Ausgespart. seziertisch nr. 161

Georg Fülberth. Lunapark21 – Heft 24

Der Mindestlohn von 8,50 Euro ab 2015 steht im Koalitionsvertrag von SPD und Union. Bereits bestehende Tarifverträge mit einem niedrigeren Satz bleiben davon unberührt, außerdem neue, die rasch noch 2014 abgeschlossen werden können und die gut und gerne bis 2017 laufen werden. Spätestens dann ist die nächste Bundestagswahl.

Nach 45 Beitragsjahren dürfen Lohn- und Gehaltsabhängige schon mit 63 ohne Abschlag in Rente gehen. Wie viele etwas von der durchgesetzten zweiten sozialdemokratischen Forderung haben werden, hängt von den Erwerbsbiografien ab. Die Verbesserung hilft denjenigen aus der Alterskohorte der vor allem durch die Agenda 2010 Gebeutelten, die das Glück hatten, trotz zunehmender Arbeitslosigkeit 45 Versicherungsjahre zusammenzubringen, nicht aber denjenigen, die vielleicht schon als Mittfünfziger in Schröders Regierungszeit ausgeschieden sind. Ingo Schäfer von der Arbeiterkammer Bremen hat darauf hingewiesen, dass die langfristig geplante Senkung der Renten nicht dadurch aufgehoben wird, dass die Angehörigen einiger Jahrgänge ohne Einbuße früher aufhören dürfen. Dafür werden andere Rentnerinnen und Rentner entsprechend weniger bekommen: Umverteilung innerhalb einer Klasse.

Juristische Gleichstellung homosexueller Partnerschaften und doppelte Staatsbürgerschaften sind Zugeständnisse der Union an die SPD. Es bleibt beim Betreuungsgeld, das von der CSU einst durchgesetzt wurde. Mütter- und Lebensleistungsrente waren Themen der Union. Ebenso wie der Mindestlohn von 8,50 (falls dieser nicht durch höhere Tarifabschlüsse überboten werden kann), stabilisieren sie entweder ein wenig den unteren Rand von Niedrigeinkommen oder sie sind ein Zubrot für bürgerliche Familien, mehr nicht. Wäre die Pkw-Maut auch von Deutschen zu entrichten, hätte sie vielleicht eine Lenkungswirkung, aber das ist nicht beabsichtigt. Da der Erlös voll in den Straßenbau gesteckt wird, bleibt es bei der Forcierung der Autogesellschaft.

Die steht auch nicht unter Finanzierungsvorbehalt, anders als andere Ankündigungen. Die SPD ist sehr schnell von ihrer im Wahlkampf erhobenen Forderung nach Steuererhöhungen abgerückt, woran sich zeigt, wie wenig ernst ihr diese gewesen ist. Ihre Begründung für den schnellen Verzicht: Wenn Ausbau und Erneuerung der Infrastruktur auf andere Weise zu finanzieren seien, dann brauche man niemanden zusätzlich zur Kasse zu bitten. Das lässt sich machen, wenn man bescheiden ist, also nicht allzu viel verlangt, das anschließend bezahlt werden muss. So geschah es.

Unerfindlich ist, weshalb zwei Monate Verhandlungszeit nötig waren, um die von vornherein erwartbaren Ergebnisse zu erzielen.

Im Wahlkampf haben SPD, Grüne und Linkspartei nicht in erster Linie Steuererhöhungen gefordert, sondern Steuergerechtigkeit. Es entstand der Anschein einer Übereinstimmung mit einer außerparlamentarischen Bewegung: umfairteilen. Davon ist nichts übrig geblieben. Von einer Neueinführung der Vermögenssteuer und einer wirksamen Erbschaftssteuer ist nicht die Rede.
Ein zweites Thema, das im Wahlkampf auch bei der SPD betont wurde, im Koalitionsvertrag aber nur noch eine randständige Rolle spielt, ist die Macht der Banken und die Notwendigkeit von deren Regulierung. Die Finanztransaktionssteuer soll wohl nicht diesem Zweck dienen, sondern allenfalls eine Einnahmequelle sein, so sie denn kommt.

Vom Finanzsektor aber wird absehbar die nächste Herausforderung für die Große Koalition kommen. Die Flutung der Märkte durch die EZB beginnt Sparvermögen zu entwerten. Da aber nach wie vor die Lohn- und Gehaltsabhängigen zur kapitalgedeckten Altersvorsorge gedrängt werden, ist auch diese angegriffen.

Es wird beklagt, in der Rentenpolitik werde eine Klientelpolitik zugunsten der Alten und zulasten der Jungen betrieben. Diese zahlten in eine Kasse ein, aus der künftig für sie nicht viel abfalle. Hiergegen gibt es ein gutes Rezept, auch in der Gesundheitspolitik: alle Einkommen, nicht nur aus Löhnen und Angestelltengehältern, sollten je nach ihrer Höhe herangezogen werden – Auszahlung nach Bedarf, nicht nach Einzahlung. Im Koalitionsvertrag steht davon nichts.

Mit dem Koalitionsvertrag wollen sich Union und SPD wohl winterfest machen für absehbare Herausforderungen, gegen die er aber wenig helfen wird.

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