnen, Ärzte, SanitäterInnen, ZivilistInnen, die sich zufällig auf der Straße befanden, um Öl für ihre Lampe zu holen, oder Unbeteiligte, die mit KommunardInnen verwechselt wurden. Wer nicht umgebracht wurde, wurde eingekerkert. Die Anklagepunkte und Urteile dafür sind selbst aus Sicht der Bourgeoisie angezweifelt worden. 13.700 Menschen wurden verurteilt, darunter 170 Frauen und 60 Kinder. 270 Todesurteile ergingen, davon 8 an Frauen.4 3.600 Menschen wurden nach Neukaledonien deportiert. Louise Michel schildert eindrücklich in ihrem Buch die Situation der Deportierten und der Gefangenen in Frankreich und die seelischen und körperlichen Qualen, mit denen sie und ihre Angehörigen zu kämpfen hatten.5

Schon während der Zeit der Kommune begann Marx im Auftrag des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) an einer Analyse der Vorgänge in Paris zu arbeiten, was nicht einfach war, denn die Meldungen der bürgerlichen Presse waren stark tendenziös und die der Versailler Regierung voller Fake-News. Mit Unterstützung Gleichgesinnter konnte er jedoch Material für den „Bürgerkrieg in Frankreich“ zusammentragen. Darin gibt er eine Übersicht über die Prozesse, die zur Kommune führten, analysiert die Klassenkämpfe und schreibt über die Entwicklung bis zur Niederschlagung der Kommune. Er kommt zu folgendem Fazit: „Die Mannigfaltigkeit der Deutungen, denen die Kommune unterlag, und die Mannigfaltigkeit der Interessen, die sich in ihr ausgedrückt fanden, beweisen, daß sie eine durch und durch ausdehnungsfähige politische Form war, während alle früheren Regierungsformen wesentlich unterdrückend gewesen waren. Ihr wahres Geheimnis war dies: Sie war wesentlich eine Regierung der Arbeiterklasse, das Resultat des Kampfs der hervorbringenden gegen die aneignende Klasse, die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte.“6

Die Amnestie von 1880 ermöglichte auch den Frauen eine Rückkehr nach Frankreich. André Leo kehrte zurück und verfasste Romane, Louise Michel wurde nach ihrer Rückkehr 1883 zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie zur Plünderung von Bäckerläden aufgefordert hatte. Ihre Aktivitäten für den feministischen libertären Sozialismus setzte sie fort. Elisabeth Dmitrieff ging über die Schweiz zurück nach Rußland. Viele KommunardInnen fanden keine Arbeit, da Unternehmer keine ExkommunardInnen einstellen wollten, so dass sie ins Ausland emigrierten.

Lehren und Wirkungen der Kommune

Infolge der Kooperation der französischen reaktionären Regierung in Versailles mit der deutschen kaiserlichen Regierung und dem Abzug der bürgerlichen Armee aus Paris entstand eine militärische Macht, der die Pariser Revolutionäre nicht gewachsen waren. Schließlich gelang es den Kommunar-dInnen nicht, in den Provinzen und unter den Bauern und Bäuerinnen eine größere Solidaritätsbewegung zu erreichen. Und nicht zuletzt vergab die Kommune ein wichtiges Instrument bei der Umsetzung ihrer Vorhaben durch die Nichtübernahme der Bank von Frankreich.

Dennoch ist die Pariser Kommune nach 150 Jahren nicht nur als der erste praktische Versuch einer ArbeiterInnenselbstverwaltung anzusehen, sondern sie gab auch den Frauenemanzipationsbewegungen einen gewaltigen Schub. Die beteiligten Frauen widerlegten die Vorstellungen, wonach Politik und Kampf um ökonomische Unabhängigkeit „Männersache“ sei und spielten auch bei gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen und generell in der „Bündnisfrage“ eine wesentliche Rolle. Trotz fehlenden Wahlrechts traten sie mit eigenständigen Forderungen auf, die sowohl die ökonomische wie auch die soziale Frage betrafen und sowohl für den Produktions- als auch den Reproduktionsbereich galten. Damit wurde deutlich, dass beide Bereiche in einer befreiten, geschlechtergerechten Gesellschaft nicht voneinander zu trennen sind. Die Präsenz der Frauen in der Kommune hatte zudem Einfluss auf die Behandlung der Geschlechterfrage anderer politischer Zusammenschlüsse. So in der IAA , auf Antrag von Karl Marx wurde auf der Konferenz im September 1871 in London beschlossen, zu ermöglichen, dass sich eigenständige Frauensektionen innerhalb der IAA bilden können.7 Dem ging im Generalrat eine Diskussion voraus, in der Marx seinen Vorschlag mit dem beeindruckenden Engagement der Frauen während der Pariser Kommune begründete.

Die Kommune beeinflusste und beeinflusst progressive Bewegungen, sei es die russische Revolution, die ArbeiterInnenbewegungen in verschiedenen Ländern oder der Bürgerkrieg in Spanien. Und 2020 erschien sogar Louise Michel wieder. Auf ihren Namen wurde das vom Streetart-Künstler Banksy finanzierte Rettungsschiff für die Geflüchteten im Mittelmeer getauft.

Hella Hertzfeldt ist Politikwissenschaftlerin in Berlin und arbeitet seit 2004 am Kalender „Wegbereiterinnen“ mit.

Gisela Notz ist Sozialwissenschaftlerin und Historikerin, sie lebt und arbeitet in Berlin. Sie gibt seit 2003 den Kalender „Wegbereiterinnen“ heraus und ist Mitglied der Redaktion LP21.

Anmerkungen

1 Antje Schrupp: Nicht Marxistin und auch nicht Anarchistin. Frauen in der Ersten Internationale, Königstein/Taunus 1999, S. 177.

2 Biografien in: Gisela Notz: (Hg.): Wegbereiterinnen. Berühmte, bekannte und zu Unrecht vergessene Frauen aus der Geschichte. Neu-Ulm, 3. Aufl. 2020.

3 Nathalie Lemel wird im Kalender „Wegbereiterinnen“ im Jahr 2022 porträtiert.

4 Prosper Lissagaray: Geschichte der Kommune von 1871, Berlin 1956, S. 367.

5 Louise Michel: Die Pariser Commune, Wien 2020.

6 Karl Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation. MEW, Bd. 17, Berlin 1973, S. 342.

7 Siehe: Karl Marx, Friedrich Engels: Beschlüsse der Delegiertenkonferenz der Internationalen Arbeiterassoziation, abgehalten zu London vom 17. bis 23. September 1871, MEW, Bd. 17, Berlin 1973, S. 419.


Die Frauen der Commune.

Die Frau gehöre unters Dach,

Das Kämpfen, das ist Männersach‘,

Das war die alte Weisheit.

Doch hält die Frau nicht länger still,

Sie hat erkannt: wer frei sein will,

Muss kämpfen um die Freiheit!

Wie ihre roten Wangen glüh‘n beim Barrikadenbauen –

Die bisher schönsten Frauen,

Die Frauen der Commune.

Schmetterlinge, Proletenpassion, Oktober 1977