Zu den Protesten gegen Maßnahmen der Seuchen-Bekämpfung
Helmut Dahmer
Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. (Karl Marx)
Im Frühjahr 1945, als ihnen dämmerte, dass es mit dem verhießenen „Endsieg“ nichts würde, suchten viele der „hauptbelasteten“ Nazis ihr Heil in der Flucht – etwa über die „Ratten-Linie“ nach Lateinamerika –, andere tauchten unter und legten sich flugs eine „neue“, falsche Identität zu. Die Mehrheit unserer Landsleute aber flüchtete sich ins „Vergessen“. Diese mehr oder weniger geglückte, angestrengte „kollektive Amnesie“ hielt ein paar Jahrzehnte lang vor, so dass Optimisten sogar den Eindruck gewinnen konnten, der „Antisemitismus ohne Juden“ sei an ein Ende gekommen. Im Gefolge der libertären Minderheiten-Revolte der 68er begann dann ein langwieriger „Aufarbeitungs“-Prozess der verschütteten Geschichte der fatalen zwölf Jahre, der, wie die Wiederkehr faschistischer Terroristen und Parteien zeigt, der intergenerationell tradierten „autoritären“ Mentalität etwa eines Drittels der Bevö lkerung keinen Abbruch getan hat. Die seit 1945 eingeübte Fähigkeit, die NS-Vergangenheit zu „vergessen“, trifft auch deren Wiedergänger. Anders ist weder das „Erstaunen“, das die Bevölkerung und die Repräsentanten der drei Gewalten bei jedem neuen Terrorakt, jedem Waffenfund und jedem „neo“-faschistischen „Chat“ überkommt, zu erklären noch die Unfähigkeit und der Unwille, die NSU-Bande zu verhaften und ihr Unterstützer-Feld aufzurollen.