Fleischessen ist männlich

Winfried Wolf. Lunapark21 – Heft 25

Georg F. W. Hegel schrieb: „Der Unterschied zwischen Mann und Frau ist der des Tieres und der Pflanze: Das Tier entspricht mehr dem Charakter des Mannes, die Pflanze mehr dem der Frau, denn sie ist mehr ruhiges Entfalten.“

Wie auch immer diese Geschlechterphilosophie weiterzudenken ist, es wäre unzureichend, beließe man es bei den erwähnten Pro-Kopf-Angaben des Fleischverzehrs als Durchschnittswerte für die menschliche Spezies und verzichtete auf die geschlechtsspezifische Differenzierung. Im Grunde ist bei diesem Thema bereits der Begriff „Durchschnittswert“ aus wissenschaftlicher Sicht fragwürdig. Der Begriff „durchschnittlicher Stundenlohn der Beschäftigten in einer Fabrik“ ist bereits dann kritisch zu sehen, wenn die weiblichen Arbeitskräfte 25 bis 30 Prozent weniger als die männlichen verdienen. Dennoch mag eine solche Verallgemeinerung angehen. Doch beim Fleischkonsum sieht es wie folgt aus – hier ein Zitat aus einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung vom 7. Januar 2014: „Männer essen mit 1092g pro Woche doppelt so viel Fleisch, Fleischerzeugnisse und Wurstwaren wie Frauen.

Damit überschreiten Männer den von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DEG) zugrunde gelegten Orientierungswert von 300 bis 600g pro Woche um das Zweifache. Frauen liegen mit knapp 600 g Fleisch, Fleischerzeugnisse und Wurstwaren pro Woche an der oberen Grenze.“

Es handelt sich hier nicht um einen statistischen Ausreißer oder um ein deutsches Spezifikum. Vergleichbare geschlechtsspezifische Unterschiede gibt es auf der ganzen Welt und damit in allen Kulturkreisen. In den USA definieren sich rund 4 Prozent der Männer als Vegetarier oder Veganer. Demgegenüber verstehen sich 7 Prozent der Frauen als Vegetarierinnen oder Veganerinnen. In Deutschland ist die Kluft mit 1 Prozent zu 2,2 Prozent noch größer. Extrem wird sie dann in Indien mit einem Anteil von 8,5 Prozent der Männer als Vegetarier, aber 31 Prozent Anteil bei den Frauen als Vegetarierinnen.

Erstaunlicherweise streift der hier mehrfach zitierte „Fleischatlas“ dieses Thema nur am Rande und widmet ihm kein eigenes Kapitel. Es heißt dort eher allgemein „Männer essen deutlich mehr (Fleisch) als Frauen.“ Das war´s dann – insoweit es den Text der Publikation betrifft. Einer Grafik mit einer Deutschlandkarte ist dann allerdings zu entnehmen, dass der Fleisch- und Wurstverzehr von Frauen in Rheinland-Pfalz bei nur 45 Gramm pro Tag liegt – in Sachsen wird als Top-Wert für den Fleischverzehr von Frauen 60 Gramm pro Tag genannt. Für deutsche Männer hingegen wird als niedrigster Wert 92 Gramm in Schleswig-Holstein genannt – und als höchster 117 Gramm pro Kopf und Tag in Thüringen. Auch hier gibt es fast exakt – beim niedrigsten und beim höchsten Wert jeweils den für Frauen mit dem für Männer vergleichend – jeweils einen doppelt so hohen Wert für den männlichen Fleischverzehr im Vergleich zu demjenigen von Frauen.

Die geschlechtsspezifische Form des Umgangs mit Fleisch findet dann eine weitere Konkretisierung in der Art und Weise, wie Fleisch zubereitet wird. Fleisch zu Kochen ist eher eine weibliche Form der Zubereitung. Äußerst männlich hingegen erscheint es, das Fleisch am offenen Feuer und am Grill zu braten.

Jeremy Rifkin: „Niemand stellt sich einen Cowboy vor, der gekochtes Fleisch isst. Selbst heute noch, im nachindustriellen Amerika, wird die Szenerie der Rinderkultur mit dem Klischee des Cowboys, der sein Fleisch über dem offenen Feuer brät, an lauen Sommerabenden in zahllosen Vorstadtgärten wiederholt, wenn der ´Herr des Hauses´ die Holzkohle anzündet und die rohen Bouletten auf den glutheißen Grill klatscht. (…) Es mutet ironisch an, ist aber durchaus verständlich, dass die Männer in unserer modernen High-Tech-Gesellschaft umso entschlossener zu sein scheinen, den männlichen Mythos des Fleischessens aufrechtzuerhalten, je weiter sie sich von der Notwendigkeit körperlicher Arbeit und Tätigkeiten entfernen, die früher einmal schiere physische Kraft voraussetzten. Eine Ernährungswissenschaftlerin erklärte das Phänomen damit, dass ´Männer, die den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen müssen, das Bedürfnis haben, sich ihrer Männlichkeit zu versichern, indem sie diese großen, blutigen Fleischlappen, das letzte Symbol des Machismos, verspeisen.´“

Quellen:
Georg W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt/M. 1970, S. 319f · Presseerklärung DGE aktuell vom 7. Januar 2014 · Jeremy Rifkin, Das Imperium der Rinder, Frankfurt/M. 1994, S. 203f und S. 209.

Den Fleischkonsumwerten, die in der oben zitierten DEG-Erklärung und bei dem ebenfalls oben zitierten Fleischatlas-Angaben genannt werden, liegt eine andere Definition des Fleischkonsums zugrunde wie bei zuvor genannten – höheren – Werten. Es handelt sich hier, wenn ich es richtig interpretiere, um Fleischkonsum ohne Knochen.


Tierisch geiler DDR-Erfolg
1959 verkündete die SED als offizielle „ökonomische Hauptaufgabe“ das Ziel, den Verbrauch bei allen Lebensmitteln und Konsumgütern pro Kopf bis 1961 über das Niveau der Bundesrepublik zu heben. Das gelang grundsätzlich eher nicht. Die später vom SED-Parteichef Walter Ulbricht entwickelte Orientierung auf „Überholen ohne Einzuholen“ war im Grunde eine Umschreibung des Scheitern dieser ursprünglichen Zielsetzung. Das SED-Zentralorgan Neues Deutschland interpretierte damals die Ulbricht-Losung dahingehend, dass man „dem gegenwärtigen Welthöchststand nicht auf bereits mehr oder weniger bekannten Wegen nacheilen“ wolle. Auf einem Gebiet allerdings wurde überholt – und dabei eigentlich auch „eingeholt“. Auf alle Fälle wurde der Überholprozess just auf einem breiten und höchst problematischen, „mehr oder weniger bekannten“ Trampelpfad durchgeführt, auf dem Gebiet des Fleischkonsums. Bis 1975 lag der Pro-Kopf-Fleischkonsum jeweils um 10 bis 20 Prozent unter dem Westniveau. 1980 erreichte der DDR-Fleischkonsum pro Kopf erstmals das westdeutsche Niveau, wobei dieses Niveau inzwischen längst als unge-sund bezeichnet werden musste. 1985 lag der ostdeutsche Fleischkonsum erstmals deutlich über dem Westniveau. Auch heute liegt der Fleischkonsum in Ostdeutschland deutlich über dem im Westen. Daran kann es also nicht gelegen haben…