Fließbandproduktion. Oder: Das Schlachthof-Prinzip

Lunapark21 – Heft 25

Für seinen 1906 erschienen Roman „The Jungle“ („Der Dschungel“) verdingte sich Upton Sinclair wochenlang als Arbeiter auf den Schlachthöfen Chicagos, um den Terror und das Elend zu beschreiben, dem die Arbeitskräfte und die Tiere in der fleischverarbeitenden Industrie ausgesetzt waren – und, wie wir sehen werden, heute noch sind.

Ein Kernbestandteil der Beschreibung betrifft eine Produktionsstruktur, für die später so vornehme Begriffe wie „Fließbandarbeit“, „Fordismus“ und „Taylorismus“ – anstelle von „Schlachthausprinzip“ – gefunden wurden.

„Es war eine langgestreckte Halle mit einer längslaufenden Besuchergalerie. Am hinteren Ende befand sich ein riesiges Eisenrad von etwa sechs Meter Umfang, an dessen Kranz in Abständen Ringe angebracht waren. (…) Ein, zwei Minuten später begann es [das Riesenrad] sich zu drehen, und nun sprangen die Männer zu seinen beiden Seiten an die Arbeit. Sie hatten Ketten, und davon schlangen sie jeweils das eine Ende dem vordersten Schwein um ein Bein und hakten das andere in einem der Ringe an dem Rad ein. Durch dessen Drehung verlor das Tier dann plötzlich den Boden unter den Füßen und wurde hochgerissen. Im selben Augenblick ertönte ein Schrei, der durch Mark und Bein ging. Erschrocken fuhren die Besucher zusammen (…) Es folgte ein weiterer Schrei, lauter noch und herzzerreißend – denn hatte das Schwein diese Reise einmal angetreten, winkte ihm keine Wiederkehr mehr; war es oben am Scheitel des Rades angelangt, wurde es an seiner Kette auf eine Transportschiene übergeleitet, und an der schwebte es dann die Halle entlang. Inzwischen wurde ein zweites hochgerissen, ein drittes, ein viertes und immer so weiter, bis sie in Doppelreihe dort baumelten, jedes aufgehängt an einem Bein, wild um sich schlagend – und quiekend. Der Lärm war grauenhaft (…) Von all dem ungerührt, verrichteten die Leute unten ihre Arbeit; Todesschreie von Schweinen und Tränen von Besuchern ließen sie völlig kalt. Sie packten die Tiere eines nach dem anderen und stachen sie blitzschnell ab. In der langen Reihe Schweine versiegte das Quieken zusammen mit dem Herzblut, bis schließlich jedes der nun toten Tiere an seinem Haken weiterrückte, dann in einen riesigen Kessel mit kochendem Wasser plumpste und darin verschwand.
Alles erfolgte derart methodisch, dass man gebannt zuschaute. Es war Schlachten per Fließband, Schweinefleischgewinnung mittels angewandter Mathematik. Dennoch konnte selbst der unsentimentalste Mensch nicht umhin, an die Tiere zu denken. (…) Das tote Tier wurde maschinell aus dem Kessel geschöpft und fiel ins nächste Stockwerk hinunter, wobei es unterwegs einen wunderbaren Mechanismus mit zahlreichen Schabemessern durchlief, der sich automatisch seiner Größe und Form anpasste (…) Dann wurde es, ebenfalls maschinell, wieder aufgehängt und auf eine weitere Drahtseilfahrt geschickt, diesmal zwischen zwei Reihen von Männern hindurch, die (…) jeder einen bestimmten Handgriff ausführten, wenn das Schwein an ihnen vorbeikam. Einer schabte die Außenseite eines Beines ab, ein anderer die Innenseite. Einer führte einen schnellen Schnitt um den Hals herum, ein anderer trennte mit zwei raschen Hieben den Kopf ab, der auf den Boden fiel und durch ein Loch verschwand.“

Ein knappes Jahrzehnt später beginnt die Fließbandfertigung von Autos in Henry Fords Fabriken. Ford selbst tat teilweise so, als sei er der Erfinder dieser Produktionsweise, doch in seiner Autobiographie nahm er auch direkten Bezug auf das Schlachthausprinzip: „Ungefähr am 1. April 1913 machten wir unseren ersten Versuch mit einer Montagebahn. Ich glaube, es war die erste bewegliche Montagebahn, die je errichtet wurde. Im Prinzip ähnelte sie den Schiebebahnen, deren sich die Chicagoer Fleischpacker bei der Zerlegung der Rinder bedienten.“

Jeremy Rifkin schrieb in seinem 1992 erschienen Buch „The Rise and Fall of the Cattle Culture“ (deutsch: „Das Imperium der Rinder“): „Seit Upton Sinclairs packendem Bericht über die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen der Jahrhundertwende hat sich nicht viel geändert. Die Menschen (…) werden noch immer von den Unternehmen ausgebeutet, die die unmenschlichen Arbeitsmethoden in Schlachthallen und Kühlräumen bis heute nicht abgeschafft haben. Die Arbeitsbedingungen sind oft primitiv, ja gespenstisch. Eleanor Kelly von der [Gewerkschaft] UFCW bemerkt dazu: ´Zustände wie in einer Fleischfabrik gibt es sonst nirgends; es übersteigt Ihre Vorstellung. Es ist wie eine Höllenvision.´“ Im Übrigen, so Rifikin, „kann es nicht verwundern, dass es den Historikern späterer Zeiten angenehmer war, die Vorzüge des Montagebandes und der Massenproduktion am Beispiel der Automobilindustrie hervorzuheben. In den automatisierten Schlachthallen von Chicago war der Geruch des Todes (…), das Gedränge ausgeweideter Tiere, die in endloser Prozession vorbeischaukelten, so betäubend, dass auch die Begeisterung des überzeugtesten Befürworters der neuen Produktionskonzepte gedämpft wurde.“

Zitate nach: Upton Sinclair, Der Dschungel, Hamburg 1985, rororo, S. 50-53. Henry Ford, Erfolg im Leben, München 1922, S. 58 (Original: My Life and Work, 1922). Jeremy Rifkin, Das Imperium der Rinder ,Frankfurt/M. 1994 (Campus), S. 84.