Der Name der Korruption

Es gibt Ortsnamen, die sind unverwechselbar. Sie stehen für ein besonderes Ereignis, das mit ihnen identifiziert wird. Jalta ist so ein Fall, wegen der Teilung der Welt zwischen dem Westen und der Sowjetunion, die dort beschlossen wurde. Breton Woods wegen der Inthronisierung des Dollars als Weltwährung. Diese Namen sind nicht bloße Ortsbezeichnungen, sondern die Chiffre für eine gewichtige historische Episode.

Österreich hat einen neuen derartigen Ortsnamen: Ibiza. Er steht für Bestechung – Korruption pur. Seit im Mai 2019 ein zwei Jahre altes Video veröffentlicht wurde, in dem der damalige Vorsitzende der rechtsextremen Österreichischen Freiheitlichen Partei (FPÖ), Heinz-Christian Strache, gemeinsam mit seinem Adlatus Johann Gudenus und dessen Frau Tajana zu sehen war, wie er mit „Aljona Makarowa“, der angeblichen investitionsbereiten Nichte eines russischen Oligarchen und deren anonymem „Berater“ über Schmierengeschäfte verhandelte, steht die Alpenrepublik Kopf. Das Video, das heimlich aufgenommen wurde, ist weltweit einmalig, weil es die Akteure in flagranti erwischt, wie sie zwanglos über ihre krummen Geschäfte parlieren. Es ist ein Schurkenstück, dessen Autoren die Schurken selbst sind. Und noch dazu ein wertvoller Beitrag mit Einblicken in die politische Ökonomie der Korruption.

Die unmittelbare Folge davon: Wenige Stunden danach musste Strache von seinen Posten als Vizekanzler und als Obmann seiner Partei zurücktreten, dasselbe musste gleich danach die Regierungskoalition der FPÖ mit der rechtskonservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) machen. Viele sprechen seit damals von dem Beginn einer neuen Zeitrechnung, der Nach-Ibiza-Ära, welche die politischen und wirtschaftlichen Sitten des Landes umgeworfen hat.

Ibiza, in der Nacht des 27sten Juli 2017. Das Gespräch zwischen den erwähnten Personen nimmt seinen Lauf. Im Mittelpunkt steht der Kauf der Hälfte des auflagenstärksten Boulevardblattes des Landes, der Kronen Zeitung (des österreichischen Pendants zur Bild Zeitung mit 700.000 verkauften Exemplare täglich) durch die vermeintliche Russin. Strache bedrängt sie zu kaufen und stellt ihr folgendes „Kompensationsgeschäft“ in Aussicht: Falls Makarowa kaufe und – im Hinblick auf die damals bevorstehenden Nationalratswahlen – danach die Krone in den Dienst seiner Partei stelle, werde er, sobald diese in der neuen Regierung vertreten sei, dafür sorgen, dass die Investorin opulente staatliche Aufträge bekäme.

Sätze des großen Vorsitzenden Strache

Strache ist ein guter Redner. In jener Nacht, in Ibiza, übertrifft er aber sich selbst in Eloquenz. Jeder seiner Sätze stellt eine besondere Facette der Korruption dar, alle zusammen bilden ein Meisterstück der Schmierenkomödie. Hier einige Beispiele.1

Über die Kronenzeitung // Strache sagt (und sein Adlatus übersetzt): „Wenn sie [die Russin] die Kronen kauft, hat sie ein Imperium“. Dies bringe ungeheure Macht. „Die machen alle bei ihr so“ – er imitiert mit den Händen einen Hund, der Männchen macht.2

Strache: „Wenn sie wirklich die Zeitung vorher [vor der Wahl im Oktober 2017] übernimmt, wenn es wirklich vorher, um diese Wahl herum, zwei, drei Wochen vorher, die Chance gibt, über diese Zeitung uns zu puschen […] dann brauchen wir gar nicht reden. Dann passiert ein Effekt, den die anderen ja nicht kriegen“. Und das bringe, „nicht 27“, sondern „34 Prozent“ bei der Wahl.

In der Folge schildert er, wie er, nach dem Kauf der Kronen Zeitung, mit deren Journalisten umgehen will: „Zack, zack, zack“, drei vier Leute würde er „pushen“, fünf neue hereinholen und aufbauen – wohingegen drei, vier andere „abserviert werden“ müssten. Nebenbei bezeichnet er die Journalisten als die „größten Huren auf dem Planeten“.

Über staatliche Aufträge // Strache sagt: „Tschuldige, tschuldige, dann sag ich ihr: Dann soll sie nämlich eine Firma wie die Strabag gründen. Weil alle staatlichen Aufträge, die jetzt die Strabag kriegt, kriegt sie dann. So und über diese Geschichte reden wir. Weil: Den Haselsteiner will ich nicht mehr“.

Haselsteiner ist der Hauptaktionär der Baufirma Strabag, die heute 75.000 Menschen beschäftigt, davon 11.000 in Österreich. Fast die Hälfte des Strabag-Geschäftes in Österreich kommt aus staatlichen Aufträgen. Was den Baulöwen besonders unbeliebt bei Strache macht: Er unterstützt die Partei Neos und gelegentlich die Grünen.

Über Geschäfte mit Wasser // Strache sagt (zum Vorschlag der Russin, am österreichischen Wasser, das zurzeit im Staatsbesitz ist, teilzuhaben): „Eine Privatisierung fürs Wasser ist undenkbar“. Es folgt eine hübsche Beschreibung einer Konstruktion, die ÖPP genannt und eine verdeckte Form der Privatisierung ist. Strache: Möglich sei eine Struktur, „wo wir das Wasser verkaufen, wo der Staat eine Einnahme hat und derjenige, der das betreibt, genau so eine Einnahme hat“. Die „Partner“ müssten sich dann eben „um die Prozente streiten“. Für beide wäre jedenfalls reichlich Profit da.

Über Parteifinanzierung // Strache erläutert, wie die Parteien den Rechnungshof umgehen, indem sie die Spender veranlassen, große Beträge nicht an sie direkt zu zahlen, sondern an ihnen nahestehende Vereine. Zur Erläuterung: In Österreich müssen Spenden, die größer als 7500 Euro sind, beim Rechnungshof gemeldet werden.

Strache sagt: „Es gibt ein paar sehr Vermögende, die zahlen zwischen 500.000 und eineinhalb bis zwei Millionen“. Zu denen gehören: Der Waffenfabrikant Gaston Glock, die Kaufmannserbin Heidi Goess-Horten, der Glückspielkonzern Novomatic und der Milliardär und Karstadt-Eigentümer René Benko.

Solche Spender seien im Übrigen „Idealisten“, sagt Strache. Die wollten zum Beispiel nur Steuersenkungen.

Vokabular der Korruption

Das Gespräch wurde in aller Offenheit geführt: Die Russin und ihr Begleiter benutzten ungeniert das Vokabular der Korruption: „Kick-Back“ (Provisionen an Politiker, die Staatsaufträge vergeben) „Überpreis“ (künstlich überhöhte Preise bei der Vergabe von Staataufträgen, aus denen sowohl die Auftragnehmer wie auch die Politiker extra Gewinn ziehen), (geheime) „feste Zusagen“. Strache konterte ursprünglich mit der Bemerkung: „Es muss aber alles rechtskonform sein“, bis er dann, gegen Ende des Gesprächs, eingeknickt ist und sich auf die Sprache der Gegenseite einließ. Das zeigt folgender Dialog:

«Begleiter: „Autobahn…“

Strache: „Ja“.

Begleiter: „Flughäfen…“

Strache: „Ja. Autobahnen…bin ich sofort dabei. […] Statt Haselsteiner jeden öffentlichen Auftrag“.

Begleiter: [Der Punkt ist nicht der staatliche Auftrag, sondern]: „Der Punkt ist der Überpreis, der garantiert ist“.

Strache: „Noch mal, beim staatlichen Auftrag hast du das“.

Schmiergelder pflastern seinen Weg

Die Ibiza-Affäre hat wie ein Katalysator zu seinem Ungunsten gewirkt. Seitdem wird Strache ständig mit neuen Vorwürfen über passive oder aktive Bestechung überzogen. Unter anderem soll eine große Menge an gebündeltem Geld (angeblich 10 Millionen Euro, das von einem ukrainischen Oligarchen stammen soll) in einem Rucksack in seinem Auto gefunden worden sein – ein Foto davon hatte sein Leibwächter im Jahre 2013 gemacht. Die Echtheit des Fotos wurde von einem Fotoforensiker im Auftrag von Spiegel und der Süddeutschen Zeitung bestätigt. Zudem wird ihm vorgeworfen, Unmengen von Parteigeldern für seinen privaten Gebrauch verschwendet zu haben.

Armer Heinz-Christian. Früher, in der Vor-Ibiza-Ära, wären seine Eskapaden entweder gleich unter den Teppich gekehrt, oder, wie er die Ibiza-Affäre selbst bezeichnet, als „b´soffene Gschicht“ abgetan worden. In einem Land, das fast alle zwei Jahre einen wirtschaftspolitischen Skandal gigantischen Ausmaßes produziert (Lucona, AKH, Telekom, Buwog, Eurofighter, etc.) und in dem der Proporz unter den großen Parteien und der Postenschacher institutionalisiert sind, war bis dato die Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger Korruption viel unschärfer als, sagen wir, in den nordeuropäischen Ländern. Heute, in der Nach-Ibiza-Ära, bleibt der institutionalisierte Rahmen zwar unverändert. Die Sensibilität der Bevölkerung aber, auch gegenüber den „mindereren“ Formen von Schmiererei, hat sich gewandelt – und zwar gewaltig. Dies schlägt sich auch in den Reportagen und Kommentaren der Massenmedien nieder. Strache, der einst ige „Super-Saubermann“ und der Anlass dieser Wandlung, ist zugleich deren erstes Opfer.

Die realpolitische Korruption

Strache ist sicher zu recht der Namensträger der manifesten Korruption in Österreich. Andere Politiker, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), tragen zur Perpetuierung der Korruption auf andere Weise bei: indem sie beispielsweise der hoch angesehenen Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in den Rücken fallen.

Strache spielt insofern in einer höheren Liga als Kurz, als er einen umfassenderen Begriff von Korruption hat. Als er auf Ibiza im allerletzten Moment Verdacht schöpft, dass die Russin ein falsches Spiel spielt, schaltet er wieder völlig auf „rechtskonform“ um. Und vermittelt ihr zugleich eine erstaunliche Einsicht. Strache sagt: „Die Macht rennt nicht über Korruption“. Statt Menschen sollte sie Einfluss kaufen – z.B. über die Kronen-Zeitung. Wenn sie dann, etwa, ein Grundstück wolle, das der Stadt Wien gehöre, würde sich der Bürgermeister nicht querstellen. „Da spielst du nicht auf der Korruptionsebene, da spielst du mit auf der realpolitischen Ebene“.

So ist das eben in den kapitalstarken Kreisen. Die Realpolitik erzeugt eine legale Korruption. Und sie ist zugänglicher als die gemeine. Aber auch eine gute Ergänzung zu ihr.

Nikos Chilas ist Journalist und Autor. Er lebt in Wien und Athen. Er schreibt seit Gründung von Lunapark21 für diese Zeitschrift – u.a. zu den Themen Griechenland und Migration. Er veröffentlichte zusammen mit Winfried Wolf das Buch Griechische Tragödie. Rebellion, Kapitulation, Ausverkauf (Wien 2016 und 2018). Das Buch erscheint im April 2020 in einer (nochmals erweiterten und aktualisierten Fassung) in griechischer Sprache.


Kasten:

Die Neuordnung der Medien nach dem Vorbild von Viktor Orban

Das Ziel von Straches Ibiza-Operation war durchaus lohnend. Diese „Krone“ hat eine Auflage von mehr als 750.000 Exemplaren werktäglich und eine Reichweite von 2,3 Millionen Leserinnen und Lesern. Dies bei einer Bevölkerung von 8,8 Millionen. Allerdings ging die „Krone“ mit den Freiheitlich-Rechtsextremen bislang immer eher pfleglich und meist freundschaftlich um. „Krone“-Kommentator Klaus Hermann schrieb am 19.5.2019 in dieser Zeitung erbittert: „Ausgerechnet die Zeitung, die sich über Jahre um ein korrektes Verhältnis zu den Freiheitlichen bemüht hat. Anstand, Korrektheit – wären das nicht Tugenden, die gerade Freiheitliche immer angeben hochzuhalten? Stattdessen grenzenloser Cäsarenwahn.“ Zum damaligen Zeitpunkt hatte das Blatt – nach dem, was bekannt ist – nur zwei Teilhaber: die Verlegerfamilie Dichand und die deutsche Funke-Medien-Gruppe (ehemals WAZ-Gruppe). Im November 2018 stieg noch der Immobilienspekulant (und Karstadt- Eigentümer) Benko bei der „Krone“ ein. Er hält aktuell 24,5 Prozent; die Funke-Medien-Gruppe ebenfalls noch rund 24,5 Prozent.

In den Ibiza-Tapes taucht der Name Heinrich Pecina auf. Dieser, so Strache, sei der richtige Mann, um die „Krone“ auf Linie zu bringen, denn er habe „für Viktor Orban alle wichtigen Medien der letzten 15 Jahre aufgekauft und für ihn aufbereitet.“ Er, Strache, wolle in Österreich eine Medienlandschaft schaffen „wie Orban in Ungarn“. Die deutsche Tageszeitung „Die Welt“ bilanzierte: „Der Geschäftsmann [Pecina] […] spielte eine Schlüsselrolle bei einem Vorgang, der zum Inbegriff der politischen Umgestaltung des ungarischen Medienmarktes wurde. Am 8. Oktober 2016 wurde die führende linksliberale Tageszeitung in Ungarn eingestellt, die „Népszabadság“. Eigentümer war seit 2014 Pecina.“ Das Blatt sei „das schlagkräftigste kritische Medium des Landes“ gewesen. Es „brachte zum Schluss fast täglich peinliche Enthüllungsgeschichten über diverse Regierungsmitglieder – bis Pecina die Reißleine zog 93 und das Blatt in die Pleite schickte. Weiter „Die Welt“: „Pecina suchte nicht einmal einen Käufer und lehnte ein Angebot der fristlos entlassenen Belegschaft ab, das Blatt selbst zu kaufen.“ Im Dezember 2016 übereignete Pecina die meisten ungarischen Regionalblätter, deren Eigentümer Pecina war, dem Orban-Vertrauten Lörinc Mészáros. „Die Welt“: „Die Regionalblätter sind seither auf Regierungslinie.“ (20. Mai 2019)

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