Alternativlose Verkehrspolitik
Seit vielen Jahren ist klar, was eine zukunftsfähige Verkehrspolitik wäre: Eine echte Verkehrswende muss viel mehr sein als ein bloßer Antriebswechsel vom Verbrennungs- zum Elektromotor.
Im Sinne des Klimaschutzes, aber auch im Sinne einer Mobilität für alle Menschen unabhängig von Alter, Geld und körperlichen Einschränkungen benötigen wir einen massiven Ausbau des sogenannten Umweltverbunds von öffentlichem Verkehr, Fahrrad- und Fußverkehr und eine Reduktion von Auto-, Lkw- und Flugverkehr. Leider haben 16 Jahre Merkel nichts in diese Richtung bewegt.
Der 2016 beschlossene Bundesverkehrswegeplan 2030 ist der Wegweiser für die Verkehrsinvestitionen des nächsten Jahrzehnts. Mit ihm wurde die Chance vertan, der Verkehrspolitik eine grundsätzlich neue Ausrichtung zu geben. Mit den im Plan vorgesehenen 130 Milliarden Euro für den Neu- und Ausbau von Straßen und Autobahnen wird immer noch deutlich mehr in den Autoverkehr investiert als in das über Jahrzehnte zusammengekürzte Schienennetz. Während im Zuge der Klimakrise überdeutlich ist, dass der motorisierte Individualverkehr nicht das Verkehrssystem der Zukunft sein kann, werden weiter – wie in Hessen für die A49 – Wälder für den Bau von Autobahnen abgeholzt.
Keine Spur von einem Umsteuern auch bei den umweltschädlichen Subventionen: Noch immer lässt sich Deutschland das Dieselsteuerprivileg 7,4 Milliarden Euro jährlich kosten, die Entfernungspauschale 5,1 Milliarden, das Dienstwagenprivileg 3,1 Milliarden, die Kerosinsteuerbefreiung 7,1 Milliarden und die Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge 4,8 Milliarden. All dies hält den besonders klimaschädlichen Verkehr, der eigentlich massiv schrumpfen müsste, weiterhin billig. Immerhin ist die Mehrwertsteuer auf Bahn-Fernverkehrstickets reduziert worden. Gleichzeitig gibt es aber am laufenden Band neue Milliarden für die Automobilindustrie wie die als Umweltprämie beschönigte Abwrackprämie oder die Elektroauto-Kaufprämie. Den direkten Draht ins Kanzleramt weiß die Automobilindustrie zu honorieren und macht schon mal einen Staatsminister des Bundeskanzleramtes wie Eckart von Klaeden zum Daimler-Cheflobbyisten. Und immer wieder hält die Bunde regierung ihre schützende Hand über die deutsche Automobilindustrie, sobald die Europäische Union wirksame Abgas-Grenzwerte einfordert.
Die Auswahl der Verkehrsminister in den vier Merkel-Kabinetten hat die Sache nicht besser gemacht: Erst scheiterte Wolfgang Tiefensee (SPD) zum Glück mit seinen Plänen eines Bahn-Börsengangs. Andernfalls würden wir wohl spätestens jetzt in der Corona-Krise über eine teure Rückverstaatlichung der Bahn wie in Großbritannien diskutieren. Die nachfolgenden drei CSU-Minister haben ihre Hauptaufgabe offensichtlich darin gesehen, möglichst viel Geld für neue Straßenbauprojekte nach Bayern zu leiten. Bei Andreas Scheuer kam noch die gescheiterte Autobahnmaut hinzu. Aber weder die damit verbundene Verschwendung von Hunderten Millionen Euro noch die diversen anderen Skandale wie die gescheiterte Autobahn GmbH genügten für einen Rücktritt. Eine verkehrspolitische Vision fehlte derweil bei allen vier Ministern. So dümpelt nicht zuletzt die Deutsche Bahn AG als größtes Unternehmen des Bundes weiter orientierungslos vor sich hin.
Im Fach Verkehrspolitik muss man Angela Merkel und ihren Ministern leider ein Ungenügend attestieren. Die schon zu ihrer Amtsübernahme überfällige Verkehrswende ist weitere 16 Jahre verschleppt worden.
Bernhard Knierim engagiert sich seit vielen Jahren für eine zukunftsfähige Verkehrspolitik und hat mehrere Bücher mit Konzepten dazu veröffentlicht.