Jean-Claude Juncker – ein EU-Kommissionspräsident als notorischer Lakai der Banken
Werner Rügemer. Lunapark21 – Heft 29
Juncker, seit 2014 Präsident der Europäischen Kommission, verkörpert die zerstörerische Entwicklungslogik der Europäischen Union. Der langjährige Chef der größten Finanzoase Europas gibt sich gern bieder. Er vertritt aber knallhart und demagogisch die Interessen des westlichen Großkapitals.
In seinem politischen Leben reifte Juncker schrittweise zum treuesten Diener seiner deutschen Herren heran, ob sie nun männlich oder weiblich waren und sind. Junckers Vater war von der NS-Besatzungsmacht im 2. Weltkrieg zwangsrekrutiert und an die Ostfront geschickt worden. Der Sohn zog es vor, sich dem vorläufig abgezogenen Nachbarn freiwillig anzudienen und zeitgeistig antikommunistische Vorurteile zu pflegen. „Ich bin in der Angst vor russischen Raketen aufgewachsen“, erzählt er.[1] Der von Juncker lange Zeit regierte großherzogliche Puppenstaat wurde damit zugleich ein Erfüllungsgehilfe der gewählten und vor allem ungewählten US-Eliten.
Der strebsame Jungpolitiker aus der Christlich Sozialen Volkspartei (CSV) wurde 1982 zum Staatssekretär für Arbeit und Soziales ernannt. Schnell übernahm er das zentrale Amt des Finanzministers. Er behielt es auch, als er 1995 Premierminister wurde. Das blieb er bis 2013.
Die CSV regierte jahrzehntelang routiniert das nach Malta zweitkleinste Volk Europas – heute 549000 Einwohner – mit Hilfe der katholischen Kirche, des heimeligen letzebuergischen Dialekts als Amtssprache und nicht zuletzt mithilfe der großherzoglichen Familie, die das folkloristische Staatsoberhaupt stellt und bei Gelegenheit dem dankbaren bzw. uninteressierten Völkchen gnädig zuwinkt.
Juncker stieg zum treudeutschen Bauchredner auf. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) nannte ihn seinen „Junior“. 1984 landeten Kohl und die Luxemburger Regierung gemeinsam einen großen Coup. Adenauers Pläne zur Privatisierung von Rundfunk und Fernsehen („Der Rotfunk muss weg!“) waren Anfang der 60er Jahre gescheitert. Mithilfe Luxemburgs kam man endlich zum Ziel. Hier waren Privatsender zugelassen. Daraus machte der Kleinstaat ein europaweites Umgehungs-Geschäft. Er förderte den Aufbau der größten Satelliten-Sendeanlage Europas, SES Astra. Deutsche und Dresdner Bank mit ihren dortigen Niederlassungen finanzierten sie.
Der Bertelsmann-Konzern gründete das Unternehmen Radio et Télédiffusion Luxembourgeoise (RTL) nach dem Recht des monarchischen Puppenstaats. So umging RTL die Rechtslage in Deutschland und begann mit Sendungen nach Nordrhein-Westfalen, mit Zustimmung der SPD-geführten Landesregierung unter Johannes Rau (SPD). Die CDU-geführte Bundesregierung unter Helmut Kohl legalisierte das nachträglich.[2]
So begann das Privat-TV seinen Siegeszug auch in der BRD. Es trug zur Durchsetzung der neoliberal-populistischen Ideologie in breiten Teilen der Bevölkerung bei. Kohl verschaffte seinem Junior deshalb die erste ausländische Anerkennung. Er verlieh ihm 1988 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik.
2013 trat Juncker als langjähriger Premierminister zurück: Er wollte vermeiden, dass seine Verwicklung in die „Stay Behind“-Affäre öffentlich ausgebreitet wurde. Die deutsche Bundeskanzlerin heftete ihm danach während einer Regierungsklausur in Schloß Meseberg das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an die Brust. Sie würdigte seine „unschätzbaren Leistungen für Europa.“ Juncker bedankte sich unterwürfig: „Richtig und gut ist, dass Angela Merkel Deutschland und Europa führt.“[3]
Seine Führerin drückte ihn bei den Europawahlen 2014 als EVP-Spitzenkandidaten durch. So wurde er Präsident der Europäischen Kommission.
Back Office des postfaschistischen Euro-Kapitalismus
Juncker hat das Modell Luxemburg nicht erfunden. Dessen „Leistungen für Europa“ kamen schon früher deutschen und anderen Herren zugute. In der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EKGS, auch als Montanunion bezeichnet) taten sich die industriellen NS-Kollaborateure vor allem aus Frankreich und Deutschland sowie aus Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und Italien zusammen (1951), danach in der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom, 1957). Politisch geführt wurde dies von „christlichen“ Parteien wie Adenauers CDU und der luxemburgischen CSV. Montanunion und Euratom hatten bzw. haben ihren Sitz im Großherzogtum und bilden den Ausgangspunkt dessen, was heute Europäische Union (EU) heißt.
Ab 1968 drängten zunächst die deutschen Banker und Finanzjongleure nach. Luxemburg war der erste Staat, der ihnen nach dem 2. Weltkrieg erlaubte, Niederlassungen im Ausland zu errichten. Luxemburg ermöglichte dem deutschen Kapital den ersten, wichtigen Schritt zum allmählichen Aufstieg in der Europäischen Union (damals Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, EWG). Deutsche und Dresdner Bank errichteten ihre Filialen standesgemäß am zentralen Platz der Stadt, gegenüber dem großherzoglichen Palais und dem Regierungssitz. Landesbanken, Sparkassen und Banken folgten. Doch das war nur der Anfang. Das Großherzogtum machte daraus ein Geschäftsmodell: Banken aus den USA, Frankreich, Italien, Belgien, aus der Schweiz, Israel und weiteren Staaten bauten ebenfalls den nach außen hin so idyllisch auftretenden Kleinstaat als einen weiteren Standort für die globale Parallelfinanz aus – „moderner“ als die Schweiz, die vor allem reichen Individuen Beihilfe zum Steuerbetrug leistet.
Heute haben die meisten Banken, deren Zahl zwischenzeitlich auf 220 angewachsen war, keinen Platz mehr in der Innenstadt von Luxemburg. Sie residieren jetzt in den Glaspalästen des neuen Bankenviertels Kirchberg.
Von den heutigen 150 Banken sind nur drei einheimische, wobei die größte mit dem Namen Banque Générale de Luxembourg (BGL) gar nicht luxemburgisch ist, sondern der französischen Banque Nationale de Paris (BNP) gehört. Der große „Rest“ verteilt sich auf Banken aus Deutschland (46), der Schweiz (15), Italien (14), Frankreich (12), USA (11), Belgien (10), Schweden (6), Japan und Niederlande (je 5), Großbritannien (4), Israel, China, Island und Spanien (je 3), die übrigen aus den skandinavischen Staaten, Liechtenstein und Portugal.[4]
Sie alle haben mit der finanziellen Versorgung des Ministaats nichts zu tun. Sie könnten ihre Transaktionen auch zuhause machen – aber Luxemburg bietet das niedrigstmögliche staatliche Regulierungsniveau und erlaubt den Aufbau globaler, kaskadenartiger Finanzflüsse zur nächsten und übernächsten Finanzoase. Das wiegt die Kosten auf, die durch den aufwendigen Bankbetrieb in der Finanzoase entstehen. So lassen sich bei Juncker politische und Banker-Funktionen nicht auseinanderhalten. Er ließ sich geschmeichelt als Banker enttarnen: 2008 wurde er zum European Banker of the Year gewählt. Laudator war der damalige Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann. 2009 war es andersherum: Ackermann wurde zum European Banker of the Year gewählt, unterwürfiger Laudator war Juncker: Innig verfilztes Traumpaar für die investorenfreundliche „Lösung“ der Banken-, pardon „Euro“-Krise. Das war nur ein Zwischenschritt: das heutige Katastrophen-Traumpaar heißt Juncker und EZB-Chef Mario Draghi von Goldman Sachs.
Mit Junckers stiller Hilfe wurde Luxemburg zur größten Finanzoase in der EU, weit vor der Schweiz und den Cayman Islands und global die zweitgrößte nach dem US-Ministaat Delaware.[5]
Finanzialisierung der Weltwirtschaft
Luxemburg ist seit den 1950er Jahren ein wichtiger Akteur der von den USA geführten Finanzialisierung der Weltwirtschaft. Die großherzogliche Familie hielt sich während der NS-Besatzung in Kanada und in den USA auf. US-Präsident Franklin Roosevelt versprach der Großherzogin Charlotte: „Hab keine Angst, Kind, wir werden dich wieder nach Hause bringen.“[6] Die Amerikaner schaukelten das großherzogliche Kind mit der US-Armee ins befreite Luxemburg – und bauten ihre eigene Präsenz stetig aus. Goodyear, Monsanto, Du Pont waren als erste mit ihren europäischen Niederlassungen da, dann Marshall-Plan, dann Euro-Dollar und Eurobonds. US-Präsident Eisenhower, Sicherheitsberater Kissinger, George Bush waren häufige Besucher. So fing es an, dass das Großherzogtum als 51. US-Staat gilt.[7]
Das erste Finanzprodukt war der Eu–ro-Dollar. Die US-Banken lenkten einen großen Teil der Marshall-Plan-Gelder über das leicht kontrollierbare, unregulierte Luxemburg. Euro-Dollars: Das sind seitdem die stetig wachsenden Bankeinlagen in US-Dollar, sie gehören US-Investoren und liegen bei Banken außerhalb der USA. Sie unterliegen nicht der Kontrolle der US-Zentralbank Federal Reserve (Fed). Seit den 1970er Jahren werden sie stark aus den Petro-Dollars gespeist (Verrechnung des internationalen Ölhandels über den Dollar).
Das nächste Finanzprodukt waren die Eurobonds. Auch sie wurden von US-Unternehmen angestoßen, nachdem Präsident John F. Kennedy 1963 eine höhere Besteuerung einführen wollte. Mit Eurobonds konnten zunächst US-Unternehmen ihre Anleihen in anderen Währungen aufnehmen als in US-Dollar, also vor allem in Yen und Pfund Sterling. Später gingen auch Unternehmen aus anderen Staaten dazu über, Anleihen in Währungen ihrer Wahl aufzunehmen. Das ist ideal für global aktive Konzerne wie Nestlé, McDonalds und VW. Luxemburg wurde auch deshalb in diesem Geschäft führend, weil es die liberalste Registrierungspflicht hat.
Der Morgan Guaranty Trust gründete 1968 im benachbarten Brüssel die erste globale Finanz-Clearing-Stelle: Euroclear. Sie organisiert seitdem die transnationale Verwahrung, Vermittlung und Transaktion von Wertpapieren der 2000 teilnehmenden Banken aus 90 Staaten. 1970 gründeten Wall Street-Banken zusammen mit westeuropäischen Großbanken in Luxemburg eine parallele Institution, die heute Clearstream heißt und von der Deutsche Börse AG aufgekauft wurde.[8]
Zu den für Luxemburg typischen Finanzkonstrukten gehören die steuerbefreienden Gesellschaften für Konzernbeteiligungen und Investmentfonds, Verbriefungsvehikel, besondere Managementfirmen für Investmentfonds und Familienvermögen. Seit 1984 haben sich aufgrund eines großherzoglichen Gesetzes 250 Gesellschaften angesiedelt, die die Rückversicherung für Konzerne zu günstigeren Bedingungen übernehmen als sonst üblich (geringere Rücklagen). Luxemburg ist dafür der größte Standort in Europa.
Finanzprodukte, die Luxemburg während der 1980er Jahre eingeführt oder als Lobby durchgesetzt hat, wurden durch EU-Richtlinien legitimiert. Das betrifft etwa den „Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren“ (OGAW) und die „Investmentgesellschaft mit variablem Kapital“ (SICAV). Luxemburg war auch Vorreiter bei der Anerkennung und Privilegierung von Hedgefonds und Private Equity Fonds in der Europäischen Union.
Wenn eine „Heuschrecke“ wie Fortress die 48000 städtischen Wohnungen der Stadt Dresden kauft, dann errichtet sie in Luxemburg eine steuerbegünstigte Briefkastenfirma, die von anderen Spekulanten hier die Kredite für den Kauf aufnimmt und an der Luxemburger Börse ihre Aktien ausgibt.
Die mehreren tausend Investmentfonds – geschützt vom strengen Bankgeheimnis und steuerlicher Begünstigung – verwalten ein geschätztes Anlagevermögen von mehreren Billionen Euro. Damit liegt die Puppenmonarchie an zweiter Stelle hinter den USA.
Steuerhinterziehung für US-und EU-Konzerne
Bekanntlich hilft das großherzogliche Steuerparadies Weltkonzernen wie Amazon, Google, Ikea und Starbucks zur Steuervermeidung in den Mitgliedsstaaten der EU und weltweit. Nehmen wir den Stahlkonzern ArcelorMittal. Er hat 300000 Beschäftigte in gut zwei Dutzend Staaten: USA, Frankreich, Deutschland, Belgien, Kroatien, Saudi-Arabien, Südkorea, Indien, China usw. Premierminister Juncker half mit, dass der traditionelle industrielle Kern Luxemburgs, das Stahlunternehmen ARBED, vom indischen Unternehmerclan Mittal aufgekauft und „verschlankt“ wurde. Die Juncker-Regierung sorgte dafür, dass Mittal mit günstigen Krediten der Weltbank und der European Bank for Reconstruction and Development Stahlunternehmen in Osteuropa, z.B. in Rumänien und in der Ukraine, zusammenkaufen konnte.
Der großherzogliche Staat hält 2,5 Prozent der ArcelorMittal-Aktien, die Briefkastenfirmen Lumen und Nuavam des Ehepaars Mittal halten 45 Prozent, den Rest teilen sich nicht genannte Investoren. Der juristische und Steuersitz des Konzerns ist in Luxemburg, der operative Sitz in London. Steuerklagen gegen den Konzern laufen gegenwärtig in Brasilien, Frankreich und der Ukraine.
Der Möbelkonzern IKEA unterhält hier seine Bank Ikano, das Ikano Fund Management und die Rückversicherungsgesellschaft Insurance Unit Ikano Re. Diese wiederum sind kaskadenartig mit weiteren solchen juristischen Konstrukten in der Schweiz, in Singapur, auf der Antilleninsel Curacao und im US-Staat Delaware verbunden.[9]
Nach der EU-Zinsrichtlinie (2003) müssen ausländische Anleger ihre Gewinne aus Luxemburger Kapitalanlagen in ihrem Heimatland versteuern – so weit, so gut. Aber in Luxemburg können reiche Individuen ihre Gelder, Aktien und sonstigen Wertpapiere juristisch zu einem Unternehmen erklären lassen – und schon sind sie von der Besteuerung befreit. Das kostet jährlich mehrere tausend oder zehntausend Euro Gebühren für Treuhänder und Banken, deshalb können nur Superreiche diese Ausnahmen nutzen – nur die kleinen Anleger werden von der Zinsrichtlinie erfasst.
Luxemburg hat keinen Meereszugang. Es wird lediglich von den Flüsschen Mosel und Alzette durchflossen. Aber 300 Schiffsunternehmen haben hier ihren Sitz, und von hier aus gehen 205 Überseetanker auf Weltreise, jedenfalls juristisch.[10] Luxemburg ist Teil der globalen okkulten Parallelstruktur, die heute das internationale Finanz- und Wirtschaftssystem durchzieht. Sogar die großen Routiniers der Steuerhinterziehung, die Schweizer Banken, nutzen als zusätzliches Schlupfloch die großherzogliche Finanzoase mithilfe eigener Niederlassungen.
Organisierte Finanzkriminalität mit Price Waterhouse Coopers
Jahrelang stritten die EU-Mitgliedsstaaten öffentlich um die Zinsrichtlinie und den Austausch von Steuerdaten. Juncker forderte damals den Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuerdumping und versprach „mehr Ethik“ in Europa. Doch gleichzeitig machte der Juncker-Staat heimlich Nägel mit wesentlich größeren Köpfen.
Wie das Internationale Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) aufdeckte, organisierte Luxemburg für hunderte von internationalen Konzernen vor allem aus den USA besondere „tax deals“ (individuell ausgehandelte, extrem niedrige Steuersätze) in der Gestalt von „comfort letters“. So errichtete FedEx (Memphis, Tennessee) in Luxemburg zwei Briefkastenfirmen, um Gewinne der Niederlassungen in Mexiko, Frankreich und Brasilien zu transferieren: Die Besteuerung betrug 0,25 Prozent, 99,75 Prozent blieben steuerfrei. In den USA müssten 35 Prozent Steuern gezahlt werden. Ein Datenaustausch mit den betroffenen Staaten findet nicht statt.[11]
Zu den beteiligten Konzernen gehören mindestens 170 der Fortune 500-Liste, z.B. Abbott, American International Group (AIG), Amazon, H.J. Heinz (Ketchup), Burberry, Coach, Disney, Microsoft/Skype, Pepsi, Procter & Gamble, Glaxo, Tesco, Vodafon. Natürlich war auch der verurteilte Wall-Street-Großbetrüger Bernd Madoff vertreten. US-Banken und Private Equity-Investoren („Heuschrecken“) wie JP Morgan Chase, Carlyle und Blackstone sind ebenfalls dabei, auch Abu Dhabi Investment Authority, ebenso der reichste, dem Königshaus nahestehende Finanzclan Belgiens, de Spoelberch (beteiligt an ABInbev mit Budweiser, Stella Artois, Beck’s usw.). Auch Konzerne mit operativem Sitz in der EU bedienen sich hier, aus Deutschland etwa Deutsche Post DHL, Siemens, BASF, Deutsche Bank.
Das Hinterziehungsgeschäft liegt in den Händen der vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, der „Big Four“, die ihren Hauptsitz in den USA haben: Price Waterhouse Coopers (PWC), Ernst & Young, Deloitte und KPMG. „Prüfen“ heißt hier in Wirklichkeit: täuschen & betrügen. Sie haben in den Unternehmen neben dem Prüfungs-Mandat auch das zusätzlich honorierte Steuerberatungs-Mandat. Sie suchen nicht nur weltweit nach den jeweils passenden Finanzoasen, sondern sie erfinden dort selbst neue Steuerdeals wie in Luxemburg und engagieren sich als politische Lobbyisten. Dass dies mit möglichst großer Geheimhaltung verbunden ist, auch auf Seiten des Staates, spricht wohl von einem gewissen Unrechtsbewußtsein.Die Komplizenschaft des Juncker’schen Raubstaates ist dafür eine ideale Voraussetzung. Allein PWC beschäftigt in seiner Luxemburger Niederlassung 2300 hochbezahlte Experten.
Der Beamte in der Ein-Mann-Abteilung „Sociétés 6“ im Luxemburger Finanzministerium nickte die tax deals nur ab. Er unterschrieb, wie ICIJ herausfand, bis zu 39 „comfort letters“ am Tag. Auch hier zeigt sich: Der Staat Luxemburg ist lediglich ein von globalen Profit-Interessen geschützter, gefälliger Dienstleister. Staatliche Verwaltung ist zur rituellen Farce pervertiert.
So winzig der Dienstleister, so riesig die privaten Profite – zulasten der Staatshaushalte und der Rechtssicherheit in den Herkunftsländern der Unternehmen. Allein in der EU werden den Mitgliedsstaaten jährlich etwa eine Billion an Konzern- und Reichen-Steuern entzogen – kein Staat trägt dazu so viel bei wie der EU-Vorbild-Staat Luxemburg.[12]
Luxemburg hält wie die Schweiz am Bankgeheimnis fest. Das bedeutet: Wenn Bankangestellte etwas über die Steuerhinterziehung von Kunden an die Öffentlichkeit bringen, werden sie bestraft. Deshalb verklagt die Staatsanwaltschaft nach der Aufdeckung der „tax deals“ den whistleblower Antoine Deltour, Ex-Mitarbeiter von PWC, wegen Datendiebstahls und Verrat von Geschäftsgeheimnissen.[13]
Juncker als Chef der „Euro-Gruppe“
Von 1989 bis 1995 war Juncker Finanzminister Luxemburgs. Zugleich war er Gouverneur der Weltbank in Washington. 1991 beschloss das großherzogliche Parlament für Luxemburg das, was mit dem Vertrag von Maastricht (1993) die „Maastricht-Kriterien“ für alle EU-Mitgliedsstaaten wurden: Schuldenabbau in den öffentlichen Haushalten, ohne dem Staat neue Einkommen zu verschaffen. 1995 wurde Juncker Gouverneur des Internationalen Währungsfonds (IWF).
Als Premierminister der Finanzoase wurde Juncker 2004 Chef der „Euro-Gruppe“. Die war zwar schon 1998 gegründet worden, hatte aber unter wechselndem Vorsitz vor sich hingedöst. Die informelle Gruppe fasst keine rechtskräftigen Beschlüsse, ist aber als Hinterzimmer der EU umso wichtiger. Juncker wurde zum ersten ständigen Präsidenten. Hier werden die Beschlüsse des Europäischen Rats (= der Regierungschefs und Minister der EU-Mitgliedsstaaten) vorbereitet. Hier zog Juncker 2007 den Lissabon-Vertrag durch: Er weist der Bürokratie in Brüssel weitere zentrale Aufgaben zu, zum Beispiel die alleinige Vertretung bei internationalen Abkommen wie beim Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA.
Nach den Statuten darf der Euro-Gruppen-Präsident mit zweijähriger Amtszeit nur einmal wiedergewählt werden. Aber Juncker ließ sich gern und mit dem Patronat der deutschen Kanzlerin gegen die Bestimmungen zweimal wiederwählen. Die eigenen Regularien grinsend und dauerhaft verletzen – das ist für den Biedermann Routine. Erst 2013 wurde er abgelöst, um ihn als EVP-Spitzenkandidaten präsentieren zu können.
Juncker als Troika-Taufpate – Treuhandanstalt für Griechenland
Wie selbstverständlich und ohne jeglichen parlamentarischen Beschluss holte Juncker den ihm vertrauten Internationalen Währungsfonds (IWF) für das Management der „Eurokrise“ dazu. Seitdem gehört der IWF mit der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Kommission zur „Troika“ und exekutiert seine schon in den „Entwicklungs“ländern praktizierten Austeritäts-Praktiken nun auch im „entwickelten“ EU-Kapitalismus.
Juncker stellte Griechenland und die südlichen „Krisenstaaten“ der EU zusätzlich unter das Abwicklungs-Modell der deutschen Treuhand-Anstalt („Privatisieren geht vor sanieren“).[14] Ihr war 1990 das betriebliche Eigentum der Ex-DDR übergeben worden, um es möglichst schnell an Investoren zu verkaufen. Bekanntlich hatte die Treuhand nach Verkauf der meisten Betriebe 256 Milliarden DM Schulden – die Subventionen für die Käufer waren wesentlich höher als die Verkaufserlöse.[15]
Unter der Regie der Euro-Gruppe und der Troika wird seit 2009 in Griechenland und anderen Staaten, die im Verlauf der „Banken-Rettungen“ ins Unheil getrieben wurden, ebenfalls öffentliches Eigentum verscherbelt. Auch Medien und Inseln werden privatisiert. Staatliche und Lohn-Leistungen werden gekürzt.
Was nicht zu den Maßnahmen der Troika gehört: Kürzung der im EU-Vergleich überdimensionierten Rüstungsausgaben, wirksame Verhinderung der Steuerflucht der high society.
Armut und Arbeitslosigkeit breiten sich in der Europäischen Union aus, und nicht nur in den armen „Südstaaten“ Griechenland, Portugal, Spanien und Italien, sondern auch in den reichsten Nordstaaten wie Deutschland.
Das IWF- wie das Treuhand-Modell bedeuten Entdemokratisierung. Der griechische Ministerpräsident Giorgios Papandreou hatte ein Referendum über die Troika-Maßnahmen angekündigt – auf Druck der EU wurde es abgesagt, Merkel & Juncker putschten die Regierung Papandreou weg. Schließlich installierten sie ihre Parteifreunde von der Neo Demokratia unter Antonis Samaras – sie gehört wie Junckers Christliche Volkspartei und die deutsche CDU zur Europäischen Volkspartei.
Dabei störte es die Demokratie-Heuchler nicht, dass Samaras seine knappe Mehrheit der antisemitischen, nationalistischen und rechtsradikalen LAOS-Partei verdankte, deren Vorsitzender den Holocaust leugnet[16] – wo doch sonst die Kritik des Antisemitismus, des Nationalismus und des Rechtsradikalismus zur elementaren Rhetorik gehört.
Christlicher Lügner
Der Jesuitenzögling Juncker ist auch sonst ein gnadenloser Opportunist: Wenn Kritik am deutschen Lohndumping aufkommt, setzt er sich für höhere Arbeitsrechtsstandards in Europa ein. Wenn die Finanztransaktionssteuer Rückenwind hat, fordert Juncker sie auch. Wenn von andern lautstark Eurobonds zur günstigeren Rettung von überschuldeten EU-Staaten verlangt werden – Juncker ist dabei. Wenn die Kritik abebbt, hat er alles vergessen und fördert weiter das Gegenteil.
Der langjährige Chef der großherzoglichen Erbmonarchie ist kein Demokrat im eigentlichen Sinne. Das Satiremagazin Den neie Feierkrop (die neue Feuerzange) nennt ihn „unseren Bokassa“. Nicht deswegen, weil natürlich auch dieser vom Westen gestützte afrikanische Diktator sein Raubgut dem Schutz der Finanzoase anvertrauen durfte, sondern wegen Junckers autoritärer Haltung. Experten liebt er mehr als Demokraten. Denn Experten werden nicht gewählt, jedenfalls nicht vom Volk, und man kann sich mit ihnen heimlich treffen. Juncker ist ein Meister der Hinterzimmer.
Dafür ist auch die Luxemburger Medienwelt ideal: Die immer regierungsnahe, seit Urzeiten größte Tageszeitung „Luxemburger Wort“ gehört dem katholischen Bistum. Es wurde unter Papst Woytila und unter Mithilfe des Kölner Erzbischofs Joachim Meisner zum Erzbistum erhoben.[17] Es ist nicht nur mit dem großherzoglichen Clan verfilzt, sondern auch mit Junckers Partei CSV und dem Staatsapparat. Die Zeitung, ein vielgestaltiger Medienkonzern, wird staatlich subventioniert. Dazu hat sie sich als fast einzige Zitatquelle ausländischer Medien etabliert, falls mal aus der verschwiegenen Idylle international berichtet wird.
Junckers langjährige Regierungspartei CSV ist Gründungsmitglied der Europäischen Volkspartei. Darin sind seit 1976 die wenigen noch christlich sich nennenden und die „konservativ“ genannten Parteien versammelt. Natürlich ist an diesen Parteien weder etwas Christliches noch etwas gut Konservatives. Sie sind Lobbyisten der neuen Generation des globalen Brutal-Kapitals. Diese Art Europafreunde werden angeführt von der CDU.
Die europäische „Volks“partei, die die europäischen Völker verarmen lässt, nahm als Mitglieder auch faschistoide Parteien auf wie die kroatische HDZ, die ungarische Fidesz und Berlusconis Popolo della Libertà. Die EVP arbeitet, um die Sache der US-Investoren und des IWF voranzubringen, auch mit völkischen und antisemitischen Parteien zusammen, so mit Swoboda in der Ukraine und, wie erwähnt, mit LAOS in Griechenland.
Es gibt keinen Politiker in Europa, der so viele reaktionäre Auszeichnungen bekommen hat wie Juncker. „Christliche“ bzw. kirchliche Preisgeber sind ebenso zahlreich wie Unternehmens- und Finanzstiftungen. Die Liste mag langweilig klingen, aber man sollte sie sich ansehen. Sie verdeutlicht ein öffentlich fast unsichtbares Netzwerk.(Jean-Claude Juncker: Schwer behängt)
„Wenn es ernst wird, muss man lügen“, bekannte der Jesuitenschüler.[18] Auch wenn die EU nur wenigen dient und Kriege führt, verspricht er allen Wohlstand und Frieden.
Junckers EU-Modell: Euro und NATO
Banken und alle größeren Unternehmen Luxemburgs gehören ausländischen Investoren. Das Eigentum des Staates ist ausverkauft. Er ist korrupter Dienstleister für meist anonymisierte Mächte. Die Einheimischen arbeiten vor allem im öffentlichen Dienst, als Verwaltungsangestellte, Eisenbahner, Busfahrer und als Abgeordnete, Anwälte und Treuhänder. Deren obere Schicht kann als Mitglied in Aufsichtsräten der zahllosen Briefkastenfirmen mitverdienen. Zehntausende Finanzleute ziehen hohe Gehälter und Boni ein. Für die Normalbürger wird gut gesorgt mit Kindergärten und dem höchsten Mindestlohn in der EU. Arme vieler Nationen putzen die Straße, dienern in Restaurants und auf Baustellen oder sind unsichtbar. Da kann keine hörbare Kritik an den weltweiten, asozialen Auswirkungen des Standorts aufkommen.
Zu dieser Art westlichem Kapitalismus gehört auch die Gewalt im militärisch-geheimdienstlichen Sinne. Juncker ist mitverantwortlich für die gerichtlich seit vielen Jahren verschleppte „Bombenleger-Affäre“.
NATO-stay behind-Attentate sollten während der 1980er Jahre in Westeuropa öffentliche Unsicherheit verbreiten, Linken sollte die Schuld zugeschoben werden. In Luxemburg wurden 1984-86 etwa 20 Attentate auf Polizei- und Justizgebäude und Telegrafenmasten verübt. Wäre der einheimische Geheimdienst nicht beteiligt gewesen, hätte es kaum zu dieser Serie kommen können. Sie ist seit 30 Jahren unaufgeklärt geblieben. Ermittlungen begannen und wurden eingestellt. Im bisher letzten Gerichtsverfahren konnte Juncker seine spätere Mitwissenschaft als Premierminister nicht glaubhaft abstreiten.[19] Er trat deshalb 2013 von seinem Amt zurück.
Luxemburg war mit seinem Soldaten-Häufchen Gründungsmitglied der NATO. Der US-Musterknabe hatte 1950 als einziger europäischer Staat – neben dem ebenso US-hörigen Belgien – Soldaten in den Krieg gegen die Befreiung Koreas geschickt. Jedes Jahr legt der Botschafter Südkoreas am Denkmal für die zwei Weltkriege einen Kranz roter Rosen nieder. 2010 ließ die Regierung unter Juncker ein Denkmal zu Ehren der Korea-Veteranen errichten. Verteidigungsminister Jean-Marie Halsdorf stellte die Verbindung zu den heutigen US-geführten Kriegen wie in Afghanistan her, „die alle dem hehren Ziele dienen, die Welt friedlicher zu gestalten und auch fernen Völkern zu ermöglichen, den Traum vom besseren Leben zu träumen“.[20]
Die Armee aus heute 1000 Männern und Frauen leistet sich eine eigene Militärkapelle und wird bei ihren weltweiten Kriegsoperationen von einem katholischen Militärgeistlichen im Offiziersrang betreut. Sie gehört zur exklusiven Gruppe des Eurokorps (neben Deutschland, Belgien, Frankreich, Spanien), die Teil der schnellen Eingreiftruppe der NATO ist. 2013 fand in Luxemburg die Übung „Joint Exploration 2013“ statt: Geübt wurde „Einmarsch in Bothnia“.[21] Die Luxemburger Armee beteiligt(e) sich an den NATO-Operationen im Kosovo, Kongo, Tschad, in Bosnien, Mazedonien und Afghanistan. Dagegen ließ Juncker in seiner Regierungszeit die Mahnmäler und Museen verkümmern, die für den erheblichen Luxemburger Widerstand gegen die Nazis errichtet worden waren – hier hatten Arbeiter den einzigen Generalstreik in Europa gegen die NS-Besetzung organisiert.
Figur, Charakter und Politik Junckers sind ein Beweis dafür, dass sein Europa keine Zukunft haben darf und ein demokratisches, soziales, gleichberechtigtes und friedensstiftendes Europa erst noch erkämpft werden muss. Juncker und sein Gefolge müssen abtreten.
Werner Rügemer Publizist, schärfte seine Gesellschafts- und Kapitalismus-Wahrnehmung zunächst am „Kölner Klüngel“ (Buch: Colonia Corrupta, 7. Auflage 2012), macht politisch-historische Stadtführungen. Als Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln bietet er Seminare an wie „Meinungsmache als Beruf“, „Globale Prekarität“ & „Entstehung und Strukturen einer Supermacht – Beispiel USA“. Zu seinem letzten Buch siehe S. 35f. www.werner-ruegemer.de
Anmerkungen:
[1] Dankesrede 2006 für die Verleihung des internationalen Karlspreises in Aachen. Kohl war Laudator. www.karlspreis.de/de/preistraeger/jean-claude-juncker-2006
[2] Werner Rügemer: Privatisierung in Deutschland. Münster 2006, S. 33ff.
[3] Der Mann, der zuviel weiß, Die Zeit 23.2.2014
[4] www.europebanks.info/luxembourg.php, abgerufen 18.3.2014
[5] Tax Justice Network: Financial Secrecy Index 2013, abgerufen 18.3.2014
[6] Tausendundein Jahre Luxemburg, Der Spiegel 18.11.1964
[7] Ernest Backes / Denis Robert: Das Schweigen des Geldes. Die Clearstream-Affäre, Zürich 2003, S. 332
[8] Zu Geschichte, Arbeitsweise und kriminellen Praktiken, illegaler Finanzierung etwa der FDP, Vermögensverwaltung für Diktatoren, Abwicklung von Waffenlieferungen und Bestechungsgeldern, etwa auch die Schleusung der Gelder von US-Präsident Ronald Reagan für die Befreiung der US-Geiseln im Iran siehe Backes / Robert
[9] Karl-Martin Hentschel: Ein Dschungel namens IKEA, Attac-Studie, 10.12.2013
[10] Backes, S. 275
[11] Leslie Wayne and others: Leaked Documents Expose Global Companies‘ Secret Tax Deals in Luxembourg, www.icij.org/project/ luxemburg-leaks, 5.11.2014
[12] Zeitbombe Steuerflucht, Arte 22.7.2014
[13] Luxembourg tax whistleblower says he acted out of conviction, The Guardian 15.12.2014
[14] Euro-Krise: Juncker fordert Treuhand-Modell für Griechenland, Spiegel online 21.5.2011
[15] Rügemer, S. 49
[16] New Greek Government includes Ministers of antisemitic Party, World Jewish Congress 17.10.2011
[17] Werner Rügemer: Der Klüngel des Kardinals, junge welt 28.2.2014
[18] Weltwoche (Zürich), Ausgabe 23/2014
[19] Markus Kompa: In Luxemburg kocht Stay Behind hoch, Telepolis 27.2.2014
[20] Gedenkstele für Luxemburger Veteranen des Koreakrieges enthüllt, www.mywort.lu/diekirch/directory-culture/2531310.html, abgerufen 17.3.2014
[21] Luxemburger Wort 20.3.2013