Provokationen und Muskelspiele am Rande des Abgrunds. Der Iran und die militärische Eskalation

Allein in den ersten zwei Monaten des Jahres 2012 gab es mehr als 15 Meldungen über kurz bevorstehende militärische Aktionen am Persischen Golf. Meist wurden die USA und Israel als mögliche Akteure genannt, manchmal aber auch der Iran.

Diese widersprüchlichen Meldungen, die sich bisher alle als falsch erwiesen haben, kommen nicht zufällig zustande. Die meisten Meldungen stammen aus dem Umkreis der verschiedenen Regierungsstellen und Geheimdienste. Es handelt sich um eine Desinformationskampagne, die von allen an diesem Konflikt beteiligten Seiten betrieben wird.

Die drei Hauptakteure in diesem „Spiel“ sind die Regierungen der USA, Israels und des Irans. Dabei sind die Interessen der israelischen Regierung am einfachsten zu beschreiben. Premier Benjamin Netanjahu und seine Regierung können die sozialen Spannungen, die ihren Ausdruck in beeindruckenden Demonstrationen im Jahr 2011 fanden, am besten ausblenden, wenn sie eine permanente Bedrohung für das Land präsentieren. Der Iran eignet sich zur Zeit am besten dafür, nachdem die Palästinenser nicht mehr als Drohkulisse genügen. Die iranische Regierung unternimmt ihrerseits ihr Möglichstes, um dieser Rolle gerecht zu werden.

Die US-amerikanische Regierung präsentiert sich in dieser Region – in der dreißig Prozent der weltweiten Ölförderung konzentriert ist – als Herr des Geschehens. Sie will die eigenen Interessen gegen jegliche tatsächliche oder vermeintliche Drohung verteidigen. Das erwartet die Weltöffentlichkeit von der einzig verbliebenen militärischen Supermacht. Das erwarten jedoch insbesondere die Vasallenstaaten der USA am Persischen Golf: Saudi-Arabien, Katar, Kuweit, Dubai, Abu Dhabi, Bahrein. Obwohl die Unruhen in Bahrein, dem Stützpunkt der fünften US-Flotte, Mitte 2011 von saudischen Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen wurden, sitzt die Angst vor einem „Frühling am Golf“ in den Palästen der Emire und Könige tief. Daher muss eine regionale Mittelmacht wie der Iran in die Schranken gewiesen werden. Die Schutzmacht USA muss sich hier bewähren.

Es handelt sich dabei um ein Engagement, das für Washington auf drei Ebenen höchst profitabel ist: Erstens wird die zuverlässige Versorgung mit Öl garantiert. Zweitens kann die Ölwährung US-Dollar aufrechterhalten werden, womit in Zeiten großer Erschütterungen der Weltwirtschaft die auf dem Dollar gründende Hegemonie der USA verteidigt wird. Drittens schließlich gibt es die gigantischen Waffenbestellungen seitens der Golfstaaten. Allein dieses „Schutzgeld“ in Form von historisch einmaligen Rüstungsaufträgen betrug im Jahr 2011 mehr als 100 Milliarden Dollar.

Welcher Teufel reitet die iranische Regierung?

Die Antwort auf diese Frage ist in der komplizierten Machtbalance der herrschenden Oligarchie im Iran und in der sozio-ökonomischen Lage des Landes zu suchen.

Das iranischen Machtsystem funktioniert auf Grundlage einer Reihe fein austarierter Mechanismen, die es verschiedenen Fraktionen der Machtelite erlauben, die eigenen Interessen durchzusetzen. Formal als Präsidialdemokratie ausgelegt, verfügt doch der geistige Führer über das letzte Wort in grundlegenden Fragen. Er ist auch der Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Beim Machtkampf nach der letzten Präsidentschaftswahl 2009 gelang es der Fraktion um Präsident Ahmadinedschad eine Fraktion – die sogenannten Gemäßigten, die eine vorsichtige Öffnung des Systems wollten – weitgehend auszuschalten. Dieser gewonnene Kampf hat zwar Ahmadinedschads Position deutlich gestärkt, die verbliebenen Fraktionen um den geistigen Führer Ayatollah Chamenei aber in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Damit sie nicht das gleiche Schicksal erleiden, versuchen diese Gruppen eine Politik der Obstruktion. Regierungsvorlagen werden regelmäßig im Parlament zurückgewiesen (hier hat der Präsident keine Mehrheit), Minister faktisch abgesetzt, Regierungsprojekte durch bürokratische Tricks verzögert. So kommt es zustande, dass ein General an einem Tag mit der Schließung der Straße von Hormus droht, ein anderer hoher Vertreter des Irans dies jedoch am nächsten Tag dementiert:

Hü & hott

Wenn sie (die USA und andere westlichen Staaten) Sanktionen gegen iranisches Öl verhängen, wird kein Tropfen Öl mehr durch die Straße von Hormus gelassen.
Mohammed Reza Rahimi, Iranischer Vizepräsident, 27.12.2011

Die Straße von Hormus zu blockieren wäre für uns ebenso leicht, wie ein Glas Wasser zu trinken. Zurzeit gibt es aber keine Notwendigkeit, dies zu tun.
Habibulah Sajari, Befehlshaber der iranischen Marine, 28.12.2011

Bevor Europa ein Öl-Embargo gegen uns verhängt, werden wir Ihnen die Ölhähne zudrehen.
Rostam Kassemi, iranischer Ölminister, 7.02.2012

Wir werden nicht mit Embargomaßnahmen beginnen, die Exporte werden von iranischer Seite fortgesetzt.
Mohammad Ali Khatibi, Vertreter des Irans bei der OPEC, 9.02.2012

Dieser Machtkampf ist der politische Hintergrund für die widersprüchlichen Signale, die in der Atomfrage (und nicht nur in dieser) vom Iran ausgehen.

Die Provokationen sind jedoch auch wirtschaftlich zu erklären. Die Kürzung der Subventionen für Nahrungsmittel, Energie und Wasser, die in den letzten zwei Jahren vorgenommen wurden, hat eine enorme Teuerung im Land bewirkt (siehe Lunapark Nr. 14). Als Ausgleich bekommt jeder Bürger, der sich hierfür registrieren ließ, umgerechnet rund 40 US-Dollar monatlich an Beihilfe – unabhängig vom Einkommen. Diese Summe kompensiert aber höchsten 30 Prozent der gestrichenen Subventionen. Die Inflation wurde einige Monate lang aufgrund unterschiedlicher Maßnahmen begrenzt. Doch diese Maßnahmen werden inzwischen eine nach der anderen aufgehoben, wobei die nun daraus resultierenden Preissteigerungen den Embargomaßnahmen – und damit dem äußeren Feind – zugeschrieben werden. So können die Folgen des Sozialabbaus zumindest teilweise der Politik der westlichen Regierungen in die Schuhe geschoben werden.

Mit eben dieser Begründung „ausländisches Embargo“ lassen sich auch Sonderhaushalte und Budgetüberziehungen leichter durchs Parlament bringen, und die Öleinnahmen in undurchsichtige Kanäle leiten. Auch eine Aufrechterhaltung der innenpolitischen Repression ist vor diesem Hintergrund für das Regime viel einfacher zu rechtfertigen.

Die Fraktion um Präsident Ahmadinedschad ist aus diesen Gründen auf eine permanente Spannungssituation – auf Drohungen und Gegendrohungen – angewiesen. Seine provokanten Reden vor der UN-Vollversammlung richten sich weder an die anderen Regierungsvertreter, noch an die Bevölkerung des Westens. Er spricht das eigene Volk an, teilweise noch die anderen Völker der Region. Er spielt den unerschrockenen Antiimperialisten, der den Großmächten die Stirn bietet. Je weniger die Menschen im Iran dies glauben, desto schriller müssen seine Töne sein. Ahmadinedschad ist weder wahnsinnig, noch ein Selbstmörder. Sein Ziel ist der Machterhalt, seine Methoden sind den kulturellen und politischen Notwendigkeiten der Region angepasst.

Die Ökonomie der permanenten Bedrohung

Nicht nur mit Kriegen kann Geld verdient werden. Auch eine permanente Kriegsdrohung ist eine ausgezeichnete Quelle der Gewinnerzielung. Was im Kalten Krieg der Rüstungswettbewerb der Supermächte war, ist im Iran seit über dreißig Jahren der Aufbau eines vom Ausland unabhängigen Rüstungssektors. Zuerst beschränkt auf die Herstellung von Munition und Ersatzteilen für die vorhandenen Waffensysteme, ist mit der Zeit ein Konglomerat aus Forschungseinrichtungen und Produktionsstätten entstanden, das sich in staatlichem Besitz befindet. Die Finanzierung erfolgt durch verschiedenste Haushaltstitel. Die genauen Zahlen sind geheim. Schätzungen gehen von rund zehn Milliarden Dollar pro Jahr aus, die im Iran in die Rüstungsforschung und Rüstungsproduktion fließen. Hinzu kommt der offizielle Haushalt der Streitkräfte in Höhe von rund sieben Milliarden Dollar. Das Atomprojekt des Irans hat allein seit 2003 über 12 Milliarden Dollar – oder pro Jahr 1,3 Milliarden Dollar – verschlungen (wobei in dieser Zahl die Kosten für den 2011 in Betrieb genommenen Atomreaktor in Buschehr nicht enthalten sind). Rüstung, Militär und atomare Forschung addieren sich so auf rund 18 Milliarden US-Dollar. Das entspricht immerhin rund 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, mehr als dem Doppelten, das Nato-Staaten im Durchschnitt für Rüstung und Militär aufwenden.

Da es sich bei der gesamten iranischen Rüstungsproduktion um staatliche Betriebe handelt, kann eine Gewinnentnahme nicht direkt erfolgen, eine indirekte erfolgt umso dreister. So werden bereits entwickelte Raketen mit einem neuen Anstrich versehen und als Neuentwicklung definiert, absurd hoch bezahlte Aufträge für Dienstleistungen an ausländische Firmen vergeben, die einen Teil des Geldes an die Entscheider für die Auftragsvergabe zurückfließen lassen. Oder es werden einfach Budgets für „Geheimprojekte“ bewilligt, die nicht existieren.

Nicht nur im Iran gib es Profiteure. Das Emirat Dubai wuchs innerhalb von wenigen Jahren zum wichtigsten Handelspartner Irans. Dabei gibt es in Dubai so gut wie keine Industrieproduktion, das Land fungiert zu einem großen Teil als Umschlagplatz für Waren aus aller Welt, die der Iran unter Umgehung der internationalen Sanktionen importiert. Zeitweise gingen 30 Prozent der Exporte des Emirats in den Iran. Dubai profitierte in den neunziger Jahren enorm von den Sanktionen gegen den Irak und ist ein erfahrener Partner beim Umgehen des internationalen Rechts. Seit der Finanzkrise 2008 ist Dubai aber vom großen Bruder Abu Dhabi abhängig; dieser wiederum schätzt den US-amerikanischen Schutz höher als die Erlöse im Geschäft mit dem Iran und drängt auf die Eindämmung des legalen Schmuggels. Als Ersatz sind aber andere Länder wie China oder Indien zur Stelle. Sie wittern die Möglichkeit, eine strategische Partnerschaft mit einem der größten ölexportierenden Länder einzugehen und einen Teil ihres Energiebedarfs zu decken.

Vom kalten zum heißen Krieg?

Die Folgen eines Krieges gegen den Iran wären nicht absehbar, sowohl im Land als auch außerhalb. Eine klassische Invasion – wie sie im Iraks 2003 erfolgte – ist militärisch äußerst kompliziert. Die schiere Größe des Landes (die Fläche des Irans entspricht der Fläche der Länder Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Schweiz und Österreich), die relativ große Bevölkerungszahl und die vielfach schwierigen geografischen Bedingungen mit bis zu 6000 Metern Höhenunterschieden – all dies führte dazu, dass in den letzten 500 Jahren alle klassischen Kolonialmächte in dieser Region von einer Besetzung des Landes abgesehen haben.*)

Luftangriffe, die sich nur auf bestimmte Objekte (z.B. Atomanlagen) konzentrieren, sind zwar relativ einfach durchzuführen. Doch militärisch würden sie wenig bewirken. Die Anlagen sind zu zahlreich und zu gut geschützt; sie liegen weit im Landesinneren – einige wenige Luftschläge würden kaum etwas bewirken. Tagelange Bombardements aber, wie sie im Jugoslawien-Krieg 1999 praktiziert wurden, würden den iranischen Streitkräften die Möglichkeit geben, tatsächlich die Straße von Hormus zu schließen. Schon ein versenkter Öltanker reicht, um den Ölpreis und die Versicherungsprämien für Schiffe massiv in die Höhe zu treiben und die Weltwirtschaft zu erschüttern. Die US-Regierung hat vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Probleme und dem militärischen Desaster im Irak und in Afghanistan kein Interesse an einem solchen Szenario. Bei der israelischen Regierung ist dies nicht sicher. Es gibt Kräfte in dieser Regierung, die einen Angriff ernsthaft in Erwägung ziehen; Israel ist jedoch – einen atomaren Angriff ausgenommen – militärtechnisch nicht in der Lage, dem Iran mehr als Nadelstiche zu versetzen.

Eine andere Situation würde entstehen, wenn die iranische Regierung als erste zu Handlungen greifen würde, die eine Gefährdung des Ölhandels bedeuten würden. In einem solchen Fall würde sich die US-Regierung zu einem massiven Gegenangriff gezwungen sehen. Dies ist auch der Hintergrund der gezielten Ermordung iranischer Wissenschaftler, die es in den letzten Monaten gab. Diese Terrorakte an Personen, die größtenteils nicht oder nur im geringen Maße mit dem Atomprogramm zu tun hatten, trägt die Handschrift von Geheimdiensten. Der israelische Geheimdienst ist für solche Aktionen berüchtigt. Das iranische Atomprogramm wird durch diese Morde nicht tangiert.

Ziel ist es jedoch, eine Überreaktion des Irans auszulösen und damit eine Eskalationsspirale in Gang zu setzen. Es gibt aktuell mehr Akteure, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung einer Spannungssituation haben, als Akteure, die an einem Krieg interessiert sind. Wer es aber riskiert, bis an den Rand des Abgrunds zu gehen, kann auch rein zufällig den letzten Schritt tun.

*) Der Iran hat eine Fläche von 1648000 Quadratkilometer und ist damit fast vier Mal größer als der Irak (438000 qkm). Im Iran leben 75 Millionen Menschen, im Irak 24 Millionen Menschen.

Rouzbeh Taheri ist Vorstandsmitglied des iranischen Kultur- und Medienvereins und Geschäftsführer von Lunapark21.

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